Europarecht

Erlöschen der Niederlassungserlaubnis

Aktenzeichen  M 9 K 18.6091

Datum:
10.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7049
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 6, Nr. 7, § 82 Abs. 1, § 101 Abs. 1 S. 1
VwGO § 43 Abs. 1, Abs. 2, § 117 Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

1. Unschädlich im Hinblick auf das Erlöschen der Niederlassungerlaubnis nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG sind lediglich Auslandsaufenthalte, die nach ihrem Zweck typischerweise zeitlich begrenzt sind und die keine wesentliche Änderung der gewöhnlichen Lebensumstände in Deutschland mit sich bringen (vgl. auch BayVGH BeckRS 2018, 32944 Rn. 11). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Jedenfalls erlischt der Aufenthaltstitel nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG, wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass der Betreffende seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlagert hat. Nur kurzfristige Zwischenaufenthalte in Deutschland können sonstige Indizien für eine Verlagerung des Lebensmittelpunktes nicht entkräften. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die allgemeine Feststellungsklage, § 43 Abs. 1 VwGO, ist statthaft, da kein (feststellender) Bescheid gegeben ist – kein Tenor, keine Unterschrift, keine Rechtsmittelbelehrung-, der anfechtbar wäre, weswegen § 43 Abs. 2 VwGO nicht eingreift; sie ist die korrekte Reaktion auf ein Schreiben, das dem Betroffenen gegenüber festhält, dass sein Aufenthaltstitel von Gesetzes wegen erloschen sei (vgl. nur BVerwG, U.v. 23.3.2017 – 1 C 14/16 – NVwZ-RR 2017, 670; BayVGH, B.v. 23.1.2017 – 10 CE 16.1398 – juris; U.v. 1.10.2008 – 10 BV 08.256 – juris; VG München, U.v. 24.5.2018 – M 12 K 17.1760 – unveröffentlicht; B.v. 4.7.2016 – M 9 E 16.2367 – juris m. w. N.).
Die Feststellungsklage ist aber unbegründet.
Die Niederlassungserlaubnis des Klägers – in der die unbefristete Aufenthaltserlaubnis, erteilt wohl nach § 23 AuslG a.F., nach § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG aufgegangen ist – ist von Gesetzes wegen nach § 51 Abs. 1 Nr. 6, 7 AufenthG erloschen.
Nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Unschädlich im Hinblick auf diese Vorschrift sind lediglich Auslandsaufenthalte, die nach ihrem Zweck typischerweise zeitlich begrenzt sind und die keine wesentliche Änderung der gewöhnlichen Lebensumstände in Deutschland mit sich bringen. Fehlt es an einem dieser Erfordernisse, liegt ein seiner Natur nach nicht vorübergehender Grund vor. Neben der Dauer und dem Zweck des Auslandsaufenthalts sind alle objektiven Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, während es auf den inneren Willen des Ausländers – insbesondere auf seine Planung der späteren Rückkehr nach Deutschland – nicht allein ankommen kann; die subjektive Absicht des Ausländers muss vielmehr in nachprüfbaren Indizien zum Ausdruck kommen. Eine feste Zeitspanne, bei deren Überschreitung stets von einem nicht mehr vorübergehenden Grund auszugehen wäre, lässt sich nicht abstrakt benennen. Je weiter sich die Aufenthaltsdauer im Ausland über die Zeiten hinaus ausdehnt, die mit begrenzten Aufenthaltszwecken typischerweise verbunden sind, desto eher liegt die Annahme eines nicht nur vorübergehenden Grundes nahe. Als Anhaltspunkt kann dabei die Sechs-Monats-Grenze des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG herangezogen werden. Jedenfalls erlischt der Aufenthaltstitel nach dieser Vorschrift, wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass der Betreffende seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlagert hat. Nur kurzfristige Zwischenaufenthalte in Deutschland können sonstige Indizien für eine Verlagerung des Lebensmittelpunktes nicht entkräften (BVerwG, U.v. 11.12.2012 – 1 C 15.11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 23.1.2017 – 10 CE 16.1398 – juris).
Nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erlischt ein Aufenthaltstitel ferner, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist.
Beide Tatbestände sind erfüllt.
Die beweisbelastete Ausländerbehörde legte belastbare Nachweise dafür vor, dass sich der Kläger jedenfalls zwischen Mai 2013 und Januar 2016 bzw. Juni 2016 und Februar 2018 gesichert nicht im Schengenraum und damit auch nicht im Bundesgebiet aufgehalten hat; das ist durch die nachgewiesenen Grenzübertritte aus und nach Serbien bewiesen. Nach der mit den Stempeln insgesamt dokumentierten, lebhaften Reisetätigkeit liegt es nahe – worauf es aber nicht tragend ankommt -, dass der Kläger zwischen 2006 und 2018 überhaupt nicht im Bundesgebiet gewesen ist. Auf die Passkopie (Bl. 18ff. d. BA/2), auf die Stempelauswertung (Bl. 85f. d. BA/2), auf die EWO und auf den AZR-Auszug (jeweils vom 14. Juni 2018, Bl. 25ff. d. BA/2) wird verwiesen. Der Kläger, den nach § 82 Abs. 1 AufenthG sowie § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO Mitwirkungspflichten treffen (siehe BayVGH, B.v. 23.1.2017 – 10 CE 16.1398 – juris), ließ sich zu den Umständen des Auslandsaufenthalts nicht ein. Lapidare Verweise auf „nur vereinzelte“ Aufenthalte in Serbien und in der Schweiz genügen nicht. Der Kläger gab auch in der mündlichen Verhandlung nicht an, weshalb er ausgereist sei – ein nur vorübergehender Zweck des Auslandsaufenthalts wurde nicht dargetan und ist auch nicht ersichtlich. Gleiches gilt für die angeblichen Aufenthalte in Frankfurt. Dass der Kläger aufgrund seiner behaupteten Erkrankung nicht mehr imstande gewesen sein will, sich einwohnermelderechtlich anzumelden, ist lebensfremd, nachdem seine vielfältigen Umzüge bis 2006 stets dokumentiert waren (Bl. 26f. d. BA/2) und nachdem er auch im Juni 2018 wieder auf die Behörde zukam (Bl. 29 d. BA/2). Die angebliche Erkrankung („Depression“) ist zudem durch nichts belegt. Auch in der mündlichen Verhandlung wurden dazu, auch auf Nachfrage des Gerichts hin, keine Atteste o. Ä. übergeben.
Die zu den Akten gereichten Schriftstücke sind nicht geeignet, die Ermittlungsergebnisse der Beklagten infrage zu stellen. Beispielsweise die „Bestätigungen“ des Bruders Villaznim B. und des Cousins David B. (Bl. 56f. d. BA/2, Bl. 17f. d. BA/4) darüber, dass der Kläger bei ihnen in Hessen bzw. in München gelebt habe, betreffen Zeiträume, in denen durch das gestempelte Passdokument – Pass und Stempel sind jeweils amtliche Urkunden (BayObLG, B.v. 21.8.1989 – RReg. 4 St 131/89 – NJW 1990, 264, 265) – belegt ist, dass der Kläger nicht in Deutschland war. Mit Blick auf § 156 StGB – die rechtliche Qualität der „Bestätigungen“ dahingestellt – und aufgrund dessen, dass die Beweislage eindeutig ist, wurde davon abgesehen, dem schriftsätzlich dazu noch angebotenen, in der mündlichen Verhandlung aber nicht mehr weiter verfolgten Zeugenbeweis nachzukommen.
Auch die zu den Akten gegebene Anfrage der Rechtsanwälte R. & Kollegen vom 25. April 2013 (vgl. Bl. 30ff. d. BA/2) belegt – anders als die Klägerseite meint – keinen Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet. Die Anfrage betraf ein Auskunftsersuchen an die Staatsanwaltschaft, ob derzeit gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren geführt werde, ein Haftbefehl bestehe oder sonstige strafrechtliche Maßnahmen eingeleitet seien. Die Antworten der Ermittlungsbehörden schickte die Kanzlei „c/o“ an die damalige Lebensgefährtin Diamante D., wohnhaft in der Th.-St.