Aktenzeichen 8 ZB 14.543
BayWG 2010 Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Art. 63 Abs. 3 S. 1, S. 2
Leitsatz
Maßstab für einen Verlust der Gewässereigenschaft bildet die Absonderung vom natürlichen Gewässerhaushalt, die sich vor allem in der Beeinträchtigung der Gewässerfunktionen zeigt. Ob diese bei einer Unterbrechung der offenen Wasserführung – etwa durch eine Verrohrung – von einem solchen Gewicht ist, dass der Zusammenhang mit dem Wasserhaushalt gelöst erscheint, beurteilt sich danach, ob das Wasser weiterhin in den natürlichen Wasserkreislauf eingebunden ist. Auf einen prozentualen Anteil der verrohrten Strecke im Verhältnis zur Gesamtstrecke kommt es nicht an. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
2 K 13.1843 2013-11-26 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass es sich bei einem Graben im Bereich seiner Grundstücke nicht um ein Gewässer im Sinne des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 und des Bayerischen Wassergesetzes 2010 handle. Hilfsweise macht er geltend, es liege allenfalls ein Gewässer von wasserwirtschaftlich untergeordneter Bedeutung vor.
Der streitgegenständliche B. Graben im Gemeindegebiet der Beigeladenen ist rund 500 m lang und zu etwa 91% verrohrt. Er entspringt im Ortsteil B. und mündet in die G., Nebenfluss der M., einem Gewässer II. Ordnung. Ein verrohrter Teil des Grabens verläuft über die Grundstücke des Klägers (FlNr. … und …, Gemarkung B.). Landratsamt und Wasserwirtschaftsamt halten ein Aufstauen des Wassers – wie es der Kläger durch Einbringen einer Sperre in einen Kontrollschacht herbeigeführt hat – für eine unerlaubte Gewässerbenutzung im Sinn des § 9 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 8 Abs. 1 WHG 2010, die gegebenenfalls als Ordnungswidrigkeit geahndet werden könne.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 26. November 2013 die Feststellungsklage abgewiesen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung wären nur anzunehmen, wenn in der Antragsbegründung ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt würde (vgl. etwa BVerfG, B. v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente sich auf das Ergebnis auswirkten (BVerwG, B. v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinn liegen vor, wenn der Rechtsmittelführer substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B. v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546). Dabei kommt es grundsätzlich nicht auf einzelne Elemente der Urteilsbegründung an, sondern auf das Ergebnis der Entscheidung, also auf die Richtigkeit des Urteils nach dem Sachausspruch in der Urteilsformel (vgl. BVerwG, B. v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – DVBl 2004, 838; BayVGH, B. v. 24.2.2006 – 1 ZB 05.614 – juris Rn. 11; B. v. 19.3.2013 – 20 ZB 12.1881 – juris Rn. 2).
1.1 Beim B. Graben handelt es sich um ein oberirdisches Gewässer im Sinn des Wasserhaushaltsgesetzes 2010, ungeachtet der Verrohrung von etwa 91%. Darunter ist gemäß § 3 Nr. 1 WHG 2010 das ständig oder zeitweilig in Betten fließende oder stehende oder aus Quellen wild abfließende Wasser zu verstehen.
Kennzeichnend für ein oberirdisches Gewässer ist die nicht nur gelegentliche Wasseransammlung in einem Gewässerbett, worunter – ausgehend vom allgemeinen Sprachgebrauch – eine äußerlich erkennbare, natürliche oder künstliche Begrenzung des Wassers in einer Eintiefung an der Erdoberfläche verstanden wird. Befindet sich das Wasser an einem solchen Ort, ist es in den natürlichen Wasserkreislauf eingebunden und hat Anteil an den Gewässerfunktionen. In dieser Eigenschaft soll es der wasserrechtlichen Benutzungsordnung unterliegen und nach Menge und Güte durch deren Instrumentarium gesteuert werden. Allgemein anerkannt ist jedoch, dass das Vorliegen eines Gewässerbetts als Ansatzpunkt des wasserrechtlichen Regelungsprogramms nicht in diesem Sinn zwingende Voraussetzung der Einordnung als oberirdisches Gewässer ist, dass jegliche Unterbrechung im oberirdischen Wasserlauf durch unterirdische Teilstrecken – etwa in Felsdurchlässen oder -höhlungen, in Rohren, Tunneln oder Dükern – zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führt (vgl. BVerwG, U. v. 27.1.2011 – 7 C 3/10 – BayVBl 2012, 92 Rn. 17 m. w. N.).
