Europarecht

Erfolgreiche Klage gegen Ungültigerklärung und Einziehung eines Jagdscheins und Widerruf von Waffenbesitzkarten

Aktenzeichen  M 7 K 18.969

Datum:
31.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 25549
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 45 Abs. 2 S. 1
BJagdG § 17 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, § 18 S. 1

 

Leitsatz

1. Auch jenseits der Nähe zum eigentlichen „Reichsbürger“-Spektrum rechtfertigt eine Einstellung, die die Existenz und die Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung nicht als für sich verbindlich betrachtet, die Annahme der waffenrechtlichen absoluten Unzuverlässigkeit (vgl. OVG Koblenz BeckRS 2018, 34044). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände im konkreten Einzelfall unter Würdigung der Persönlichkeit des Klägers, wie sie in seinen Verhaltensweisen und Einlassungen zum Ausdruck kommt (vgl. VGH München BeckRS 2019, 1673).  (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es liegen tatsächliche Indizien dafür vor, dass der Kläger der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen sein könnte. Jedoch sieht das Gericht die getätigte Verhaltensweise und Äußerungen im konkreten Einzelfall insbesondere aufgrund der Einlassungen des Klägers sowie des persönlichen Eindrucks, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, nicht als Ausfluss einer inneren Haltung an, die der Ideologie der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzurechnen ist.  (Rn. 28 – 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Landratsamts Mühldorf a. Inn vom 7. Februar 2018 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat Erfolg.
Der Bescheid vom 7. Februar 2018 ist rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, vorliegend des Bescheidserlasses (vgl. zum Fall des Widerrufs einer waffenrechtlichen Erlaubnis BVerwG, U.v. 16.5.2007 – 6 C 24.06 – juris Rn. 35).
Sowohl der Widerruf der Waffenbesitzkarten gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG (Nr. 1 des Bescheids) als auch die Ungültigerklärung und Einziehung des Jagdscheins gemäß § 18 Satz 1 BJagdG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG (Nr. 2 des Bescheids) sind rechtswidrig.
Eine waffenrechtliche Erlaubnis – vorliegend die Waffenbesitzkarten nach § 10 Abs. 1 WaffG – ist gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Nach
§ 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 WaffG ist eine waffenrechtliche Erlaubnis zu versagen, wenn der Antragsteller nicht die erforderliche Zuverlässigkeit i.S.v. § 5 WaffG besitzt. Nach § 18 Satz 1 BJagdG ist die zuständige Behörde in Fällen des § 17 Abs. 1 BJagdG verpflichtet, den Jagdschein für ungültig zu erklären, wenn Tatsachen, welche die Versagung des Jagdscheins begründen, erst nach Erteilung des Jagdscheins eintreten oder der Behörde, die den Jagdschein erteilt hat, bekannt werden. Nach
§ 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG darf nur ein Jagdschein nach § 15 Abs. 7 BJagdG (Falknerjagdschein) erteilt werden, wenn die Zuverlässigkeit oder die persönliche Eignung im Sinne der §§ 5 und 6 des Waffengesetzes fehlen. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG besitzen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden (Buchst. a) oder mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden (Buchst. b) oder Waffen oder Munition Personen überlasen werden die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind (Buchst. c).
Maßgeblich für die Beurteilung, ob die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG nicht gegeben ist, ist eine auf Tatsachen gestützte Prognose eines spezifisch waffenrechtlich bedenklichen Verhaltens, aus dem mit hoher Wahrscheinlichkeit der Eintritt von Schäden für hohe Rechtsgüter resultiert (vgl. BT-Drs 14/7758, S. 54). Diese Prognose ist auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen zu erstellen. Dabei ist der allgemeine Zweck des Gesetzes nach § 1 Abs. 1 WaffG, beim Umgang mit Waffen und Munition die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren, zu berücksichtigen. Die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, sind nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten das Vertrauen verdienen, mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umzugehen. In Anbetracht des vorbeugenden Charakters der gesetzlichen Regelungen und der erheblichen Gefahren, die von Waffen und Munition für hochrangige Rechtsgüter ausgehen, ist für die gerichtlich uneingeschränkt nachprüfbare Prognose nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich. Vielmehr genügt eine hinreichende, auf der Lebenserfahrung beruhende Wahrscheinlichkeit, wobei ein Restrisiko nicht hingenommen werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 22.12.2014 – 21 ZB 14.1512 – juris Rn. 12; B.v. 4.12.2013 – 21 CS 13.1969 – juris Rn. 14). Unter Berücksichtigung des strikt präventiven, auf die Umsetzung grundrechtlicher Schutzpflichten gerichteten Regelungskonzepts des Waffengesetzes ist die Prognose der Unzuverlässigkeit nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Tatsachen, auf die sie gestützt ist, nach aller Lebenserfahrung kein plausibles Risiko dafür begründen, dass der Betroffene künftig Verhaltensweisen im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG begehen werde (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2015 – 6 C 1.14 – juris Rn. 17).
