Europarecht

Feststellung der Unwirksamkeit eines Verwaltungsakts, Öffentliche Zustellung, Keine ausreichenden Ermittlungen zum unbekannten Aufenthaltsort, Heilung eines Zustellungsmangels (verneint), Übermittlung einer Kopie

Aktenzeichen  M 10 K 19.5002

Datum:
20.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 17252
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 43 Abs. 1
VwZVG Art. 15
VwZVG Art. 9

 

Leitsatz

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Bescheide der Beklagten vom 30. Januar 2019, 2. Mai 2019 und 17. Juni 2019 unwirksam sind.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
2. Nach dem erkennbaren Rechtsschutzbegehren des Klägers (§ 86 Abs. 3, § 88 VwGO) ist im vorliegenden Fall der Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Bescheide der gestellte Anfechtungsantrag auf Aufhebung der Bescheide nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO in einen Antrag auf Feststellung nach § 43 Abs. 1 VwGO, dass die Bescheide unwirksam sind, umzudeuten. Die Aufhebung der Bescheide im Wege der Anfechtungsklage kommt in einem solchen Fall richtigerweise nicht in Betracht, da unwirksame Verwaltungsakte nicht aufgehoben werden können (vgl. Tiedemann in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, 50. Ed. 1.4.2021, § 41 Rn. 61).
Gemäß § 88 VwGO kommt es auf die Fassung des gestellten Antrags nicht an. Maßgeblich für die Bestimmung des Rechtsschutzziels ist das erkennbare Rechtsschutzbegehren des Klägers, § 88, § 86 Abs. 3 VwGO. Dabei ist insbesondere auf die Begründung des gestellten Antrags abzustellen. Im konkreten Fall wendet sich der Kläger gegen die streitgegenständlichen Bescheide, da er in erster Linie der Auffassung ist, dass die Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung nicht vorgelegen haben und die Bescheide daher unwirksam sind. Zwar begründet der Kläger mit Schriftsatz vom 31. Januar 2020 auch, warum die Bescheide rechtswidrig sind. Diese Erwägungen sind in einer Gesamtbetrachtung des klägerischen Sachvortrags jedoch nicht der zentrale Angriffspunkt gegen die Bescheide. Es ist klar erkennbar, dass es dem Kläger vor allem darum geht, dass die Bescheide unwirksam sind. Vor diesem Hintergrund ist eine Umdeutung des gestellten Anfechtungsantrags in einen Feststellungsantrag angezeigt.
3. Der so verstandene Antrag auf Feststellung nach § 43 Abs. 1 VwGO, dass die streitgegenständlichen Bescheide unwirksam sind, ist zulässig. Insbesondere hat der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bescheide, da sich hieran erhebliche grundstücksbezogene Verpflichtungen, auch wirtschaftlicher Natur, knüpfen, die Beklagte von der Bestandskraft der Bescheide ausgeht und aufgrund dessen aus diesen bereits vollstreckt hat. Der Feststellungsantrag ist auch nicht fristgebunden. Mangels wirksamer Zustellung der Bescheide haben Rechtsbehelfsfristen ohnehin nicht zu laufen begonnen, so dass es einer Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch aus diesem Grund nicht bedarf.
4. Der Antrag auf Feststellung nach § 43 Abs. 1 VwGO, dass die streitgegenständlichen Bescheide unwirksam sind, ist auch begründet. Die Bescheide sind nicht wirksam im Wege der öffentlichen Zustellung nach Art. 41 Abs. 5 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) i.V.m. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) bekannt gegeben worden.
a) Die Beklagte durfte im Zeitpunkt der Zustellung der streitgegenständlichen Bescheide nicht davon ausgehen, dass der Kläger unbekannten Aufenthalts im Sinne von Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZVG war, da sie zum seinerzeitigen Aufenthaltsort des Klägers keine ausreichenden aktuellen Ermittlungen angestellt hatte.
Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZVG kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist.