Den Maßstab für einen Verlust der Gewässereigenschaft bildet (letztlich) die Absonderung vom natürlichen Gewässerhaushalt, die sich vor allem in der Beeinträchtigung der Gewässerfunktionen zeigt. Ob diese bei einer Unterbrechung der offenen Wasserführung – etwa durch eine Verrohrung – von einem solchen Gewicht ist, dass der Zusammenhang mit dem Wasserhaushalt gelöst erscheint, beurteilt sich danach, ob das Wasser weiterhin in den natürlichen Wasserkreislauf eingebunden ist. Hierfür ist unbeachtlich, ob das Gewässer vor und nach der unterirdischen Wasserführung rechtlich identisch ist. Vielmehr kann die Einbindung in den natürlichen Wasserkreislauf bei einer funktionsbezogenen, an den tatsächlichen Gegebenheiten orientierten Betrachtungsweise auch dann zu bejahen sein, wenn das Wasser unterirdisch von einem Gewässer in das nächste geleitet wird (vgl. BVerwG, U. v. 27.1.2011 – 7 C 3/10 – BayVBl 2012, 92 Rn. 20). Zur Ermittlung der Gewässereigenschaft ist eine wertende Betrachtung vorzunehmen, bei der auch darauf abgestellt werden kann, ob eine verrohrte Wasserführung allein wasserwirtschaftlichen Zwecken dient und ob das Wasser keiner eigenständigen technischen Benutzung zugeführt wird (vgl. BVerwG, U. v. 27.1.2011 – 7 C 3/10 – BayVBl 2012, 92 Rn. 16, 21 f.).
Für das Vorliegen der Gewässereigenschaft kommt es danach nicht allein auf einen prozentualen Anteil der verrohrten Strecke im Verhältnis zur Gesamtstrecke an. Entscheidend ist vielmehr aus funktionsbezogener Betrachtungsweise heraus, ob die Unterbrechung der offenen Wasserführung die Gewässerfunktionen mit solchem Gewicht beeinträchtigt, dass der Zusammenhang mit dem Wasserhaushalt gelöst erscheint, das Wasser mithin nicht mehr mit dem natürlichen Wasserkreislauf verbunden ist, oder ob die Einbindung in diesen weiterhin gewährleistet wird.
Nach der fachlichen Einschätzung des Wasserwirtschaftsamts R… vom 7. Juli 2010 kommt dem Graben eine „eindeutige wasserwirtschaftliche Funktion“ zu (Schreiben vom 7.7.2010). Diese gutachtliche Bewertung wurde in der Stellungnahmen vom 3. August 2010 bestätigt, wo zusammenfassend ausführt wird: „Das Gewässer hat aufgrund seiner Sammelwirkung für das (auch kleine) Einzugsgebiet, seiner Vorflutfunktion für mehrere Einleitungen und seines teilweise noch natürlichen Verlaufs eine eindeutige wasserwirtschaftliche Funktion und ist als Gewässer III. Ordnung einzustufen.“ Vor diesem Hintergrund spricht alles dafür, dass der B. Graben Gewässerfunktionen aufweist, die durch die Verrohrung nicht mit einem solchen Gewicht unterbrochen werden, dass der Zusammenhang mit dem Wasserhaushalt gelöst erscheint und das Wasser nicht mehr in den natürlichen Wasserkreislauf eingebunden wäre. Hiervon ist auch das Verwaltungsgericht ausgegangen. Der Kläger, der sich vor allem auf die teilweise Verrohrung beruft, ist dem nicht hinreichend substanziiert entgegengetreten.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass in der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs allgemein anerkannt ist, dass amtlichen Auskünften und Gutachten der Wasserwirtschaftsämter entsprechend ihrer Stellung als wasserwirtschaftliche Fachbehörden nach Art. 63 Abs. 3 Satz 1 und 2 BayWG 2010 eine besondere Bedeutung zukommt. Solche fachbehördlichen Aussagen beruhen auf jahrelanger Bearbeitung eines bestimmten Gebiets und nicht nur auf der Auswertung von Aktenvorgängen im Einzelfall. Deshalb haben sie grundsätzlich ein wesentlich größeres Gewicht als Expertisen von privaten Fachinstituten; für Darlegungen wasserwirtschaftlicher Art von Prozessbeteiligten, die nicht durch Aussagen sachverständiger Personen untermauert werden, gilt dies erst recht. Die Notwendigkeit einer Abweichung und Beweiserhebung durch das Gericht (vgl. § 86 Abs. 1 VwGO) ist daher erst dann geboten, wenn sich der Eindruck aufdrängt, dass die gutachterliche Äußerung des Wasserwirtschaftsamts tatsächlich oder rechtlich unvollständig, widersprüchlich oder aus anderen Gründen fehlerhaft ist (vgl. BayVGH, B. v. 2.5.2011 – 8 ZB 10.2312 – BayVBl 2012, 47/48 m. w. N.). Ein solcher Sachverhalt liegt angesichts der plausiblen Äußerungen des Wasserwirtschaftsamts R… zu den Gewässerfunktionen des B. Grabens nicht vor.
1.2. Der B. Graben hat seine Gewässereigenschaft auch nicht durch die vollständige Einbeziehung in eine Abwasseranlage verloren (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 27.1.2011 – 7 C 3/10 – BayVBl 2012, 92 Rn. 20 m. w. N.). Es fehlt an einem hinreichend substanziierten Vortrag dafür, dass der Wasserlauf – nicht nur in Teilen, sondern umfassend – in eine Entwässerungseinrichtung eingegliedert und dadurch vom natürlichen Wasserhaushalt abgesondert worden wäre.
