Europarecht

Erlöschen eine Niederlassungserlaubnis

Aktenzeichen  10 B 16.165

Datum:
5.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 45477
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 43 Abs. 1, Abs. 2 S. 1
AuslG § 44, § 51 Abs. 2 S. 1
AufenthG § 2 Abs. 3 S. 1, § 51 Abs. 1 Nr. 6 u. 7, Abs. 2 S. 1
ARB1/80 Art. 6 S. 1

 

Leitsatz

Maßgeblich für die Prognoseentscheidung, ob der Lebensunterhalt eines Ausländers im Fall seiner Wiedereinreise gesichert ist (§ 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG), ist der Zeitpunkt des Eintritts der Erlöschensvoraussetzungen und nicht der der Wiedereinreise (im Anschluss an OVG NW, B. v. 18.3.2011 – 18 A 126/11 -, OVG Berlin-Bbg, B. v. 4.8.2011 – OVG 2 S 32.11 – sowie VGH BW, U. v. 9.11.2015 – 11 S 714/15 – jeweils juris).

Verfahrensgang

Au 1 K 15.581 2015-08-11 VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollsteckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein das Feststellungsbegehren des Klägers, dass seine Niederlassungserlaubnis nicht erloschen ist. Die ebenfalls zu seinen Lasten ergangene Entscheidung des Verwaltungsgerichts über den in erster Instanz noch gestellten Feststellungsantrag, dass ihm ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 6 Satz 1 ARB 1/80 zusteht, und über den Verpflichtungsantrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels nach § 78 AufenthG hat er nicht angegriffen.
Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO; 1.) des Klägers zu Recht abgewiesen, da dessen Niederlassungserlaubnis nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) erloschen ist (2.).
1. Die allgemeine Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) des Klägers ist zulässig. Dieser begehrt mit seiner Klage die gerichtliche Feststellung des Fortbestehens seine Niederlassungserlaubnis und damit eines Rechtsverhältnisses im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO. Mangels eines entsprechenden feststellenden Verwaltungsaktes der Beklagten (zur ausländerbehördlichen förmlichen Feststellung des Erlöschens eines Aufenthaltstitels kraft Gesetzes vgl. BayVGH, B. v. 18.2.2015 – 10 ZB 14.345 – juris Rn. 6 sowie VGH BW, U. v. 9.11.2015 – 11 S 714/15 – juris Rn. 30) konnte der Kläger seine Rechte auch nicht durch Gestaltungsklage verfolgen (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Nach der erfolgten Übersendung einer Grenzübertrittsbescheinigung durch die Beklagte mit Schreiben vom 13. Februar 2015 bestand jedenfalls auch ein berechtigtes (rechtliches) Interesse des Klägers an der baldigen gerichtlichen Feststellung (§ 43 Abs. 1 2. Halbs. VwGO), dass seine Niederlassungserlaubnis nicht – wie von der Beklagten behauptet – nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG erloschen ist.
2. Die Feststellungsklage ist jedoch unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Niederlassungserlaubnis des Klägers nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) erloschen ist.
Es kann deshalb dahinstehen, ob dieser Aufenthaltstitel zudem gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen ist oder ob die regelmäßigen, mehr oder weniger kurzfristigen Besuchsaufenthalte des Klägers im Bundesgebiet einem Erlöschen nach diesem gesetzlichen Tatbestand entgegenstehen (zum diesbezüglichen Meinungsstand vgl. VGH BW, U. v. 9.11.2015 – 11 S 714/15 – juris Rn. 38 ff.).
2.1. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erlischt der Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist. Bei der Beurteilung, ob er aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausgereist ist, sind nach ständiger Rechtsprechung neben der Dauer und dem Zweck des Aufenthalts alle objektiven Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, während es auf den inneren Willen des Ausländers – insbesondere auf seine Planung der späteren Rückkehr nach Deutschland – nicht allein ankommen kann (vgl. BVerwG, U. v. 11.12.2012 – 1 C 15.11 – juris Rn. 16; BayVGH, B. v. 18.2.2015 – 10 ZB 14.345 – juris Rn. 9 sowie B. v. 4.1.2016 – 10 ZB 13.2431 – juris Rn. 6; VGH BW, U. v. 9.11.2015 – 11 S 714/15 – juris Rn. 43 jeweils m. w. N.). Unschädlich im Hinblick auf diese Vorschrift sind danach lediglich Auslandsaufenthalte, die nach ihrem Zweck typischerweise zeitlich begrenzt sind und die keine wesentliche Änderung der gewöhnlichen Lebensumstände in Deutschland mit sich bringen wie etwa Urlaubsreisen, beruflich veranlasste Aufenthalte von ähnlicher Dauer, Aufenthalte zur vorübergehenden Pflege von Angehörigen, zur Ableistung der Wehrpflicht oder Aufenthalte während der Schul- oder Berufsausbildung für zeitlich begrenzte Ausbildungsabschnitte (vgl. BVerwG a. a. O. Rn. 16).