Nach der Rechtsprechung zur öffentlichen Zustellung, insbesondere zur Frage des unbekannten Aufenthaltsorts nach § 10 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG), der inhaltsgleich mit Art. 15 VwZVG ist, ist die öffentliche Zustellung ultima ratio. Die Behörde muss erst alle anderen Möglichkeiten erschöpft haben, um das Dokument dem Empfänger zu übermitteln. Um einen unbekannten Aufenthaltsort annehmen zu können, muss der Aufenthaltsort des Zustellungsadressaten allgemein, d.h. infolge gründlicher und umfassender sachdienlicher sowie zeitnaher Bemühungen, z.B. durch Anfragen bei der Polizei, Befragungen von Angehörigen oder der Einwohnermeldebehörden, unbekannt sein (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 43-95 – NVwZ 1999, 178 (179); BFH, B.v. 13.3.2003 – VII B 196/02 – NVwZ-RR 2004, 461 (462); VGH Baden-Württemberg, B.v. 7.12.1990 – 10 S 2466/90 – NVwZ 1991, 1195 (1196)). Zeitnah sind die Bemühungen jedenfalls dann nicht mehr, wenn sie einige Monate zurückliegen (vgl. BFH, B.v. 13.3.2003, a.a.O.: 5 Monate; VGH Baden-Württemberg, B.v. 7.12.1990, a.a.O.: 2 Monate).
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben lagen im konkreten Fall die Voraussetzungen für die Annahme eines unbekannten Aufenthalts des Klägers im Zeitpunkt der öffentlichen Zustellung der streitgegenständlichen Bescheide in der ersten Jahreshälfte 2019 nicht vor. Die Postzustellungsurkunde vom 9. Oktober 2015, nach der der Kläger unter der Anschrift …straße 27 in … nicht zu ermitteln war, beweist entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten nicht, dass der Kläger in der ersten Jahreshälfte 2019 unbekannten Aufenthalts war. Einer derartigen Annahme steht zwar nicht entgegen, dass die Adresse auf dem zuzustellenden Schriftstück falsch angegeben gewesen wäre, wie die Klägerbevollmächtigte meint. Ausweislich der Kopien der Postzustellungsurkunde sowie des Kuverts des zuzustellenden Schriftstücks, dessen Adressfeld im Brieffenster des Kuverts erkennbar ist, ist die Hausnummer lediglich auf der Postzustellungsurkunde falsch, nämlich …straße 24 (Bl. 37 Gerichtsakte), auf dem zuzustellenden Schriftstück ist sie jedoch korrekt angegeben (Bl. 38 Gerichtsakte). Aus diesem Zustellungsversuch vom 9. Oktober 2015 lässt sich aber schon deswegen nicht ableiten, dass der Kläger auch in der ersten Jahreshälfte 2019 unbekannten Aufenthalts war, da dieser Zustellungsversuch mehr als drei Jahre zurückgelegen und es sich damit nicht um eine zeitnahe Erkenntnisquelle gehandelt hat.
Das Gleiche gilt für die Auskunft der Meldebehörde der Stadt … vom 12. Juli 2016 sowie die Ermittlungen der Beklagten zum Aufenthaltsort des Klägers in den Jahren 2015 und 2016 (u.a. in Südafrika). Auch diese liegen zu lange zurück, um sie als zeitnahe Ermittlung des Aufenthaltsorts des Klägers gelten lassen zu können.
Hieran ändert auch die nach Klageerhebung eingeholte weitere Auskunft der Meldebehörde der Stadt … vom 6. November 2019, aus der sich das Gleiche wie aus der Auskunft vom 12. Juli 2016 ergibt, nichts. Insbesondere kann aus dieser Auskunft nicht der unbekannte Aufenthalt des Klägers in der ersten Jahreshälfte 2019 mit dem Argument abgeleitet werden, wenn die Beklagte vor der öffentlichen Zustellung der streitgegenständlichen Bescheide eine Auskunft bei der Stadt … eingeholt hätte, wäre ihr eine gleichlautende Auskunft wie die vom 6. November 2019 und vom 12. Juli 2016 erteilt worden. Mit den Auskünften der Meldebehörde der Stadt … kann lediglich belegt werden, dass der Kläger nicht in … gemeldet war. Allerdings ist damit nicht nachgewiesen, dass er nicht an einem anderen Ort in Deutschland melderechtlich erfasst war.