Sollte die Klägerseite davon ausgehen, dass Gewässer ihre wasserwirtschaftliche Bedeutung und damit die Gewässereigenschaft verlieren, wenn sie ohne wasserrechtliche Genehmigung als Teil einer Entwässerungsanlage in Anspruch genommen werden, kann dies die Ergebnisrichtigkeit nicht in Zweifel ziehen. Für die Eigenschaft als Gewässer im Sinn des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 ist die Abwassereinleitung vielmehr irrelevant (so ausdrücklich BVerwG, U. v. 27.1.2011 – 7 C 3.10 – BayVBl 2012, 92 Rn. 22 m. w. N.) und kann deshalb dahinstehen. Deren Zulässigkeit richtet sich nach Maßgabe der wasserrechtlichen Vorschriften über die Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis. Materiell-rechtlich ist es nicht schlechterdings ausgeschlossen, (ungereinigte) Abwässer in ein unter §§ 1 ff. WHG 2010 fallendes Gewässer einzuleiten. Vielmehr kann etwa die Einleitung von Niederschlagswasser – um das es hier geht – im Einzelfall erlaubnisfähig sein. Das Wasserhaushaltsgesetz 2010 schließt es auch nicht aus, dass ein Gewässer Bestandteil einer gemeindlichen Entwässerungsanlage ist (vgl. BVerwG, B. v. 28.4.2008 – 7 B 16.08 – juris Rn. 6 f.). Die Frage nach der Gewässereigenschaft muss deshalb getrennt werden von der Frage nach der Rechtmäßigkeit einer Einleitung sowie von der Frage, ob in Teilbereichen Missstände vorliegen. Andernfalls hätte es im Übrigen ein Betreiber einer Abwasseranlage gegebenenfalls in der Hand, einen Wasserlauf durch entsprechende Maßnahmen dem gewässerschützenden Regime des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 zu entziehen.
1.3. Der B. Graben kann – entgegen der Auffassung des Klägers – auch nicht als Entwässerungsgraben von wasserwirtschaftlich untergeordneter Bedeutung im Sinn von Art. 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayWG 2010 angesehen werden.
Gräben im Sinn dieser Vorschrift sind nur die ausschließlich in einem künstlichen Bett fließenden (unbedeutenden) Gewässer. Dazu gehört ein Bach mit einer naturgegebenen Vorfluteigenschaft – die nach der fachlichen Einschätzung des Wasserwirtschaftsamts R… gegeben ist – auch dann nicht, wenn er zwischenzeitlich streckenweise verrohrt oder in ein künstliches Bett gefasst und in seiner Streckenführung verändert wurde (vgl. Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Stand Sept. 2014, Art. 1 BayWG Rn. 30).
2. Besondere rechtliche Schwierigkeiten im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO weist die Rechtssache nicht auf. Die von Klägerseite aufgeführten „Sonderprobleme“ (vgl. die Zulassungsbegründung S. 6) sind anhand der zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung ohne überdurchschnittliche rechtliche Schwierigkeiten zu lösen. Von einer Komplexheit des Falls kann nicht die Rede sein.
3. Der Rechtssache kommt auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu. Dieser Zulassungsgrund liegt nur dann vor, wenn eine im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich ist, bisher höchstrichterlich oder durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt ist und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36; BayVGH, B. v. 14.5.2014 – 14 ZB 13.2658 – juris Rn. 18).
Der Kläger hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob eine teilweise Verrohrung von mehr als 91% eines „Gewässers“ die Gewässereigenschaft beseitigt, wenn ein ganz überwiegend verrohrter Bach kaum offen abfließendes Niederschlagswasser aufnimmt. Diese Rechtsfrage kann – wie oben unter 1.1 dargelegt – anhand der von der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärten Maßstäbe ohne Weiteres beantwortet werden. Ob die Problematik vom Kläger insoweit überhaupt ordnungsgemäß herausgearbeitet wurde (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), lässt der Senat offen.
Entsprechendes gilt für die vom Kläger ebenfalls für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage, ob ein Gewässer, das rechtswidrig, d. h. ohne wasserrechtliche Genehmigung, auch als Entwässerungseinrichtung in Anspruch genommen wird, eine wasserwirtschaftliche Bedeutung aufweisen kann, die eine Einstufung als öffentliches Gewässer rechtfertigt. Auch diese Rechtsfrage ist bereits höchstgerichtlich beantwortet. Das Bundesverwaltungsgericht hat klargestellt, dass die Einleitung von Abwasser für die Gewässereigenschaft irrelevant und nur nach Maßgabe wasserrechtlicher Bestimmungen zulässig ist (U. v. 27.1.2011 – 7 C 3/10 – BayVBl 2012, 92 Rn. 22) und dass es das Wasserhaushaltsgesetz 2010 nicht ausschließt, dass ein Gewässer Bestandteil einer gemeindlichen Entwässerungsanlage sein kann (B. v. 28.4.2008 – 7 B 16.08 – juris Rn. 6).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertentscheidung ergibt sich aus § 47, § 52 Abs. 2 GKG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).