Europarecht

Kein Anspruch auf Aufenthalt für einen Ausländer, der wegen Terrorismusunterstützung verurteilt ist und bei Antragstellung falsche Angaben macht

Aktenzeichen  M 12 K 16.5689

Datum:
7.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 152153
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4, § 27 Abs. 3 S. 2, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 54 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 7, Nr. 8a, § 55 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2, § 81 Abs. 4
BayVwVfG Art. 48 Abs. 1 S. 1
StGB § 129a Abs. 5
GG Art. 6
EMRK Art. 8
VwGO § 114

 

Leitsatz

1 Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist auf den Zeitpunkt des Ablaufs der ursprünglichen Geltungsdauer des (befristeten) Aufenthaltstitels abzustellen, wenn der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts nach dem Ablaufzeitpunkt des zurückgenommenen (befristeten) Aufenthaltstitels liegt und sich demgemäß nachträglich eingetretene Tatsachen auf den angegriffenen Verwaltungsakt nicht mehr auswirken können. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein besonders schweres Ausweisungsinteresse liegt vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wovon auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er eine Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt, unterstützt hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
3 Steht die Regelerteilungsvoraussetzung des Nichtvorliegens eines Ausweisungsgrundes der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegen, so wird bei erheblichen Straftaten eine Ausnahme nur dann in Frage kommen, wenn die atypischen Umstände zu Gunsten des Ausländers ein solches Gewicht haben, dass sie entgegenstehende öffentliche Interessen, die in der Regelerteilungsvoraussetzung zum Ausdruck kommen, eindeutig überwiegen. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
4 Bei Verwirklichung einer der in § 54 Abs. 1 oder 2 AufenthG genannten Tatbestände ist bereits die Annahme einer Beeinträchtigung der in § 53 AufenthG genannten öffentlichen Interessen indiziert. (Rn. 72) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

Verfahrensgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 21. November 2016, mit dem die dem Kläger am 18. Juni 2015 erteilte Aufenthaltserlaubnis mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wurde (Nr. 1), der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 28. April 2016 abgelehnt wurde (Nr. 2), festgestellt wurde, dass in Bezug auf den Kläger keine Zeiten vorliegen, in denen dem Kläger der Aufenthalt in Deutschland gestattet war (Nr. 3), der Kläger verpflichtet wurde, seine Fiktionsbescheinigung abzugeben (Nr. 4), er zur Ausreise bis 18. Dezember 2016 verpflichtet wurde (Nr. 5), ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise angedroht wurde (Nr. 6) und die Abschiebung nach Frankreich angedroht wurde (Nr. 7).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid vom 21. November 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
Zu Nr. 1 des Bescheides:
Die Rechtmäßigkeit der Nr. 1 des Bescheids, mit dem die Beklagte die befristete Aufenthaltserlaubnis des Klägers zurückgenommen hat, ist nicht wie bei der Rücknahme einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zu überprüfen, wie sie sich im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts darstellt (vgl. BVerwG, U.v. 13.4.2010 – 1 C 10.09 – juris Rn. 11 ff.; B.v. 22.5.2013 – 1 B 25.12 – juris Rn. 6). Denn diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Aufenthaltsrecht auch bei Entscheidungen über die Rücknahme oder den Widerruf eines unbefristeten Aufenthaltstitels beruht auf der Annahme, dass im Streit um das Fortbestehen eines Aufenthaltsrechts aus materiellrechtlichen Gründen auf einen möglichst späten Beurteilungszeitpunkt abzustellen ist, um die Berücksichtigung aktueller tatsächlicher Entwicklungen etwa im Lichte des Art. 8 EMRK oder des Art. 6 GG zu ermöglichen (BVerwG, B.v. 22.5.2013 – 1 B 25.12 – juris Rn. 6 m.w.N.). Liegt wie hier der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts allerdings nach dem Ablaufzeitpunkt des zurückgenommenen (befristeten) Aufenthaltstitels und können sich demgemäß nachträglich eingetretene Tatsachen auf den angegriffenen Verwaltungsakt nicht mehr auswirken, sondern Bedeutung lediglich für die Neuerteilung eines Titels oder die Verlängerung des abgelaufenen Titels haben, ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt des Ablaufs der ursprünglichen Geltungsdauer des (befristeten) Aufenthaltstitels abzustellen (BayVGH, U.v. 29. 11. 2016 – 10 B 14.2060 – juris).
Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ablaufs der (ursprünglichen) Geltungsdauer des befristeten Aufenthaltstitels des Klägers am 1. Mai 2016 lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG, auf den die Beklagte den angefochtenen Bescheid zu Recht gestützt hat, vor. Auch die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung ist rechtlich nicht zu beanstanden (Art. 48 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, Art. 40 BayVwVfG, § 114 Satz 1 VwGO.
Gem. Art. 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 BayVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden; ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), kann nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 und 4 des Art. 48 BayVwVfG zurückgenommen werden.
Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Rücknahme nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG liegen vor. Die dem Kläger am 18. Juni 2015 gem. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zum minderjährigen deutschen Kind (Bl. 28 BA) war von Anfang an rechtswidrig. Hieran hat sich bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Fristendes am 1. Mai 2016 nichts geändert.
Der Kläger erfüllte nicht die allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (Nichtvorliegen eines Ausweisungsgrundes bzw. Ausweisungsinteresses).
Im Zeitpunkt der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis lag ein Ausweisungsgrund bzw. zum Ablauf des Befristungszeitraums am 1. Mai 2016 ein Ausweisungsinteresse vor, da der Kläger aufgrund der Verurteilung des Tribunal Correctionel de Paris vom … März 2015 wegen vorsätzlicher Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung und wegen vorsätzlicher Beschädigung oder Zerstörung einer Sache zu 1 Jahr Freiheitsstrafe verurteilt wurde (Bl. 69 ff. BA). Damit erfüllte der Kläger im Zeitpunkt der Erteilung den Tatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. Danach wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er eine Vereinigung unterstützt hat, die den Terrorismus unterstützt; auf zurückliegende Unterstützungshandlungen kann die Ausweisung nur gestützt werden, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Im Zeitpunkt des Ablaufs des Befristungszeitraums am 1. Mai 2016 erfüllte der Kläger den Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Danach liegt ein besonders schweres Ausweisungsinteresse vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er eine Vereinigung, die den Terrorismus, unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.
Bei der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) handelt es sich um eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28/16 – juris; VGH BW, U.v. 13.1.2016 – 11 S 889/15 – juris). Nachdem der Kläger wegen vorsätzlicher Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung in Frankreich sogar verurteilt wurde, rechtfertigen Tatsachen die Schlussfolgerung, dass der Kläger die PKK unterstützt hat.
Die Erteilung eines Aufenthaltstitels war demnach zwingend gem. § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu versagen. Eine Ausnahme gem. § 5 Abs. 4 Satz 2 AufenthG konnte nicht zugelassen werden, weil sich der Kläger gegenüber den zuständigen Behörden weder offenbart noch glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat. Vielmehr hat der Kläger sowohl bei der Beantragung der Erteilung als auch der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis die Frage nach einem strafrechtlichen In-Erscheinung-Treten verneint und auch bei der Sicherheitsbefragung am 29. April 2016 seine Aktivitäten zugunsten der PKK nicht erwähnt, sondern lediglich angegeben, in Frankreich aus politischen Gründen in Haft gewesen zu sein. Von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln hat sich der Kläger weder vor Erteilung der Aufenthaltserlaubnis noch bis zum maßgeblichen Zeitpunkt ihres zeitlichen Ablaufs am 1. Mai 2016 nach außen hin erkennbar und glaubhaft distanziert.
