Europarecht

Haftungsrechtliche Gleichstellung von Vertragsärzten

Aktenzeichen  L 12 KA 17/15

Datum:
26.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V SGB V § 87b Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 95 Abs. 1, Abs. 2 S. 6
GG GG Art. 3 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Aus § 95 Abs. 2 Satz 6 SGB V, mit dem der Gesetzgeber eine haftungsrechtliche Gleichstellung von Vertragsärzten in Einzelpraxis und in Gemeinschaftspraxis einerseits und medizinischen Versorgungszentren andererseits verfolgt, ergibt sich nicht, dass nicht auch auf der Ebene der Abrechnungsbestimmungen weitere Sicherungen für etwaige Regressforderungen geregelt werden können. (Rn. 17 – 18)
2. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) liegt nicht vor, da niedergelassene Vertragsärzte im Unterschied zu MVZ in Trägerschaft einer juristischen Person des Privatrechts mit beschränkter Haftung für Forderungen der KV oder der Krankenkassen persönlich mit ihrem privaten Vermögen voll haften, während sich eine MVZ-Träger-GmbH auf die Beschränkung der Haftung in Höhe des Gesellschaftsvermögens berufen kann. (Rn. 19 – 20)

Verfahrensgang

S 43 KA 1033/12 2014-09-24 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 24.09.2014, S 43 KA 1033/12 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerinnen haben auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf Abschlagszahlungen ohne Vorlage einer selbstschuldnerischer Bankbürgschaften.
Jedes Mitglied einer kassenärztlichen Vereinigung hat auf der Grundlage des § 87b Abs. 1 Satz 1, 2 SGB V mit der Einreichung seiner Abrechnung zunächst nur Anspruch auf Teilhabe an der vertragsärztlichen Gesamtvergütung. Erst mittels des Abrechnungsbescheides konkretisiert sich der Teilhabeanspruch auf einen Honoraranspruch. Ein Anspruch auf Abschlagszahlungen ergibt sich weder aus dem SGB V noch dem Gesamtvertrag, sondern nur, wenn und soweit eine Kassenärztliche Vereinigung in den Honorarregelungen solche Zahlungen regelt. Die Beklagte hat kraft ihrer bestehenden körperschaftlichen Normsetzungsbefugnis im Rahmen ihres weiten Gestaltungsspielraums den grundsätzlichen Anspruch auf Abschlagszahlungen und dessen Modifikationen in ihren Abrechnungsbestimmungen (§ 5) geregelt.
Die hier streitige Abrechnungsbestimmung in § 5 Abs. 1a der Abrechnungsbestimmungen bewegt sich innerhalb des weiten Gestaltungsspielraumes der Beklagten, denn dieser findet seine Begrenzung nur in der Beachtung höherrangiger Rechtsvorschriften. Einen solchen Verstoß gegen höherrangige Rechtsvorschriften kann der Senat nicht feststellen. Zum einen besteht kein Verstoß der Vorschrift des § 5 Abs. 1a der Abrechnungsbestimmungen der Beklagten gegen § 95 Abs. 2 Satz 6 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (VStG vom 22.11.2011 – BGBl. I S. 2983). Nach dieser Vorschrift setzt die Zulassung eines Medizinischen Versorgungszentrums in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung voraus, dass die Gesellschafter selbstschuldnerische Bürgschaftserklärungen für Forderungen von Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen gegen das Medizinische Versorgungszentrum aus dessen vertragsärztlicher Tätigkeit abgeben. Nach der Gesetzesbegründung zur Vorgängervorschrift in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Vertragsarztrechts (VÄndG vom 22.12.2006 – BGBl. I S. 3439), nach der medizinische Versorgungszentren noch von allen juristischen Personen des Privatrechts gegründet werden konnten, sollten kooperative Versorgungsformen, die in der Rechtsform einer juristischen Person organisiert sind, haftungsrechtlich den als Personengesellschaft organisierten kooperativen Organisationsformen (Gemeinschaftspraxis, MVZ in der Freiberuflervariante) in einem wichtigen Bereich gleichgestellt werden. Vertragsärzte, die als Einzelpersonen (Einzelpraxis) oder als Gesamthand (Berufsausübungsgemeinschaft) in vertragsarztrechtlicher Beziehung zu einer