-Str. in München (Bl. 33 d. BA/2). Angesichts dessen ist nicht belegt, dass der Kläger die Anfrage von Deutschland aus in Auftrag gab, ja nicht einmal, dass er sie selbst in Auftrag gab. Eine Adressierung c/o wird verwendet, wenn der (nominelle) Empfänger keine eigene Anschrift hat – die Post wird dann c/o, d. h. „care of“ an den Adressinhaber gesendet, der sie für den Adressaten „in Obhut“ nimmt. Die Anfrage mag zeigen – wie auch die Beklagte ausführt -, dass der Kläger mit dem Gedanken spielte, wieder nach Deutschland einzureisen, weswegen er zuvor abklären wollte, ob er noch mit strafrechtlicher Verfolgung zu rechnen habe. Das verhilft der Klage aber nicht zum Erfolg. Maßgeblich sind in erster Linie die objektiven Umstände des Einzelfalls, nicht die inneren Einstellungen des Ausländers, insbesondere seine Planung der (späteren) Rückkehr nach Deutschland (BVerwG, U.v. 11.12.2012 – 1 C 15.11 – juris; BayVGH, B.v. 27.11.2018 – 19 CE 17.550 – BeckRS 2018, 32944 Rn. 11).
Die weiter vorgelegten Rechnungen und Mahnungen (Bl. 22ff. d. BA/4) sind ebenso wenig geeignet, Inlandsaufenthalte des Klägers zu belegen. Zum einen sind Rechnungen über Onlinebestellungen und Mahnungsschreiben von Versicherungen von vorn herein nicht geeignet, einen Nachweis über den tatsächlichen Aufenthalt des Versicherungsnehmers/Bestellers in Deutschland zu erbringen, zumal dann, wenn sie – wie vorliegend – „nur“ an die Adresse der Lebensgefährtin geschickt werden (Th.-St.-Straße). Die letzte bekannte Adresse des Klägers selbst lag in der A.-Straße (Bl. 26 d. BA/2). Exemplarisch wird zu alledem auf ein Inkasso-Schreiben aus 05/2012 verwiesen (Bl. 38 d. Gerichtsakts): Dieses bezieht sich auf eine Bestellung gegen Rechnung aus 02/2012 bei Betty Barclay und damit bei einem reinen Damenmodengeschäft. Diese Bestellung kann jeder Dritte getätigt haben. Das Forderungsschreiben ging (ebenso wie weitere Mahnungen bspw. der Fa. Zalando GmbH, Bl. 39 d. Gerichtsakts) an die Th.-St.-Straße in München, womit davon auszugehen ist, dass diese Adresse im Kundenkonto hinterlegt war und dass unter dieser Adresse bestellt wurde; nach „Bestätigung“ des Bruders aber lebte der Kläger von 2012-2015 ausschließlich bei ihm in Wartenberg (Bl. 29 d. Gerichtsakts). Wenn der Kläger, wie behauptet, die Bestellung getätigt haben will, ist nicht nachvollziehbar, wieso er die Waren dann an die Th.-St.-Straße liefern lassen wollte – und damit in ein anderes Bundesland.
Nach den Gesamtumständen des Einzelfalls ist nach alledem davon auszugehen, dass der Kläger nach seiner letzten Haftentlassung (20. Oktober 2006, Bl. 203 d. BA/0) Deutschland den Rücken gekehrt und seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland – nach den Ermittlungserkenntnissen der Beklagten: in sein Herkunftsland Serbien – verlagert hat. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts fest nicht nur, aber vor allem aufgrund der zweifelsfrei nachgewiesenen, erheblichen Dauer des Auslandsaufenthalts, aufgrund der amtlichen Abmeldung nach Unbekannt ohne Neu- bzw. Ummeldung und aufgrund dessen, dass der Kläger, wie der Behördenakte (Teil 0) zu entnehmen ist, vor 2006 vielfältige „Spuren“ im Bundesgebiet hinterlassen hatte, wohingegen sich ab 2006 keinerlei Nachweise über einen etwaigen Inlandsaufenthalt mehr finden.
Die Ausnahmefälle gemäß § 51 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4, Abs. 7 AufenthG, in denen der Aufenthaltstitel nicht erlischt, sind im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Insbesondere § 51 Abs. 2 AufenthG kommt nicht in Betracht, da der Lebensunterhalt des Klägers weder bei Ausreise (als maßgeblicher Zeitpunkt, vgl. BVerwG, U.v. 23.3.2017 – 1 C 14/16 – NVwZ-RR 2017, 670) noch gegenwärtig gesichert ist.
Es wird darauf hingewiesen, dass auch die Voraussetzungen von § 37 AufenthG nicht erfüllt sind. Insbesondere bezieht der Kläger nach eigener Aussage in der mündlichen Verhandlung keine Rente (§ 37 Abs. 5 AufenthG).
Die Kostenentscheidung fußt auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708f. ZPO.


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