Auch auf den gescheiterten Zustellungsversuch im Juli 2020 kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen, da es sich hierbei nicht um eine Ermittlung des Aufenthaltsorts vor Erlass der streitgegenständlichen Bescheide handelt.
Im Ergebnis hat die Beklagte kein einziges Mal versucht, die streitgegenständlichen Bescheide dem Kläger persönlich zuzustellen. Sie hat diese vielmehr gemäß der Zustellungsanweisung der ersten Bürgermeisterin vom 2. August 2018 sofort ohne weitere aktuelle Ermittlungen öffentlich zugestellt. Dies genügt nicht, um einen unbekannten Aufenthalt annehmen zu können. Insbesondere hätte die Beklagte eine bundesweite Melderegisterauskunft nach § 34 Bundesmeldegesetz einholen können. Außerdem hätte es sich aufgedrängt, sich beim Miteigentümer des Grundstücks, der überdies der Schwager des Klägers ist, oder bei den Rechtsanwälten, die sich für die GbR bestellt hatten, nach dem aktuellen Aufenthaltsort des Klägers zu erkundigen. Dies ist nach Lage der Akten jedoch nicht geschehen.
b) Da es für eine öffentliche Zustellung gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZVG bereits an der Voraussetzung des unbekannten Aufenthaltsorts des Klägers fehlt, kann an dieser Stelle dahinstehen, ob ein Zustellbevollmächtigter vorhanden gewesen wäre, an den die Zustellung möglich gewesen wäre, Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZVG. Auch die anderen Alternativen einer öffentlichen Zustellung nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 VwZVG sind nicht einschlägig. Daher kann offenbleiben, ob die formellen Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung nach Art. 15 Abs. 2 VwZVG erfüllt sind.
c) Der Mangel der öffentlichen Zustellung nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZVG ist auch nicht gemäß Art. 9 VwZVG dadurch geheilt worden, dass die Beklagte der Klägerbevollmächtigten mit Fax vom 23. September 2019 sowie vom 2. Oktober 2019 die streitgegenständlichen Bescheide in Kopie übermittelt und die Klägerbevollmächtigte daraufhin unmittelbar (am 2.10.2019) Klage erhoben hat.
Sofern sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen lässt oder es unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, gilt es nach Art. 9 VwZVG als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist.
Die Vorschrift des Art. 9 VwZVG ist zwar auf den vorliegenden Mangel der öffentlichen Zustellung nach Art. 15 VwZVG grundsätzlich anwendbar. Der Heilung steht auch die Übersendung der Bescheide an die Bevollmächtigte nicht entgegen (vgl. hierzu: BVerwG, U.v. 18.4.1997, a.a.O., S. 180). Der Kläger hat den Bescheid zudem nachweislich erhalten, da seine Bevollmächtigte unter Vorlage der Bescheide Klage erhoben hat. Überdies mangelt es nicht an einem ursprünglichen Bekanntgabewillen der Beklagten. Ausweislich der versuchten öffentlichen Zustellungen der streitgegenständlichen Bescheide wollte die Beklagte die Bescheide mit Wissen und Wollen in der Absicht herausgeben, Rechtsfolgen auszulösen. Zur Heilung ist es gerade nicht erforderlich, dass auch die nachträgliche Kenntniserlangung durch den Adressaten von einem (Bekanntgabe-)Willen der Behörde erfasst wird (vgl. hierzu: BVerwG, U.v. 18.4.1997, a.a.O., S. 181; OVG Magdeburg, B.v. 19. 6. 2018 – 3 M 227/18 – BeckRS 2018, 13101 Rn. 7; OLG Hamm, B.v. 8.8.2017 – 3 RBs 106/17 – BeckRS 2017, 122300 Rn. 17; a.A. oder jedenfalls unklar im Hinblick auf das Erfordernis des Vorliegens eines Bekanntgabewillens im Zeitpunkt der Heilung: Couzinet/Fröhlich in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Auflage 2019, § 41 VwVfG Rn. 148; Baer in: Schoch/Schneider, Verwaltungsverfahrensgesetz, Stand: Juli 2020, § 41 Rn. 149, 153; Schlatmann in: Engelhardt/App/ders., VwVG, VwZG, 12. Auflage 2021, § 8 VwZG Rn. 1).
