Aktenzeichen M 11 K 17.5651
VwZVG Art. 19, Art. 21a, Art. 29, Art. 31, Art. 37 Abs. 1 S. 2
GastG § 1 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2
Leitsatz
1 Als Ausgangspunkt für die Auslegung des bauplanungsrechtlichen Begriffs der „Schank- und Speisewirtschaft“, der in der BauNVO nicht näher definiert ist, können die bundesrechtlichen Legaldefinitionen in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GastG dienen. (Rn. 32) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Die Feststellung eines bestimmten Lärmpegels ist für sich genommen nicht ausschlaggebend für die Annahme, dass ein Betrieb in Form einer kerngebietstypischen Vergnügungsstätte vorliegt. (Rn. 34) (red. LS Alexander Tauchert)
3 Es gibt keinen Rechtssatz, der besagt, dass sich ein Zwangsgeld der Höhe nach am zu erwartenden Gewinn zu orientieren hat. (Rn. 38) (red. LS Alexander Tauchert)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
a) Der gemäß § 43 Abs. 1 VwGO als solcher zulässige Feststellungsantrag, dass das mit Schreiben vom 7. Oktober 2015 eingeforderte Zwangsgeld i.H.v. 1.000,- € nicht fällig geworden ist, ist unbegründet, da das Zwangsgeld i.H.v. 1.000,- € fällig geworden ist.
Ein sofort vollziehbarer Verwaltungsakt kann mithilfe eines angedrohten Zwangsgeldes vollstreckt werden, das bei nicht fristgerechter Erfüllung fällig wird, vgl. Art. 19, Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Art. 31 VwZVG.
Der Klägerin wurde mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 16. Januar 2013 aufgegeben, es ab dem 15. März 2013 zu unterlassen, den streitgegenständlichen Gaststättenbetrieb in der Form einer kerngebietstypischen Vergnügungsstätte zu betreiben. Die Zwangsgeldandrohung unter Nr. 4 dieses Bescheids war bereits wegen Art. 21a VwZVG sofort vollziehbar.
Gegen diese Anordnung hat die Klägerin verstoßen, da sie die Gaststätte „… Cocktailbar und Lounge“ am 3. Oktober 2015 in der Form einer kerngebietstypischen Vergnügungsstätte betrieben hat. Eine Sonderveranstaltung, wie sie gemäß Bescheid vom 16. Januar 2013 zweimal pro Monat zulässig ist, war für den betreffenden Tag weder angezeigt noch genehmigt.
Als Ausgangspunkt für die Auslegung des bauplanungsrechtlichen Begriffs der „Schank- und Speisewirtschaft“, der in der BauNVO nicht näher definiert ist, können die bundesrechtlichen Legaldefinitionen in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GastG dienen (Stock, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, § 4 Rn. 57). Danach wird eine Schankwirtschaft betrieben, wenn im stehenden Gewerbe Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht werden; eine Speisewirtschaft liegt vor, wenn zubereitete Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht werden. In beiden Fällen muss der Betrieb jedermann oder bestimmten Personenkreisen zugänglich sein. Die in der BauNVO ebenfalls nicht näher definierte „Vergnügungsstätte“ ist dagegen durch kommerzielle Freizeitgestaltung und Amüsierbetrieb gekennzeichnet (Söfker, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, § 6 Rn. 42).
Unter Würdigung der maßgeblichen Gesamtumstände ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass der Gaststättenbetrieb der Klägerin zur maßgeblichen Zeit der Gaststättenkontrolle am 3. Oktober 2015 nach wie vor in der Form einer kerngebietstypischen Vergnügungsstätte geführt worden ist. Die Kammer hat aufgrund der in den Behördenakten dokumentierten Feststellungen der Gaststättenkontrolle vom 3. Oktober 2015 (Bl. 1068 bis 1071 der Behördenakte) sowie aufgrund der aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung geschöpften richterlichen Überzeugung keine Zweifel, dass der Betrieb der Klägerin zum Zeitpunkt der Gaststättenkontrolle am 3. Oktober 2015 tatsächlich in der Form einer kerngebietstypischen Vergnügungsstätte erfolgte und nicht in der allein genehmigten Form der Schank- und Speisewirtschaft.