Darüber hinaus konnte nach § 55 Abs. 2 Nr. 1a) AufenthG a.F. ein Ausländer nach § 55 Abs. 1 AufenthG a.F. ausgewiesen werden bzw. lag ein schweres Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 8a) vor, wenn er in einem Verwaltungsverfahren im In- oder Ausland falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels gemacht hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde. Der Kläger hat am 18. Juni 2015 bei der Beklagten einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt (Bl. 10 BA). Bei der unter 2. aufgeführten Frage im Formblattantrag: „Sind sie bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten oder wird derzeit wegen Verdachts auf eine Straftat gegen sie ermittelt?“ wurde „nein“ angekreuzt. Diese Angabe ist objektiv falsch, da der Kläger am … März 2015 in Frankreich zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt wurde (siehe oben). Auf die Frage, wann die erstmalige Einreise ins Bundesgebiet stattfand, gab er an: 10.3.2015 (Bl. 10 BA). Damit erfüllte der Kläger im Zeitpunkt der Erteilung den Tatbestand der Ermessensausweisung gem. § 55 Abs. 2 Nr. 1a) AufenthG a.F. bzw. lag im Zeitpunkt des Fristablaufs ein schweres Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 8a) AufenthG vor, weil er bei Antragstellung auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die o.g. Verurteilung und den Zeitpunkt der Ersteinreise ins Bundesgebiet im Jahr 2009 (Bl. 391 BA) nicht bzw. falsch angegeben hat (Bl. 10 BA).
Diese Falschangaben muss der Kläger auch gegen sich gelten lassen. Die Einlassung, seine Ehefrau habe den Antrag ausgefüllt und der Kläger habe keine ausreichenden Deutschkenntnisse gehabt, überzeugt nicht. Der Kläger hat die Richtigkeit der Angaben mit seiner Unterschrift bestätigt (Bl. 13 BA) und muss sich diese daher zurechnen lassen. Zudem ist auch nicht nachvollziehbar, wie man aus dem Wort „bereits“ hätte darauf schließen sollen, dass nur Strafverfahren in Deutschland gemeint sein können. Das Wort „bereits“ ist in diesem Zusammenhang eindeutig so zu verstehen, dass danach gefragt wird, ob der Kläger bis jetzt strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Ehefrau und der Kläger nicht an die relativ kurz zuvor stattgefundene Verurteilung gedacht haben. Der Kläger wurde auch ausreichend auf die Folgen falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen (Bl. 13 BA).
Zudem erfüllte der Kläger im Zeitpunkt der Erteilung wegen der vorgenannten strafrechtlichen Verurteilung den Tatbestand der Ermessensausweisung gem. § 55 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. AufenthG a.F bzw. lag im Zeitpunkt des Ablaufs des Befristungszeitraums ein schweres Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vor. Danach konnte ein Ausländer ausgewiesen werden bzw. lag ein schweres Ausweisungsinteresse vor, wenn er außerhalb des Bundesgebiets eine Straftat begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche Straftat anzusehen ist. Die vorsätzliche Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung stellt auch im Bundesgebiet eine Straftat dar, § 129a Abs. 5 StGB.
Bei der Prüfung der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG reichte das Vorliegen eines abstrakten Ausweisungstatbestandes bzw. -interesses aus, ohne dass es darauf ankam, ob der Ausländer, speziell im Hinblick auf den besonderen Ausweisungsschutz, rechtsfehlerfrei ausgewiesen werden könnte (BVerwG, U.v. 16. 7. 2002 – 1 C 8.02 – juris).
