Europarecht

Gefährdung der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers

Aktenzeichen  M 17 K 17.286

Datum:
27.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KrWG KrWG § 17, § 18
GewO GewO § 35

 

Leitsatz

1 Die Mindestanforderungen aus § 18 Abs. 2 Nr. 4 KrWG sind erfüllt, wenn aufgezeigt wird, dass der gesamte Abfall von einem oder mehreren Entsorgungsunternehmen abgenommen wird. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Mit Blick auf die unionsrechtliche Warenverkehrsfreiheit ist eine Untersagung gewerblicher Sammlungen nur gerechtfertigt, soweit anderenfalls die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers bzw. dessen Beauftragter verhindert wird. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ob die Regelvermutung des § 17 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 KrWG widerlegt ist, richtet sich danach, ob durch den Marktzugang eines gewerblichen Sammlers im Zusammenwirken mit anderen Sammlungen die vom öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger ins Werk gesetzten Grundstrukturen der Entsorgung wesentlich umgestaltet werden müssten. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten mit Schreiben vom 23. Februar 2017 (Klägerin) und 27. Juni 2017 (Beklagter und Beigeladener) einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung ist insoweit, da es sich bei der Untersagungsanordnung um einen Dauerverwaltungsakt handelt, derjenige der mündlichen Verhandlung (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 57; OVG NW, U.v. 21.9.2015 – 20 A 2219/14 – juris Rn. 42).
1. Gemäß § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG hat die zuständige Behörde die Durchführung der angezeigten Sammlung zu untersagen, wenn Tatsachen bekannt sind, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Anzeigenden oder der für die Leitung und Beaufsichtigung der Sammlung verantwortlichen Personen ergeben oder die Einhaltung der in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder Nr. 4 KrWG genannten Voraussetzungen anders nicht zu gewährleisten ist. Der hier maßgebliche § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG besagt, dass eine Überlassungspflicht für Abfälle nicht besteht, wenn diese durch eine gewerbliche Sammlung einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung zugeführt werden, soweit überwiegende öffentliche Interessen dieser Sammlung nicht entgegenstehen. Wann öffentliche Interessen entgegenstehen, ist wiederum in § 17 Abs. 3 KrWG geregelt.
2. Ob Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der Klägerin im Sinne von § 18 Abs. 5 Satz 2 Alt. 1 KrWG bestehen, kann hier dahingestellt bleiben, da die Untersagung auf § 18 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG gestützt werden kann, weil die Klägerin die Gewährleistung der ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung der Abfälle nicht hinreichend dargelegt hat:
Gemäß § 18 Abs. 2 Nrn. 4 und 5 KrWG sind vom Sammler die innerhalb des angezeigten Zeitraums vorgesehenen Verwertungswege einschließlich der erforderlichen Maßnahmen zur Sicherstellung ihrer Kapazitäten darzulegen sowie, auf welche Weise die ordnungsgemäße und schadlose Verwertung der gesammelten Abfälle im Rahmen der Verwertungswege gewährleistet wird. Nach § 7 Abs. 3 Sätze 2 und 3 KrWG erfolgt die Verwertung ordnungsgemäß, wenn sie im Einklang mit den Vorschriften dieses Gesetzes und anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften steht, und schadlos, wenn nach der Beschaffenheit der Abfälle, dem Ausmaß der Verunreinigungen und der Art der Verwertung Beeinträchtigungen des Wohls der Allgemeinheit nicht zu erwarten sind, insbesondere keine Schadstoffanreicherung im Wertstoffkreislauf erfolgt.
Das BVerwG hat zu dieser Darlegungspflicht im Einzelnen Folgendes ausgeführt (U.v. 30.6.2016 – 7 C-5/15 – juris Rn. 27 f.):
„Folglich ist […] bei der Bestimmung des Umfangs der Darlegungspflicht nicht generalisierend, sondern im Hinblick auf die konkreten Entsorgungsstrukturen differenzierend vorzugehen. So kann von Bedeutung sein, ob für eine Abfallfraktion etablierte Verwertungswege bestehen. Der aktuelle Marktpreis kann ein bestehendes ökonomisches Interesse an der Verwertung indizieren. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, ob der gewerbliche Sammler die Verwertung selbst durchführt oder die gesammelten Abfälle – im Rahmen einer langjährigen (funktionierenden) Geschäftsbeziehung – an ein oder mehrere (bekannte und bewährte) Entsorgungsunternehmen weiterveräußert und ob diese Unternehmen ihren Sitz im In- oder Ausland haben.