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Verwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung zu Recht und mit überzeugender Begründung ausgeführt, dass der Kläger spätestens im August 2008 aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde (§ 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG) nach Österreich ausgereist ist. Denn er hat sich jedenfalls ab diesem Zeitpunkt von seiner Ehefrau getrennt, ist aus der ehelichen Wohnung in A. ausgezogen sowie mit Wirkung zum 30. August 2008 von Amts wegen abgemeldet worden und (dauerhaft) nach Österreich (Salzburg) umgezogen, um sich dort eine neue berufliche Existenz im Wege einer selbstständigen Tätigkeit (als Dienstleister) aufzubauen. Abgesehen von kurzfristigen Besuchsaufenthalten im Bundesgebiet ist der Kläger erst im Juni 2014 infolge seiner Verhaftung in Serbien und der Auslieferung dauerhaft in das Bundesgebiet zurückgekehrt. In Salzburg war der der Kläger im Zeitraum September 2008 bis zum 11. Juni 2014 mit kurzen Unterbrechungen gemeldet. Auch sein türkischer Nationalpass wurde ihm am 6. Oktober 2011 dort ausgestellt. Damit hat der Kläger unter Berücksichtigung aller objektiven Umstände spätestens im August 2008 seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland (nach Österreich) verlagert; die nur kurzfristigen Besuchsaufenthalte in Deutschland stehen dieser Bewertung nicht entgegen (vgl. dazu Graßhof in Beck‘scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand: 1.11.2015, AufenthG § 51 Rn. 6 m. w. N.).
2.2. Der Kläger kann sich nach ebenfalls zutreffender Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts auch nicht auf den Privilegierungstatbestand des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG berufen. Nach § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der zum Zeitpunkt der Ausreise geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht nach Abs. 1 Nr. 6 und 7, wenn dessen Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsgrund nach § 54 Nr. 5 bis 7 oder § 55 Abs. 2 Nr. 8 bis 11 AufenthG vorliegt.
Der Kläger hat sich zwar über 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Auch liegt bei ihm unstreitig kein relevanter Ausweisungsgrund nach § 54 Nr. 5 bis 7 oder § 55 Abs. 2 Nr. 8 bis 11 AufenthG (a. F.) vor. Jedoch ist sein Lebensunterhalt nicht im Sinne von § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gesichert.
Unter welchen Voraussetzungen der Lebensunterhalt in diesem Sinn als gesichert angesehen werden kann, bestimmt sich nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, auf die § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG Bezug nimmt (vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 15/420 S. 89; BayVGH, B. v. 10.7.2013 – 10 ZB 13.457 – Rn. 7). Danach ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Erforderlich ist insoweit eine aufgrund belegbarer Umstände anzustellende Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer bzw. zumindest auf absehbare Zeit für einen erneuten Aufenthalt in Deutschland gesichert ist (vgl. Graßhof in Beck‘scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand: 1.11.2015, AufenthG § 51 Rn. 6; BayVGH a. a. O. Rn. 7; VGH BW, U. v. 9.11.2015 – 11 S 714/15 – juris Rn. 58).
