Europarecht

Erstattung des kommunalen Anteiles der Förderung in Kindertageseinrichtung

Aktenzeichen  W 3 K 17.258

Datum:
20.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 38271
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X § 102, § 105 Abs. 1
BayKiBiG Art. 18
SGB I § 30 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Der Erstattungsanspruch nach § 105 Abs. 1 SGB X setzt die endgültige Leistungserbringung durch einen ursprünglich unzuständigen Leistungsträger voraus, während im Fall des § 102 SGB X eine vorläufige Leistung erbracht wird. Voraussetzung des Erstattungsanspruches ist es insbesondere, dass die Sozialleistung im Übrigen rechtmäßig und nur deshalb rechtswidrig ist, weil sie durch den unzuständigen Leistungsträger erbracht worden ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der gewöhnliche Aufenthalt unterscheidet sich vom Wohnsitz dadurch, dass der Wohnsitz auf Dauer angelegt ist und den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse bildet, während der gewöhnliche Aufenthalt mehr zukunftsoffen ist und den örtlichen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse angibt. Bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse und auf eine vorausschauende Betrachtung an. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ein von der Klägerin geltend gemachter Erstattungsanspruch hinsichtlich des kommunalen Anteils der kindbezogenen Förderung für den Kinderkrippenbesuch des Kindes M. K. in der Einrichtung „… Kinderhaus … …“ im Jahr 2015.
Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Vorliegend handelt es sich um eine Verpflichtungsklage und nicht um eine allgemeine Leistungsklage, da die Beklagte das Ansinnen der Klägerin nicht mit einfachem Schreiben, sondern in Form eines (insbesondere mit Rechtsbehelfsbelehrung:versehenen) Verwaltungsaktes abgelehnt hat, hinsichtlich dessen zudem ein Widerspruchsbescheid ergangen ist.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht der geltende gemachte Anspruch nicht zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Klägerin stützt ihr Begehren auf § 105 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (BGBl. I 2001, 130), zuletzt geändert durch Art. 6 Gesetz vom 11. November 2016 (BGBl. I, 2500), – SGB X -. Hat hiernach ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der zuständig oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Diese Vorschrift hat den Zweck, ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen auszugleichen, die dadurch zustande gekommen sind, dass ein unzuständiger Leistungsträger (rechtswidrig) eine Leistung erbracht hat, für welche ein anderer Leistungsträger zuständig gewesen wäre. Dabei setzt § 105 Abs. 1 SGB X die endgültige Leistungserbringung durch einen – wie im vorliegenden Fall von der Klägerin behauptet – ursprünglich unzuständigen Leistungsträger voraus, während im Fall des § 102 SGB X eine vorläufige Leistung erbracht wird (Böttiger in Diering/Timme, Sozialgesetzbuch X, LPK, 4. Auflage 2016, § 105 Rn. 1 bis 5 m.w.N.). Voraussetzung des Erstattungsanspruches ist es insbesondere, dass die Sozialleistung im Übrigen rechtmäßig und nur deshalb rechtswidrig ist, weil sie durch den unzuständigen Leistungsträger erbracht worden ist (Böttiger a.a.O. Rn. 14).
Während im vorliegenden Fall die weiteren Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 SGB X vorliegen, kann die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen, sie habe als unzuständige Leistungsträgerin eine Leistung an den Träger des „… Kinderhaus … …“ erbracht, für welche tatsächlich die Beklagte zuständig gewesen wäre.
Der Anspruch der Träger von Kindertageseinrichtungen – im vorliegenden Fall das „… Kinderhaus … …“ – richtet sich nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Gesetzes zur Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Kindergärten, anderen Kindertageseinrichtungen und in Tagespflege (Bayerisches Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz – BayKiBiG) vom 8. Juli 2005 (GVBl. 2005, 236), zuletzt geändert mit § 12 Gesetz vom 24. Juli 2018 (GVBl. 2018, 613) gegen diejenige Gemeinde, in welcher das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinn des § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (Art. I des Gesetzes vom 11.12.1975, BGBl. I, S. 3015), zuletzt geändert durch Art. 5 Gesetz vom 14. August 2017 (BGBl. I, S. 3214) – SGB I – hat (Aufenthaltsgemeinde).
Den gewöhnlichen Aufenthalt hat nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Demgegenüber hat jemand gemäß § 30 Abs. 3 Satz 1 SGB I seinen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Der gewöhnliche Aufenthalt unterscheidet sich vom Wohnsitz dadurch, dass der Wohnsitz auf Dauer angelegt ist und den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse bildet, während der gewöhnliche Aufenthalt mehr zukunftsoffen ist und den örtlichen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse angibt. Bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse und auf eine vorausschauende Betrachtung an (Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch SGB I, Stand: Juni 2018, § 30 Rn. 11, Rn. 14 f. m.w.N.). Irrelevant ist hingegen, wo der angemeldete Erst- oder Zweitwohnsitz ist (Porsch/Hellfritsch/ Berwanger, Bayerisches Kinderbildungs- und -betreuungsrecht, 3. Auflage 2014, Art. 18 BayKiBiG Rn. 157). Prägend sind das subjektive Kriterium des zukunftsoffenen Verbleibs und das objektive Kriterium der Umstände, die erkennen lassen, dass die Person an dem Ort nicht nur vorübergehend verweilt (Eschelbach/Schindler in Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Auflage 2013, § 86 Rn. 2).
