Europarecht

Inlandsungültigkeit einer tschechischen Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  11 CS 20.2065

Datum:
23.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32704
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 7 Abs. 1, Abs. 2, § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, S. 2
VwGO § 80 Abs. 5
RL 2006/126/EG Art. 2 Abs. 1, Art. 7, Art. 12

 

Leitsatz

1. Ein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis muss aufgrund der vom Ausstellungsmitgliedstaat stammenden Informationen nicht bereits von vornherein abschließend erwiesen sein. Vielmehr reicht es aus, wenn diese Informationen darauf “hinweisen”, dass ein Wohnsitzverstoß vorliegt. Dann können die Behörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats auch inländische Umstände zur Beurteilung der Frage heranziehen, ob die Wohnsitzvoraussetzung eingehalten ist (Anschluss an BVerwG BeckRS 2019, 29034 Rn. 25; s. auch VGH München BeckRS 2019, 3426 Rn. 20; BeckRS 2020, 24645 Rn. 11; stRspr). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es kann ohne besonderen Anhalt nicht unterstellt werden, dass die Behörde eines EU-Mitgliedsstaats die Fragen in einem auf europäischer Ebene abgestimmten Formular jeweils ohne Ermittlungen mit “unknown” beantwortet und damit der Sache nach keine Auskünfte erteilt (Bestätigung von VGH München BeckRS 2020, 16895 Rn. 18; BeckRS 2019, 3426 Rn. 24). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 7 S 19.2039 2020-08-21 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der Feststellung der Inlandsungültigkeit seiner tschechischen Fahrerlaubnis der Klassen A und B und der Verpflichtung zur Vorlage seines Führerscheins.
Mit Bescheid vom 2. Februar 2010 hatte das Landratsamt D* … dem Antragsteller, der am 11. November 2009 ein Fahrzeug nach Konsum von Amphetamin geführt hatte, die Fahrerlaubnis entzogen. Den hiergegen eingereichten Widerspruch hat die Regierung von Schwaben mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2010 zurückgewiesen. Eine deutsche Fahrerlaubnis wurde dem Antragsteller seither nicht mehr erteilt.
Am 25. Februar 2011 erteilte die Stadt Most (Tschechische Republik) dem Antragsteller eine Fahrerlaubnis der Klassen A und B. Bemühungen des Landratsamts in der Folgezeit, die Frage eines Wohnsitzverstoßes bei Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis zu klären, blieben zunächst erfolglos.
Mit Schreiben vom 26. Juni 2018 übersandte das Landratsamt dem Kraftfahrt-Bundesamt einen Fragebogen zur Weiterleitung an das tschechische Verkehrsministerium, um nochmals die Frage eines Wohnsitzverstoßes bei Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis zu klären. Der über das Kraftfahrt-Bundesamt zurückgeleiteten Antwort vom 3. Oktober 2018 ist zu entnehmen, dass die vom Antragsteller angegebene Unterkunft existiere („yes“). Weitere Fragen nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers für mindestens 185 Tage im Kalenderjahr, dem Aufenthalt enger Familienmitglieder, dem Ort einer selbständigen Tätigkeit des Antragstellers, dem Ort etwaigen Grundeigentums sowie dem Ort administrativer Verbindungen zu Behörden und Sozialdiensten beantwortete das Ministerium mit ‚unbekannt‘ („unknown“).
Mit Bescheid vom 15. Oktober 2019 stellte das Landratsamt fest, der Antragsteller sei nicht berechtigt, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen (Nr. 1), verpflichtete ihn zur Vorlage seines tschechischen Führerscheins zur Eintragung eines Sperrvermerks innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung des Bescheids (Nr. 2), ordnete hinsichtlich der Nrn. 1 und 2 den Sofortvollzug an (Nr. 3) und drohte für den Fall der nicht fristgerechten Vorlage des Führerscheins ein Zwangsgeld in Höhe von 500,- Euro an (Nr. 4). Die Auskunft des tschechischen Verkehrsministeriums vom 3. Oktober 2018 weise darauf hin, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis durch die tschechischen Behörden am 25. Februar 2011 dort keinen ordentlichen Wohnsitz gehabt habe. Er sei seit seiner Geburt durchgehend mit Hauptwohnsitz an seinem deutschen Wohnort gemeldet und habe dort rückwirkend zum Jahr 2009 ein Gewerbe angemeldet.