Maßgeblicher Zeitpunkt für diese Prognose ist nach zutreffender Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts der Zeitpunkt des Eintritts der gesetzlichen Erlöschensvoraussetzungen (für diesen Zeitpunkt: OVG NW, B. v. 18.3.2011 – 18 A 126/11 -, OVG Berlin-Bbg, B. v. 4.8.2011 – OVG 2 S 32.11 -, VGH BW, U. v. 9.11.2015 – 11 S 714/15 -, VG Ansbach, B. v. 12.5.2014 – AN 5 S 13.02195 -, VG Berlin, U. v. 23.9.2015 – 24 K 248.14 – jeweils juris; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, AufenthG § 51 Rn. 28; Graßhof in Beck‘scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand: 1.11.2015, AufenthG § 51 Rn. 20b; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand: Dezember 2015, II – § 51 Rn. 75; Langeheine in Kluth/Hund/Maaßen [Hrsg.], Zuwanderungsrecht, 1. Aufl. 2008, § 5 Rn. 43; für einen Zeitpunkt noch vor dem Erlöschen: BayVGH, U. v. 1.10.2008 – 10 BV 08.256 – juris sowie Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand: Januar 2016, A1 § 59 Rn. 39), im Fall des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG also der Zeitpunkt der Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund.
Für diesen Zeitpunkt und gegen den vom Kläger für die Prognose der Sicherung des Lebensunterhalts unter Verweis auf eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B. v. 15.10.2009 – 19 CS 09.2194, 19 CE 09.2193 – juris Rn. 14) für sachgerecht erachteten Zeitpunkt der Wiedereinreise (so auch Möller in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, AufenthG § 51 Rn. 27) sprechen neben systematischen Gründen vor allem der Sinn und Zweck der Norm.
Sinn und Zweck der Erlöschensregelungen in § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG ist es, Rechtsklarheit zu schaffen, ob ein Ausländer, der für längere Zeit ausreist, seinen Aufenthaltstitel weiter besitzt oder nicht (BVerwG, U. v. 17.1.2012 – 1 C 1.11 – juris Rn. 9 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung zu dem gleichlautenden § 44 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AuslG 1990 in BT-Drs. 11/6321 S. 71). Im Interesse einer effektiven Steuerung der Migration (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) soll einer zeitlich unbegrenzten Möglichkeit der Abwesenheit und Wiedereinreise entgegengewirkt werden. Steht von vornherein fest, dass der Ausländer das Bundesgebiet aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde verlässt, erlischt der Aufenthaltstitel mit der Ausreise (Nr. 6); in diesen Fällen kann der Aufenthaltstitel bei der Ausreise ungültig gestempelt werden, um den Rechtsschein eines bestehenden Aufenthaltsrechts zu zerstören (vgl. Gesetzesbegründung zu § 44 AuslG 1990, BT-Drs. 11/6321 S. 71). Hält sich der Ausländer länger als sechs Monate außerhalb des Bundesgebietes auf, wird – von Fällen der Fristverlängerung abgesehen – unwiderleglich angenommen, dass er aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grunde ausgereist und sein Aufenthaltstitel damit ebenfalls erloschen ist (Nr. 7). Der Regelungszweck der beiden Erlöschenstatbestände ist es daher, die Aufenthaltstitel in den Fällen zum Erlöschen zu bringen, in denen das Verhalten des Ausländers typischerweise den Schluss rechtfertigt, dass er von seinem Aufenthaltsrecht keinen Gebrauch mehr machen will (BVerwG a. a. O. Rn. 9).
§ 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG privilegiert demgegenüber Ausländer, die sich seit langem rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, und ihre in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten; ihre Niederlassungserlaubnis erlischt nicht nach Abs. 1 Nr. 6 und 7, wenn der Lebensunterhalt gesichert ist und keiner der im Einzelnen aufgeführten Ausweisungsgründe besteht (vgl. auch Nr. 51.2 AVwV-AufenthG). Den dadurch privilegierten Personen, insbesondere älteren ausländischen Arbeitnehmern nach Beginn des Rentenbezugs, bei denen bislang nach einer Rückkehr in ihr Herkunftsland für einen längeren Zeitraum der ursprünglich erteilte Aufenthaltstitel nach den oben genannten Regelungen erlosch und die nur unter engen Voraussetzungen ein Wiederkehrrecht geltend machen konnten, soll (nunmehr) die einmal erworbene Rechtsposition auf Dauer erhalten bleiben, um die – beliebig häufige – Ein- und Ausreise zu erleichtern (vgl. Gesetzesbegründung zu § 44 Abs. 1a AuslG, BT-Drs. 13/4948 S. 8). In § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG hat der Gesetzgeber die bis dahin geltenden Regelungen (§ 44 Absatz 1a und 1b AuslG) zusammengefasst und die Aufzählung der Einkommensarten zur Beseitigung nicht erforderlicher Überregulierung ersetzt durch die Bezugnahme auf den Begriff des gesicherten Lebensunterhaltes im Sinne des § 2 Abs. 3 AufenthG (vgl. Gesetzesbegründung zu § 51, BT-Drs. 15/420 S. 89).
