Europarecht

Kein Anspruch auf Zulassung eines Bürgerbegehrens

Aktenzeichen  Au 7 K 15.664

Datum:
4.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BV BV Art. 2 Abs. 1 S. 2, Art. 7 Abs. 2
BayGO BayGO Art. 18a Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Das bei Abstimmungen über ein Bürgerbegehren erforderliche Höchstmaß an Abstimmungsfreiheit ist verletzt, wenn der Bürger gezwungen wird, über mehrere sachlich nicht zusammenhängende Regelungsvorschläge quasi im Paket abzustimmen.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage führt in der Sache nicht zum Erfolg.
I.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Rechtsschutzinteresse für eine Entscheidung über die Klage nach Zulassung und Durchführung des am 23. April 2015 eingereichten Bürgerbegehrens entfallen sei. Zum einen ist der Gegenstand des streitgegenständlichen Bürgerbegehrens nur teilweise identisch mit demjenigen des mit Bescheid vom 22. Mai 2015 zugelassenen Bürgerbegehrens. Zum zweiten haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass unter Berücksichtigung der einjährigen Bindungswirkung des Bürgerentscheids (Art. 18 a Abs. 13 Satz 2 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern – Gemeindeordnung – GO) nicht ausgeschlossen werden kann, dass das streitgegenständliche Bürgerbegehren noch durchgeführt wird.
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27. April 2015 ist rechtmäßig, es besteht kein Anspruch auf Zulassung des Bürgerbegehrens (§ 113 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
1. Rechtsgrundlage für die Zulassung von Bürgerbegehren ist Art. 18 a Abs. 1 bis 6 GO.
Es bestehen hier keine Anhaltspunkte dafür, dass die formellen Voraussetzungen des Art. 18 a GO für die Durchführung von Bürgerbegehren (Angelegenheit des eigenen Wirkungskreises, Art. 18 a Abs. 1 GO), keine von Bürgerbegehren ausgeschlossene Angelegenheit (Art. 18 a Abs. 3 GO), Benennung von Vertretern (Art. 18 a Abs. 4 GO), Mindestanzahl gültiger Unterschriften (Art. 18 a Abs. 6 GO) nicht eingehalten sind.
2. Die materiellen Zulassungskriterien eines Bürgerbegehrens sind hier jedoch nicht erfüllt, weil das Bürgerbegehren an einem Begründungsmangel im Sinne einer unvollständigen und dadurch irreführenden Begründung leidet.
Nach Art. 18 a Abs. 4 Satz 1 GO muss das Bürgerbegehren eine „mit ja oder nein zu entscheidende Fragestellung und eine Begründung enthalten“.
a) Die Zulassung eines Bürgerbegehrens setzt dabei nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass die mit ihm unterbreitete Fragestellung ausreichend bestimmt ist. Dazu ist zwar nicht erforderlich, dass die Fragestellung so konkret ist, dass es zur Umsetzung des Bürgerentscheids nur noch des Vollzuges durch den Bürgermeister bedarf. Durch einen Bürgerentscheid können durchaus auch Grundsatzentscheidungen getroffen werden, die noch durch Detailentscheidungen im Kompetenzbereich des Gemeinderates ausgefüllt werden müssen. Andererseits muss die Fragestellung so bestimmt sein, dass die Bürger erkennen können, wofür oder wogegen sie ihre Stimme abgeben. Es muss also erkennbar sein, welchen Inhalt die spätere, durch den Bürgerentscheid herbeizuführende Entscheidung haben wird, denn nur dann ist sie hinreichend direkt demokratisch legitimiert. Da der mit einem Bürgerbegehren herbeigeführte Bürgerentscheid dieselben Wirkungen hat wie ein Gemeinderatsbeschluss (Art. 18 a Abs. 13 Satz 1 GO), muss die zu entscheidende Fragestellung so konkret sein wie ein Gemeinderatsbeschluss selbst (zum Ganzen BayVGH, B.v. 8.4.2005 -4 ZB 04.1264 – juris Rn. 10 m.w.N.).