Aber der Zustellungsmangel ist im konkreten Fall nicht gemäß Art. 9 VwZVG geheilt worden, da die Beklagte der Klagepartei lediglich Kopien der Bescheide zugeleitet hat.
Ob die Übermittlung einer Kopie des Bescheids zur Heilung eines Zustellungsmangels nach Art. 9 VwZVG, nach dem inhaltsgleichen § 8 VwZG oder dem gleich gelagerten § 189 Zivilprozessordnung (ZPO) ausreicht, ist in Rechtsprechung und Literatur sehr umstritten (ausreichend nach BVerwG, U.v. 18.4.1997, a.a.O., S. 181; BFH, U.v. 13.10.2005 – IV R 44/03 – BeckRS 2005, 24002407; OVG Bremen, B.v. 24.2.2020 – 2 B 304/19 – BeckRS 2020, 3963 Rn. 4; OVG Lüneburg, B.v. 28.5.2018 – 12 ME 25/18 – BeckRS 2018, 10210 Rn. 28; OVG Magdeburg, B.v. 19.6.2018, a.a.O., Rn. 6; OLG Hamm, B.v. 8.8.2017, a.a.O., Rn. 29; OVG Schleswig, B.v. 8.4.2015 – 2 LA 20/15 – NVwZ-RR 2015, 717; BayVGH, B.v. 6.12.2011 – 19 ZB 11.742 – BeckRS 2012, 51911 Rn. 11 f.; Couzinet/Fröhlich, a.a.O., Rn. 148; Ronellenfitsch in: Bader/ders., BeckOK VwVfG, 51. Ed. 1.10.2019, § 8 VwZG Rn. 12; Baer, a.a.O., Rn. 149; a.A.: BSG, U.v. 26.10.1989 – 12 RK 21/89 – NVwZ 1990, 1108 (1109); BGH, B.v. 24.3.1987 – KVR 10/85 – NJW 1987, 2868 (2869); Danker in: Verwaltungszustellungsgesetz, 1. Auflage 2012, § 8 VwZG Rn. 7; Smollich in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Auflage 2019, § 8 VwZG Rn. 6).
Dafür, dass die Übersendung einer Kopie zur Heilung nach Art. 9 VwZVG ausreicht, spricht, dass damit der Zweck der Bekanntgabe erreicht wird, dem Adressaten zuverlässige Kenntnis des Inhalts des Bescheids zu verschaffen (so grundlegend: BVerwG, U.v. 18.4.1997, a.a.O., S. 181; im Anschluss hieran ohne weitere Begründung insbesondere: OVG Bremen, B.v. 24.2.2020, a.a.O.; OVG Lüneburg, B.v. 28.5.2018, a.a.O.; BayVGH, B.v. 6.12.2011, a.a.O.). Überdies hat die Heilungsmöglichkeit den Sinn, die förmlichen Zustellungsvorschriften nicht zum Selbstzweck erstarren zu lassen und ist dementsprechend grundsätzlich weit auszulegen (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 12.2.2021 – 11 CS 20.2953 – BeckRS 2021, 2782 Rn. 16 zu § 189 ZPO; OLG Hamm, B.v. 8.8.2017, a.a.O., Rn. 14).