Hiernach sind die Mindestanforderungen aus § 18 Abs. 2 Nr. 4 KrWG dann erfüllt, wenn aufgezeigt wird, dass der gesamte Abfall – hinsichtlich Sammelmenge und –zeitraum – von einem oder mehreren Entsorgungsunternehmen abgenommen wird. Durchläuft die Verwertung mehrere Stufen, muss bei der Festlegung weiterer Darlegungsanforderungen insbesondere die Situation der Kleinsammler Berücksichtigung finden. Dies gilt gerade bei einer Abfallfraktion wie dem Altmetall, für das nach dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin eine hohe Recyclingquote zu verzeichnen ist, so dass alles dafür spricht, dass in diesem Marktsegment eine effektive Ressourcennutzung verwirklicht wird und die Verwertungswege funktionieren. In einem solchen Bereich wird der Sammler seine Anzeigepflicht regelmäßig dadurch erfüllen, dass er nachvollziehbar einen pauschalen Verwertungsweg schildert, das oder die Entsorgungsunternehmen, an die er die gesammelten Abfälle zu liefern beabsichtigt, namentlich benennt und geeignet belegt, dass diese willens und in der Lage sind, die Abfälle der Sammlung anzunehmen. Hierfür genügt – in Anlehnung an die Regelungen der Nachweisverordnung – eine schriftliche Erklärung des abnehmenden Unternehmens, aus der sich ergibt, dass die Annahme der Abfälle sowohl hinsichtlich ihres Umfangs als auch des Zeitraums der Sammlung gewährleistet ist. Eine detaillierte Beschreibung des weiteren Entsorgungswegs der gesammelten Abfälle bis zum finalen Bestimmungsort der Verwertung unter namentlicher Benennung aller beteiligten Unternehmen ist von einem Kleinsammler nicht zu verlangen, so dass es ausreicht, in dieser Situation zu § 18 Abs. 2 Nr. 5 KrWG nur pauschal unter Hinweis auf die allgemeinen Verhältnisse im betreffenden Marktsegment vorzutragen. Denn Ausführungen zu den konkreten Umständen der endgültigen Verwertung sind dem am Anfang der Entsorgungskette stehenden Kleinsammler – wenn überhaupt – nur sehr eingeschränkt möglich, weil er zum einen auf Angaben der Unternehmen in der Verwertungskette angewiesen ist und diese sich in ihrer Zusammensetzung zum anderen durch Marktentwicklungen ändern kann. Des Weiteren stellt sich das Problem, dass sich der Weg der Abfälle des jeweiligen Kleinsammlers jedenfalls nach Vermischung mit den Abfällen anderer Sammler auf den weiteren Verwertungsstufen nicht mehr nachvollziehen lässt. In dieser Situation erscheint es angezeigt, die gegebenenfalls gebotenen Überwachungsmaßnahmen auf den verschiedenen Stufen der Entsorgungskette vorzunehmen, so dass der Zweck der Darlegung nur beschränkte Angaben vom Sammler rechtfertigt.“
Unabhängig davon, ob vorgenannte Maßstäbe, die sich auf Kleinsammler von Altmetall beziehen, zugunsten der Klägerin herangezogen werden können (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 20 ZB 15.1850 – juris Rn. 27), hätte sie diese Anforderung an die Darlegungspflicht nicht erfüllt.