Der Inhalt des Bürgerbegehrens ist durch Auslegung zu ermitteln. An die sprachliche Abfassung der Fragestellung dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Das Rechtsinstitut Bürgerbegehren/Bürgerentscheid ist so angelegt, dass auch Gemeindebürger ohne besondere verwaltungsrechtliche Kenntnisse in der Lage sein sollen, die Fragestellung zu formulieren. Ebenso wie bei Willenserklärungen und Gesetzen kann es deshalb notwendig sein und ist zulässig, den Inhalt einer Frage durch Auslegung zu ermitteln. Bei der Auslegung hält die Rechtsprechung eine „wohlwollende Tendenz“ für gerechtfertigt, weil das Rechtsinstitut für die Bürger handhabbar sein soll, solange nur das sachliche Ziel des Begehrens klar erkennbar ist. Für die Auslegung gilt, dass nicht die subjektive, im Lauf des Verfahrens erläuterte Vorstellung der Initiatoren von Sinn und Zweck und Inhalt des Bürgerbegehrens, sondern nur der objektive Erklärungsinhalt, wie er in der Formulierung und Begründung der Frage zum Ausdruck gebracht wurde und von den Unterzeichnern verstanden werden konnte und musste, maßgeblich ist (zum Ganzen BayVGH, U.v. 21.3.2012 – 4 B 11.221 – juris Rn. 21 m.w.N.).
Bei der Fragestellung ist dabei die Koppelung sachlich nicht zusammenhängender Materien in einer Fragestellung verboten (Koppelungsverbot). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht in seiner neueren Rechtsprechung zu Bürgerbegehren davon aus, dass die Grundsätze, die der Bayerische Verfassungsgerichtshof bei der Entscheidung über Volksbegehren zum Koppelungsverbot aufgestellt hat, in gleicher Weise für das ebenso wie das Volksbegehren in Art. 7 Abs. 2 der Bayerischen Verfassung (BV) verankerte Bürgerbegehren gelten (BayVGH, U.v. 25.7.2007 – 4 BV 06.1438 – juris Rn. 47, unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung). Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat im Hinblick auf Volksbegehren ausgeführt, dass es dem Mitwirkungsrecht aus Art. 7 Abs. 2 BV und dem in Art. 2 Abs. 1 Satz 2 BV verankerten demokratischen Prinzip zuwider laufen würde, wenn heterogene, sachlich nicht zusammenhängende Materien verknüpft und dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden könnten. Er hat insbesondere hervorgehoben, dass das Volks als solches nicht organisiert sei und demgemäß bei der Volksgesetzgebung seinen Willen nur in Form von Abstimmungen äußern könne, die nur auf ja oder nein lauten könnten und die inhaltlich notwendigerweise von wenigen Personen vorbereitet werden müssten. Bei einer auf Zustimmung oder Ablehnung beschränkten Äußerungsmöglichkeit könne der wahre Wille des Volkes nur dann zutreffend ermittelt werden, wenn die einzelnen Sachfragen getrennt zur Abstimmung gestellt würden. Deshalb sei es unter dem Blickwinkel des demokratischen Prinzips und des Grundrechts des Bürgers auf echte Mitwirkung am Volksgesetzgebungsverfahren erforderlich, dass der Bürger bei den Abstimmungen ein Höchstmaß an Abstimmungsfreiheit hat und seinen Willen so differenziert wie möglich zur Geltung bringen kann. Dies wäre dann nicht zu verwirklichen, wenn der Bürger gezwungen wäre, über mehrere sachlich nicht zusammenhängende Regelungsvorschläge eines Volksbegehrens quasi im Paket abzustimmen. Darüber hinaus bestünde bei dieser Verfahrensweise die Gefahr der Verfälschung des Abstimmungswillens (BayVerfGH, E.v. 24.2.2000 -Vf. 112-IX-99 – VerfGH 53, 23; vgl. auch BayVGH, U.v. 25.7.2007 a.a.O.).
