Europarecht

Fahrzeug, Kaufpreis, Berufung, Kommission, Schadensersatzanspruch, Darlegungslast, Haftung, Sittenwidrigkeit, Arglist, Software, Auslegung, Wirksamkeit, Auskunft, Form, Zeitpunkt der Entscheidung, ins Blaue hinein, Art und Weise

Aktenzeichen  3 U 2836/22

Datum:
30.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 18807
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

31 O 3275/21 Die 2022-04-08 Urt LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 08.04.2022, Az. 31 O 3275/21 Die, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 29.07.2022.

Gründe

I.
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz um Schadensersatzansprüche nach einem Fahrzeugkauf im Zusammenhang mit dem sogenannten „Dieselskandal“.
Die Klagepartei erwarb am 18.12.2018 einen Porsche Cayenne 3.0 TDI (Euro 5) zu einem Kaufpreis von 90.000 € von einer Privatperson. In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten entwickelter und hergestellter Motor verbaut. Das Fahrzeug ist nicht Gegenstand eines Rückrufs wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch das Kraftfahrtbundesamt.
Die Abgasreinigung erfolgt im streitgegenständlichen Fahrzeug über die Abgasrückführung. Dabei wird ein Teil der Abgase wieder der Verbrennung im Motor zugeführt, was zu einer Verringerung der Stickoxidemissionen führt. Die Abgasrückführung wird außerhalb eines bestimmten Temperaturfensters reduziert („Thermofenster“).
Die Klagepartei ist der Auffassung, dass die Motorensoftware mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen, insbesondere in Form dieses Thermofensters, aber auch einer Lenkwinkelerkennung, beinhalte.
Die Beklagte tritt der Klage entgegen und führt aus, dass sie nicht getäuscht habe. Eine Handlung, welche als Täuschung oder sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte qualifiziert werden könne, liege nicht vor.
Das Landgericht Ingolstadt wies die Klage mit der Begründung ab, dass Schadensersatzansprüche nicht bestehen. Eine deliktische Haftung scheide bereits deshalb aus, weil es an einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung durch die Beklagte fehle. Zudem sei der Vortrag der Klagepartei zu Abschalteinrichtungen unsubstantiiert.
Mit ihrer Berufung gegen dieses Urteil verfolgt die Klagepartei ihr erstinstanzliches Klageziel weiter.
II.
Die Voraussetzungen für die Zurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO sind gegeben, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Urteil des Landgerichts Ingolstadt begegnet aus Sicht des Senats im Ergebnis keinen rechtlichen Bedenken. Der Prüfungsumfang des Berufungsgerichts bemisst sich dabei nach § 529 ZPO, demnach sind die vom Gericht der I. Instanz festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen. Im Hinblick auf die Klageabweisung werden keine neuen berücksichtigungsfähigen Tatsachen im Sinne des § 529 ZPO vorgetragen. Zur Überzeugung des Senats hat das Erstgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Die angeblichen, die Benutzbarkeit des Fahrzeugs in Frage stellenden Manipulationen werden klägerseits ins Blaue hinein behauptet, ohne greifbare Anhaltspunkte hierfür darzulegen. Unter diesen Umständen ist auch für die beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens bzw. einer Auskunft des Kraftfahrbundesamtes kein Raum.
1. Die gebotene Darlegung und der Nachweis einer etwaigen Abschalteinrichtung müssen grundsätzlich auf den im streitgegenständlichen Fahrzeug konkret verbauten Motor gerichtet sein. Denn es geht nicht an, alle Fahrzeuge (eines Herstellers oder gar eines Konzerns) quasi „über einen Kamm zu scheren“, indem man behauptet, die Beklagte habe wie andere Hersteller Fahrzeuge mit illegalen Abschalteinrichtungen verkauft, das Kraftfahrtbundesamt (KBA) habe auch für Fahrzeuge der Beklagten einen Zwangsrückruf angeordnet und deshalb sei auch das streitgegenständliche Fahrzeug von den Manipulationen betroffen. Eine solche „Vermutung“ sieht der Senat nicht, schon weil damit sämtliche Motoren einer Motorenfamilie/einer Baureihe ohne Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen technischen Merkmale und ohne Berücksichtigung der möglicherweise äußerst unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen (z.B. Euro 6 statt Euro 5) dem Generalverdacht einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterworfen werden würden (vgl. ausführlich OLG München WM 2019, 1937). Einen solchen „Generalverdacht“ hat auch der BGH in seinem Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740, nicht angenommen. Es sind daher konkret motorbezogene Anhaltspunkte darzulegen.