Kassenärztlichen Vereinigung und zu Krankenkassen stehen, haften persönlich für Ansprüche dieser Institutionen mit ihrem Privatvermögen. Diese Haftungserstreckung soll zum Schutz der Gemeinschaft der anderen in der Kassenärztlichen Vereinigung durch Pflichtmitgliedschaft organisierten vertragsärztlichen Leistungserbringer und zum Schutz der Solidargemeinschaft der Versicherten auch für Rechtsansprüche von Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen gelten. Die Änderung des § 95 Abs. 1a Satz 1 SGB V durch das Versorgungsstrukturgesetz mit der Beschränkung der Rechtsform eines MVZ auf Personengesellschaften, Genossenschaften und auf die GmbH sollte nach der Gesetzesbegründung (Bt-Drs. 17/6906, S. 71) die Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen von Kapitalinteressen, wie sie insbesondere bei Aktiengesellschaften zu befürchten sind, stärken. Die Änderung des Abs. 2 Satz 6 stellte lediglich eine Folgeänderung zu der Beschränkung der zulässigen Rechtsformen in Abs. 1a dar. Es ist für den Senat nicht ersichtlich, dass in der Vorschrift des § 95 Abs. 2 Satz 6 SGB V eine Sperrwirkung für Regelungen von KVen auf der Ebene der Abrechnungsbestimmungen liegt. Der Zulassungsstatus der Klägerinnen wird durch die streitgegenständliche Abrechnungsbestimmung der Beklagten in keiner Weise berührt.
Auch die vorgelegte Stellungnahme des BMG führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Anfrage an das BMG bezog sich insbesondere nicht auf Bürgschaften im Zusammenhang mit Abschlagszahlungen, sondern auf eine Auslegung einer KV dahingehend, bei MVZ in der Rechtsform einer GmbH, deren Gesellschafterin wiederum eine GmbH ist, die für die Zulassung des MVZ nach § 95 Abs. 2 Satz 6 SGB V erforderlichen Bürgschaftserklärungen nicht von der Gesellschafterin, der GmbH, sondern von den dahinterstehenden natürlichen oder juristischen Personen einzufordern. Dieser Auslegung hat das BMG, bestätigt durch Urteil des BSG vom 22.10.2014, B 6 KA 36/13 R, widersprochen. Der Wortlaut des § 95 Abs. 2 Satz 6 SGB V sei insoweit eindeutig, als die Bürgschaftserklärung von dem „Gesellschafter“ und nicht von den dahinterstehenden natürlichen oder juristischen Personen abzugeben sei. Zudem betrifft auch die Stellungnahme des BMG und das Urteil des BSG vom 22.10.2014 wiederum nur § 95 Abs. 2 Satz 6 SGB V mit seiner zulassungsrechtlichen Konsequenz, so dass sich daraus für die hier streitige Frage im Zusammenhang mit Abrechnungsmodalitäten keine Erkenntnisse ergeben.
Auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht erkennbar. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Normgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt aber das Grundrecht des Art. 3 GG, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal ergeben sich dabei unterschiedliche Grenzen für den Normgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Normgeber berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 21.06.2006, 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164, 182/183). Entscheidendes Kriterium für die Anwendung des einschlägigen Rechtfertigungsmaßstabes ist die Intensität der Ungleichbehandlung, wobei insbesondere danach zu unterscheiden ist, ob die Ungleichbehandlung unmittelbar an personenbezogene Merkmale und nicht verhaltensbezogene Umstände anknüpft, was umso schwerwiegender wirkt, je mehr sich die personenbezogenen Merkmale den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten annähern (vgl. BVerfGE 88, 87, 96). Bei lediglich verhaltensbezogenen Merkmalen kommt es darauf an, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird (vgl. BVerfGE 88, 87, 96). Auch nachteilige Auswirkungen auf grundrechtlich gesicherte Freiheiten sind mitzuberücksichtigen (vgl. BVerfGE 82, 126, 146).