Über die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Augsburg, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden. Den Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat es mit Beschluss vom 21. August 2020 abgelehnt. Wegen der Zusage des Landratsamts gegenüber dem Gericht, bis zur Entscheidung über den Antrag von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen, fehle für den Eilantrag hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung das Rechtsschutzbedürfnis. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet, weil der Antragsteller nicht berechtigt sei, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen. Die aus der Tschechischen Republik stammenden Informationen würden auf die Nichterfüllung der Wohnsitzvoraussetzung bei der Ausstellung des Führerscheins hinweisen. Seiner Obliegenheit, substantiierte und verifizierbare Angaben zu seinem angeblichen Wohnsitz in der Tschechischen Republik zu machen, sei der Antragsteller nicht nachgekommen.
Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, lässt der Antragsteller unter dem Aktenzeichen des Parallelverfahrens (11 CS 20.2066) mit Schriftsatz vom 16. September 2020 vortragen, er habe bereits im Jahre 2011 die Umschreibung seines tschechischen Führerscheins beantragt. Diesem Antrag wäre mutmaßlich entsprochen worden, wenn er ihn weiterverfolgt hätte. Seither nehme er ohne irgendwelche Auffälligkeiten am Straßenverkehr teil. Die Informationen über einen Wohnsitzverstoß müssten von einer Behörde des Ausstellermitgliedsstaats und nicht von irgendeiner anderen Stelle stammen. Außerdem bedürfe es einer eindeutigen und positiven Feststellung der ausländischen Behörde, dass ein Wohnsitzverstoß vorliege. Bloße Zweifel und das Nichtwissen („unknown“) des Ausstellerstaats hinsichtlich etwaiger Einzelheiten bezüglich des Wohnsitzes würden hierfür nicht ausreichen. Darüber hinaus müsse die deutsche Behörde darüber informiert haben, dass der Fahrerlaubnisinhaber im Zeitpunkt der Erteilung seinen Wohnsitz im Inland gehabt habe. Daran fehle es hier. Es liege eine ganze Reihe konkreter Auskünfte über die tatsächliche Existenz eines Wohnorts des Antragstellers in der Tschechischen Republik vor.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen (Feststellung der Inlandsungültigkeit der tschechischen Fahrerlaubnis und Verpflichtung zur Vorlage des Führerscheins) bzw. anzuordnen (Zwangsgeldandrohung) wäre. Dabei geht der Senat zu Gunsten des Antragstellers davon aus, dass die Begründung seines Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 16. September 2020 sich auf das vorliegende Verfahren beziehen soll und die Beschwerde nicht bereits gemäß § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 4 VwGO wegen eines Begründungsmangels als unzulässig zu verwerfen ist.
1. a) Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2019 (BGBl I S. 1416), dürfen Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 FeV in der Bundesrepublik Deutschland haben – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV gilt die Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Information zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 FeV im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Abs. 2 FeV die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben. Über die fehlende Berechtigung kann die Behörde einen feststellenden Verwaltungsakt erlassen (§ 28 Abs. 4 Satz 2 FeV).
Ein ordentlicher Wohnsitz im Inland wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV angenommen, wenn der Betroffene wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – bei fehlenden beruflichen Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, das heißt während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt. Liegen die persönlichen Bindungen im Inland, hält sich der Betroffene aber aus beruflichen Gründen in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten der EU (oder EWR) auf, hat er seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt (§ 7 Abs. 1 Satz 3 FeV). Die Voraussetzung der regelmäßigen Rückkehr entfällt, wenn sich der Betroffene zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer in einem solchen Staat aufhält (§ 7 Abs. 1 Satz 4 FeV).
Diese Bestimmungen stehen mit Art. 2 Abs. 1, Art. 7 und Art. 12 der RL 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (Neufassung, ABl EG Nr. L 403 S.18 – RL 2006/126/EG), insbesondere mit der Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine (mit der Folge der Anerkennung der dem Dokument zugrundeliegenden Fahrerlaubnis, vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2018 – 3 C 9.17 – BVerwGE 162, 308 Rn. 28), in Einklang. Voraussetzung für die Ausstellung eines Führerscheins und für dessen Erneuerung bei Ablauf der Gültigkeitsdauer ist ein ordentlicher Wohnsitz im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats im Sinne des Art. 12 der RL 2006/126/EG oder der Nachweis eines dortigen Studiums während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten (Art. 7 Abs. 1 Buchst. e, Abs. 3 Satz 1 Buchst. b der RL 2006/126/EG). Die Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung von durch EU-Mitgliedstaaten erteilten Fahrerlaubnissen gemäß Art. 2 Abs. 1 der RL 2006/126/EG gilt nicht, wenn entweder Angaben im zugehörigen Führerschein oder andere vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen vorliegen, nach denen das Wohnsitzerfordernis nicht eingehalten wurde (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 – C-467/10, Akyüz – NJW 2012, 1341 Rn. 62; B.v. 9.7.2009 – C-445/08, Wierer – NJW 2010, 217 Rn. 51). Solche Informationen können insbesondere Angaben einer Einwohnermeldebehörde des Ausstellungsmitgliedstaats sein (EuGH, B.v. 9.7.2009 a.a.O. Rn. 61).