Im Fall des Klägers lag auch keine Ausnahme vor, die ein Abweichen vom Regelfall rechtfertigte. Von einer solchen Ausnahme ist bei besonderen, atypischen Umständen auszugehen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen. Darüber hinaus liegt ein Ausnahmefall vor, wenn entweder aus Gründen höherrangigen Rechts wie Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK die Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels geboten ist. Ob ein Ausnahmefall vorliegt, ist gerichtlich voll überprüfbar (BVerwG, U.v. 16.8.2011- 1 C 12.10 – juris). Nicht ausreichend sind Härten und Schwierigkeiten, die mit der Versagung eines Aufenthaltstitels gewöhnlich verbunden sind. Der Verlust des Lebensmittelpunktes in Deutschland, einer Arbeitsstelle oder die Unterbrechung des Zusammenlebens mit einem Familienangehörigen oder der Abbruch des Studiums sind keine Umstände, die einen atypisch gelagerten Fall darstellen (BayVGH v. 26.3.2007 – 24 CS 07-127 – juris). Dabei ist zwischen verschiedenen Regelerteilungsvoraussetzungen zu differenzieren. Je nach Gewicht der Erteilungsvoraussetzungen wird man höhere oder geringere Ansprüche an das Vorliegen besonderer Umstände, die eine Abweichung von der Regelerteilungsvoraussetzung rechtfertigen, stellen können. Steht die Regelerteilungsvoraussetzung des Nichtvorliegens eines Ausweisungsgrundes der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegen, so wird bei erheblichen Straftaten eine Ausnahme nur dann in Frage kommen, wenn die atypischen Umstände zu Gunsten des Ausländers ein solches Gewicht haben, dass sie entgegenstehende öffentliche Interessen, die in der Regelerteilungsvoraussetzung zum Ausdruck kommen, eindeutig überwiegen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das AufenthG in zahlreichen Fällen bereits eine Regelung der Interessenlage in der Weise vorgenommen hat, dass nur unter bestimmten Voraussetzungen von den Regelerteilungsvoraussetzungen abzusehen ist oder nach Ermessen abgesehen werden kann. Sind die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben, so bedarf es besonderer Gesichtspunkte, um eine Ausnahme von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG zu rechtfertigen (Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, § 5, Rn. 12).
Davon ausgehend lagen weder im Zeitpunkt der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis noch zum Zeitpunkt des Ablaufs des Befristungszeitraums besondere atypische Umstände vor, die unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr oder mit Blick auf die schutzwürdigen Belange des Klägers ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG hätten gebieten können.
Falsche Angaben im Rahmen der Beantragung eines Aufenthaltstitels betreffen einen Kernbereich des Aufenthaltsrechts und stellen einen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen das öffentliche Interesse dar, dem ausländerrechtlich erhebliches Gewicht zukommt. Denn die Ausländerbehörden sind im Hinblick auf die große Anzahl der Verfahren und der Schwierigkeiten, gemachte Angaben zu überprüfen, auf wahrheitsgemäße Angaben angewiesen. Der Kläger hat in der Vergangenheit mehrfach falsche Angaben gemacht. Er ist wegen vorsätzlicher Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt worden. Dabei handelt es sich um eine schwerwiegende gemeinschädliche strafrechtliche Verfehlung, die zum Bereich der schweren Kriminalität zählt. Diese schwerwiegende strafrechtliche Verfehlung hat der Kläger sowohl im Rahmen der Beantragung der Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als auch im Rahmen der Sicherheitsbefragung verschwiegen. Demgegenüber wiegen die durch Art. 6 GG und Art. 8 ERMK geschützten Interessen des Klägers nicht so schwer, dass das hinter § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG stehende öffentliche Interesse zurücktreten müsste.
Der Kläger kann der Rücknahme auch kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des Aufenthaltstitels entgegenhalten, da er den Aufenthaltstitel durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig waren, Art. 48 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 und 2 BayVwVfG. Der Kläger hat im Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Frage, ob er strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, unrichtige Angaben gemacht (siehe oben). Hätte die Beklagte Kenntnis von der strafrechtlichen Verurteilung des Klägers gehabt, hätte sie dem Kläger die Aufenthaltserlaubnis sicher nicht gewährt, zumindest nicht ohne weitere Ermittlungen anzustellen. Die Einlassung der Sachbearbeiterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht, sie habe beim Ausfüllen der Formulare bereits Kenntnis von der strafrechtlichen Verurteilung des Klägers gehabt, ändert daran nichts. Maßgeblich ist, dass der Kläger bei Antragstellung unrichtige Angaben macht. Es obliegt der Entscheidung der Beklagten – und nicht nur der zuständigen Sachbearbeiterin – welche Entscheidung anhand der im Antrag gemachten Angaben getroffen wird bzw. welche weiteren Ermittlungen anzustellen sind. Unerheblich ist auch, dass der Kläger mit Urteil des Amtsgerichts München vom … Februar 2017 vom Vorwurf des Erschleichens eines Aufenthaltstitels freigesprochen wurde. Es besteht keine rechtliche Bindung von Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten an die tatsächlichen Feststellungen und die Beurteilung des Strafrichters, also auch nicht an ein freisprechendes Urteil (std. Rechtsprechung, vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris; BayVGH, B.v. 27.12.2016 – 10 CS 16.2289 – juris). Vielmehr haben Ausländerbehörde und Verwaltungsgerichte über das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes und einer hinreichenden Gefahr neuer Verfehlungen eigenständig zu entscheiden.
Die in Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG vorgesehene Jahresfrist ist vorliegend gewahrt. Mit Aktenvermerken des Bayerischen Landeskriminalamtes vom 9. Februar und 15. März 2016 wurde der Ausländerbehörde bekannt, dass der Kläger in Frankreich wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung verurteilt wurde. Das Ausländeramt hat im Laufe des Sommers 2016 versucht, die Umstände der strafrechtlichen Verurteilung des Klägers in Frankreich zu klären. Der streitgegenständliche Bescheid vom 21. November 2016 wahrt die Jahresfrist.
Die Beklagte hat auch das ihr bei der Entscheidung über die Rücknahme zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt, § 114 VwGO. Die Ermessensentscheidung der Beklagten ist rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit die Behörde nach ihrem Ermessen handeln darf, kann gerichtlich nach § 114 Satz 1 VwGO nur überprüft werden, ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist oder ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind. Es ist nicht zu überprüfen, ob eine andere Lösung zweckmäßiger gewesen wäre. Die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis steht nach Art. 48 BayVwVfG im Ermessen der Beklagten. Sie kann nur Bestand haben, wenn die Beklagte die öffentlichen Interessen und schutzwürdigen privaten Belange abgewogen und dabei die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalles berücksichtigt hat (BVerwG, U.v. 5.9.2006 – 1 C 20.05 – juris). Solch eine Abwägung ist auch im Fall des Erschleichens einer Aufenthaltserlaubnis durch unrichtige Angaben erforderlich (BayVGH, U.v. 11.6.2013 – 10 B 12.1493 – juris; BVerwG, U.v. 5.9.2006, a.a.O.).
Gemessen an diesen Vorgaben ist die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis des Klägers rechtmäßig. Die im Bescheid angestellten Ermessenserwägungen der Beklagten entsprechen dem Zweck der Ermächtigung und berücksichtigen die maßgeblichen Umstände hinreichend, so dass die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht überschritten sind. Die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis des Klägers mit Wirkung für die Vergangenheit ist auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil er einen Anspruch auf Erteilung eines gleichwertigen Aufenthaltstitels hätte. Ein solcher Anspruch ist nicht ersichtlich. Insbesondere hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 25 Abs. 5 AufenthG, da dem Kläger die Ausreise aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht unmöglich ist. Der Kläger hat in Frankreich eine Aufenthaltserlaubnis, mit der er dorthin zurückreisen und sich in Frankreich aufhalten kann. Die Ehefrau des Klägers ist türkische Staatsangehörige, der es zuzumuten ist, in Frankreich zusammen mit dem Kläger im Wege des Familiennachzugs zu leben. Das Kind ist zwar deutscher Staatsangehöriger, allerdings ist ihm zuzumuten, zusammen mit seinen Eltern in einem europäischen Land (Frankreich) zu leben.
Art. 23 der Richtlinie 2011/95/EU führt zu keinem anderen Ergebnis. Danach tragen die Mitgliedsstaaten dafür Sorge, dass der Familienverband aufrechterhalten werden kann (Abs. 1). Unbeschadet des Abs. 1 können die Mitgliedsstaaten aus Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die dort aufgeführten Leistungen verweigern, einschränken oder entziehen. Die Qualifikationsrichtlinie wurde durch Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (QRLUMSG) in nationales Recht umgesetzt, in Kraft getreten spätestens am 1. Dezember 2013. Gem. § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG kann beim Familiennachzug vom Erfordernis des Nichtbestehens eines Ausweisungsgrundes bzw. eines Ausweisungsinteresses abgewichen werden. Die Behörde hat in ihrem Bescheid vom 21. November 2016 ausführlich zu der Frage Stellung genommen, ob im Rahmen des Ermessens vom Erfordernis des Nichtvorliegens eines Ausweisungsgrundes bzw. Ausweisungsinteresses abgewichen werden kann und kam zum nicht zu beanstandenden Ergebnis, dass dies nicht möglich ist (Bl. 103 GA). Weitergehendere Rechte, insb. einen Rechtsanspruch auf Absehen vom Erfordernis des Nichtvorliegens eines Ausweisungsgrundes bzw. Ausweisungsinteresses kann Art. 23 der Qualifikationsrichtlinie nicht einräumen.