Personen, die der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, besitzen nicht die erforderliche Zuverlässigkeit i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2017 – 21 CS 17.1300; B.v. 12.12.2017 – 21 CS 17.1332; B.v. 10.1.2018 – 21 CS 17.1339; B.v. 15.1.2018 – 21 CS 17.1519; B.v. 12.3.2018 – 21 CS 17.1678; B.v. 16.1.2019 – 21 C 18.578 – alle juris).
Der Verfassungsschutzbericht 2018 des Bundes (S. 94) beschreibt die Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ als personell, organisatorisch und ideologisch heterogen. Sie setzt sich aus Einzelpersonen ohne Organisationsanbindung, Kleinst- und Kleingruppierungen, länderübergreifend aktiven Personenzusammenschlüssen und virtuellen Netzwerken zusammen. Verbindendes Element der Szeneangehörigen ist die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie deren bestehender Rechtsordnung. Nach dem Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 (S. 175) sind „Reichsbürger“ Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Dabei berufen sie sich unter anderem auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Sie berufen sich in unterschiedlichster Form auf den Fortbestand des Deutschen Reiches. Dabei werden z.B. der Rechtsstand von 1937, 1914 zwei Tage vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges oder auch 1871 genannt. Reichsbürger behaupten, Deutschland habe keine gültige Verfassung und sei damit als Staat nicht existent, oder das Grundgesetz habe mit der Wiedervereinigung seine Gültigkeit verloren. Daher fühlen sich Reichsbürger auch nicht verpflichtet, den in der Bundesrepublik geltenden Gesetzen Folge zu leisten. In ihrer Gesamtheit ist die Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ als staatsfeindlich einzustufen (vgl. Verfassungsschutzbericht 2018 des Bundes, S. 95). Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein bis hin zur Gewaltanwendung (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, S. 176).
Wer der Ideologie der Reichsbürgerbewegung folgend die Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung generell nicht als für sich verbindlich anerkennt, gibt Anlass zu der Befürchtung, dass er auch die Regelungen des Waffengesetzes nicht strikt befolgen wird. Dies gilt für den Umgang mit Waffen ebenso wie für die Pflicht zur sicheren Waffenaufbewahrung, die Pflicht zur getrennten Aufbewahrung von Waffen und Munition, die Pflicht zu gewährleisten, dass andere Personen keinen Zugriff haben können, sowie die strikten Vorgaben zum Schießen mit Waffen im Besonderen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bis c WaffG). Ausgehend von dem Grundsatz, dass nur derjenige im Besitz von Waffen sein soll, der nach seinem Verhalten das Vertrauen darin verdient, dass er mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen wird, muss einer der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnenden Person anknüpfend an die Tatsache, dass sie die waffenrechtlichen Normen gerade nicht als für sich verbindlich ansieht, die nach § 5 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit abgesprochen werden (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2018 – 21 CS 17.1964 – juris Rn. 15 m.w.N.). Keine andere Beurteilung ist gerechtfertigt, wenn sich jemand (glaubhaft) selbst nicht als diesem Spektrum zugehörig betrachtet oder in einzelnen – auch wesentlichen – Bereichen von dort anzutreffenden Thesen nachvollziehbar und glaubhaft distanziert. Auch jenseits der Nähe zum eigentlichen „Reichsbürger“-Spektrum rechtfertigt eine Einstellung, die die Existenz und die Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung nicht als für sich verbindlich betrachtet, die Annahme der waffenrechtlichen absoluten Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG (vgl. OVG RhPf, B.v. 3.12.2018 – 7 B 11152/18 – juris Rn. 23).
Im konkreten Fall rechtfertigen die Tatsachen, die dem Gericht vorliegen, noch nicht die Annahme, dass der Kläger der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen ist bzw. er sich deren Ideologie für sich bindend zu eigen gemacht hat. Eine Prognose, dass der Kläger mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein in § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG beschriebenes Verhalten zeigen wird und somit nicht über die erforderliche Zuverlässigkeit im waffenrechtlichen Sinn verfügt, ist mithin nicht gerechtfertigt.
Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände im konkreten Einzelfall unter Würdigung der Persönlichkeit des Klägers, wie sie in seinen Verhaltensweisen und Einlassungen zum Ausdruck kommt (vgl. BayVGH, B.v. 14.1.2019 – 21 CS 18.701 – juris Rn. 22 f.; B.v. 4.10.2018 – 21 CS 18.264 – juris Rn. 12). In die Gesamtwürdigung sind dabei sowohl die im Verwaltungsverfahren als auch die in der mündlichen Verhandlung gemachten Äußerungen des Klägers einzustellen.
Es liegen nach Aktenlage unzweifelhaft tatsächliche Indizien dafür vor, dass der Kläger der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen sein bzw. er sich deren Ideologie für sich bindend zu eigen gemacht haben könnte. So hat der Kläger insbesondere am 12. März 2015 seinen noch gültigen Personalausweis bei der ausstellenden Behörde abgegeben mit der Begründung, dass er nicht als Personal, sondern als Mensch angesehen werden möchte. Sog. „Reichsbürger“ lehnen vielfach Ausweisdokumente der Bundesrepublik Deutschland als unwirksam ab und bestreiten mit der Rückgabe zudem typischerweise die rechtmäßige Existenz der Bundesrepublik Deutschland (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2019 – 21 C 18.578 – juris Rn. 16). Die Rückgabe amtlicher Ausweisdokumente an die Behörde legt „reichsbürgertypisch“ nahe, dass sich der Betroffene nicht als zur Bundesrepublik Deutschland zugehörig ansieht, sondern die Geltung der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und damit auch die Regelungen des Waffengesetzes in Abrede stellt (vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2018 – 21 CS 17.1519 – juris Rn. 16). Auch die Bezugnahme auf „den Mensch“ kann als einem Argumentationsmuster der „Reichsbürgerszene“ folgend angesehen werden. So wird als Rekrutierungsbecken für die „Reichsbürgerszene“ nicht zuletzt auch die Esoterikszene gesehen. Personen, die sich der Esoterik zuwenden, suchen dort in der Regel nach Lebenshilfe und Unterstützung bei der „Selbstfindung“. „Reichsbürger“ legen ihnen nahe, dass sie solange nicht zu sich selbst als „Mensch“ zurückfinden können, wie sie noch Teil der vermeintlichen „BRD GmbH“ und somit lediglich „Personal“ eines Wirtschaftsunternehmens seien. Um sich davon befreien zu können, sei der „Austritt aus der Bundesrepublik Deutschland notwendig (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, S. 183). Weiterhin hat der Kläger in einem waffenrechtlichen Antrag vom 26. Mai 2015 die Angabe „Deutsche(r)“ durchgestrichen und als „Andere Staatsangehörigkeiten“ „Bayer“ angegeben. Zuvor hatte er bereits im Anhörungsbogen zum waffenrechtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren am 24. Juli 2009 als Staatsangehörigkeit „bayrisch“ angegeben. Auch dies kann grundsätzlich ein Indiz dafür sein, dass er seine Staatsangehörigkeit und damit seine Zugehörigkeit zur Bundesrepublik Deutschland verneint (vgl. auch BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 21 CS 17.1339 – juris Rn. 17, wonach die Angabe „Königreich Bayern“ als weitere Staatsangehörigkeit „reichsbürgertypisch“ nahelegt, dass sich der Betroffene nicht als zur Bundesrepublik Deutschland zugehörig ansieht). Der Kläger hat somit für die sog. „Reichsbürgerbewegung“ typische Verhaltens- und Ausdrucksweisen zu erkennen gegeben.
Insbesondere aufgrund der Einlassungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung sowie des persönlichen Eindrucks, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung vom Kläger gewonnen hat, sieht das Gericht die getätigte Verhaltensweise und Äußerungen im konkreten Einzelfall jedoch nicht als Ausfluss einer inneren Haltung des Klägers an, die der Ideologie der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzurechnen ist.
So hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung über das bisherige schriftliche Vorbringen hinaus anschaulich und nachvollziehbar die Beweggründe für die Rückgabe des Personalausweises geschildert. Dabei konnte er deutlich machen, dass die konkrete Handlung situativ erfolgte und in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausnahmesituation stand, in der er sich damals aufgrund seiner hohen Schulden bei dem Finanzamt mit den damit verbundenen, für ihn höchst gravierenden Folgen sowie des Unternehmensinsolvenzverfahrens befunden hatte. Er habe damals nicht mehr gewusst, wie es weitergehe und sich in einer für ihn ausweglosen Situation befunden.
