Europarecht

Europäisches Verfahren für geringfügige Forderungen

Aktenzeichen  5 S 5696/19

Datum:
8.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 55390
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VO (EG) Nr. 861/2007 Art. 4 Abs. 4
EuGFVO Art. 5 Abs. 3
ZPO § 513 Abs. 1, § 522 Abs. 2, § 529

 

Leitsatz

Verfahrensgang

11 C 769/19 2019-08-06 Urt AGERLANGEN AG Erlangen

Tenor

1. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Erlangen vom 06.08.2019, Az. 11 C 769/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

Die Klägerinnen begehren die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 4.726,61 Euro unter Anwendung des Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen [VO (EG) Nr. 861/2007, im Folgenden „EuGFVO“ ]. Sie reichten hierzu das Klageformblatt (vgl. Anlage I zur EuGFVO, Formblatt A) ein, welches teilweise nicht in deutscher Sprache ausgefüllt war. Dies betraf insbesondere Angaben zur Begründetheit der Klage, den Beweismitteln und den Verfahrenskosten. Das Amtsgericht hat unter Verwendung des Formblattes B (vgl. Anlage II zur EuGFVO) die Klägerinnen aufgefordert, das Formblatt zu vervollständigen und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass es bei Nichteinhaltung der dafür gesetzten Frist, die Klage zurück- bzw. abweisen wird.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen hat darauf mit Schreiben vom 11.07.2019 reagiert. In diesem Schreiben hat er „Vervollständigungen und/oder Berichtigungen“ des Formblattes eingereicht, indem er sich jeweils auf einzelne Punkte des eingereichten Formblatts bezog und mitteilte, welche Inhalt diese Punkte des Formblatts A jeweils haben sollten. Ein neues, berichtigtes Formblatt hat er nicht eingereicht.
Das Amtsgericht hat die Klage unter Hinweis auf den strengen Formblattzwang des Verfahrens als unzulässig abgewiesen, da die Klägerinnen es versäumt hätten, das Klageformblatt fristgerecht zu vervollständigen.
2. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerinnen, mit welcher sie ihren erstinstanzlichen Klageantrag weiter verfolgen und die Fehlinterpretation von Art. 4 Abs. 4 EuGFVO durch das Amtsgericht rügen. Sie sind der Auffassung, dass sie das eingereichte Formblatt A durch das Schreiben vom 11.07.2019 hinreichend korrigiert hätten. Eine erneute Einreichung des korrigierten Formblatts A sei nicht erforderlich. Ziel der EuGFVO sei eine einfache und schnelle Beilegung grenzüberschreitender Streitigkeiten, wie die EuGH-Entscheidung in der Sache ZSE Energia ./. RG, Urteil vom 22.11.2018, Az. C-627/17, Rn. 28, zeige. Artikel 4 Abs. 4 der EuGFVO regele gerade nicht, dass die Korrekturen im Formblatt selbst enthalten sein müssen. Schließlich sei in einem Telefonat mit einer Mitarbeiterin des Gerichts bestätigt worden, dass diese Vorgehensweise ausreiche und das Formblatt nicht neu einzureichen sei. Im Übrigen wird auf die Berufungsbegründung vom 03.10.2019 (vgl. Bl. 26 d.A.).
3. Der Berufungsangriff dringt nicht durch. Das Amtsgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Das angegriffene Urteil weist weder Rechtsverletzungen auf, auf denen das Urteil beruht, noch bestehen Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit des festgestellten Sacherhalts, soweit das Tatsachenvorbringen des Berufungsführers berücksichtigt werden kann (§§ 513 Abs. 1, 529 ZPO). Die Kammer schließt sich der Rechtsauffassung des Amtsgerichts an, wonach das Formblatt A nur durch Neueinreichung des Formblatts korrigiert werden kann, wenn die Klagepartei vom Gericht -wie vorliegendausdrücklich dazu aufgefordert wurde, das Formblatt zu “vervollständigen und/oder berichtigen“.
a. Diese Auslegung von Art. 4 Abs. 4 EuGFVO beruht auf folgenden Gründen:
(1) Der Wortlaut von Art. 4 Abs. 4 EuGFVO sieht für den Fall der gerichtlichen Beanstandung des eingereichten Klageformblatts (Formblatt A) fünf verschiedene Varianten vor, die der Klagepartei auferlegt werden können. Ihr muss Gelegenheit gegeben werden das Klageformblatt zu vervollständigen (1) oder zu berichtigen (2) oder ergänzende Angaben zu machen (3) oder Unterlagen vorzulegen (4) oder die Klage zurückzunehmen (5). Während sich die Varianten 1 und 2 schon dem Wortlaut nach auf das Klageformblatt selbst beziehen, regelt die dritte und vierte Alternative (Ergänzende Angaben, Vorlage von Unterlagen) offensichtlich die Einreichung weiterer Dokumente neben dem Klageformblatt. Dies bedeutet einmal, dass der Wortlaut von Art. 4 Abs. 4 EuGFVO zumindest der Einreichung von zusätzlichen Unterlagen neben dem Klageformblatt nicht grundsätzlich im Wege steht. Es bedeutet zum anderen aber auch, dass der Verordnungsgeber zwischen einer Korrektur des Klageformblatts als solchem und der Anforderung weiterer Angaben und Dokumenten sehr wohl unterschieden hat. Wenn aber bereits im Wortlaut von Art. 4 Abs. 4 EuGFVO angelegt ist, dass zwischen einer Vervollständigung oder Berichtigung des Klageformulars einerseits, und der Tätigung ergänzender Angaben bzw. Vorlage weiterer Dokumente andererseits unterschieden wird, spricht dies dafür, dass eine Einleitung des Verfahrens eben in den Varianten 1 und 2 nur erfolgen sollte, wenn ein vervollständigtes oder berichtigtes Klageformular eingereicht wird.
