Europarecht

Kaufpreis, Fahrzeug, Marke, Annahmeverzug, Berufung, Rechtsanwaltskosten, betrug, Zeitpunkt, Zeichen, Gebrauchtwagen, Rechtsmittel, Pkw, Feststellung, Kilometerstand, Zug um Zug, Die Fortbildung des Rechts, Fortbildung des Rechts

Aktenzeichen  3 U 59/22

Datum:
13.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 18699
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

33 O 329/21 2022-02-22 Urt LGHOF LG Hof

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Hof vom 22.02.2022, Aktenzeichen 33 O 329/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Hof ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags die vorläufige Vollstreckung abwenden, soweit nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 28.562,44 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klagepartei nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
1. Die Klagepartei erwarb am 20.07.2020 von einem Dritten einen Gebrauchtwagen der Marke VW, Typ Tiguan zum Kaufpreis von 30.000,00 € (Anlage K 1). Zum Zeitpunkt des Kaufs betrug der Kilometerstand des Fahrzeugs 52.100 km, zum 08.02.2022 betrug er 63.979 km. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 288 (2,0 I, Euro 6, SCR) ausgestattet. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt betroffen.
2. Die Klagepartei hat in erster Instanz vorgetragen, in dem von ihr erworbenen Fahrzeug kämen mit Wissen und Wollen des Vorstands der Beklagten mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen zum Einsatz (Zykluserkennung, Manipulation des SCR-Systems, Thermofenster, Fahrkurve, Lenkwinkelerkennung). Zudem sei das On-Board-Diagnosesystem manipuliert worden. Auf dieser Grundlage hat die Klagepartei in erster Instanz zuletzt beantragt,
1.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 29.261,80 € (Kaufpreis abzüglich der bereits als möglich berechenbaren Nutzungsentschädigung mit Kilometerstand bei Klageeinreichung) abzüglich einer weiter zu berechnenden vom Gericht auf Basis einer Gesamtlaufleistung von zumindest 300.000 km zu schätzenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Zugrundelegung des Kilometerstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung 1. Instanz zzgl. Zinsen aus dem sich dadurch ergebenden Klageforderungsbetrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Volkswagen Tiguan mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer^ …l
2.Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3.Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.501,19 € freizustellen.
3.Die Beklagte ist dem Vortrag der Klagepartei in erster Instanz entgegengetreten und hat Klageabweisung beantragt. Sie hat auf das Klagevorbringen insbesondere erwidert, im streitgegenständlichen Fahrzeug sei nie eine Fahrkurvenerkennung hinterlegt gewesen sei (Seiten 10,11 und 48 der Klageerwiderung).
4.Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 22.02.2022 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt; Das Gericht sei davon überzeugt, dass eine Fahrkurve im Pkw der Klägerin nicht verbaut sei und auch zu keiner Zeit gewesen sei. Auch das Vorhandensein von sogenannten Lenkwinkelsensoren, die das Gericht auf Grundlage des plausiblen Beklagtenvortrages für technisch notwendig im Rahmen der Sicherheitssysteme erachte, führe zu keiner anderen Beurteilung. Die Klagepartei stelle selbst nicht in Abrede, dass Lenkwinkelsensoren zum Beispiel zur sicheren Funktion der Antischlupfregelung und des elektronische Stabilitätsprogramms erforderlich seien. Auch insofern bleibe die Klagepartei eine Erklärung schuldig, wie sie darauf komme, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug die Lenkwinkelerkennung verbaut sei, um Einfluss auf die Emissionskontrolle zu nehmen. Das On-Board-Diagnose-System sei bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht geeignet, die Voraussetzungen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 zu erfüllen. Das Inverkehrbringen eines mit einem Thermofenster konzipierten Fahrzeugs stelle sich subjektiv nicht als vorsätzliche sittenwidrige Handlung der Beklagten dar.
Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz im Übrigen wird Bezug genommen auf die Feststellungen im angegriffenen Ersturteil (§ 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO).
5. Gegen das vorgenannte Endurteil wendet sich die zulässige Berufung der Klagepartei. Sie trägt zu deren Begründung im Wesentlichen vor; Hauptansatzpunkt des Verfahrens sei nicht das Thermofenster, sondern die Zykluserkennung mit Auswirkungen auf das Abgasverhalten. Das Fahrzeug erkenne den Prüfstand und ändere daraufhin sein Abgasverhalten. Das Landgericht Überspanne die Substantiierungsforderungen. Die Klägerschaft habe vorgetragen, dass in das streitgegenständliche Fahrzeug ein Motor mit dem Motortyp EA 288 mit der Euro-Norm 6 eingebaut sei. Zum Vorliegen der Abschaltvorrichtung habe die Klägerseite konkret vorgetragen, dass das Fahrzeug auf Grund einer Weg-Zeit-Sensierung erkenne, ob sich das Fahrzeug auf dem behördlichen Prüfstand des NEFZ oder im realen Straßenverkehr befinde. Abhängig davon arbeite das Emissionskontrollsystem mit der Folge, dass die gesetzlichen Vorgaben lediglich auf dem Prüfstand erreicht und die Emissionswerte ge schönt würden. Über all das habe die Beklagte das KBA getäuscht.
Die Klagepartei beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 28.562,44 € zzgl. Zinsen hier aus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Volkswagen Tiguan mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsver folgungskosten in Höhe von 1.501,19 € freizustellen.