Das Gericht war nicht verpflichtet, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gem. § 267 AUEV herbeizuführen. Das Vorabentscheidungsverfahren dient dazu, es den nationalen Gerichten zu ermöglichen, dem EuGH Fragen bezüglich der Auslegung und Gültigkeit von Europarecht vorzulegen. Das Gericht hält die Beantwortung der vom Prozessbevollmächtigten gestellten Fragen zum Erlass des Urteils nicht für erforderlich (Art. 267 Satz 2 AUEV). Die Qualifikationsrichtlinie wurde in nationales Recht umgesetzt. In § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist der streitgegenständliche Fall erfasst, dass der Nachziehende einen Ausweisungsgrund bzw. Ausweisungsinteresse verwirklicht hat und dass im Interesse des Art. 6 GG vom Erfordernis des Nichtvorliegens eines solchen im Rahmen des Ermessens abgewichen werden kann. Weitergehendere Rechte hat der Kläger nicht; auf die Fragen des Prozessbevollmächtigten kommt es daher für die vom Gericht zu treffende Entscheidung nicht an.
Zu Nr. 2 des Bescheides:
Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3, § 27 Abs. 3 Satz 2, § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Der Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis steht das Ausweisungsinteresse gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen.
Danach setzt die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis voraus, dass kein Ausweisungsinteresse besteht.
Vorliegend erfüllt der Kläger den Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (s.o.). Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist demnach zwingend gem. § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu versagen. Eine Ausnahme gem. § 5 Abs. 4 Satz 2 AufenthG kann nicht zugelassen werden, weil sich der Kläger auch nach Ablauf des Befristungszeitraums gegenüber den zuständigen Behörden nicht offenbart und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat. Letzteres ergibt sich insbesondere weder aus dem Schreiben des Klägers vom … Dezember 2016 (Bl. 185 der Gerichtsakte – GA) noch aus dem vom Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung angefertigten und vorgelegten Schreiben des Klägers vom … September 2017. In dem Schreiben vom … Dezember 2016 erklärt der Kläger lediglich, wie es zu der Verurteilung in Frankreich gekommen ist und dass er in Frankreich schlechte Erfahrungen gemacht habe. Deshalb wolle er nicht mehr in Frankreich leben, sondern wolle sich ein Leben in Ruhe und Frieden in Deutschland aufbauen. Er zahle Steuern und halte sich an deutsche Gesetze. Er versichert, er habe weder in der Türkei noch heute mit von der PKK organisierten Straftaten zu tun und dass er seine Familie liebe. Er sei es „müde“, dass ihn seine Vergangenheit immer wieder einhole. Der Kläger setzt sich mit keinem Wort mit der gegen ihn erfolgten Verurteilung wegen Unterstützung der terroristischen Vereinigung in Frankreich auseinander, sondern bemitleidet sich eher selbst und wünscht sich für die Zukunft Ruhe. Dabei handelt es sich nicht um eine glaubhafte, überzeugende Distanzierung von der Unterstützung der terroristischen Vereinigung. Dasselbe gilt von der in der mündlichen Verhandlung übergebenen handschriftlichen Erklärung vom … September 2017. Der Kläger erklärt, er sei in die psychische Unterstützung der PKK „hineingeraten“, was seine eigene Beteiligung relativiert und verharmlost. Er erklärt zwar, er lehne die PKK-Ideologie ab, allerdings erfolgtet dies unter dem Druck des gerichtlichen Verfahrens, was nicht für eine zweifelsfreie, überzeugende und glaubhafte Distanzierung spricht. Im Übrigen widersprechen sich beide Schreiben darin, ob der Kläger für die PKK tätig war oder nicht. Im Schreiben vom … Dezember 2016 erklärt er, er habe nichts mit von der PKK organisierten Straftaten zu tun gehabt. In der Erklärung vom … September 2017 erklärte er dagegen, er sei in die Unterstützung der PKK hineingeraten. Alles dies zeigt, dass sich der Kläger nicht unter Angabe von Einzelheiten zu seiner Unterstützung einer terroristischen Vereinigung von der Ideologie distanziert, sondern lediglich versucht, sich in einem positiven Licht darzustellen, um eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten.