Insbesondere hat die Kammer keinen Zweifel daran, dass die Musikdarbietung über bloße Hintergrundmusik hinausgegangen ist und betriebsprägend war. Gemäß dem Bescheid vom 16. Januar 2013 kommt der Musikdarbietung in der Regel eine prägende Rolle zu, wenn Discjockeys für die Musikauswahl sorgen. Dies war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Fall. Aus den Lichtbildern (Bl. 1068 f. der Behördenakte) ist zudem ersichtlich, dass eine ausgelassene Stimmung herrschte. Der Kontrolleur hielt seinen subjektiven Eindruck fest, dass die Lautstärke der Musik sämtliche anderen Nebengeräusche (z.B. Unterhaltungen) deutlich übertönte. Der Kontrolleur hielt zudem fest, dass im Bereich zwischen dem Discjockey und der Bar mehrere Leute tanzten. Die Veranstaltung war dort (nach seinem Eindruck) eindeutig eine Vergnügungsveranstaltung. Weiterhin waren Türsteher im Einsatz, die mithilfe einer Einrichtung die Gesamtzahl von 141 Gästen ermittelten. Das Gericht hat keinen Anlass, an diesen Feststellungen zu zweifeln, insbesondere da auch festgehalten worden ist, dass von den Rauchern vor der Tür kein übermäßiger Lärm ausgegangen ist. Der Einwand des Bevollmächtigten der Klägerin, dass das Messgerät mit dem die Lärmmessungen stattfanden (92 dB(A) im großen Raum und 86 dB(A) im kleinen Raum), nach dem eigenen Vortrag der Beklagten nicht geeicht gewesen sei, vermag die richterliche Überzeugungsbildung, dass ein Betrieb in Form einer Vergnügungsstätte vorlag, nicht zu erschüttern. Eine präzise Lärmmessung für die Feststellung, dass das Musikangebot über Hintergrundmusik hinausging, ist zudem weder erforderlich noch allein entscheidend, da hierdurch nicht belegt wird, welcher Anteil die Musik bzw. die Gespräche an diesem Lärm haben. Auch ist die Feststellung eines bestimmten Lärmpegels für sich genommen nicht ausschlaggebend für die Annahme, dass ein Betrieb in Form einer kerngebietstypischen Vergnügungsstätte vorliegt. Die absoluten Lärmwerte sind vielmehr nur ein Kriterium unter mehreren. Entscheidend für die Einstufung des Betriebs als Vergnügungsstätte ist vielmehr ein Gesamteindruck, der sich vorliegend aus der Kumulation der genannten Punkte ergibt. Im Übrigen ist trotz der fehlenden Eichung des Messgeräts anzunehmen, dass eine Lautstärke herrschte, die für Vergnügungsstätten dieser Art typisch ist. In Anbetracht der Tatsache, dass eine Erhöhung um 3 dB(A) jeweils einer Verdoppelung der Lautstärke entspricht und dass der Bereich, in dem sich die Messungen bewegten (zwischen 80 und 100 dB(A)) in etwa einem vorbeifahrenden LKW, einer Motorsäge oder einem Winkelschleifer entspricht (vgl. http://www.sueddeutsche.de/wissen/laerm-wie-laut-ist-welcher-laerm-1.632597), ist nicht ersichtlich, dass eine durch die Nichteichung des Messgeräts hervorgerufene Abweichung über eine Verdopplung der tatsächlichen Lautstärke hinausreicht. Selbst um 3 dB(A) reduzierte Werte würden immer noch zu einer Lautstärke von 89 dB(A) im großen und 83 dB(A) im kleinen Raum führen, und somit zu Werten, die für eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte kennzeichnend sind.
