Europarecht

Kein Anspruch auf Umschreibung einer tschechischen Fahrerlaubnis wegen Wohnsitzverstoßes

Aktenzeichen  M 26 K 17.5806

Datum:
8.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 20417
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 7 Abs. 1, § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, § 30
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

1 Hat ein Kläger die zwangsgeldbewehrte Verpflichtung erfüllt, kann ein Zwangsgeld nicht mehr fällig werden, so dass einer Anfechtungsklage hiergegen das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. (redaktioneller Leitsatz)
2 In den Fällen, in denen in einem Mitgliedstaat eine Meldepflicht besteht, darf vermutet werden, dass die in einer Auskunft des Ausstellermitgliedstaates wiedergegebene melderechtliche auch der tatsächlichen Situation entspricht. (redaktioneller Leitsatz)
3 Sind unter einer Anschrift 168 Personen mit deutscher und österreichischer Staatsangehörigkeit gemeldet, spricht dies für eine Scheinanschrift. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Soweit sich die Klage gegen die Zwangsgeldandrohung in Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheids vom 13. November 2017 richtet, ist sie bereits unzulässig. Denn der Kläger hat die zwangsgeldbewehrte Verpflichtung aus Nr. 2 des Bescheids erfüllt, so dass das angedrohte Zwangsgeld nicht mehr fällig werden kann. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Beklagte das angedrohte Zwangsgeld entgegen der Vorschrift des Art. 37 Abs. 4 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG – gleichwohl noch beitreiben wird. Damit hat sich die Zwangsgeldandrohung erledigt, so dass der Anfechtungsklage insoweit das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Landratsamts vom 13. November 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Umschreibung seiner am … August 2008 erworbenen tschechischen Fahrerlaubnis in eine deutsche Fahrerlaubnis, da die tschechische Fahrerlaubnis ihn im Bundesgebiet nicht zum Führen von Fahrzeugen berechtigt hat.
2.1 Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 13. Dezember 2010 (BGBl I 2010 S. 1980) ist eine EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt oder berechtigt hat, unter erleichterten Bedingungen in eine deutsche Fahrerlaubnis umzutauschen.
Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV – abgesehen von einer hier nicht einschlägigen Ausnahme für Studierende oder Schüler – gilt die Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten.
Ein ordentlicher Wohnsitz im Inland wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV angenommen, wenn der Betroffene wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – bei fehlenden beruflichen Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt. Ein Bewerber, dessen persönliche Bindungen im Inland liegen, der sich aber aus beruflichen Gründen in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten der EU (oder EWR) aufhält, hat seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt (§ 7 Abs. 1 Satz 3 FeV). Die Voraussetzung entfällt, wenn sich der Bewerber zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer in einem solchen Staat aufhält (§ 7 Abs. 1 Satz 4 FeV).
Es kann dahinstehen, ob für den vorliegenden Rechtsstreit die Bestimmungen der sog. 2. Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein, ABl. L 237, S. 1) oder diejenigen der sog. 3. Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein, ABl. L 403, S. 18) anzuwenden sind. Denn die für den Fall bedeutsamen Bestimmungen über die grundsätzliche wechselseitige Anerkennungspflicht von Fahrerlaubnissen, über die örtliche bzw. internationale Zuständigkeit der Fahrerlaubnisbehörden und über denkbare Ausnahmen vom Anerkennungsmechanismus stimmen weiten Umfangs überein. Insbesondere kann der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes – vgl. Urteile vom 1. März 2012 – Rs. C- 467/10 (Akyüz) -, NJW 2012, 1341 = DAR 2012, 192 = Blutalkohol 49 (2012), 154 – juris, Rn. 40, 64 und 77, und vom 26. April 2012 – Rs. C- 419/10 (Hofmann) -, NJW 2012, 1935 = DAR 2012, 319 = Blutalkohol 49 (2012), 256 – juris, Rn. 44, 47 und 65 ff. – entnommen werden, dass die wechselseitige Anerkennungspflicht in beiden Richtlinien denselben Regeln unterfällt und etwa die Bestimmung des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG trotz geänderten Wortlautes keine weitergehenden Ausnahmen von der Anerkennungspflicht vorsieht bzw. ermöglicht als die entsprechende Vorläuferbestimmung der Richtlinie 91/439/EWG (siehe dazu OVG Münster, B. v. 9.1.2018 – 16 B 534/17 – juris Rn. 5).
2.2 Im vorliegenden Fall waren die o.g. Anforderungen an das Vorliegen eines ordentlichen Wohnsitzes im Ausstellermitgliedstaat zum maßgeblichen Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung am … August 2008 nicht erfüllt. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger nach der Überzeugung des Gerichts in Tschechien keinen ordentlichen Wohnsitz.
Die Prüfung, ob Informationen über den Wohnsitz des Fahrerlaubnisinhabers zum Zeitpunkt der Erteilung als vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührend und unbestreitbar eingestuft werden können, obliegt den Behörden und Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 – Akyüz, C-467/10 – NJW 2012, 1341, juris Rn. 73 und 74). Dabei muss die Begründung eines Scheinwohnsitzes aufgrund der vom Ausstellungsmitgliedstaat stammenden Informationen nicht bereits abschließend erwiesen sein. Vielmehr reicht es aus, wenn diese Informationen darauf „hinweisen“, dass der Inhaber des Führerscheins im Gebiet des Ausstellungsmitgliedstaats einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck begründet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 a.a.O. Rn. 75).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ergibt die Zusammenschau der aus dem Ausstellungsmitgliedstaat stammenden Informationen sowie der übrigen bekannten Umstände, dass er einen ordnungsgemäßen Wohnsitz im maßgeblichen Zeitpunkt, in dem das Wohnsitzerfordernis erfüllt sein muss (BVerwG, B.v. 22.10.2014 – 3 B 21/14 – juris Rn. 6), nämlich im Zeitpunkt der Erteilung der EU-Fahrerlaubnis, nicht in der Tschechischen Republik, sondern in Deutschland hatte.
a) Zwar ist in dem tschechischen Führerscheindokument in Feld 8 ein Wohnort in Tschechien, nämlich A…, eingetragen. Vorliegend weisen aber andere aus dem Ausstellermitgliedstaat stammende Informationen auf die Nichterfüllung der Wohnsitzvoraussetzung bei der Erteilung der Fahrerlaubnis hin.
b) Maßgeblich weist die vom Beklagten eingeholte Auskunft des Gemeinsamen Zentrums der deutsch – tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit vom … September 2017, nämlich dass der Wohnsitz des Klägers in A… im Zeitraum vom … August 2008 bis zum … November 2008 angemeldet war, darauf hin, dass zum Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung am … August 2008 ein ordentlicher Wohnsitz in Tschechien nicht bestanden hat. Denn in den Fällen, in denen in einem Mitgliedstaat eine Meldepflicht besteht – und hierzu gehört die Tschechische Republik – darf ungeachtet dessen, dass es nach der Legaldefinition des ordentlichen Wohnsitzes etwa in Art. 9 der 2. EU-Führerscheinrichtlinie auf die in dieser Bestimmung genannten tatsächlichen Bedingungen ankommt, in rechtlich nicht zu beanstandender Weise vermutet werden, dass die in einer Auskunft des Ausstellermitgliedstaates wiedergegebene melderechtliche Situation auch der tatsächlichen Situation entspricht (vgl. BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 3 C 18.12 – BVerwGE 146, 377, juris Rn. 29; VG München, B.v. 6.3.2018 – M 26 S 18.382 – juris Rn. 20 m.w.N.). Danach ergibt sich schon aufgrund der Meldeverhältnisse, wonach der Kläger nicht 185 Tage, sondern nur etwas über 90 Tage in der Tschechischen Republik gemeldet war, dass der Kläger dort keinen ordentlichen Wohnsitz begründet hatte.
