Europarecht

Erfolgreiche Anfechtungsklage eines Pakistaners gegen eine rechtswidrige Einstellung des Asylverfahrens

Aktenzeichen  M 19 K 17.30349

Datum:
16.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 46746
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 84
AsylG § 33

 

Leitsatz

Die Belehrung des Asylbewerbers über die Folgen, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung vor dem BAMF nicht nachkommt und nicht unverzüglich nachweist, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen ist, auf die er keinen Einfluss hatte, hat in einer Sprache zu erfolgen, die dem Betroffenen verständlich ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 30. Dezember 2016 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit kann im Wege des Gerichtsbescheids entschieden werden, da die Sache keine rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten aufweist und die Beteiligten hierzu angehört worden sind (§ 84 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage ist zulässig und begründet. Der angegriffene Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt damit den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Klage ist zulässig, insbesondere besteht ein Rechtsschutzbedürfnis. Der Kläger hat keine einfachere und effektivere Möglichkeit zur Realisierung seines Rechtsschutzes. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens beim Bundesamt gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG stellt keine solche Möglichkeit dar (so auch VG Augsburg, B.v. 27.6.2016 – Au 6 S 16.30700 – juris; VG Chemnitz, U.v. 22.9.2016 – 4 K 780/16.A – juris; VG Berlin, B.v. 19.8.2016 – 6 L 417.16 A – juris).
Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte hat das Asylverfahren zu Unrecht eingestellt und damit den Kläger in seinen Rechten verletzt.
Nach § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist und er nicht unverzüglich nachweist, dass das jeweilige Versäumnis auf Umstände zurückzuführen ist, auf die er keinen Einfluss hatte. Hierüber ist nach § 33 Abs. 4 AsylG gegen Empfangsbekenntnis zu belehren. Die Belehrung hat, auch wenn dies ausdrücklich nicht normiert ist, in einer Sprache zu erfolgen, die dem Betroffenen verständlich ist (vgl. VG München, B.v. 21. Juli 2017 – M 21 S 17.35568 – juris Rn. 20), jedenfalls dann, wenn er in diesem Verfahrensstadium nicht anwaltlich vertreten ist (vgl. BayVGH, B.v. 24.4.2018 – 6 ZB 17.31593 – juris Rn. 5; OVG MV, B.v. 27.3.2017 – 1 LZ 92/17 – juris Rn. 14; VG Hannover Beschluss vom 21.11.2018 – 1 B 6754/18 – Rn. 11 für den Fall der Belehrung im Ladungsschreiben).
Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen der Belehrung, tritt die Rücknahmefiktion nicht ein (BVerwG, U.v. 15.4.2019 – 1 C 46/18 – juris Rn. 30) und ist demnach eine Verfahrenseinstellung nicht rechtmäßig.
So verhält es sich hier. Der allgemeine Hinweis auf die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung in der Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise genügt den beschriebenen Anforderungen nicht. Das Bundesamt verweist auf die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung bzw. der Entscheidung ohne persönliche Anhörung in dem Fall, dass der Antragsteller „ohne vorher“ die „Hinderungsgründe (…) mitgeteilt zu haben“, der Anhörung fern bleibt. Dass § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG aber eine Widerlegung der Vermutung auch dann vorsieht, wenn der Ausländer unverzüglich, also nach dem versäumten Anhörungstermin, nachweist, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte, erwähnt die Belehrung nicht. Auch aus dem beigefügten Gesetzestext lässt sich dies nicht entnehmen, da die Vorschrift des § 33 Abs. 2 AsylG gerade nicht abgedruckt worden ist.
Dieser Belehrungsfehler ist auch nicht dadurch geheilt worden, dass die Belehrung zu § 33 AsylG in der Ladung zur Anhörung – insoweit – zutreffend ist. Denn diese Ladung ist ausschließlich in deutscher Sprache erfolgt und nicht in einer Sprache, die der Kläger versteht (vgl. zu dieser Anforderung auch für die Ladung VG Arnsberg, Beschluss vom 16. Februar 2017 – 2 L 134/17.A – juris Rn. 17 ff.). Da die Ladung nicht über einen Verfahrensbevollmächtigten erfolgte, kann vom Erfordernis, die Ladung in einer für den Betroffenen geeigneten Sprache zu verfassen, keine Ausnahme zugelassen werden (vgl. insoweit VG Bayreuth, U.v. 1.2.2018 – B 7 K 17.33398 – juris Rn. 25). Außerdem ist die Ladung nicht gegen Empfangsbestätigung übermittelt worden. Darüber hinaus beinhaltet die Ladung den Hinweis, dass im Falle des Nichterscheinens ohne genügende Entschuldung über den „Antrag nach Aktenlage entschieden“ wird. Damit wird die Formulierung in § 25 Abs. 4 Satz 5 und Abs. 5 Satz 3 AsylG aufgegriffen, dennoch aber die Rechtslage nicht zutreffend beschrieben. Gerade in Zusammenschau mit den allgemeinen Hinweisen („Einstellung des Verfahrens bzw. Entscheidung ohne persönliche Anhörung“) entsteht der Eindruck, die Beklagte hätte im Fall des unentschuldigten Fernbleibens von der Anhörung ein Wahlrecht zwischen der Einstellung des Asylverfahrens und einer (Sach-)Entscheidung nach Aktenlage. Ein solches Wahlrecht besteht allerdings gerade nicht (BVerwG, Urteil vom 15. April 2019 – 1 C 46/18 – juris Rn. 24). Es hat das Verfahren einzustellen, weil es als zurückgenommen gilt. Auch insoweit ist die Belehrung fehlerhaft und ist der Beklagten eine Verfahrenseinstellung verwehrt.
Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob es zur genügenden Entschuldigung des Nichterscheinens der Übersendung von Attesten statt einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bedurft hätte und ob, bejahendenfalls, die Übersendung der Atteste an das Gericht erst im Jahr 2019 die gesetzliche Anforderung der Unverzüglichkeit erfüllt.
Im Ergebnis trat angesichts der vorliegenden Belehrungsdefizite die Rücknahmefiktion nicht ein. Die Verfahrenseinstellung ist rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 113 ff. Zivilprozessordnung.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben