Europarecht

Herbeiführung des erledigenden Ereignisses durch die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids

Aktenzeichen  20 BV 18.2645

Datum:
18.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2020, 353
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 155 Abs. 4, § 161 Abs. 2
GDVG Art. 34 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Nr. 3
GesVSV § 9 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Ein Zuständigkeitsfeststellungsbescheid ist eine behördliche Verfahrenshandlung iSd § 44a S. 1 VwGO. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist ein Kläger aufgrund einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung veranlasst, gegen einen wegen § 44a VwGO nicht angreifbaren Bescheid Klage zu erheben, hat in der Regel der Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 5 K 17.2071 2018-11-15 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. November 2018 ist unwirksam geworden.
III. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
IV. Der Streitwert wird für das Verfahren in beiden Rechtszügen auf 5.000,– ? festgesetzt.

Gründe

Aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten ist das Verfahren einzustellen und das Urteil vom 15. November 2018 für unwirksam zu erklären (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 3 VwGO analog, § 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog).
Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens durch Beschluss; der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen. Für die gemäß § 161 Abs. 2 VwGO zu treffende Kostenentscheidung nach der übereinstimmenden Erledigungserklärung der Beteiligten ist in erster Linie auf die Erfolgsaussichten der Klage abzustellen (Clausing in: Schoch/Schneider/Bier, § 161 VwGO Rn 23). Es ist zu fragen, wer den Prozess voraussichtlich gewonnen hätte, wenn das erledigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Dies ist diejenige Seite, die im Rechtstreit voraussichtlich unterlegen wäre. Dabei kommt es letztlich auf die voraussichtliche Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Verwaltungsakts an (vgl. BVerfG, B. v. 25.12.2016 – 1 BvR 1380/11 – juris = NJW 2017, 947).
1. Die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 17. November 2017, mit dem festgestellt wurde, dass die bayerische Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (KBLV) zuständig ist im Sinne von § 9 der Verordnung über den gesundheitlichen Verbraucherschutz (GesVSV), wäre zwar voraussichtlich mangels Zulässigkeit erfolglos geblieben (1.). Es entspricht aber dennoch billigem Ermessen dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil der Beklagte seinem Bescheid eine unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung:beigefügt (2.) und zudem den streitgegenständlichen Bescheid während des Berufungsverfahrens aufgehoben hat, also der Klage abgeholfen hat (3.).
1. Die von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage gegen den Zuständigkeitsfeststellungsbescheid ist unzulässig gewesen, weil Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden können (§ 44 a VwGO). Der streitgegenständliche Zuständigkeitsfeststellungsbescheid ist eine behördliche Verfahrenshandlung i.S.d. § 44a Satz 1 VwGO. Behördliche Verfahrenshandlungen i.S.d. § 44a Satz 1 VwGO sind – ungeachtet dessen, ob sie Verwaltungsakt-Charakter haben oder nicht – behördliche Handlungen, die im Zusammenhang mit einem schon begonnenen und noch nicht abgeschlossenen Verwaltungsverfahren stehen und der Vorbereitung einer regelnden Sachentscheidung dienen (vgl. nur BVerwG, U. v. 1.9.2009 – 6 C 4.09 – BVerwGE 134, 368, U. v. 20.10.2016 – 2 A 2.14 – BVerwGE 156, 193 Rn. 14, B. v. 14.3.2019 – 2 VR 5.18 – juris). Für eine Anwendung des § 44a VwGO auf den vorliegenden Sachverhalt spricht folgende Überlegung: Aus dem Gegensatz des Begriffs der Verfahrenshandlung zu dem in § 44a Satz 1 VwGO gleichfalls verwendeten Begriff der Sachentscheidung folgt, dass sich der Ausschluss selbstständiger Rechtsbehelfe grundsätzlich auf solche behördliche Maßnahmen beschränkt, die Teil eines konkreten Verwaltungsverfahrens sind, ohne selbst Sachentscheidung zu sein, ohne also ihrerseits in materielle Rechtspositionen einzugreifen (BVerwG, U. v. 1.9.2009 – 6 C 4.09 – BVerwGE 134, 368). Durch die Konzentration des Rechtsschutzes soll eine unnötige oder eventuell mehrfache Inanspruchnahme der Gerichte in derselben Sache vermieden werden, um