Auch die Grundsätze der sekundären Darlegungslast ändern daran nichts: Sie reduzieren nicht etwa die allgemeinen Anforderungen an die Substantiierung der primären Darlegungen des Anspruchstellers auf die allgemeine Behauptung der maßgebenden Tatbestandsmerkmale (so wohl z.B. OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019 – 13 U 142/18, Rz. 60 ff., zu „Dieselfällen“). Wenn man einer Partei in diesen Fällen schon zugesteht, Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genauen Kenntnisse hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (BGH, Urteil vom 4. Oktober 2018, III ZR 213/17, Rz. 25 mwN), müssen diese vermuteten Tatsachen dem Gericht auch eine Überprüfung ihrer Entscheidungserheblichkeit ermöglichen, m.a.W. also schlüssig im oben genannten Sinne sein, um überhaupt eine sekundäre Darlegungslast des Bestreitenden auslösen zu können. Denn schon begrifflich ist eine sekundäre Darlegungslast ohne primäre schlüssige Behauptung eines konkreten Lebenssachverhalts ausgeschlossen (so auch OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, Az.: 10 U 134/19, Rz. 36 und 90). Wollte man dies anders sehen, würde man eine Klagepartei in mit den Grundsätzen der deutschen Zivilprozessordnung schwerlich zu vereinbarender Weise von dem Erfordernis jeglichen schlüssigen Sachvortrages entbinden (so auch OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019, Az.: 3 U 148/ 18, Rz. 6; vgl. zum Ganzen ausführlich OLG München WM 2019, 1937). Aus denselben Gründen löst bloßer Vortrag ins Blaue auch noch keine sekundäre Darlegungslast der Gegenseite aus (vgl. zum Ganzen ausführlich OLG München WM 2019, 1937). Der Anspruchsteller muss auch hierfür zunächst mindestens greifbare Anhaltspunkte aufzeigen, die sich allerdings auch aus den Umständen des Einzelfalls ergeben können (BGH, Urteil vom 26. Januar 2021 – VI ZR 405/19, Rz. 15 ff.). Der Anspruchsteller kann somit insbesondere nicht darauf hoffen, die erforderlichen Anhaltspunkte erst aufgrund der sekundären Darlegungslast des Gegners zu erhalten. Denn die deutsche Zivilprozessordnung kennt keine – über die anerkannten Fälle der Pflicht zum substantiierten Bestreiten hinausgehende – allgemeine Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweispflichtigen Partei (BGH, Urteil vom 11.06.1990 – II ZR 159/89).
2. Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Klagepartei vorliegend zwar die Behauptung in den Raum gestellt, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen mit Prüfstanderkennung und Umschaltlogik verbaut. Greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür hat sie jedoch nicht vorgetragen. Dazu im Einzelnen:
a) Zum Thermofenster:
Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19.01.2021 (Az.: VI ZR 433/19, NJW 20221, 921) liegt eine Sittenwidrigkeit und ein sich daraus ergebende Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB nicht bereits deshalb vor, weil die Beklagte das streitgegenständliche Fahrzeug aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofensters) ausgestattet und in den Verkehr gebracht hat. Dieses Verhalten ist für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt hat. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 15; Urt. v. 07.05.2019 – VI ZR 512/17, NJW 2019, 2164 Rn. 8; Urt. v. 28.06.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn. 16 m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug der Klagepartei nach seinem zugrunde zu legenden Sachvortrag durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei einem bestimmten Temperaturbereich reduziert und letztlich ganz abgeschaltet wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten der Klagepartei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist (vgl. zu Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG auch EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 – C-693/18, Celex-Nr. 62018CJ0693). Der darin zu sehende Gesetzesverstoß wäre aber auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten nicht geeignet, den Einsatz der Steuerungssoftware als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Nach der Ansicht des BGH ist dieser Fall nicht mit der bereits entschiedenen Konstellation (BGH, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179), in welcher die Steuerungssoftware bei Erkennen eines Rollenprüfstandes die Abgasreduzierung erhöht, vergleichbar, da die temperaturabhängige Steuerung nicht darauf abstellt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Die Software arbeitet in beiden Fahrtsituationen im Grundsatz in gleicher Weise.
Nach der in der genannten Entscheidung vom Bundesgerichtshof geäußerten Ansicht kann eine Sittenwidrigkeit demnach nur dann anzunehmen sein, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für die Beklagten handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Konkrete Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass die Beklagte in Bezug auf das Thermofenster in dem Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung handelte, hat die Klagepartei auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens indes nicht dargetan und sind auch sonst nicht ersichtlich.
Wie das Landgericht zutreffend ausführt, war die Gesetzeslage zum Thermofenster gerade nicht unzweifelhaft und eindeutig. Dies belegt die bekannte kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007/EG. Denn noch im Jahr 2016 – also zu einem Zeitpunkt, in dem der Volkswagenkonzern bereits massiv in der Kritik stand wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen – wurde in dem erstinstanzlich in Bezug genommenen Bericht der vom Bundesinnenministerium eingesetzten „Untersuchungskommission Volkswagen“, Stand April 2016, S. 18, 114, 123, ausgeführt, dass die Berufung auf den Motorschutz auch im Hinblick auf das sog. „Ausrampen“ im Rahmen von Thermofenstern die Verwendung von Abschalteinrichtungen rechtfertigen kann, wenn von Seiten der Hersteller nachvollziehbar dargestellt wird, dass ohne die Verwendung einer solchen Einrichtung dem Motor Schaden droht, sei dieser auch noch so gering. Diese Einschätzung liegt auch noch dem von der Klagepartei zitierten Bericht des Kraftfahrtbundesamtes zur „Wirksamkeit von Software-Updates zur Reduzierung von Stickoxiden bei Dieselmotoren“, Stand 10.01.2020, zugrunde. Die Interpretation der Beklagten und anderer Automobilhersteller zur Zulässigkeit von Thermofenstern unter dem Aspekt des Motorschutzes wurde damit von offizieller Seite gebilligt und war damit jedenfalls nicht unvertretbar. Nach der Entscheidung des europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-693/18 ist dies gegebenenfalls erneut zu beurteilen. Geklärt wäre damit indes allein die europarechtliche Auslegung des Art. 5 der VO EG 715/2007 und frühestens ab dem Zeitpunkt der Entscheidung am 17.12.2020 in die Zukunft.
Die Klagepartei behauptet pauschal, das Thermofenster sei in der konkreten Ausgestaltung dem Kraftfahrtbundesamt bei Beantragung der Typengenehmigung nicht offen gelegt worden. Dies bildet aber jedenfalls kein Indiz dafür, dass die für die Beklagte handelnden Personen im Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung handelten. Denn nach der Behauptung der Beklagten handelte es sich gerade um eine zulässige Technologie, weshalb aus ihrer – jedenfalls vertretbaren – Sicht kein Anlass zur Offenlegung bestanden hätte.
Anders wäre dies ggf. zu beurteilen, wenn die Beklagte Angaben gemacht hätte, diese aber unzutreffend gewesen wären (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 19 ff., zitiert nach Juris). Dies gilt umso mehr als der Einsatz von Thermofenstern in Dieselfahrzeugen der Europäischen Kommission schon im Jahr 2008 bekannt war; Dieselfahrzeuge waren dementsprechend explizit von der Prüfung Typ 6 zur Messung von Emissionen bei niedrigen Temperaturen (bei denen der Einsatz von Thermofenstern zu einer geringeren Stickoxidverringerung führt) ausgenommen (Art. 3 Abs. 9 der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge, ABl. L 199 vom 28.07.2008, S. 1 ff., nachfolgend: Verordnung 692/2008/EG, vgl. Mitteilung der Kommission über die Anwendung und die künftige Entwicklung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Emissionen von Fahrzeugen für den Leichtverkehr und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen – Euro 5 und Euro 6 – vom 19.07.2008, Ziffer 8, ABl. C 182 vom 19.07.2008, S. 17 ff.). Eine Pflicht zur genauen Beschreibung der Emissionsstrategien wurde ohnehin erst mit der Verordnung (EU) 2016/646 der Kommission vom 20.04.2016 (ABl. L vom 26.04.2016, 1 ff.) eingeführt. Überdies trägt die Klagepartei erstinstanzlich selbst unter Bezugnahme auf das Kraftfahrtbundesamt vor, eine Pflicht zur Offenlegung habe nicht bestanden.
b) Zur Lenkwinkelerkennung:
Der bloße Umstand, dass ein Fahrzeug aufgrund von bestimmten Parametern in der Lage ist, einen Prüfstandslauf zur (De-)Aktivierung von technischen Funktionen zu erkennen, genügt nicht zur Annahme einer – evident unzulässigen, von vornherein von Arglist geprägten – Abschalteinrichtung zur prüfstandsbezogenen Manipulation der NOx-Emissionen zur Erschleichung der Typengenehmigung. Denn auch andere technische Einrichtungen wie das elektronische Stabilitätsprogramm oder die adaptive Fahrwerksregelung werden im Prüfstand nicht aktiviert zur Vermeidung von Messverfälschungen oder Sicherheitsrisiken. Zur Begründung einer Haftung nach § 826 BGB sind solche Einrichtungen nur dann geeignet, wenn damit Emissionen in grenzwertrelevanter Weise auf dem Prüfstand gezielt manipuliert werden. Dies hat die Klagepartei zwar behauptet, doch die von ihr insoweit zum Beleg vorgelegten Unterlagen bestätigen dies gerade nicht. Wie bereits ausgeführt, ist der Verweis auf den Rückruf anderer Fahrzeuge desselben Herstellers (auch wenn dieser Rückruf konkret an die Lenkwinkelerkennung anknüpft) nicht ausreichend. Hieraus können keine belastbaren Rückschlüsse für das streitgegenständliche Fahrzeug gezogen werden.
c) Zwischen den Parteien ist im Übrigen unstreitig, dass für das streitgegenständliche Fahrzeug kein Rückruf durch das KBA existiert.
Zwar ist das Bestehen eines Rückrufes wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht Voraussetzung einer Haftung nach § 826 BGB. Aber genauso wenig wie das Bestehen eines Rückrufes des Kraftfahrtbundesamts für ein konkretes Fahrzeug zwingende Voraussetzung für einen für § 826 BGB maßgeblichen Sachvortrag ist, ist das Bestehen von Rückrufen gegenüber einem bestimmten Automobilhersteller stets als hinreichend „greifbarer Anhaltspunkt“ im Sinne der vorstehend erläuterten Rechtsprechung zu sehen. Maßgeblich ist, ob der Vortrag der Klagepartei einen Sachverhalt nahelegt, nach dem die Beklagte eine unzulässige Abschalteinrichtung eingesetzt hat, die darüber hinaus bereits aufgrund ihrer Ausführung von vornherein das Merkmal der Arglist in sich trägt bzw. bezüglich derer aufgrund anderer Umstände ein täuschungsgleiches Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten auf der Basis einer strategischen Grundentscheidung festgestellt werden kann, so dass der Vorwurf der objektiven Sittenwidrigkeit i.S.v. § 826 BGB im Raum steht. Es ist dabei immer auf den konkreten Einzelfall abzustellen; dies legt auch das Landgericht seiner Bewertung zugrunde.
Nichts anderes ergibt sich aus der von der Klagepartei zitierten Entscheidung des BGH mit Beschluss vom 28.01.2020, Az.: VIII ZR 57/19. Denn in dem dort entschiedenen Sachverhalt lagen eben konkrete Anhaltspunkte vor: Die dortige Klagepartei hat konkret auf die Motorbezeichnung des dort streitgegenständlichen Fahrzeugs abgestellt, nämlich „OM 651“. Der BGH bewertete den Umstand, aus der Übersicht des Kraftfahrtbundesamtes ergebe sich, dass bereits mehrere Rückrufe erfolgt waren in Bezug auf Fahrzeuge mit dieser Motorbezeichnung, sowie den klägerischen Vortrag, das dort streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über einen Motor des Typs „OM 651“ und die Staatsanwaltschaft Stuttgart habe hinsichtlich dieses Motorentyps im März 2017 ein Ermittlungsverfahren wegen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung eingeleitet, als „greifbare Anhaltspunkte“ zur Begründung der Behauptung, das dort streitgegenständliche Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet (BGH, Beschluss vom 28.01.2020, Az.: VIII ZR 57/19, Rdnr. 12, zitiert nach Juris). Klarstellend ist darauf hinzuweisen, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung für sich genommen zwar einen Mangel begründen kann, für eine Haftung nach § 826 BGB wäre aber darüber hinaus Vortrag dazu erforderlich, warum insofern objektive Sittenwidrigkeit vorliegt.
Hinsichtlich der unter der betriebsinternen Bezeichnung EA 189 zusammengefassten Motortypen mag der Hinweis, dass ein Fahrzeug ebenfalls einen Motor „des Typs EA 189“ enthält, als greifbarer Anhaltspunkt für das Bestehen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer „Umschaltlogik“ genügen, da eine große Vielzahl von Fahrzeugenmodellen aus dem Volkswagenkonzern mit diesem Motortyp mittlerweile allgemein bekannt eine sogenannte „Schummelsoftware“ enthielten. Diese Fahrzeuge wurden zudem vom KBA zurückgerufen. In Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug ist beides jedoch gerade nicht der Fall.
Schließlich ersetzt die von der Klagepartei vorgetragene Behauptung, die Bewertungen durch das Kraftfahrtbundesamt – zumal dann, wenn sie nicht im Sinne der Klagepartei lauten – seien (aus verschiedenen Gründen) falsch, keinen Vortrag, der ein objektiv sittenwidriges Verhalten der Beklagten nahelegen würde. Die Klagepartei ist primär darlegungs- und beweisbelastet.
d) Die Ausführungen in dem „Ergänzungsgutachten“ aus einem Verfahren vor dem Landgericht Bielefeld vom 31.08.2020 sind – unabhängig von der ersichtlich fehlenden Vergleichbarkeit des dort untersuchten Fahrzeugs (Audi Q5) mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug – als greifbarer Anhaltspunkt zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vergleichbar der „Umschaltlogik“ beim Motor EA 189 ebenfalls nicht geeignet. Denn die dortigen Ausführungen bezogen sich auf Änderungen im Abgasverhalten allein in Abhängigkeit von der Außentemperatur. Eine Messreihe erfolgte bei 23°C und eine bei 15°C, weshalb bereits der Einsatz eines (nicht sittenwidrigen) Thermofensters – wie es die Klagepartei in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug vorgetragen hat – die Messwerte mitbeeinflusst.
e) Ein Bußgeldbescheid der Staatsanwaltschaft München II bezüglich „bestimmter V6/ V8 Dieselaggregate“ hat keinen ersichtlichen oder von der Klagepartei dargelegten Bezug zu dem streitgegenständlichen Fahrzeug. Was Versäumnisse bei der Prüfung der regulatorischen Konformität bei Audi mit einem Porsche zu tun haben sollen, wird nicht offengelegt. Weshalb und aufgrund welches sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten sich deswegen ein deliktischer Anspruch ergeben soll, bleibt ebenfalls offen.