Die Frage, ob und wo eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, ist für jede Person einzeln zu bestimmen. Dies gilt auch für Kinder und Jugendliche, die einen von ihren Eltern oder einem Elternteil abweichenden gewöhnlichen Aufenthalt haben können. Ein Minderjähriger hat in der Regel seinen gewöhnlichen Aufenthalt an dem Ort, an dem er seine Erziehung erhält; er liegt grundsätzlich bei dem Elternteil, der das Personensorgerecht ausübt und bei dem es sich tatsächlich aufhält. Kleinkinder sind nicht in der Lage, selbstständig einen Willen, an einem bestimmten Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen, zu bilden; dieser Wille wird durch denjenigen der Eltern bzw. des die Personensorge ausübenden Elternteils ersetzt, allerdings muss sich das Kind selbst physisch dort aufhalten (BVerwG, U.v. 26.9.2002 – 5 C 46/01, 5 B 37/01 – juris Rn. 18 bis 20). Dies bedeutet, dass ein Minderjähriger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Regel an dem Ort hat, an dem er seine Erziehung erhält (OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 15.3.2017 – 4 M 36/17 – juris Rn. 7). Maßgebend ist der Lebensmittelpunkt; bei Personen mit einer Wohnung am Arbeitsplatz und einer weiteren Wohnung bei der Familie wird die familiäre und häusliche Bindung für den Lebensmittelpunkt als ausschlaggebend gehalten (OVG Mecklenburg-Vorpommern, B.v. 27.3.2017 – 1 M 487/16 – juris Rn. 10), sodass dieser gegenüber dem Ort des beruflichen Interesses regelmäßig das größere Gewicht hat (Loos in Wiesner, SGB VIII, Kommentar, 5. Auflage 2015, § 86 Rn. 6).
Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass das Kind M. K. seinen gewöhnlichen Aufenthalt in K. und damit im Bereich der Klägerin hat.
Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass beide Elternteile gemeinsam das Sorgerecht für das Kind ausüben. Beide Eltern unterhalten für sich und ihr Kind in K. ein „Familienheim“, wo sie sich als Familie gemeinsam aufhalten, „soweit dies möglich ist“ (vgl. Auskunft der stellvertretenden Leitung des „… Kinderhaus … …“ vom 29.4.2016). Sie haben zwar den gemeinsamen Willen, dass sich M. K. gemeinsam mit der Mutter wegen deren Studiums auch in W. aufhalten und dass M. K. dort eine Kindertageseinrichtung besuchen soll; allerdings hat dieser Aufenthalt in W. ein geringeres Gewicht. Er ist zunächst rein durch das dortige Studium der Mutter von M. K. motiviert; familiäre Bindungen sind dort nicht vorhanden. Zwar ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass nach dem Willen der Eltern sich das Kind zusammen mit seiner Mutter auch in Zeiten in W. aufhält, die nicht allein durch den Zwang zur Anwesenheit der Mutter im Rahmen des Studiums vorgegeben sind; dies betrifft die Semesterferien, in welchen sich Mutter und Kind zeitweise allein zu dem Zweck in W. aufhalten, dass M. K. „nicht den Bezug zur Gruppe verliert und um eine stabile Integration gewährleisten zu können“ (vgl. Schreiben der stellvertretenden Leitung des „… Kinderhaus …“ vom 29.4.2016). Allerdings ist dies nicht hinreichend für die Annahme, W. sei der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts, weil M. K. dort seine Erziehung erhalte. Denn die Erziehung eines Kleinkindes erfolgt nicht primär und in erster Linie in der von ihm besuchten Kindertageseinrichtung, sondern gleichmäßig in allen Lebensbeziehungen, in welchen sich das Kind befindet. Deshalb ist diesbezüglich wiederum auf die gesamten Lebensumstände der Familie abzustellen; und hier liegt der Schwerpunkt in K.. Dies wird dadurch deutlich, dass die Eltern möglichst mittels verlängerter Wochenenden und mittels „Urlaub“ (vgl. Stellungnahme der stellvertretenden Leitung des „… Kinderhaus …“ vom 23.5.2016) dem Familienleben in K. ein besonderes Gewicht geben wollen. Dies wird zusätzlich dadurch verdeutlicht, dass das Familienheim in K. auch in Notfällen wie bei Krankheit von Mutter oder Kind die Priorität hat; demgegenüber ist der Aufenthalt in W. rein „zweckorientiert“; die eigentliche „Heimat“ (im qualitativen Sinne) von M. K. liegt in K., wie sich schon aus der Ausführung der stellvertretenden Leitung des „… Kinderhaus …“ vom 29. April 2016 ergibt, die K. als das „Zuhause“ von M. K. bezeichnet.
Demgegenüber kommt es auf eine quantitative Betrachtung und damit auf die Frage, an wie vielen Tagen im Jahr sich M. K. in W. und an wie vielen Tagen er sich in K. aufhält, nicht an.
Damit liegt der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse unter Berücksichtigung einer vorausschauenden Betrachtung in K., wo die Familie immer wieder als solche zusammen ist, sobald die äußeren Lebensumstände es erlauben.
Da somit das Kind M. K. seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I in K. hat, hat die Evangelischlutherische Gesamtkirchengemeinde W. als Trägerin des „… Kinderhaus …“ einen kindbezogenen Förderanspruch gegen die Klägerin, die damit örtlich zuständiger Leistungsträger ist. Damit steht der Klägerin ein Anspruch gegen die Beklagte aus § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht zu.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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