So gab sie lediglich an, dass die Verwertung über die Firma … und die Müllheizkraftwerk … … erfolge. Neben einem Zertifikat der Klägerin für das Sammeln, Befördern, Handeln und Makeln von Abfällen, einem Zertifikat der Firma … über den Transport, die Segregation und Verkauf von Gebrauchtkleidung und einem Schreiben der Firma …, in dem die Aufteilung der Abfallfraktionen dargelegt wird, wurde lediglich ein Vertrag zwischen dieser Firma und der Klägerin vom 1. Januar 2015, über die etwaige Verpflichtung zur Rücknahme der Abfälle und Sicherstellung der Verwertung vorgelegt. Das Zertifikat der Firma … umfasst aber nur den Verkauf, nicht jedoch die Verwertung von Abfällen im Übrigen und der Vertrag mit dieser Firma ist schon über zwei Jahre alt und damit nicht geeignet, die gegenwärtige Verwertung der Abfälle zu bestätigen. Vor allem aber ergibt sich aus diesem Vertrag auch nicht – wie das BVerwG verlangt –, dass die Annahme der Abfälle sowohl hinsichtlich ihres Umfangs als auch des Zeitraums der Sammlung gewährleistet ist, d.h. belegt ist, dass das Entsorgungsunternehmen willens und in der Lage ist, die – gesamten – Abfälle der Sammlung anzunehmen. Denn geregelt wird in diesem Vertrag letztendlich nur die Rücknahme der Abfälle. Dabei kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Firma …, die angeblich die Abfälle der Klägerin annimmt, ihren Sitz im Ausland hat, so dass keine Überwachungsmöglichkeiten im Inland möglich sind (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C-5/15 – juris Rn. 27; BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 20 ZB 15.1850 – juris Rn. 31).
Die Klägerin hat damit nicht dargelegt, dass die ordnungsgemäße und schadlose Verwertung gewährleistet ist, wie es der eindeutige Wortlaut des § 18 Abs. 2 Nr. 5 KrWG verlangt, um der Behörde eine umfassende Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen der Sammlung zu ermöglichen (vgl. BT-Drs. 216/11 S. 209).
3. Zudem liegen auch die Voraussetzungen einer Untersagung gemäß § 18 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 KrWG vor, weil der gewerblichen Sammlung der Klägerin überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen:
3.1 Gemäß § 17 Abs. 3 KrWG ist dies der Fall, wenn die Sammlung in ihrer konkreten Ausgestaltung, auch im Zusammenwirken mit anderen Sammlungen, die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers, des von diesem beauftragten Dritten oder des auf Grund einer Rechtsverordnung nach § 25 KrWG eingerichteten Rücknahmesystems gefährdet. Eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers oder des von diesem beauftragten Dritten ist wiederum anzunehmen, wenn die Erfüllung der nach § 20 KrWG bestehenden Entsorgungspflichten zu wirtschaftlich ausgewogenen Bedingungen verhindert oder die Planungssicherheit und Organisationsverantwortung wesentlich beeinträchtigt wird.
Eine wesentliche Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers ist insbesondere anzunehmen, wenn durch die gewerbliche Sammlung
1. Abfälle erfasst werden, für die der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger oder der von diesem beauftragte Dritte eine haushaltsnahe oder sonstige hochwertige getrennte Erfassung und Verwertung der Abfälle durchführt,
2. die Stabilität der Gebühren gefährdet wird oder
3. die diskriminierungsfreie und transparente Vergabe von Entsorgungsleistungen im Wettbewerb erheblich erschwert oder unterlaufen wird.
Nummern 1 und 2 gelten nicht, wenn die vom gewerblichen Sammler angebotene Sammlung und Verwertung der Abfälle wesentlich leistungsfähiger ist als die von dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger oder dem von ihm beauftragten Dritten bereits angebotene oder konkret geplante Leistung.
Vorliegend ist von einer wesentlichen Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers auszugehen (§ 17 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 KrWG), weil der Beigeladene eine im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG hochwertige getrennte Erfassung und Verwertung der Abfälle durchführt, was von der Klägerin auch nicht in Frage gestellt wird, die Sammlung der Klägerin nicht wesentlich leistungsfähiger ist (s.u. 4.2) und die in dieser Vorschrift enthaltene Regelvermutung nicht widerlegt ist (s.u. 4.3).
3.2 Dass ihre Sammlung gegenüber derjenigen des Beigeladenen wesentlich leistungsfähiger wäre, hat die insoweit darlegungspflichtige Klägerin nicht dargelegt (vgl. z.B. VG Ansbach, U.v. 23.1.2013 – AN 11 K 12.01693 juris) und ist auch sonst nicht ersichtlich.
Bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit sind sowohl die in Bezug auf die Ziele der Kreislaufwirtschaft zu beurteilenden Kriterien der Qualität und der Effizienz, des Umfangs und der Dauer der Erfassung und Verwertung der Abfälle als auch die aus Sicht aller privaten Haushalte im Gebiet des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers zu beurteilende gemeinwohlorientierte Servicegerechtigkeit der Leistung zugrunde zu legen. Leistungen, die über die unmittelbare Sammel- und Verwertungsleistung hinausgehen, insbesondere Entgeltzahlungen, sind bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit nicht zu berücksichtigen (§ 17 Abs. 3 Sätze 4 bis 6 KrWG).
Die Klägerin sammelt nach eigenen Angaben nur 96 t, während die Sammlung des Beigeladenen 762,67 t umfasst. Zudem sind die Sammelcontainer des Beigeladenen sowohl auf Wertstoffhöfen als auch auf Wertstoffinseln aufgestellt, so dass nicht nur eine Erreichbarkeit rund um die Uhr sichergestellt ist, sondern zumindest auf den Wertstoffhöfen der Einwurf der Textilien – anders als bei der Klägerin – unter Aufsicht erfolgt. Die Sammlung des Beigeladenen ist somit insbesondere im Hinblick auf die Kriterien des Umfangs und der Servicegerechtigkeit weit überlegen. Nach der vorzunehmenden Gesamtschau anhand der obengenannten fünf Kriterien ist daher von der größeren Leistungsfähigkeit der Sammlung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers auszugehen.
3.3 § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG stellt eine widerlegbare Vermutung auf. Von einer wesentlichen Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung und damit von einer Gefährdung der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers durch eine gewerbliche Sammlung ist danach im Regelfall auszugehen (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 50). Da eine Untersagung gewerblicher Sammlungen jedoch eine Beschränkung unionsrechtlicher Grundsätze, insbesondere der Warenverkehrsfreiheit (Art. 34, 35 AEUV) darstellt, ist sie nach Art. 106 Abs. 2 AEUV nur gerechtfertigt, soweit anderenfalls die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers bzw. dessen Beauftragter verhindert wird (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 31 ff., 48 ff.). Denn die flächendeckende und diskriminierungsfreie Entsorgung von Haushaltsabfällen, wozu auch sortenreine Abfallfraktionen wie Alttextilien gehören, stellt eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse dar (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 41) und fällt damit in den Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung des Art. 106 Abs. 2 AEUV. Aufgrund der genannten unionsrechtlichen Vorgaben muss die Vermutung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG im Einzelfall widerlegt werden können, wenn die streitbefangene gewerbliche Sammlung auch im Zusammenwirken mit anderen privaten – auch gemeinnützigen – Sammlungen nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Schutzobjekts der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers führt. Ob die Regelvermutung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG im Einzelfalle widerlegt ist, bestimmt sich deshalb danach, ob durch den Marktzugang eines gewerblichen Sammlers im Zusammenwirken mit anderen Sammlungen die Grundstrukturen der Entsorgung, die der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger zur Gewährleistung einer sachgerechten Aufgabenerfüllung nach Maßgabe seiner organisatorischen Grundentscheidungen ins Werk gesetzt hat, wesentlich umgestaltet werden müssten (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 50 ff.). Dazu sind die Auswirkungen auf die vom öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zu erzielende Sammelmenge zu ermitteln. Denn die vorgehaltene Entsorgungsstruktur ist nur schutzwürdig, soweit sie bedarfsgerecht auf die zu erwartende Sammelmenge zugeschnitten ist, da insoweit Einbußen, die sich durch den Marktzutritt anderer Sammler abzeichnen, einen organisatorischen und strukturellen Anpassungsbedarf nach sich ziehen können (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 52). Hierzu ist zunächst der status quo zu ermitteln, d.h. der Anteil des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers am Gesamtaufkommen der Sammlungen. Dieser Anteil wird durch bereits rechtmäßig durchgeführte Sammlungen mitgeprägt, wobei insbesondere die gemeinnützigen Sammlungen nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 KrWG einzubeziehen sind (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 55 f.). Auf dieser Grundlage sind die zu erwartenden Veränderungen zu betrachten, wobei neben der streitgegenständlichen insbesondere auch weitere angezeigte und sofort vollziehbar, aber noch nicht bestandskräftig untersagte Sammlungen als mögliche Zusatzbelastungen in den Blick zu nehmen sind (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 53 f.). Denn angezeigte, aber untersagte Sammlungen entfallen erst dann als mögliche Zusatzbelastung, wenn die Untersagung bestandskräftig geworden ist (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 54). Die so ermittelten zusätzlichen Sammelmengen auf Seiten der privaten Sammler sind sodann den tatsächlichen bzw. auf der Grundlage konkreter Planungen erwarteten Sammelmengen des Entsorgungsträgers gegenüberzustellen und hiernach die Rückgänge bzw. die verminderten Steigerungspotenziale auf Seiten des Entsorgungsträgers zu prognostizieren und zu bewerten (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 58).