Zudem hat der Kläger glaubhaft geschildert, dass er den Personalausweis persönlich mit einer (nur) mündlichen Erklärung bei der Verwaltungsgemeinschaft O. abgegeben hat und nicht, wie es nach Aktenlage den Anschein hatte, eine vorgefertigte schriftliche Erklärung mit gleichzeitig vorformulierter Behördenbestätigung eingereicht hat. So hat er hierzu vorgetragen, er sei persönlich zur Verwaltungsgemeinschaft O. gegangen und habe dort seinen Personalausweis mit der (mündlichen) Aussage übergeben, dass er „Mensch und niemandes Personal“ sei. Dann habe die Sachbearbeiterin auf seine Frage hin, ob er ein Schriftstück bekomme, das Schreiben verfasst, das der Kläger dann unterschrieben habe. Von dem weiteren Schreiben der Verwaltungsgemeinschaft O. mit der Bestätigung über die Rücknahme des Personalausweises habe er keine Kenntnis gehabt. Hierfür dürfte auch die in der Bestätigung der Verwaltungsgemeinschaft O. enthaltene Formulierung sprechen, wonach die beabsichtigte Vernichtung des Personalausweises („dies“) dem Kläger („Herrn H.“) mitgeteilt worden sei. Hätte der Kläger das Bestätigungsschreiben selbst bereits vorformuliert, wäre eine solche Aussage nicht naheliegend gewesen. In diesem Fall wäre ihm wohl vielmehr gerade die Bestätigung und deren Wiederaushändigung wichtig gewesen. Eine zusätzliche (mündliche) Mitteilung an ihn wäre hingegen aus seiner Sicht nicht erforderlich gewesen. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung dargelegte Ablauf der Rückgabe des Personalausweises passt auch in das Bild einer situativen Handlung („Momentreaktion“), wie sie der Kläger geschildert hat.
Die Aussagen des Klägers sind in sich schlüssig und es bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte, um diese nachhaltig zu entkräften. Solche folgen auch nicht aus der Aktennotiz des Landratsamts über ein Telefonat mit dem Kläger am 9. August 2017. Dort wird ausgeführt, dass dem Kläger mitgeteilt worden sei, „dass durch den Anwalt die Distanzierung zu den Reichsbürgern nicht dargelegt“ worden sei, „dies aber im Klageverfahren nochmal gemacht werden könne. Auch zum Umstand, wieso der Personalausweis zurückgegeben“ worden sei. „(Wozu er auch immer noch steht: Wortlaut: „‘Ich habe im Duden die Definition für Personal gelesen. Er sei kein Personal der BRD‘.)“. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung hierzu angegeben, dass er sich nicht daran erinnern könne, dies gesagt zu haben. Auch wenn er die Aussage – wie in dem Aktenvermerk zitiert – gemacht hat, widerlegt dies nicht zwangsläufig seine spätere Einlassung, dass die damalige Rückgabe des Personalausweises der konkreten Belastungssituation geschuldet war, wie er sie geschildert hat. Zudem ist die Äußerung insgesamt im Zusammenhang mit der Anhörungssituation zu sehen, wo es dem Kläger wohl auch darum ging, sein damaliges Verhalten und damit auch den Inhalt seiner Aussage zu erklären bzw. zu begründen. Es dürfte im Nachhinein auch nicht mehr weiter aufklärbar sein, was genau der Kläger im Rahmen des Telefonats – über den Wortlaut des in dem Vermerk wiedergegebenen Zitats hinaus – geäußert hat. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der Kläger noch vor Erlass des Bescheids einen neuen Personalausweis beantragt hat, der ihm am 25. Januar 2018 ausgestellt wurde, auch wenn dies konkret im Zusammenhang mit den drohenden waffenrechtlichen Maßnahmen erfolgt ist.
Nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls, insbesondere unter Würdigung der Persönlichkeit des Klägers, ist nach Auffassung der Kammer daher aufgrund der vorliegenden Tatsachen noch nicht die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG gerechtfertigt.
Auch unabhängig davon ergibt sich im Fall des Klägers keine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit auf der Grundlage weiterer Tatbestände, insbesondere nicht der Regelunzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG. Der Kläger wurde innerhalb der hierfür maßgeblichen Frist einmal rechtskräftig zu einer Geldstrafe in Höhe von 55 Tagessätzen verurteilt. Im Übrigen wurden ausschließlich Ordnungswidrigkeitentatbestände im Sinne von § 53 Abs. 1 Nr. 7 WaffG verwirklicht.
Soweit damit der Widerruf der Waffenbesitzkarten sowie die Ungültigerklärung und Einziehung des Jagdscheins rechtswidrig sind, folgt hieraus zugleich, dass auch die weiteren Anordnungen des streitgegenständlichen Bescheids keinen Bestand haben können, da es sich bei diesen um Folgeentscheidungen hierzu handelt. Der Bescheid war daher vollumfänglich aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollsteckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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