Welche Materien sachlich in einer Weise zusammenhängen, dass sie in einem Bürgerbegehren verbunden und den Abstimmungsberechtigten mit einer Frage zum Bürgerentscheidung vorgelegt werden dürfen, beurteilt sich nach materiellen Kriterien. Die bloße formale Verbindung unter dem Dach einer Fragestellung genügt ebenso wenig, wie die Verknüpfung durch ein gemeinsames allgemeines Ziel oder ein politisches Programm. Maßgeblich ist, ob die Teilfragen oder Teilmaßnahmen nach objektiver Beurteilung innerlich eng zusammenhängen und eine einheitlich abgrenzbare Materie bilden (BayVGH, U.v. 25.7.2007 a.a.O. Rn. 48).
b) Was die Begründung des Bürgerbegehrens angeht, so ist zunächst festzustellen, dass das Gesetz selbst keine besonderen Anforderungen an Inhalt und Form stellt. Sie kann sich auf schlagwortartige Aussagen beschränken. Zweck der Regelung ist allerdings, dass erst mit der Begründung den Bürgern ermöglicht wird, sich mit den Zielen des Bürgerbegehrens und den dort angesprochenen Problemen auseinanderzusetzen. Die Unterzeichner müssen zumindest in den Grundzügen wissen, warum eine bestimmte Frage den Bürgern zur Abstimmung vorgelegt werden soll. Die Unterzeichner eines Bürgerbegehrens sollen also durch eine zumindest knappe Begründung erfahren, wofür sie sich einsetzen (BayVGH, B.v. 25.6.2012 – 4 CE 12.1224 – juris Rn. 31). Aus dem Recht auf Teilhabe an der Staatsgewalt (Art. 7 Abs. 2 BV) in Gestalt der Abstimmungsfreiheit ergeben sich daher auch Anforderungen an die Richtigkeit der Begründung des Bürgerbegehrens. Die Entscheidung der Stimmberechtigten kann sowohl bei der Frage, ob sie ein Bürgerbegehren unterstützen und dieses die erforderliche Mindestunterschriftenzahl erreicht, als auch bei der Abstimmung über den Bürgerentscheid selbst nur dann sachgerecht ausfallen, wenn die Abstimmenden den Inhalt des Bürgerbegehrens verstehen, seine Auswirkungen überblicken und die wesentlichen Vor- und Nachteile abschätzen können. Mit diesen Grundsätzen ist es nicht vereinbar, wenn in der Begründung eines Bürgerbegehrens in einer für die Abstimmung relevanten Weise unzutreffende Tatsachen behauptet werden oder die geltende Rechtslage unzutreffend oder unvollständig erläutert wird (BayVGH, B.v. 9.12.2010 – 4 CE 10.2943 – juris Rn. 2).
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat insoweit die Anforderungen des Verfassungsgerichtshofs, die dieser an die Begründung von Volksbegehren stellt (BayVerfGH, Entscheidung v. 13.4.2000 – Vf. 4-IX-00 – VerfGH 53, 81) für die Anforderungen an Bürgerbegehren übernommen (BayVGH, B.v. 9.12.2010 a.a.O.). Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat in dieser Entscheidung vom 13. April 2000 insbesondere darauf hingewiesen, dass die Grenze einer sachlich vertretbaren Darstellung des Anliegens eines Volksbegehrens jedenfalls dann überschritten ist, wenn bei der Erläuterung der konkreten Rechtslage, die abgelöst werden soll, ein wichtiges, bereits in Kraft getretenes Änderungsgesetz überhaupt nicht in den Blick genommen wird und dadurch bei den Stimmberechtigten der Eindruck hervorgerufen wird, dieses Regelungswerk gebe es (noch) nicht (BayVerfGH, E.v. 13.4.2000 a.a.O. S. 106).
c) Diese Maßstäbe zu Grunde gelegt kann nach Auffassung der Kammer nicht davon ausgegangen werden, dass die Fragestellung gegen das Koppelungsverbot verstößt.
Ein enger innerer Sachzusammenhang ist hier sowohl im Hinblick auf die verschiedenen Gesellschaften, die die „Stadtwerke“ bilden und das Eigentum hieran einerseits, als auch im Hinblick auf die Teilfragen „Verbleib der Gesellschaft im Eigentum der Stadt“ und „Unterbleiben jeglicher Fusion“ andererseits vorhanden.