Zwar ist nur der Ausstellungsmitgliedstaat für die Überprüfung zuständig, ob die im Unionsrecht aufgestellten Mindestanforderungen, insbesondere die Voraussetzungen hinsichtlich des ordentlichen Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind und ob somit die Erteilung einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist. Hat ein Aufnahmemitgliedstaat triftige Gründe, die Ordnungsgemäßheit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu bezweifeln, so hat er dies dem Ausstellungsmitgliedstaat mitzuteilen. Es ist allein Sache dieses Mitgliedstaates, geeignete Maßnahmen in Bezug auf diejenigen Führerscheine zu ergreifen, bei denen sich nachträglich herausstellt, dass ihre Inhaber die vorgeschriebenen Voraussetzungen nicht erfüllten (BVerwG, B.v. 24.10.2019 – 3 B 26.19 – NJW 2020, 1600 Rn. 21 f. m.w.N.). Zu der eigenständigen Entscheidung, dem in einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung zu versagen, ist ein Aufnahmemitgliedstaat jedoch befugt, wenn aufgrund von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass die unionsrechtlich vorgesehene Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes zum Zeitpunkt der Führerscheinausstellung nicht beachtet wurde (BVerwG, B.v. 24.10.2019 a.a.O. Rn. 23). Dabei muss ein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis aufgrund der vom Ausstellungsmitgliedstaat stammenden Informationen nicht bereits von vornherein abschließend erwiesen sein (vgl. BayVGH, U.v. 4.3.2019 – 11 B 18.34 – juris Rn. 21 m.w.N.; B.v. 12.1.2018 – 11 CS 17.1257 – juris Rn. 10; B.v. 23.1.2017 – 11 ZB 16.2458 – juris Rn. 12; OVG NW, B.v. 9.1.2018 -16 B 534/17 – juris Rn. 14 ff. m.w.N). Vielmehr reicht es aus, wenn diese Informationen darauf „hinweisen“, dass ein Wohnsitzverstoß vorliegt. Dann können die Behörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats auch inländische Umstände zur Beurteilung der Frage heranziehen, ob die Wohnsitzvoraussetzung eingehalten ist (stRspr vgl. BVerwG, B.v. 24.10.2019 a.a.O. Rn. 25; BayVGH, U.v. 4.3.2019 a.a.O. Rn. 20; B.v. 12.1.2018 a.a.O. Rn. 10). Es obliegt dann dem Inhaber der Fahrerlaubnis, substantiierte und verifizierbare Angaben zu Beginn und Ende seines Aufenthalts im Ausstellungsmitgliedstaat sowie zu den persönlichen und beruflichen Bindungen zu machen, die im maßgeblichen Zeitraum zu dem im Führerschein angegebenen Wohnort bestanden. Dies gilt in besonderer Weise, wenn der Inhaber des Führerscheins gleichzeitig einen Wohnsitz in Deutschland beibehalten hat (BVerwG, B.v. 24.10.2019 a.a.O. Rn. 28).
b) Hieraus folgt zunächst, dass es dem Landratsamt nicht verwehrt war, der Frage nachzugehen, ob der Antragsteller bei der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis am 25. Februar 2011 tatsächlich einen ordentlichen Wohnsitz von mindestens 185 Tagen im Jahr in der Tschechischen Republik hatte (vgl. EuGH, U.v. 26.4.2012 – C-419/10, Hofmann – juris Rn. 90).