f) Kein Indizcharakter kommt ferner den vorgetragenen Messwerten zu Fahrten im Realbetrieb zu. Die gesetzlich vorgegebenen Emissionswerte beziehen sich nicht auf einen Straßenbetrieb, sondern auf genau geregelte Testbedingungen. Eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse eines NEFZ-Tests mit dem Straßenbetrieb besteht insoweit nicht. Auch nach Auffassung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Typgenehmigung nur auf die Einhaltung der Grenzwert auf dem Prüfstand an (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20, Rdn. 23 a.E.).
g) Schließlich bilden sämtliche von der Klagepartei vorgetragenen Aspekte auch in ihrer Gesamtschau keine hinreichenden Anhaltspunkte im Sinne der vorstehend zitierten Rechtsprechung.
3. Andere Anspruchsgrundlagen greifen ebenfalls nicht zugunsten des Klägers ein. Insbesondere kommt ein auf Rückabwicklung des streitgegenständlichen Kaufvertrags gerichteter Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 der Verordnung (EG) 715/2007 weiterhin nicht in Betracht.
a) Der Bundesgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 Rn. 72 ff., BGHZ 225, 316; Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20 Rn. 10 ff., ZIP 2020, 1715; vgl. auch Beschluss vom 10. Februar 2022 – III ZR 87/21 Rn. 8 ff, juris) davon aus, dass die Rechtslage im Hinblick auf § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV von vornherein eindeutig („acte clair“, vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – Rs 283/81, NJW 1983, 1257, 1258; BVerfG, NVwZ 2015, 52 Rn. 35) ist. Zuletzt hat er dies im Beschluss vom 4. Mai 2022 – VII ZR 656/21 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das den Gegenstand der Schlussanträge des Generalanwalts Rantos vom 02.06.2022 bildende Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg ausgesprochen. Selbst wenn die Verordnung (EG) 715/2007 dem Schutz der Käufer eines Fahrzeugs vor Verstößen des Herstellers gegen seine Verpflichtung, neue Fahrzeug in Übereinstimmung mit ihrem genehmigten Typ bzw. den für ihren Typ geltenden Rechtsvorschriften in den Verkehr zu bringen, diente, besage dies nichts für die Frage, ob damit auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein solle. Es seien keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckt habe und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen (BGH, Beschluss vom 4. Mai 2022 – VII ZR 656/21 -, Rn. 3, juris).
b) Die Schlussanträge des Generalanwalts Rantos vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 geben keine Veranlassung, von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Schlussanträge den Europäischen Gerichtshof nicht binden. Auch wenn der Europäische Gerichtshof ihnen in der Regel folgt, haben die Schlussanträge keinerlei Außenwirkung.
Darüber hinaus schlägt der Generalanwalt inhaltlich zwar vor, die erste und zweite Vorlagefrage so zu beantworten, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46 dahin auszulegen sind, dass sie die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist (IV B. 50 der Schlussanträge vom 02.06.2022). Hinsichtlich der Vorlagefragen 3 – 6 beschränkt sich der Antrag jedoch auf die Feststellung, dass ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen einen Hersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist. Es sei jedoch Sache der Mitgliedstaaten die Regeln für die Art und Weise der Berechnung des Ersatzes des Schadens, der dem Erwerber entstanden ist, festzulegen, sofern dieser Ersatz in Anwendung des Effektivitätsgrundsatzes dem erlittenen Schaden angemessen ist (IV C 65 der Schlussanträge vom 02.06.2022). Damit stünde es den Mitgliedstaaten, selbst wenn der Europäische Gerichtshof den Anträgen des Generalanwalts folgen sollte, weiterhin frei, einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages wegen einer Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts zu verneinen. Ein solcher ist aber Gegenstand der vorliegenden Berufung.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).


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