Gemessen an diesen Grundsätzen führt die Sammlung der Klägerin (im Zusammenwirken mit den anderen Sammlungen) zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers:
Zu ermitteln sind in einem ersten Schritt die Anteile des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers sowie der rechtmäßig durchgeführten privaten Sammlungen am Gesamtaufkommen (BayVGH, B.v.30.1.2017 – 20 CS 16.1416 – juris Rn. 32). Hier sammelte der Beigeladene im Jahr 2016 762,67 t und gemeinnützige Sammler 68,58 t. Hinzu kommen rechtmäßig sammelnde gewerbliche Sammlungen mit insgesamt 120,20 t. Das gesamte Sammelaufkommen an Alttextilien betrug damit 2016 951,45 t, sodass auf den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger ein Anteil von 80,16% entfiel.
Im zweiten Schritt ist sodann eine Prognose der anstehenden Veränderungen durch die streitgegenständliche Sammlung im Zusammenwirken mit anderen Sammlungen vorzunehmen. Anders als die Klägerin ihrer Berechnung zugrunde legt, ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 17 Abs. 3 Satz 1 KrWG nicht nur die streitgegenständliche Sammlung zu berücksichtigen, sondern sind alle weiteren gewerblichen Sammlungen einzustellen, die zwar angezeigt, aber noch nicht bestandskräftig untersagt sind, insbesondere solche, deren Untersagung für sofort vollziehbar erklärt wurde. Denn diese entfallen als mögliche Zusatzbelastungen erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit der Untersagungsverfügung (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 54; BayVGH, B.v.30.1.2017 – 20 CS 16.1416 – juris Rn. 33). Laut den Angaben des Beklagten wurden hier neben der streitgegenständlichen Sammlung noch die Sammlungen von … mit 60 t, des Deutschen Textilwerks mit 120 t und der … … mit 84 t angezeigt sowie sofort vollziehbar untersagt. Hinzu kommt die Sammlung von East-West mit 160 t, die nach Angaben dieser Firma bislang noch nicht durchgeführt wird. Anhaltspunkte dafür, dass diese Sammlung nicht mehr durchgeführt werden soll, liegen nicht vor. Zusammen mit der Sammlung der Klägerin, die nach ihren eigenen Angaben einen Umfang von jährlich maximal 96 t aufweist, sind somit angezeigte Sammlungen mit einem Gesamtvolumen von 520 t zu berücksichtigen. Ausgehend davon ergibt sich ein zu prognostizierender Rückgang des Anteils des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers um 54,65% auf 25,51%, so dass die Irrelevanzschwelle, die bei 10 bis 15% liegt (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 59), hier deutlich überschritten ist. Das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, aufgrund derer gegebenenfalls (nach unten oder oben) von der genannten Irrelevanzschwelle abgewichen werden könnte (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 59), ist hier nicht ersichtlich.
Zu einem anderen Ergebnis käme man auch dann nicht, wenn man davon ausginge, dass die neu hinzukommenden 520 t nicht vollständig zu Lasten der Sammlung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers gehen, sondern sich der Rückgang anteilsmäßig auf die vorhandenen Sammlungen verteilt. Dann würde sich der Anteil des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers um 80,16% von 520 t, d.h. um 416,83 t reduzieren, was einem Rückgang des Anteils von 80,16% auf 36,35%, mithin um 43,81%, entspräche, so dass auch bei dieser Rechenmethode die Irrelevanzschwelle signifikant überschritten wäre.