Zudem liegt auch noch ein gewichtiger Hinweis dafür vor, dass die melderechtliche Situation nicht einmal mit der tatsächlichen Situation übereinstimmte. Denn laut Ermittlungen der tschechischen Polizei waren unter der Meldeadresse A… im selben Zeitraum 168 Personen mit deutscher und österreichscher Staatsangehörigkeit gemeldet, wobei es sich bei der Meldeadresse um ein Einfamilienhaus handelt. Dies weist ganz offensichtlich auf einen bloßen Scheinwohnsitz dieser Personen, unter ihnen auch des Klägers, hin.
c) Soweit hiernach unbestreitbare Informationen des Ausstellungsmitgliedstaats vorliegen, die darauf hinweisen, dass die Wohnsitzvoraussetzung nicht gegeben war, sind zur endgültigen Beurteilung dieser Frage die Umstände des gesamten Falles heranzuziehen, also ergänzend auch die „inländischen Umstände“ (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 11 CS 16.2562 – Rn. 16 m.w.N.). Als gewichtiger inländischer Umstand für einen Scheinwohnsitz des Antragstellers in Tschechien lediglich zur Erlangung einer Fahrerlaubnis spricht erstens die Tatsache, dass er dauerhaft, also auch im Zeitpunkt der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis, mit Hauptwohnsitz in Deutschland gemeldet war und eine Abmeldung ins Ausland nicht aktenkundig ist. Zweitens gab der Kläger laut Aufzeichnungen der PI B… bei der Beschuldigtenvernehmung nach einer Verkehrskontrolle am … Mai 2009 nach Belehrung an, er habe die tschechische Fahrerlaubnis innerhalb einer Woche im August 2008 in der Tschechischen Republik erworben. Einen Wohnsitz habe er dort nicht gehabt. Damit hat er selbst gegenüber der Polizei bestätigt, dass es sich bei der Adresse in Tschechien um einen Scheinwohnsitz zum Zwecke des schnellen und günstigen Erwerbs einer ausländischen Fahrerlaubnis gehandelt hat.
d) Nach allem steht für das Gericht fest, dass nicht nur unbestreitbare Informationen des Ausstellerstaates vorliegen, die auf einen Wohnsitzverstoß hinweisen, sondern dass der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung am … August 2008 tatsächlich keinen ordentlichen Wohnsitz in Tschechien hatte, zumal er weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren andere substantiierte und verifizierbare Angaben zu Beginn und Ende seines Aufenthalts im Ausstellungsmitgliedstaat im Zusammenhang mit der Fahrerlaubniserteilung sowie zu den persönlichen und beruflichen Bindungen, die im maßgeblichen Zeitraum zu dem im Führerschein angegebenen Wohnort bestanden haben sollen, gemacht hat (vgl. zu dieser Obliegenheit BVerwG, B.v. 28.1.2015 – 3 B 48.14 – juris Rn. 6; B.v. 22.10.2014 – 3 B 21.14 – DAR 2015, 30 Rn. 3).
Da die tschechische Fahrerlaubnis des Klägers damit gemäß § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV in der Bundesrepublik Deutschland zu keinem Zeitpunkt gültig war, hat der Kläger auch keinen Anspruch gemäß § 30 Abs. 1 FeV, diese in eine deutsche Fahrerlaubnis umschreiben zu lassen.
3. Die Feststellung des Beklagten, der Kläger sei nicht berechtigt, in der BRD von der tschechischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, ist aus den o.g. Gründen ebenfalls rechtmäßig. Ihre Rechtsgrundlage ist § 28 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV, wonach die Behörde einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen kann (§ 28 Abs. 4 Satz 2 FeV). Sie kann dies ermessensfehlerfrei auch dann tun, wenn sie, wie hier, gleichzeitig einen Antrag auf Umschreibung ablehnt.
4. Die Verpflichtung, den Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen, ist ebenfalls rechtmäßig; sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 47 Abs. 2 FeV.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Abwendungsbefugnis hat seine Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung – ZPO.


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