Dass die verschiedenen Gesellschaften (Holding GmbH, Energie GmbH, Wasser GmbH usw.) jeweils rechtlich eigenständige juristische Personen sind, die getrennt veräußert werden könnten, ist insoweit nicht entscheidend. Vielmehr geht es hier bei objektiver Beurteilung der Fragestellung um eine Grundsatzentscheidung dahingehend, dass die „Stadtwerke“ als solche, als Träger der Daseinsvorsorge der Stadt (deren Rechtsform auch anders gewählt sein könnte und insoweit nicht entscheidend ist) im Eigentum der Stadt bleiben sollen – und zwar als Ganzes. Im Sinne der hier gewollten Grundsatzentscheidung wäre es im Gegenteil sinnlos, jede der Gesellschaften einzeln zur Abstimmung zu stellen, denn die angestrebte Entscheidung betrifft die Stadtwerke als Ganzes, und wäre mit getrennter Abstimmung gerade nicht zu erreichen. Nicht die formellen Kriterien definieren das Koppelungsverbot, sondern der materielle sachliche Zusammenhang.
Dass der Abstimmende gegebenenfalls im Hinblick auf die verschiedenen Gesellschaften zu unterschiedlichen Antworten kommen könnte, begründet allein keinen Verstoß gegen das Koppelungsverbot. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsprechung stets davon ausgeht, dass der Abstimmende in diesen Fällen eine wertende Entscheidung treffen muss (BayVGH, B.v. 3.4.2009 -4 ZB 08.2205 – juris Rn. 17), weil er die Teilaspekte an sich unterschiedlich beantworten möchte. Jedenfalls ist allein die Möglichkeit, dass die Teilfragen unterschiedlich beantwortet werden könnten, kein Ausschlusskriterium in dem Sinne, dass bei engem innerem Zusammenhang der Materie als solcher dann keine Koppelung der Fragestellung zulässig wäre. Der enge innere Zusammenhang ist bei einer Grundsatzentscheidung, die die Stadtwerke als Ganzes betreffen soll, jedoch ohne weiteres gegeben.
Eine objektive Auslegung der Fragestellung ergibt auch, dass die Verbindung von „Verbleiben im Eigentum der Stadt“ sowie „Unterbleiben jeglicher Fusion“ nicht gegen das Koppelungsverbot verstößt und bestimmt genug ist, so dass der Abstimmende erkennen kann, wofür oder wogegen er seine Stimme abgibt.
Bei der hier gebotenen wohlwollenden Auslegung (BayVGH, U.v. 21.3.2012 a.a.O., s.o. unter a) kann die Fragestellung hinsichtlich des Unterbleibens „jeglicher Fusion“ nur dahingehend ausgelegt und verstanden werden, dass es um Fusionen in dem Sinne geht, dass der Gesellschaftereinfluss der Stadt durch die Fusion – auch teilweise – verloren geht. Dies ergibt sich hier insbesondere im Zusammenhang mit dem letzten Satz der Begründung: „Die … Daseinsvorsorge muss vollständig in kommunaler Hand bleiben“. Der Abstimmende kann dies nur in der Weise verstehen, dass es der Stadt versagt sein soll, ihren Einfluss auf die Stadtwerke aus der Hand zu geben. Fusionen, die die Gesellschaften untereinander betreffen, sind ersichtlich nicht gemeint.
d) Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass die Begründung des Bürgerbegehrens nicht den oben unter b) dargestellten Anforderungen entspricht. Gerade wenn die Fragestellung – zulässigerweise – mehrere Teilaspekte umfasst, ist hinsichtlich der Begründung darauf zu achten, dass der Abstimmende, der sich entscheiden muss, ob er einheitlich mit ja oder nein stimmt, obwohl er vielleicht die einzelnen Teilaspekte unterschiedlich beantworten würde, für die Wertung, die er insoweit vornehmen muss, auch eine eventuell unterschiedliche Ausgangslage erkennen kann.
Insoweit ist davon auszugehen, dass es hier erforderlich gewesen wäre, jedenfalls, wenn auch in der gebotenen Kürze (und u.U. mit zulässiger Färbung”, vgl. BayVerfGH, E.v. 13.4.2000 a.a.O. S. 106), in der Begründung darauf hinzuweisen, dass die Beklagte bzw. deren Stadtrat hinsichtlich der Trinkwasserversorgung bereits früher eine Privatisierung ausdrücklich ausgeschlossen hat (Beschlüsse des Stadtrats der Beklagten vom 25.3.2004 und 24.4.2008, vgl. hierzu Nr. II. 2. 2.1 und 2.2 des angefochtenen Bescheids) und durch die aktuellen Beschlüsse im Zusammenhang mit der Fusion der Energie- und Netzsparte der alleinige Einfluss auf die Wasserversorgung ausdrücklich erhalten bleiben sollte (B.v. 20.11.2014 bzw. 23.7.2014, Nr. II. 2. 2.3 und 2.4 des angefochtenen Bescheids).