Die Erfüllung des Wohnsitzerfordernisses setzt insbesondere voraus, dass die aufgestellten Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Erteilung bzw. Verlängerung der Fahrerlaubnis im Ausstellungsmitgliedstaat bestehen (vgl. EuGH B.v. 9.7.2009 – C-445/08 – Wierer – EuZW 2009, 735 Rn. 51; BVerwG, U.v. 25.2.2010 – 3 C 15.09 – BVerwGE 136, 149 Rn. 22). Durch den Eintrag eines im Gebiet des Ausstellungsmitgliedstaats liegenden Wohnorts im Führerschein wird das tatsächliche Innehaben eines Wohnsitzes an diesem Ort nicht positiv und in einer Weise bewiesen, dass die Behörden und Gerichte anderer EU-Mitgliedstaaten dies als nicht zu hinterfragende Tatsache hinzunehmen hätten (vgl. BayVGH, U.v. 25.9.2012 – 11 B 10.2427 – NZV 2013, 259). Die Verpflichtung zu gegenseitiger Amtshilfe nach Art. 15 Satz 1 der RL 2006/126/EG vermittelt dem Aufnahmemitgliedstaat vielmehr das Recht, sich im Zweifelsfall bei den Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats über das tatsächliche Bestehen eines ordentlichen Wohnsitzes zu erkundigen. Dem steht die Verpflichtung dieses Staats gegenüber, einschlägige Informationen zur Verfügung zu stellen (vgl. BayVGH, U.v. 7.5.2015 – 11 B 14.654 – juris Rn. 33).
Der Antragsteller ist seit seiner Geburt durchgehend mit Wohnsitz in M* … gemeldet und hat dort auch rückwirkend und unbestritten zum Jahr 2009 ein Gewerbe angemeldet. Daraus ergeben sich berechtigte Zweifel hinsichtlich der Einhaltung des Wohnsitzerfordernisses im Zeitpunkt der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis, denen das Landratsamt nachgehen durfte.
Dem steht nicht entgegen dass das Landratsamt zunächst aufgrund seiner Rechtsauffassung, die tschechische Fahrerlaubnis sei anzuerkennen und berechtige den Antragsteller, davon im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen (Aktenvermerke vom 7.5.2012, vom 11.5.2012 und vom 14.6.2012, Bl. 264 der Behördenakte), keine weiteren Ermittlungen hinsichtlich eines Wohnsitzverstoßes durchgeführt und diese erst aufgrund einer polizeilichen Nachfrage vom 22. Juni 2018 (Bl. 367 der Behördenakte) wieder aufgenommen hat. Es kann dahinstehen, ob Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes im Rahmen sicherheitsrechtlicher Befugnisse, die nicht im Ermessen der Behörde stehen, überhaupt in Betracht kommen (vgl. zur Rechtsfigur der Verwirkung BayVGH, B.v. 19.8.2019 – 11 ZB 19.1256 – juris Rn. 15; B.v. 30.3.2020 – 11 CS 20.123 – juris Rn. 32 m.w.N.). Weder der Zeitablauf noch sonstige Umstände wie etwa seine weitere Teilnahme am Straßenverkehr begründen ein schutzwürdiges Vertrauen des Antragstellers darauf, das Landratsamt werde keine weiteren Ermittlungen hinsichtlich einer etwaigen Verletzung des Wohnsitzprinzips durchführen und bei neu gewonnenen Erkenntnissen darauf keine Maßnahmen stützen. Ein „Gewohnheitsrecht“ dergestalt, dass eine langjährige straffreie Verkehrsteilnahme oder eine Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Anerkennungspflicht führen könnte, gibt es nicht.
Mit seinem Einwand, die deutsche Behörde müsse darüber informiert haben, dass der Fahrerlaubnisinhaber im Zeitpunkt der Erteilung seinen Wohnsitz im Inland gehabt habe, kann der Antragsteller schon deshalb nicht durchdringen, weil das Landratsamt das Kraftfahrt-Bundesamt bei seiner Anfrage vom 26. Juni 2018 ausdrücklich auf diesen Umstand hingewiesen und das Kraftfahrt-Bundesamt in dem an das tschechische Verkehrsministerium weitergeleiteten Fragebogen ebenfalls den durchgehenden Wohnsitz des Antragstellers in Deutschland angegeben hat (Bl. 373 und 380 der Behördenakte).