Es ist zwar nicht von der Hand zu weisen, dass das Überschreiten der Irrelevanzschwelle entscheidend auch davon abhängt, ob gleichzeitig mit der betreffenden Sammlung weitere Sammlungen mit einem erheblichen Umfang angezeigt wurden. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 17 Abs. 3 Satz 1 KrWG („Zusammenwirken mit anderen Sammlungen“) sind aber sämtliche angezeigten Sammlungen, sofern diese nicht bestandskräftig untersagt wurden, zu berücksichtigen, da diese potentiell Auswirkungen auf die vom öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zu erzielenden Sammelmengen haben (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 52, 54). Hinzu kommt, dass beim Vorliegen außergewöhnlicher Umstände im Einzelfall von der Irrelevanzschwelle abgewichen werden könnte. Derartige Umstände sind aber – wie bereits ausgeführt – nicht ersichtlich, vielmehr wird die Irrelevanzschwelle hier deutlich überschritten.
Nach alledem ist im vorliegenden Falle die Regelvermutung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG nicht widerlegt, sodass eine wesentliche Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers zu bejahen ist.
4. Eine Untersagung ist gemäß § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG zwar nur möglich, wenn die Einhaltung der in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 oder 4 KrWG genannten Voraussetzungen anders nicht zu gewährleisten ist. Diese Regelung stellt eine besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar; die Untersagung ist insoweit als ultima ratio anzusehen (OVG NW, B.v. 11.12.2013 – 20 B 643/13 – juris; VG Würzburg, U.v. 14.5.2013 – W 4 K 12.1139 – juris Rn. 35; B.v. 15.4.2013 – W 4 S. 13.145 – juris Rn. 42f.). Ein milderes Mittel, um die Erfüllung der Voraussetzungen nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG sicherzustellen, wie etwa Auflagen oder Bedingungen, ist vorliegend aber nicht ersichtlich, insbesondere, weil – wie bereits ausgeführt – auch die ordnungsgemäße und schadlose Verwertung nicht nachgewiesen ist (OVG NRW, B.v. 11.12.2013 – 20 B 643/13; VG Würzburg, B.v. 15.4.2013 – W 4 S. 13.145 – juris Rn. 43). Es ist nicht erkennbar, wie Bedingungen und Auflagen oder auch eine Befristung nach § 18 Abs. 5 Satz 1 KrWG eine ordnungsgemäße und schadlose Verwertung sicherstellen könnten (vgl. BayVGH, B.v. 18.12.2013 – 20 CS 13.2446 – juris Rn. 18). Im Übrigen wäre eine räumliche oder mengenmäßige Beschränkung der Sammlung im Hinblick auf den Umstand, dass im Landkreis noch zahlreiche weitere gewerbliche Sammlungen angezeigt und untersagt wurden, nicht praktikabel. Eine räumliche Beschränkung würde wohl zu keiner wesentlichen Änderung der Abfallmenge führen, die dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger entzogen wird. Die Bestimmung individueller Mengenkontingente für jeden einzelnen gewerblichen Sammler, die in ihrer Summe gerade noch keine wesentliche Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung begründen, ist dagegen oft schwierig. Insbesondere müsste diese Mengenbegrenzung bei jeder neuen Anzeige eines gewerblichen Sammlers neu berechnet und festgesetzt werden. Zudem ist es nicht Aufgabe der zuständigen Abfallbehörde, den Umfang der angezeigten Sammlung auf das gerade noch verträgliche Maß zu beschränken (OVG NW, U.v. 21.9.2015 – 20 A 2120/14 – juris Rn. 211; VG Münster, U.v. 22.3.2017 – 7 K 700/14 – juris Rn. 25). Dabei ist unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten auch zu berücksichtigen, dass der Klägerin nicht ihre gesamte Sammlungstätigkeit, sondern nur die Durchführung der angezeigten Sammlung für das Gebiet des Landkreises untersagt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 18.12.2013 – 20 CS 13.2446 – juris Rn. 19).