(2) Eine systematische Auslegung von Art. 4 Abs. 4 EuGFVO spricht ebenfalls dafür, dass der Verordnungsgeber eine Vervollständigung oder Berichtigung im Klageformular vorschreiben wollte, denn die Verordnung unterscheidet, wann der Gebrauch von Formblättern vorgeschrieben ist und wann Verfahrenshandlungen auch ohne Formblatt vorgenommen werden können. So etwa in Art. 5 EuGFVO bei den Formanforderungen an die Klageerwiderung nach Einleitung des Verfahrens und der Zustellung an die beklagte Partei. In Art. 5 Abs. 3 EuGFVO ist nämlich ausdrücklich geregelt, dass der Beklagte wählen kann, ob das Antwortformblatt (Formblatt C) benutzt oder ob er „auf andere geeignete Weise ohne Verwendung des Antwortformblatts antwortet“.
(3) Für eine derartige Auslegung sprechen auch die Erwägungsgründe Nr. 11 und 12 der EuGFVO, welche ausdrücklich zwischen dem Klageformular als solchen und Beweisunterlagen unterscheiden. Während es im Erwägungsgrund Nr. 11 der Verordnung, in dem ausschließlich das Klageformular erwähnt ist, um die Erleichterung der Einleitung des Verfahrens geht, stellt Erwägungsgrund Nr.12 klar, dass Beweisunterlagen gegeben falls sofort beigefügt werden können oder aber erst während des (eingeleiteten) Verfahrens.
(4) Schließlich steht die enge Auslegung von Art. 4 Abs. 4 EuGFVO auch mit den von der Verordnung verfolgten Ziele einer Vereinfachung und Beschleunigung von grenzüberschreitenden Streitigkeiten über geringfügige Forderungen bei geringen Verfahrenskosten in Einklang (vgl. Erwägungsgrund Nr. 8 der EuGFVO; EuGH, Urteil vom 22.11.2018, Az. C-627/17, Rn. 28). Der Berufung ist zwar zuzugeben, dass mit dem formalistisch wirkenden Erfordernis der erneuten Einreichung des korrigierten Klageformulars ein gewisser, zusätzlicher bürokratischer Aufwand verbunden ist. Dieser ist angesichts des gegenwärtigen Standes der Datenverarbeitung jedoch gering. Die vereinfachte und beschleunigte Verfahrensweise wird jedoch von der Verordnung gerade durch den in ihr etablierten Formblattzwang erreicht. Dies zeigt sich plastisch bereits daran, dass der beklagten Partei auf diese Weise allein mit dem Klageformblatt die gegen sie geltend gemachten Forderungen gebündelt vor Augen gebracht werden. Würde man sich der Rechtsauffassung der Berufung anschließen, würde sich dies erst nach der parallelen Lektüre des Schriftsatzes der Klägerinnen vom 11.07.2019 ergeben, da beispielsweise die Klagebegründung in einer fremden Sprache verfasst wurde. Es müsste dann das (bereits nicht wirklich übersichtlich gestaltete) Klageformblatt gelesen werden und jeweils abwechselnd der ergänzende Schriftsatz, denn aus diesem ergibt sich kein zusammenhängender Sachverhalt, sondern eben nur Fragmente, die erst durch Zuordnung zu den einzelnen Nummern im Klageformblatt einen Sinn ergeben.
(5) Auch die von den Klägerinnen bemühte Entscheidung des EuGH in der Sache ZSE Energia ./. RG, Urteil vom 22.11.2018, Az. C-627/17, stützt ihre Berufung nicht. In dem zugrundeliegenden Ausgangsrechtsstreit hatte die Klägerin dem slowakischen Gericht auf Anforderung ein gebührend berichtigtes Formblatt A eingereicht (vgl. Ziffer 18). Auch betrafen die in diesem Rechtsstreit entschiedenen Vorlagefragen nicht die hier gegenständliche Auslegung von Art. 4 Abs. 4 EuGFVO (vgl. Ziffern 21 und 32).
b. Die Berufung kann auch nicht damit durchdringen, dass sie vom Amtsgericht telefonisch falsch informiert worden sei. Diese Verfahrensrüge ist schon unzulässig erhoben, da die Berufung zu der behaupteten Fehlauskunft keinen hinreichenden Tatsachen mitteilt. Aus der Berufung ist weder ersichtlich, wann diese Auskunft erteilt worden sein soll, noch zwischen wem dieses Telefonat stattgefunden haben soll. Dies kann letztlich aber dahinstehen, da selbst falls die behauptete Fehlauskunft tatsächlich von Seiten des Amtsgerichts erteilt worden wäre, sie die Klage nicht zulässig machen würde, sondern allenfalls den Ausgangspunkt für möglicherweise bestehende Regressansprüche begründen könnte.
4. Die Kammer regt daher zur Vermeidung weiterer Kosten eine Berufungsrücknahme an. In diesem Fall ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 (vgl. GKG, KV-Nr. 1222).


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