Auch war die Art, wie die Vergnügungsstätte betrieben wurde, im vorliegenden Fall kerngebietstypisch. Dies folgt daraus, dass der gesamte Betrieb offenbar auf einen größeren Einzugsbereich ausgerichtet war sowie darauf, für ein größeres und allgemeines Publikum erreichbar zu sein. Dies folgt insbesondere aus der hohen Anzahl an Gästen (141), der Tatsache, dass sich laut den Feststellungen des Kontrolleurs auch einige Fahrzeuge mit auswärtigem Kennzeichen auf dem Parkplatz befanden, sowie einem in den Akten befindlichen Ausdruck aus dem Internetauftritt der Klägerin (wohl Bl. 1067 der Behördenakte) vom 2. Oktober 2015. Aus letzterem ist ersichtlich, dass über den gesamten Monat Oktober 2015 hinweg jeder Freitag und Samstag mit einem bestimmten Motto und dem Auftritt eines Discjockeys beworben worden ist. Lediglich bespielhaft seien hier genannt: „…“ am 2. Oktober 2015 mit „DJ … (Neuraum …)“, „…“ am 3. Oktober 2015 mit „… vs. DJ R.“; in der Cocktailbar: „Heimatabend mit …“, „…“ am 9. Oktober 2015 mit „DJ … (…)“ und „…“ am 10. Oktober 2015 mit „… (…)“ etc.
b) Der zulässige Anfechtungsantrag hinsichtlich des Bescheids vom 7. Oktober 2015, mit dem ein erhöhtes Zwangsgeld angedroht wurde, ist ebenfalls unbegründet, da der Bescheid rechtmäßig ist und die Klägerin daher nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Gemäß Art. 37 Abs. 1 Satz 2 VwZVG können Zwangsmittel so lange und so oft angewendet werden, bis die Verpflichtung erfüllt ist. Da das zunächst angedrohte Zwangsgeld i.H.v. 1.000,- € fällig geworden ist, weil die Klägerin gegen die Anordnung vom 16. Januar 2013 verstoßen hat (s.o.), konnte ein weiteres, erhöhtes Zwangsgeld angedroht werden.
Auch bestehen hinsichtlich der Höhe des angedrohten Zwangsgeldes keine Bedenken, da Rechtsfehler im Bescheid insoweit nicht erkennbar sind. Das Zwangsgeld soll das wirtschaftliche Interesse, das der Pflichtige an der Vornahme oder dem Unterbleiben der Handlung hat, erreichen, Art. 31 Abs. 2 Satz 2 VwZVG. Diesbezüglich ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Betrag von 2.000,- € unverhältnismäßig wäre. Zum einen entspricht der Umsatz zwar zugegebenermaßen nicht dem Reingewinn. Allerdings gibt es schon keinen Rechtssatz, der besagt, dass sich das Zwangsgeld der Höhe nach am zu erwartenden Gewinn zu orientieren hat. Jedenfalls sind 2.000,- € ohnehin unter Berücksichtigung der Gastzahl von 141 Personen zum maßgeblichen Zeitpunkt und eine Zugrundelegung von 10,- € Umsatz pro Gast, unter Berücksichtigung der Art und Weise der konkreten Ausgestaltung des Betriebs, der auf Amüsement angelegt ist (s.o.), eine sehr zurückhaltende Schätzung. Zum anderen ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin nachweislich bereits einmal gegen dieselbe zwangsgeldbewehrte Auflage verstoßen hat. Aufgrund dessen steigt regelmäßig auch der Betrag an, der als verhältnismäßig angesehen werden kann, um den Pflichtigen zur Einhaltung der Erfüllung anzuhalten, da er bereits einmal gezeigt hat, dass er sich nicht an die zu vollstreckende Anordnung hält.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.