c) Die Zweifel des Landratsamts hinsichtlich des erforderlichen Wohnsitzes des Antragstellers in der Tschechischen Republik bei Erteilung der Fahrerlaubnis haben sich durch die über das Kraftfahrt-Bundesamt eingeholte Auskunft des tschechischen Verkehrsministeriums vom 3. Oktober 2018 erhärtet. Es handelt sich dabei um vom Ausstellungsmitgliedstaat stammende Informationen, die darauf hinweisen, dass ein Wohnsitzverstoß vorliegt. Das tschechische Verkehrsministerium bestätigt in dem rückgesandten Fragebogen lediglich die Existenz der vom Antragsteller angegebenen Unterkunft, was allerdings nichts darüber besagt, dass er dort auch gewohnt hätte. Alle weiteren relevanten Fragen nach einem gewöhnlichen Wohnort des Antragstellers in der Tschechischen Republik während mindestens 185 Tagen im Jahr, nach familiären, beruflichen oder eigentumsbezogenen Bindungen in der Tschechischen Republik oder nach Kontakten zu dortigen Behörden oder sonstigen öffentlichen Stellen hat das Ministerium mit ‚unbekannt‘ („unknown“) beantwortet. Dies durfte das Landratsamt unter den gegebenen Umständen als ausreichenden Hinweis auf einen Scheinwohnsitz werten. Ohne besonderen Anhalt kann nicht unterstellt werden, dass die Behörde eines EU-Mitgliedsstaats die Fragen in einem auf europäischer Ebene abgestimmten Formular jeweils ohne Ermittlungen mit „unknown“ beantwortet und damit der Sache nach keine Auskünfte erteilt (BayVGH, B.v. 4.3.2019 – 11 B 18.34 – juris Rn. 24; B.v. 7.7.2020 – 11 ZB 19.2112 – juris Rn. 18); zumal wenn der betreffende EU-Mitgliedstaat wie die Tschechische Republik ein Ausländer-, Einwohnermelde- und Gewerberegister führt (wikipedia zu „Melderegister“; Offizielle Webseiten des Innenministeriums der Tschechischen Republik [www.mvcr.cz] in englischer Sprache; Offizielle Website der EU `european-justice´ zur Tschechischen Republik).
d) Es hätte daher dem Antragsteller oblegen, vor Erlass des Bescheids nähere Angaben zu seinem Aufenthalt in der Tschechischen Republik zu machen. Hierfür ist die bloße Behauptung im Schreiben seines damaligen Bevollmächtigten vom 1. August 2019, er habe „im Jahre 2011 und davor eine Wohnung in der Tschechischen Republik bis zum heutigen Tage“ unterhalten, nicht ausreichend.
Abgesehen davon, dass allein das „Unterhalten“ einer Wohnung nichts darüber aussagt, ob der Wohnungsinhaber auch tatsächlich dort wohnt, hat der Antragsteller zunächst keine näheren Angaben zur Dauer und zum Zweck seines angeblichen Aufenthalts in der Tschechischen Republik gemacht. Seine im Klageverfahren und damit nach Erlass des Bescheids unter Vorlage eines Mietvertrags vorgebrachte Erklärung, er habe sich Anfang Mai 2009 in die Tschechische Republik begeben, um dort eine Arbeitsstelle als Maler zu suchen, und habe dort am 4. Mai 2009 einen Mietvertrag mit einer Laufzeit bis 2013 über eine Ein-Zimmer-Wohnung im Haus des Vermieters in 5..4401 Dvur Králové abgeschlossen, ist ebenfalls nicht plausibel. Zum einen ist dieser Ort ca. 100 km Luftlinie in östlicher Richtung von Most entfernt, wo dem Antragsteller am 25. Februar 2011 die Fahrerlaubnis erteilt wurde. Zum anderen hat das Landratsamt in seiner Antragserwiderung vom 10. Dezember 2019 zu Recht darauf hingewiesen, dass die Verwendung eines Mietvertragformulars in deutscher Sprache für eine Wohnung in der Tschechischen Republik lebensfremd erscheint und neben weiteren Umständen erklärungsbedürftig ist. Diese Erklärung ist der Antragsteller schuldig geblieben. Die Behauptung seines Bevollmächtigten in der Beschwerdebegründung, es gebe „eine ganze Reihe von konkreten und demzufolge positiven Auskünften über die tatsächliche Existenz eines Wohnortes“, enthält keinerlei Angaben, die eine Überprüfung dieser Behauptung ermöglichen würden. Damit durfte das Landratsamt von der Inlandsungültigkeit der tschechischen Fahrerlaubnis wegen einer Verletzung des Wohnsitzprinzips ausgehen und dies in dem angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV feststellen. Die Verpflichtung des Antragstellers, den Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen, ergibt sich aus § 47 Abs. 2 Satz 1 FeV.
2. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5, 46.1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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