Zweck des Erfordernisses der Sicherung des Lebensunterhalts ist es dabei – wie auch bei anderen Vorschriften im Aufenthaltsrecht, die den gesicherten Lebensunterhalt verlangen – sicherzustellen, dass die öffentlichen Haushalte nicht zusätzlich durch die Inanspruchnahme von Sozialleistungen belastet werden (vgl. Gesetzesbegründung zu § 44 Abs. 1b AuslG, BT-Drs. 13/4948 S. 9; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand: Dezember 2015, II – § 51 Rn. 75). Dieser fiskalische Zweck mag für sich gesehen zunächst dafür sprechen, bei der hinsichtlich der Sicherung des Lebensunterhalts anzustellenden Prognose auf den Zeitpunkt der Wiedereinreise abzustellen (so BayVGH, B. v. 15.10.2009 – 19 CS 09.2194, 19 CE 09.2193 – juris Rn. 14 in einem obiter dictum; Möller in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, AufenthG § 51 Rn. 27). Allerdings ist das dafür angeführte Hauptargument, dieser Zweck würde verfehlt, wenn man hinsichtlich der Prognose auf den Zeitpunkt der Ausreise abstelle, so pauschal schon nicht stichhaltig. Gerade bei den vom Gesetzgeber hauptsächlich ins Auge gefassten Fällen – ältere Arbeitnehmer nach Beginn des Rentenbezugs (wobei auch eigenes Vermögen sowie ergänzende Unterhaltsleistungen unterhaltsverpflichteter Personen anerkannt werden konnten (s. § 44 Abs. 1a AuslG, BT-Drs. 13/4948 S. 3, 8) – ist dieser fiskalische Zweck auch bei einem Abstellen auf den Ausreisezeitpunkt gewährleistet.
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang aber, dass bei einem Abstellen auf den späteren, zunächst regelmäßig zeitlich noch gar nicht absehbaren Zeitpunkt der Wiedereinreise entgegen dem oben dargelegten Zweck der Erlöschensregelungen in § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG, Rechtsklarheit über die (Fort-)Geltung des Aufenthaltstitels zu schaffen, im Zeitpunkt der Verwirklichung der tatbestandlichen Erlöschensvoraussetzungen gerade noch keine (sichere) Aussage über den Fortbestand des Aufenthaltstitels bis zum (späteren, ungewissen) Zeitpunkt einer Wiedereinreise gemacht werden könnte. Rechtsklarheit und Rechtssicherheit verlangen oder bedingen aber gerade, dass sich jederzeit eindeutig feststellen lässt, ob der Betroffene noch über seinen Aufenthaltstitel verfügt und somit trotz Verlegung seinen Lebensmittelpunkts ins Ausland beliebig häufig wieder ein- und ausreisen darf. Weder kennt das Aufenthaltsgesetz – worauf die Beklagte zu Recht hinweist – eine „schwebende Unwirksamkeit“ oder ein „Wiederaufleben“ eines Aufenthaltstitels noch kann dem betroffenen Ausländer die Unsicherheit eines solchen „Schwebezustandes“ zugemutet werden (vgl. OVG NW, B. v. 18.3.2011 – 18 A 126/11 – juris Rn. 5; OVG Berlin-Bbg, B. v. 4.8.2011 – OVG 2 S 32.11 – juris Rn. 5; VGH BW, U. v. 9.11.2015 – 11 S 714/15 – juris Rn. 59; Graßhof in Beck‘scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand: 1.11.2015, AufenthG § 51 Rn. 20b; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand: Dezember 2015, II – § 51 Rn. 75; vgl. auch Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, AufenthG § 51 Rn. 28 sowie Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand: Januar 2016, A1 § 59 Rn. 39).
