Europarecht

Kaufvertrag über ein vom sog. Dieselskandal betroffenes Fahrzeug: Fehlende Eignung für die gewöhnliche Verwendung; Ersatzbeschaffung bei Unmöglichkeit der Lieferung einer dem Kaufgegenstand vollständig entsprechenden Sache; Ersetzung der Kaufsache durch eine gleichartige und gleichwertige Sache; Beschaffungspflicht des Verkäufers bei Lieferbarkeit lediglich eines Nachfolgemodells; Austauschbarkeit von Kaufgegenstand und Ersatzsache beim Verbrauchsgüterkauf nur innerhalb der regelmäßigen kaufrechtlichen Verjährungsfrist

Aktenzeichen  VIII ZR 254/20

Datum:
21.7.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:210721UVIIIZR254.20.0
Normen:
§ 133 BGB
§ 157 BGB
§ 275 Abs 1 BGB
§ 434 Abs 1 S 2 Nr 2 BGB
§ 437 Nr 1 BGB
§ 438 Abs 1 Nr 3 BGB
§ 439 Abs 1 Alt 2 BGB
Art 3 Nr 10 EGV 715/2007
Art 5 Abs 2 S 1 EGV 715/2007
Spruchkörper:
8. Zivilsenat

Leitsatz

1. Einem Fahrzeug fehlt die Eignung für die gewöhnliche Verwendung im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB, wenn es bei Übergabe an den Käufer mit einer – den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduzierenden – Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 Verordnung 715/2007/EG versehen ist, die gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Verordnung 715/2007/EG unzulässig ist. Denn in einem solchen Fall besteht eine (latente) Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde, so dass der weitere (ungestörte) Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr nicht gewährleistet ist (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 8. Januar 2019 – VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133).
2a. Die Lieferung einer mangelfreien Sache gemäß § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB beschränkt sich nicht zwangsläufig auf eine mit dem Kaufgegenstand (abgesehen von der Mangelhaftigkeit) identische Sache.
2b. Vielmehr hängt die Möglichkeit einer Ersatzbeschaffung bei Unmöglichkeit der Lieferung einer dem Kaufgegenstand vollständig entsprechenden (mangelfreien) Sache im jeweiligen Einzelfall entscheidend davon ab, ob und wodurch nach dem durch interessengerechte Auslegung zu ermittelnden Willen der Parteien (§§ 133, 157 BGB) bei Vertragsschluss eine Nachlieferung in Betracht kommen sollte (im Anschluss an Senatsurteile vom 7. Juni 2006 – VIII ZR 209/05, BGHZ 168, 64 Rn. 23; vom 11. Dezember 2019 – VIII ZR 361/18, BGHZ 224, 195 Rn. 41 und Senatsbeschluss vom 8. Januar 2019 – VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133 Rn. 30 ff.; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. November 2017 – X ZR 111/16, NJW 2018, 789 Rn. 8).
2c. Eine Ersatzlieferung ist nach der – die beiderseitigen Interessen in den Blick nehmenden – Vorstellung der Parteien daher grundsätzlich bereits dann möglich, wenn die Kaufsache im Falle ihrer Mangelhaftigkeit durch eine gleichartige und – funktionell sowie vertragsmäßig – gleichwertige ersetzt werden kann (im Anschluss an Senatsurteile vom 7. Juni 2006 – VIII ZR 209/05, BGHZ 168, 64 Rn. 23; vom 11. Dezember 2019 – VIII ZR 361/18, BGHZ 224, 195 Rn. 41 und Senatsbeschluss vom 8. Januar 2019 – VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133 Rn. 30 ff.; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. November 2017 – X ZR 111/16, NJW 2018, 789 Rn. 8).
Entscheidend ist dabei letztlich, ob und in welchem Umfang der Verkäufer – nach dem im jeweiligen Fall zu ermittelnden übereinstimmenden Willen der Parteien – bei Vertragsschluss eine Beschaffungspflicht für den Fall einer Nacherfüllung übernommen hat (im Anschluss an Senatsurteile vom 17. Oktober 2018 – VIII ZR 212/17, BGHZ 220, 77 Rn. 20; vom 24. Oktober 2018 – VIII ZR 66/17, BGHZ 220, 134 Rn. 40 und vom 11. Dezember 2019 – VIII ZR 361/18, aaO; Senatsbeschluss vom 8. Januar 2019 – VIII ZR 225/17, BGHZ 224, 195).
2d. Ist lediglich ein Nachfolgemodell der erworbenen Sache (insbesondere eines Fahrzeugs) lieferbar, kann bei der gebotenen nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung die den Verkäufer eines Verbrauchsguts treffende Beschaffungspflicht im Hinblick darauf, dass der Verbraucher eine Nutzungsentschädigung für die fortlaufend an Wert verlierende mangelhafte Kaufsache nicht zu zahlen hat, von vornherein nicht zeitlich unbegrenzt gelten.
3. Eine Austauschbarkeit von Kaufgegenstand und Ersatzsache ist beim Verbrauchsgüterkauf – vor allem beim Kauf von Fahrzeugen, die bereits nach kurzer Zeit einen deutlichen Wertverlust erleiden – grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn der Verbraucher sein Nachlieferungsbegehren innerhalb eines in der Länge der regelmäßigen kaufrechtlichen Verjährungsfrist (zwei Jahre – § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB) angelehnten Zeitraums – beginnend ab dem für die Willensbildung maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses – geltend macht (Fortentwicklung von Senatsbeschluss vom 8. Januar 2019 – VIII ZR 225/17, aaO).