Auch wenn die Kläger zu Recht darauf hinweisen, dass solche Beschlüsse aufgehoben werden können, führt ein vollständiges Unterbleiben jeden Hinweises auf die abweichende Ausgangslage beim Trinkwasser hier zu einer Unvollständigkeit der Begründung, durch die die Abstimmenden irregeführt werden können. Wie die Kläger in der mündlichen Verhandlung selbst dargelegt haben, sind die genannten Stadtratsbeschlüsse aus den Jahren 2004 und 2008 entstanden, weil eine im Raum stehende Privatisierung der Trinkwasserversorgung bzw. ein Verkauf der Grundstücke im Trinkwasserschutzgebiet auf engagierten Bürgerprotest stießen. Gerade hieraus wird deutlich, dass die Trinkwasserversorgung bei der Bewertung der Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Problemkreis Privatisierung einen besonders hohen Stellenwert besitzt. Durch den fehlenden Hinweis auf die Beschlusslage wird aber der Eindruck erweckt, die Frage der Privatisierung der Trinkwasserversorgung sei ebenso zu bewerten wie diejenige der – von der unmittelbar geplanten Fusion mit erdgas … auch nicht betroffenen – Verkehrssparte. Es kann insbesondere vom Abstimmenden nicht erwartet werden, dass ihm die Beschlusslage zum Thema Trinkwasserversorgung noch im Einzelnen gegenwärtig ist.
Selbst wenn man nicht davon ausgeht, dass durch die Fassung der Fragestellung und der Begründung der Eindruck erweckt wird, auch die Privatisierung der Trinkwasserversorgung sei unmittelbar geplant, wird der Abstimmende hier über Bedeutung und Tragweite der zur Abstimmung stehenden Fragestellung irregeleitet.
Abstimmungsrelevant ist dies insoweit, als die Wertung, ob mit ja oder nein geantwortet wird, unterschiedlich ausfallen kann, je nachdem wie der Abstimmende den Handlungsbedarf hinsichtlich des Trinkwassers beurteilt. Hingewiesen wird insoweit nochmals auf die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 13. April 2000, in der ausgeführt wird, die Grenze einer sachlich vertretbaren Darstellung des Anliegens eines Volksbegehrens sei jedenfalls dann überschritten, wenn die Erläuterung der konkreten Rechtslage, die abgelöst werden soll, ein wichtiges bereits in Kraft getretenes Änderungsgesetz überhaupt nicht in den Blick nimmt (BayVerfGH, Entscheidung v. 13.4.2000 -Vf. 4-IX-00, VerfGHE 53, 81,106). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat bezugnehmend auf diese Entscheidung Anforderungen an die Richtigkeit der Begründung eines Bürgerbegehrens postuliert (BayVGH, B.v. 9.12.2010 – 4 CE 10.2943 – juris Rn. 2).
Entsprechend angewandt auf die Konstellation bei Bürgerbegehren, wo es nicht wie bei Volksbegehren um Entscheidungen über Gesetzesvorhaben, sondern um Beschlüsse eines Gemeinderates (Art. 18 a Abs. 13 GO) geht, ist hinsichtlich der Beschlussfassung im Bürgerbegehren über eine relevante bestehende Beschlusslage des Stadtrates bzw. Gemeinderates zu informieren.
Gerade im Hinblick auf das hohe Interesse der Allgemeinheit an der Trinkwasserversorgung, auf das die Kläger auch hingewiesen haben, ist eine entsprechende Information unerlässlich, um den Abstimmenden die Möglichkeit einer ihrem Willen möglichst genau entsprechenden Abwägung hinsichtlich der einzelnen Teilaspekte der Fragestellung zu ermöglichen.
3. Da die Klage somit erfolglos bleibt, haben die Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§§ 154 Abs. 1, 159 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).


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