Für das Abstellen auf den Zeitpunkt der gesetzlichen Erlöschensvoraussetzungen spricht auch die vom Gesetzgeber mit dem Richtlinien-Umsetzungsgesetz 2007 vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) neu eingefügte weitere Privilegierungsvoraussetzung des Nichtvorliegens eines Ausweisungsgrundes nach § 54 Nr. 5 bis 7 oder § 55 Abs. 2 Nr. 8 bis 11 AufenthG. Zur Bekämpfung terroristischer und extremistischer Tendenzen und Aktivitäten im Bundesgebiet sollen danach Personen, die die genannten Ausweisungsgründe erfüllen, ihre Niederlassungserlaubnis nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG (jedenfalls) verlieren (vgl. Gesetzesbegründung zu Nr. 40 [§ 51], BT-Drs. 16/5065 S. 180). Die Erfüllung dieser Ausweisungstatbestände knüpft an den bisherigen Aufenthalt im Bundesgebiet an und muss demnach bereits im Zeitpunkt des Eintritts der Erlöschensvoraussetzungen gegeben sein (vgl. auch Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand: Dezember 2015, II – § 51 Rn. 77). Anhaltspunkte oder überzeugende Argumente dafür, dass im Rahmen der Privilegierung nach § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG bezüglich der Sicherung des Lebensunterhalts einerseits und des Nichtvorliegens dieser Ausweisungstatbestände andererseits maßgeblich auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte abzustellen wäre, sieht der Senat auch aus den bereits dargelegten Gründen nicht.
Dass der Lebensunterhalt des Klägers zum somit nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG maßgeblichen Zeitpunkt seiner Ausreise (aus einem nicht nur vorübergehenden Grunde) nach Österreich im August 2008 nicht als gesichert angesehen werden konnte, hat bereits das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung überzeugend dargelegt. Es hat dabei unter Berücksichtigung und Bewertung der bisherigen Erwerbsbiografie des Klägers (vgl. dazu BayVGH, B. v. 11.7.2013 – 10 ZB 13.457 – juris Rn. 8) – keine abgeschlossene Berufsausbildung im Bundesgebiet, lediglich kurzzeitige Beschäftigungen bei einer Vielzahl verschiedener Arbeitgeber in unterschiedlichen Branchen, immer wieder unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit – die Ausübung einer (selbstständigen) Erwerbstätigkeit in Österreich zutreffend lediglich als weiteren Versuch bewertet, beruflich dauerhaft Fuß zu fassen. Die vom Verwaltungsgericht auf dieser Grundlage angestellte Prognose, der Kläger werde seinen Lebensunterhalt bei der Wiedereinreise auf Dauer nicht ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten können, ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Einwand des Klägers, aufgrund der infolge seiner Geschäftsführer- und Gesellschafterfunktion (allerdings ohne Gehalt bzw. Einkünfte) bei der Firma B. & Co. Reinigungsdienste KEG in Salzburg bereits angelegten selbstständigen Betätigung in diesem Unternehmen nach der Übersiedelung nach Österreich sei sein Lebensunterhalt bereits im Zeitpunkt der dauerhaften Ausreise als gesichert anzusehen, greift nicht durch. Ausweislich der vom Kläger vorgelegten Bestätigung der Gebietskrankenkasse Salzburg vom 1. September 2015 (Bl. 77 f. der VGH-Akte) waren in dem Unternehmen im Jahr 2008 ein Angestellter bis 15. Februar 2008, eine weitere Angestellte bis 1. April 2008 sowie ein Arbeiter bis 30. Juli 2008 beschäftigt. Zu den behaupteten Umsätzen dieses Reinigungsunternehmens hat der Kläger lediglich einen Kontoauszug der ÖBB-Infrastruktur AG vom 3. September 2015 vorgelegt (Bl. 79 der VGH-Akte), wonach im Jahr 2008 (wohl) monatlich 2048,40Euro an das Reinigungsunternehmen überwiesen wurden; Nachweise über sonstige nennenswerte Umsätze des Unternehmens liegen nicht vor. Damit hat der Kläger jedoch keine Umstände aufgezeigt, die die vom Verwaltungsgericht bezogen auf den Ausreisezeitpunkt angestellte Prognose, er werde seinen Lebensunterhalt bei der Wiedereinreise auf Dauer nicht ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten können, widerlegen bzw. infrage stellen.
Auf die vom Kläger geltend gemachten und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof näher erläuterten späteren Einkünfte in Österreich (Rentenleistungen bzw. Erwerbsunfähigkeitspension der Sozialversicherungsanstalt des Landes Salzburg) kommt es nach alledem nicht mehr entscheidungserheblich an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision war nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Sie ergibt sich aus der hier entscheidungserheblichen Frage des maßgeblichen Zeitpunkts für die gemäß § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG anzustellende Prognose der Sicherung des Lebensunterhalts.


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