Ausgehend von diesen Kriterien ist vorliegend festzustellen, dass die unterschiedliche Behandlung bei der Gewährung der Abschlagszahlungen nicht an personenbezogene Merkmale anknüpft, sondern überwiegend verhaltensbezogene Umstände aufgreift, die zudem von den Betroffenen beeinflusst werden können. Von daher rechtfertigt bereits ein sachlich einleuchtender Grund die Ungleichbehandlung. Unabhängig davon, ob man die Klägerinnen mit einem in Einzelpraxis tätigen Arzt oder mehreren im Rahmen einer Berufsausübungsgemeinschaft tätigen Ärzten oder einem MVZ in der Organisationsform einer juristischen Person des Privatrechts, deren Gesellschafter ausschließlich natürliche Personen sind, vergleicht, ergibt sich ein ausreichender sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung durch die unterschiedliche rechtliche Ausgestaltung der Haftung. Sinn und Zweck der Rechtsform einer GmbH liegen gerade darin, den Gesellschaftern mit Gründung der Gesellschaft zu ermöglichen, am Rechtsverkehr ohne persönliches Haftungsrisiko teilzunehmen. Unvermeidliche Folge hiervon ist, dass Gläubiger grundsätzlich jedenfalls das Risiko des unternehmerischen Misserfolges im Falle der Insolvenz oder ihrer Ablehnung mangels Masse mitzutragen haben (zur Rechtslage bezüglich Honoraransprüchen in der Insolvenz vgl. BSG, Urteil vom 17.08.2011, Az.: B 6 KA 24/10 R), soweit sie sich nicht weitergehend abgesichert haben. Während ein Vertragsarzt in Einzelpraxis oder mehrere Vertragsärzte im Rahmen einer Berufsausübungsgemeinschaft neben der Haftung der Praxis selbst mit ihrem gesamten privaten Vermögen haften (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 20.10.2004, SozR 4-2500 § 116 Nr. 6), kann sich ein MVZ in der rechtlichen Gestaltung der Klägerinnen auf die Beschränkung der Haftung in Höhe des Gesellschaftsvermögens berufen, § 13 Abs. 2 GmbHG. Ein Durchgriff auf das Privatvermögen der Gesellschafter ist nur unter ganz engen, vom BGH zuletzt nochmals verschärften Anforderungen (vgl. BGH, BHGZ 176, 204 = NJW 2008, 2437) möglich. Aber auch bei Annahme einer sehr starken Ungleichbehandlung mit der Folge der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als Prüfungsmaßstab kann eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes in Art. 3 Abs. 1 GG nicht festgestellt werden. Die zu prüfenden Merkmale der Zweckmäßigkeit, Geeignetheit und Erforderlichkeit der gewählten Maßnahme (Verknüpfung der Abschlagszahlung mit der Vorlage einer Bankbürgschaft) sind gegeben, weil das eingesetzte Mittel generell geeignet ist, den angestrebten Zweck (zusätzliche Sicherung von Forderungen) zu dienen und kein milderes, den Betroffenen weniger belastendes Mittel erkennbar ist, das ebenso wirksam wäre. Hinsichtlich der Erforderlichkeit ist zu beachten, dass dem Normgeber insoweit ein weiter Beurteilungsspielraum eingeräumt ist. Das eingesetzte Mittel der Vorlage einer selbstschuldnerischen Bankbürgschaft ist auch angemessen, denn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe ist die Grenze der Zumutbarkeit noch nicht überschritten. Zudem hat die Beklagte auch nachvollziehbar dargelegt, warum die Bankbürgschaft in Höhe von drei Abschlagszahlungen nicht ausreichend ist, sondern fünf Abschlagszahlungen durch Bankbürgschaft abzusichern sind. Mit Einreichung der Abrechnung am 10. des auf das Abrechnungsquartal folgenden Monats steht die Honorarhöhe noch nicht fest, denn es folgen noch sachlich-rechnerische Richtigstellungen, die Umsetzung bundeseinheitlicher Vergütungsregelungen und die Anwendung von Honorarverteilungsregelungen. Nach Darstellung der Beklagten, an deren Richtigkeit der Senat keine Zweifel hat, steht damit erst nach mehr als sechs Monaten nach Beginn des Abrechnungsquartals die konkrete Höhe des Bruttohonorars fest, so dass das 5fache der Abschlagszahlung noch angemessen ist. Die Vorschrift des § 5 Abs. 1a der Abrechnungsbestimmungen der Beklagten ist daher als wirksam anzusehen.
Das SG hat die Klage daher zu Recht abgewiesen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht erkennbar (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).


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