5. Ebenso wenig sind hier Vertrauensschutzgesichtspunkte nach § 18 Abs. 7 KrWG zu berücksichtigen (vgl. zur Anwendbarkeit auf Untersagungen VG Würzburg, B.v. 28.1.2013 – W 4 S. 12.1130 – juris Rn. 52; VG Düsseldorf B.v. 26.4.2013 – 17 L 580/13 Rn. 28 ff.). Nach § 18 Abs. 7 KrWG ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, insbesondere ein schutzwürdiges Vertrauen des Trägers der Sammlung auf ihre weitere Durchführung, zu beachten, soweit eine gewerbliche Sammlung, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes am 1. Juni 2012 bereits durchgeführt wurde, die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers, des von diesem beauftragten Dritten oder des auf Grund einer Rechtsverordnung nach § 25 KrWG eingerichteten Rücknahmesystems bislang nicht gefährdet hat.
Weder hat die Klägerin konkret vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass sie ihre gewerbliche Sammlung bereits vor dem 1. Juni 2012 durchführte. Selbst wenn es sich hier aber um eine Bestandssammlung handeln sollte, könnte sich die Klägerin nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn die Durchführung von gewerblichen Sammlungen steht stets unter dem Vorbehalt der Zuverlässigkeit und der Gewährleistung einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung. Schutzwürdig in Bezug auf die weitere Durchführung kann nur das Interesse eines zuverlässigen gewerblichen Sammlers sein, der eine ordnungsgemäße und schadlose Verwertung gewährleistet (VG Düsseldorf, U.v. 7.10.2014 – 17 K 2897/13 – juris Rn. 132 ff.). Hier wurde aber die ordnungsgemäße und schadlose Verwertung nicht ausreichend dargelegt (s.o. 3.). Es ist davon auszugehen, dass auch in der Vergangenheit keine ordnungsgemäße und schadlose Verwertung der Abfälle erfolgte, da entsprechende Angaben auch für die Zeit vor dem 1. Juni 2012 nicht gemacht wurden (vgl. von Lersner/Wendenburg/Kropp/Rüdiger, Recht der Abfallbeseitigung, Stand September 2016, § 18 Rn. 94).
6. Die Entfernungsanordnung für die Container findet ihre Rechtsgrundlage in § 62 KrWG. Die zuständige Behörde kann hiernach im Einzelfall die erforderlichen Anordnungen zur Durchführung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes treffen. Die Verpflichtung zur Entfernung von Containern, die der Durchführung einer gemäß § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG rechtmäßig untersagten Sammlung dienen, stellt eine solche Anordnung dar. Erst mit der Entfernung der Container ist sichergestellt, dass die untersagte Sammlung auch tatsächlich nicht mehr stattfindet. Insbesondere wenn Zuverlässigkeitsbedenken bestehen oder – wie hier – die ordnungsgemäße und schadlose Verwertung nicht nachgewiesen ist, gilt es in geeigneter Weise zu vermeiden, dass Abfälle in einer aus diesen Gründen untersagten Sammlung erfasst werden.
Auch steht ein milderes und gleich geeignetes Mittel nicht zur Verfügung. Mit der Verpflichtung, die Container zu verkleben, zu verplomben oder einzuzäunen, würden zwar Einwürfe verhindert. Es wäre jedoch zu erwarten, dass Altkleidersäcke neben den Containern abgelegt werden, für deren Entsorgung sich dann niemand zuständig fühlte. Da die Altkleidersammlung dauerhaft und endgültig untersagt sein soll, ist die Beseitigungsanordnung auch angemessen. Anders könnte der Fall liegen, wenn die Behörde nur eine zeitweise Untersagung ausspricht, um die Voraussetzungen nach Ablauf des Zeitraums erneut zu prüfen. Der Eingriff in den Geschäftsbetrieb der Klägerin ist auch verhältnismäßig, da es dieser nach dem Abtransport der Container frei steht, diese anderweitig einzusetzen.
7. Schließlich wurden gegen die Zwangsgeldandrohung und die Kostenentscheidung in Nrn. 3 bis 5 des Bescheids vom 19. Dezember 2016 von Klägerseite keine eigenständigen Bedenken geltend gemacht und solche sind auch sonst nicht ersichtlich.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, trägt er seine außergerichtlichen Kosten selbst (vgl. § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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