Gegen dieses Verständnis der Heilungsvorschrift spricht allerdings der Wortlaut der Heilungsvorschrift. Art. 9 VwZVG stellt bei einem Zustellungsmangel „eines Dokuments“ für die Heilung darauf ab, dass „es“, also das Dokument, dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Bereits nach dem Wortlaut der Regelung muss dasjenige Schriftstück, dem der Zustellungsmangel anhaftet, beim Empfangsberechtigten eingehen (so auch: BSG, U.v. 26.10.1989, a.a.O., S. 1109). Dafür, dass für die Heilung die Übersendung einer Kopie nicht reicht, spricht ferner der Wille des Gesetzgebers. Nach der Begründung zur Änderung des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes im Jahr 2006 zu Art. 9 VwZVG (LT-Drs. 15/5474 v. 9.5.2006, S. 9) umfasst der Begriff „Dokument“ im Sinne des Art. 9 VwZVG Schriftstücke und elektronische Dokumente nach Art. 2 Abs. 1 VwZVG. Dies sind gemäß der Gesetzesbegründung zu Art. 2 VwZVG (LT-Drs. 15/5474, a.a.O., S. 6) die Urschrift, eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift, ausdrücklich nicht aber eine Fotokopie (vgl. auch die identische Gesetzesbegründung zum inhaltsgleichen § 8 VwZG im Zuge der vorangegangenen Novellierung des Verwaltungszustellungsgesetzes im Jahr 2006: BT-Drs. 15/5216 v. 7.4.2005, S. 11, 14). Für ein solches Verständnis der Norm spricht zudem die ratio der Zustellung, mit der gerade besondere Anforderungen an die Authentizität des zu übergebenden Dokuments gestellt werden sollen. Denn die hohen Anforderungen durch die Originalunterschrift, den Ausfertigungs- oder Beglaubigungsvermerk dienen dazu, dem Empfänger die Überprüfung der Identität des Dokuments mit dem tatsächlichen Bescheid zu ermöglichen (Smollich, a.a.O.).
Vor diesem Hintergrund mag es zwar zweckmäßig sein, eine Kopie zur Heilung ausreichen zu lassen. Aber eine solche Interpretation der Norm ist nach Auffassung des Gerichts mit dem eindeutigen Wortlaut und der Gesetzesbegründung nicht vereinbar. Da sich die jüngeren obergerichtlichen Entscheidungen, die nach den Reformen des Verwaltungszustellungsgesetzes und des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes von 2006 ergangen sind und die für eine Heilung die Übermittlung einer Kopie genügen lassen, – soweit ersichtlich – ohne weitere Begründung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 1997 anschließen, ohne sich mit der Gesetzesbegründung zu den im Jahr 2006 reformierten Vorschriften auseinanderzusetzen, folgt das Gericht dieser Rechtsprechung nicht.
Art. 9 VwZVG ist auf den vorliegenden Fall der Übermittlung einer Kopie auch nicht analog anwendbar. Die Voraussetzungen einer Analogie liegen schon deswegen nicht vor, da es an einer planwidrigen Regelungslücke mangelt. Ausweislich der Gesetzesbegründung hat der Gesetzgeber den Fall der Kopie nicht planwidrig nicht geregelt, sondern diesen Fall gerade gesehen und die Heilung hierauf explizit nicht für anwendbar erklärt.
d) Eine Heilung ist im konkreten Fall jedenfalls auch nicht durch rügeloses Einlegen des statthaften Rechtsbehelfs eingetreten (vgl. hierzu: VG München, U.v. 20.7.2009 – M 8 K 09.91 – BeckRS 2011, 47971 m.w.N.), da bereits mit Klageerhebung die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellungen gerügt worden ist.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung fußt auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 709 Satz 2, 711 Satz 2 ZPO.


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