Darüber hinaus ist vorliegend ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gem. § 54 Abs. 2 Nr. 8a) AufenthG gegeben, da der Kläger in seinem Formblattantrag vom 29. April 2016 die Frage, ob er bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, wieder mit „nein“ beantwortet hat (Bl. 147 BA). Daneben hat er auch wieder angegeben, erstmals im März 2015 ins Bundesgebiet eingereist zu sein. Dabei handelt es sich um falsche Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels (vgl. obige Ausführungen). Das Vorbringen des Klägers, die Ehefrau habe den Formblattantrag wieder ausgefüllt und sie habe beim Ausfüllen einen Fehler gemacht, überzeugt nicht. Der Kläger hat mit seiner Unterschrift bestätigt, dass die Angaben der Richtigkeit entsprechen, so dass er die Angaben gegen sich gelten lassen muss (Bl. 153 BA).
Daneben liegt auch ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gem. § 54 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG vor. Danach liegt ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor, wenn ein Ausländer in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Auslandsbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde.
Der Kläger hat in der sicherheitsrechtlichen Befragung vom 29. April 2016 (Bl. 78 ff. BA) bei der Frage unter „11. Sind sie jemals verurteilt worden wegen terroristischer Handlungen? Wenn ja, wo, weshalb und zu welcher Strafe wurden Sie verurteilt?“ „nein“ angekreuzt. Diese Angabe ist falsch, da der Kläger vom Tribunal Correctionel de Paris mit Urteil vom … März 2015 wegen vorsätzlicher Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung und wegen vorsätzlicher Beschädigung oder Zerstörung einer Sache verurteilt wurde (Bl. 69 ff. BA). Der Kläger wurde in der Sicherheitsbefragung auch auf die Folgen falscher bzw. unvollständiger Angaben hingewiesen (Bl. 80 BA). Nicht erforderlich war es, den Kläger auch auf eine mögliche Abschiebung infolge der Ausweisung hinzuweisen. Dabei handelt es sich lediglich um eine Vollstreckungsmaßnahme einer Ausweisung.
Nicht erforderlich war bei Vorliegen eines Ausweisungsgrundes, dass der Ausländer ermessensfehlerfrei ausgewiesen werden konnte (BVerwG v. 28. 9. 2004, NVwZ 2005, 460). Entstehungsgeschichte und Wortlaut des Gesetzes zur Neuregelung des Bleiberechts deuten darauf hin, dass sich an diesem Befund nichts geändert hat. Zwar hat das neue Ausweisungsrecht den Begriff der Ausweisungstatbestände der §§ 53 ff. a.F. durch einen einheitlichen Ausweisungstatbestand des § 53 AufenthG ersetzt, in dem die bisherigen Ausweisungstatbestände nunmehr als schwerwiegend bzw. besonders schwerwiegend zu berücksichtigen sind und mit dem Bleibeinteresse des Ausländers abzuwägen sind (Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 5 Rn. 26). Für eine inhaltliche Änderung derart, dass die Rechtmäßigkeit einer Ausweisung mittels einer umfassenden Entscheidung hypothetisch festgestellt werde müsste, um einen Regelversagungsgrund nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG annehmen zu können, ergeben sich keine sachlichen Gründe. Vielmehr besteht unverändert ein sachlicher Grund, in der Regel Ausländern einen Aufenthaltstitel zu versagen, deren Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, weil ein Ausweisungsinteresse besteht (Hailbronner, a.a.O.). Für die Anwendung von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG reicht ein abstraktes Ausweisungsinteresse aus, ohne dass festgestellt werden müsste, dass im konkreten Fall eine Ausweisungsentscheidung erlassen werden könnte (BayVGH v. 16. 2. 2016, 10 ZB 14.2634 – juris). Grundsätzlich reichen hierfür alle besonders schwerwiegenden oder schwerwiegend bezeichneten Ausweisungsinteressen aus. Erforderlich ist nach Auffassung des BayVGH allerdings, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 53 AufenthG besteht (BayVGH v. 29. 8. 2016, 10 AS 16.1602 – juris). Ist die Gefahr zweifelsfrei entfallen, soll auch kein Ausweisungsinteresse mehr angenommen werden. Allerdings ist bei Verwirklichung einer der in § 54 Abs. 1 oder 2 AufenthG genannten Tatbestände bereits die Annahme einer Beeinträchtigung der in § 53 AufenthG genannten öffentlichen Interessen indiziert (Hailbronner, Aufenthaltsgesetz, § 5 Rn. 37). Für ein Entfallen der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gibt es keine Anhaltspunkte. Der Kläger hat sich in Frankreich einer schweren Straftat schuldig gemacht; er hat vorsätzlich eine terroristische Vereinigung unterstützt. Nur wenige Monate danach hat der Kläger beim Ausfüllen des Formblatts für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis diese Verurteilung nicht angegeben und damit der Ausländerbehörde nicht bekannt gegeben. Der Kläger hat damit gezeigt, dass er sich nicht nur an allgemeinschädlichen schwerwiegenden terroristischen Handlungen beteiligt, sondern diese auch noch gegenüber den Behörden verschweigt, um sich ein Aufenthaltsrecht zu sichern. Zudem hat der Kläger auch im Zuge der beantragten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis seine Unterstützungshandlungen für eine terroristische Vereinigung weder im Antrag noch bei der Sicherheitsbefragung angegeben. Angesichts dessen, dass sich der Kläger nicht überzeugend von der Unterstützung der terroristischen Vereinigung distanziert hat (vgl. oben) und in der Folge gegenüber der Ausländerbehörde diesbzgl. falsche Angaben gemacht hat, ist eine Gefahr gegenwärtig noch gegeben. Alles dies zeigt, dass der Kläger seine eigene Mitwirkung an der Unterstützung der terroristischen Vereinigung bis zuletzt verschleiern wollte und keinesfalls die Umstände offengelegt hat, was ein Schritt zur Distanzierung hätte sein können.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG, da es dem Kläger sowohl aus tatsächlichen als auch aus rechtlichen Gründen möglich ist, nach Frankreich auszureisen.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Duldung gem. § 60a AufenthG, da es dem Kläger sowohl aus tatsächlichen als auch rechtlichen Gründen nicht unmöglich ist, nach Frankreich auszureisen.
Zu Nr. 3 des Bescheides:
Infolge der rechtmäßigen Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis und der Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis hat der Kläger keine rechtmäßigen Aufenthaltszeiten im Bundesgebiet zurückgelegt. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit konnte die Behörde diese Feststellung treffen.
Zu Nr. 4 des Bescheides:
Die dem Kläger ausgestellte Fiktion verliert durch die Ablehnung des Verlängerungsantrags ihre Gültigkeit, § 81 Abs. 4 AufenthG. Um einer missbräuchlichen Verwendung vorzubeugen, hat der Kläger die Fiktionsbescheinigung zurückzugeben.
Zu Nr. 5 des Bescheides:
Der Kläger ist gem. § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet, da er keinen Aufenthaltstitel mehr besitzt und auch kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass er ein Recht gem. Art. 6 oder 7 ARB 1/80 erworben hätte. Nach § 58 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ist die Ausreisepflicht auch vollziehbar, da die Ablehnung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG von Gesetzes wegen sofort vollziehbar ist.
Zu Nr. 6 des Bescheides:
Rechtsgrundlage für die Androhung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots bei erheblicher Überschreitung der Ausreisefrist für die Dauer eines Jahres ist § 11 Abs. 6 AufenthG.
Zu Nr. 7 des Bescheides:
Die Abschiebungsandrohung gründet sich auf §§ 50 Abs. 3, 59 AufenthG.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 ff. VwGO i.V.m §§ 708 ff. ZPO.


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