Verfahrensgang

vorgehend OLG Köln, 30. Juli 2020, Az: 18 U 59/18vorgehend LG Aachen, 13. April 2018, Az: 8 O 264/17

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 30. Juli 2020 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 13. April 2018 wird zurückgewiesen, soweit er Nachlieferung, Feststellung des Verzugs der Beklagten mit der Nachlieferung und deren Annahmeverzugs mit der Rücknahme des ausgelieferten Fahrzeugs im Rahmen der Nacherfüllung sowie Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten verlangt hat.
Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Aufgrund eines Kaufvertrags vom 20. April 2009 erwarb der Kläger von der Beklagten, einer Volkswagen-Vertragshändlerin, einen fabrikneuen VW Tiguan ITrack & Field 4MOTION 2,0 l (170 PS) zu einem Preis von 27.618,64 €. Dieses Fahrzeug ist mit einem 2,0-Liter-Dieselmotor des Typs EA 189 (Abgasnorm Euro 5) der Volkswagen AG ausgestattet, dessen Motorsteuerungssoftware den Prüfstandlauf erkennt und in diesem Fall über eine entsprechende Programmierung den Ausstoß an Stickoxiden (NOx-Werte) verringert, indem sie in den “Modus 1” schaltet, bei dem eine höhere Abgasrückführung als bei dem im normalen Fahrbetrieb aktivierten “Modus 0” stattfindet. Das Kraftfahrtbundesamt beanstandete die Software als unzulässige Abschalteinrichtung.
2
Nachdem die Verwendung entsprechender Vorrichtungen bei Dieselmotoren des Typs EA 189 im Rahmen des sogenannten Dieselskandals öffentlich bekannt geworden war, rügte der Kläger die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs und forderte die Erklärung eines Verjährungsverzichts. Die Beklagte wies mit Schreiben vom 4. Oktober 2016 auf ein vom Fahrzeughersteller entwickeltes, vom Kraftfahrtbundesamt zwischenzeitlich freigegebenes Software-Update hin und verzichtete bis zum 31. Dezember 2017 auf die Erhebung der Verjährungseinrede im Hinblick auf etwaige Ansprüche, die im Zusammenhang mit der in Fahrzeugen mit dem Motortyp EA 189 eingebauten Software bestünden, auch soweit diese bereits verjährt seien.
3
Mit Schreiben vom 7. März 2017 lehnte der Kläger eine Nachbesserung durch das Aufspielen eines Software-Updates ab und verlangte stattdessen unter Fristsetzung bis zum 27. März 2017 die Nachlieferung eines fabrikneuen typengleichen Ersatzfahrzeugs. Dem kam die Beklagte nicht nach.
4
Das vom Kläger im Jahr 2009 erworbene Fahrzeugmodell wird seit dem Jahr 2013 nicht mehr hergestellt. Stattdessen wird als Nachfolgemodell der Volkswagen Tiguan II Offroad angeboten, welcher sich vor allem in Bezug auf Baureihe, Typ, Karosserie, Motortyp (EA 288) und Schadstoffklasse (Euro 6) von der vorherigen Fahrzeuggeneration unterscheidet.
5
Mit seiner Klage hat der Kläger zuletzt die Nachlieferung eines – mit einem 190 PS starken Motor und der für diesen Fahrzeugtyp bestimmten Serienausstattung versehenen – Volkswagen Tiguan II Offroad aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers, Zug um Zug gegen Rückgabe des mangelhaften Fahrzeugs, begehrt, weiter hat er die Feststellung des “Annahmeverzugs” der Beklagten mit der Neulieferung und der Rücknahme des bisher genutzten Fahrzeugs sowie ferner die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen verlangt. Hilfsweise hat er die Rückabwicklung des Kaufvertrags begehrt.
6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Beklagte antragsgemäß zur Nachlieferung verurteilt, den Verzug der Beklagten mit der Neulieferung und den Annahmeverzug mit der Rücknahme des vom Kläger erworbenen Fahrzeugs festgestellt sowie die Beklagte zur Freistellung des Klägers von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (ohne Zinsen) verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.


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