Wegen des Vorbringens der Klagepartei im Berufungsverfahren im Übrigen wird Bezug ge nommen auf die Berufungsbegründung vom 11.05.2022.
II.
Die Berufung der Klägerin gegen das ürteil des Landgerichts Hof vom 22.02.2022, Akten’ Zeichen 33 O 329/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auf fassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssa ehe auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfor dert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweisbeschluss des Senats vom 18.05.2022 Bezug genommen. Die Ausführungen der Klägerin in der Stellungnahme vom 08.06.2022 zu dem Hinweisbeschluss des Senats, die der Senat zur Kenntnis genommen und enA/ogen hat, geben auch nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage keine Veranlas sung zu einer abweichenden Beurteilung. Insoweit sind nur die nachfolgenden ergänzenden An merkungen veranlasst:
1. Anders als die Stellungnahme vom 08.06.2022 Glauben machen will, war die „angeblich fehlende Fahrkurve“ das zentrale Argument der Berufungsbegründung. In dieser wurde unter anderem ausgeführt:
„Hauptansatzpunkt des Verfahrens war nicht das Thermofenster, sondern die Zykluserkennung mit Auswirkungen auf das Abgasverhalten. Es geht nicht nur um die alleinige Erkennung des Prüfstandes, sondern um die gezielte Einwirkung hierdurch. Das Fahrzeug erkennt den Prüfstand und ändert daraufhin sein Abgasverhalten. Um „nennenswerte“ Veränderungen geht es dabei gar nicht, sondern um die gezielte Schönung der Abgaswerte.“ (dort Seite 2)
„Zum Vorliegen der Abschaltvorrichtung hat die Klägerseite konkret vorgetragen, dass das Fahrzeug auf Grund einer Weg-Zeit-Sensierung erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem behördlichen Prüfstand des NEFZ oder im realen Straßenverkehr befindet. Abhängig davon arbeitet das Emissionskontrollsystem mit der Folge, dass die gesetzlichen Vorgaben lediglich auf dem Prüfstand erreicht werden bzw. die Emissionswerte geschönt werden.“ (dort Seite 4)
„A. Abgasreinigung mittels AGR/SCR-Katalysator – Manipulation des „Wechselspiels“
Vorliegend setzt die Beklagte für die Abgasreinigung sowohl eine Abgasrückführung als auch einen SCR-Katalysator ein. Dessen Verhältnis zueinander wird durch Erkennen der Prüfsituation durch die Beklagte verändert. Die Beklagte setzt auf dem Prüfstand eine Abgasreinigung ein, welche im Realbetrieb nicht stattfindet. Hierüber täuschte sie zudem das KBA.“ (dort Seite 4)
Die angesprochene Weg-Zeit-Sensierung ist nichts anderes als die sog. Fahrkurve. Auch im Folgenden argumentiert die Klagepartei zunächst mit den Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA 288, die ausdrücklich – auch mit Blick auf das SCR-System – von „Fahrkurven“ sprechen. Insbesondere in den Passagen, in denen der angeblich dem KBA unbekannte Sachverhalt dargestellt und aus Schriftsätzen der Beklagtenseite zitiert wird (Seite 12 ff. der Berufungsbegründung), ist durchweg von „Fahrkurvenerkennung“ oder „Fahrkurve“ die Rede.
Vor diesem Hintergrund ist die Feststellung des Landgerichts, eine Fahrkurve sei im Fahrzeug der Klagepartei nie vorhanden gewesen, entscheidungserheblich. Dies unterscheiden den Streitfall zudem offensichtlich von demjenigen, der dem Urteil des OLG Köln vom 10.03.2022 zugrunde lag. Soweit die Stellungnahme vom 08.06.2022 dem Senat nahelegt, die Feststellung des Landgerichts „kritisch zu hinterfragen“, verkennt sie die innerprozessuale Bindungswirkung (§ 529 ZPO) und die Anforderungen an den entsprechenden Vortrag in einer Berufungsbegründung.
2. Die Feststellung des Landgerichts entzieht auch dem weiteren Vorbringen der Klagepartei die Grundlage, die Fahrkurve sei (nur) „ein kleiner Baustein der gesamten Zykluserkennung“ (Seite 18 ff. der Berufungsbegründung), denn dieser Vortrag ist folglich offenkundig unzutreffend, wenn eine Fahrkurve nie vorhanden war. Soweit nunmehr vorgetragen wird, die „Umschaltung“ geschehe „auch ohne Fahrkurve“ (Seite 6 der Stellungnahme), ist diese weitere Sachverhaltsvariante neu und damit verspätet.
3. Da die Klagepartei somit keine Zykluserkennung dargelegt hat, kommt es auf die Frage, was das KBA diesbezüglich wusste oder nicht wusste, nicht an.
4. Aus dem gleichen Grund sind die beim EuGH anhängigen Verfahren nicht vorgreiflich, sodass der Senat keinen Anlass sieht, das Verfahren nach § 148 ZPO auszusetzen.
Überdies entspricht es bislang der – für den Senat verbindlichen – höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die von der Klägerin genannten Vorschriften keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sind. Soweit der Generalanwalt Rantos in seinen Schlussanträgen vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 (ECLI:ECLI:EU:C:2022:420) eine abweichende Ansicht vertritt, ist diese zum jetzigen Zeitpunkt weder für die deutschen Gerichte noch für den Gerichtshof der Europäischen Union rechtsverbindlich. Vielmehr erteilt der EuGH von sich aus den Hinweis: „Die Schlussanträge sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe der Generalanwältin oder des Generalanwalts ist es, dem Genchtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richterinnen und Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet“ (Pressemitteilung des Gerichtshofs Nr. 95/22 vom 02.06.2022).
Folglich ist auch der Antrag der Klagepartei, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, abzulehnen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgt gemäß §§ 708 Nr. 10 Satz 2, 709 Satz 2, 711 ZPO.


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