Prozessverzögerungen entgegenzuwirken und eine effektive und zügige Erreichung des Prozesszieles zu gewährleisten (BVerwG, U. v. 1.9.2009 – 6 C 4.09 – BVerwGE 134, 368). Nach dem Vortrag der Beteiligten und dem bisherigen Sach- und Streitstand kann nicht davon ausgegangen werden, dass durch die Bestimmung der Zuständigkeit KBLV weiter in materielle Rechtspositionen der Klägerin eingegriffen wird als ohne die besondere Zuständigkeitsbestimmung, bei der es bei der Zuständigkeit der Kreisverwaltungsbehörden verbleibt. Dies ist bereits deswegen ausgeschlossen, weil die KBLV und die Kreisverwaltungsbehörde die gleichen Rechtsnormen vollziehen, die potentiell in die materielle Rechtsposition des Lebensmittelunternehmers eingreifen können. Eine möglicherweise unterschiedliche Vollzugspraxis in quantitativer und qualitativer Hinsicht berührt die materiell-rechtliche Rechtsposition der Klägerin nicht.
Aus der konkreten Ausgestaltung des Verfahrens der Bestimmung der Zuständigkeit nach § 9 Abs. 2 GesVSV kann nichts anderes hergeleitet werden. Denn § 9 Abs. 2 GesVSV, sowohl in der Fassung vom 7. Mai 2018 als auch in der Fassung vom 7. Oktober 2019, dürften wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht nichtig sein. Nach beiden Fassungen der Vorschrift ist die Kontrollbehörde statt der Kreisverwaltungsbehörden zuständige Behörde für die Kontroll- und Vollzugsaufgaben der Veterinär- und Lebensmittelüberwachung in dort enumerativ aufgezählten Fällen, sobald und solange ihre Zuständigkeit durch feststellenden Verwaltungsakt bestandskräftig festgestellt ist. Die Feststellung erfolgt von Amts wegen oder auf Antrag des Betriebsinhabers durch die Kontrollbehörde. In der zugrunde liegenden Ermächtigungsnorm des Art. 34 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Nr. 3 GDVG wird der Verordnungsgeber lediglich ermächtigt, einzelne Zuständigkeiten sachlich und örtlich zuzuweisen, nicht dagegen dazu, ein besonderes Verwaltungsverfahren mit anschließender verwaltungsgerichtlicher Überprüfbarkeit dieser Entscheidung zu etablieren. Verordnungsermächtigungen wie Art. 34 Abs. 2 Nr. 3 GDVG sind grundsätzlich eng auszulegen, denn die Regelung der Zuständigkeiten erfolgt nach Art. 77 Abs. 1 Satz 2 BV durch Gesetz. Die Einrichtung eines besonderen Verwaltungsverfahrens, an dessen Ende eine zuständigkeitsbegründende Verwaltungsentscheidung steht, ist eine wesentliche Grundentscheidung, die der formelle Gesetzgeber treffen müsste. Damit kann letztlich offen bleiben, ob eine Zuständigkeitsbestimmung, wie sie in § 9 Abs. 2 GesVSV getroffen werden sollte, grundsätzlich unter § 44a VwGO fiele.
Geht man davon aus, dass Art. 9 Abs. 2 GesVSV unwirksam ist, dürfte der Klage auch die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) fehlen, so dass die Klage auch aus diesem Grund keine Erfolgsaussichten hatte.
2. Weil die Klage nach § 44a VwGO von vorneherein unzulässig war, hat der Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid mit einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung:versehen. Aufgrund dieser Rechtsbehelfsbelehrung:ist die Klägerin veranlasst gewesen, Klage zu erheben. Damit hat aber der Beklagte die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen (vgl. Art. 155 Abs. 4 VwGO; Sodan/Ziekow, § 58 VwGO Rn 12; Schoch/Schneider/Bier, § 58 VwGO Rn 71; Eyermann/Hoppe VwGO § 58 Rn. 33). Kostenrechtliche Regelungen für besondere Fallgestaltungen können zumindest ihrem Grundgedanken nach in die Ermessensentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO einbezogen werden. Hier entspricht es in aller Regel der Billigkeit, diese Kosten dem Verursacher anzulasten (Clausing in: Schoch/Schneider/Bier, § 161 VwGO Rn 23).
3. Schließlich spricht auch der Umstand, dass der Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid während des Berufungsverfahrens aufgehoben, also das erledigende Ereignis herbeigeführt hat, für die getroffene Kostenentscheidung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die Behörde wie hier veranlasst sah, wegen der Änderung der zugrunde liegenden Rechtsverordnung – also eines Umstands aus ihrer Sphäre – den Bescheid aufzuheben (vgl. Eyermann/Schübel-Pfister, 15. Aufl. 2019, VwGO § 161 Rn. 18).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 und 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1, § 158 Abs. 2 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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