Aktenzeichen 33 O 84/19
ZPO § 32
VO EG 715/2007 Art. 5
BGB § 31, § 249, § 349, § 437, § 438 Abs. 2, § 826
GVG § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1
EG-FGV § 6, § 27
Leitsatz
Bei den §§ 6, 27 EG-FGV handelt es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Bei Vorschriften, die – wie hier die EG-FGV – Richtlinien umsetzen, kommt es nach der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung insoweit maßgeblich auf den Inhalt und Zweck der Richtlinie – hier der Richtlinie 2007/46/EG – an. Ihren Erwägungsgründen (2), (4) und (23) zufolge bezweckt die Richtlinie die Vollendung des Binnenmarkts und dessen ordnungsgemäßes Funktionieren. Darüber hinaus sollen die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisiert und spezifiziert werden, wobei die Rechtsakte vor allem auf eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung abzielen. An keiner Stelle lässt sich hingegen ein Hinweis dafür finden, dass der Richtliniengeber darüber hinaus den Schutz des einzelnen Fahrzeugerwerbers bzw. -besitzers gegen Vermögensbeeinträchtigungen im Blick hatte. (Rn. 31 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 18.511,79 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet, dem Kläger steht gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkte ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags zu.
A. Zulässigkeit der Klage
Die Klage ist zulässig, das Landgericht Deggendorf ist sachlich gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG und örtlich gemäß § 32 ZPO zuständig.
B. Begründetheit Klageantrag 1.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückabwicklung.
I. §§ 434, 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 BGB
Der Kläger kann nicht wegen Rücktritts vom Kaufvertrag eine Rückabwicklung verlangen.
Vertragliche Ansprüche gegenüber der Beklagten kommen zwar grundsätzlich in Betracht, da das Fahrzeug ausweislich der Anlage K1 nicht bei einem rechtlich selbständigen Vertragshändler, sondern bei der Beklagten bzw. in einer ihrer Niederlassungen erworben wurde, jedoch scheitern Ansprüche aus § 437 BGB aus mehrerlei Gründen.
1. Zunächst liegt weist das streitgegenständliche Fahrzeug keinen Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 1 oder Abs. 1 S. 2 BGB auf.
Der Vortrag des Klägers, sein Fahrzeug sei von einer Abgasmanipulation betroffen und mit einer Software ausgestattet, die im realen Fahrbetrieb in einen Modus umschalte, in dem die NOx-Emissionen höher seien als auf dem Prüfstand, stellt sich als bloße Behauptung ins Blaue hinein dar. Eine solche liegt vor, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt (BGH NJW-RR 2015,829). Für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung gibt es keinerlei konkrete Anhaltspunkte, die Beklagte hat das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung bestritten. Es gibt hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs weder ein Einschreiten durch das KBA, noch wurde das Fahrzeug durch die Beklagte zurückgerufen.
Den nach klägerischem Vortrag auf Bl. 5 der Klageschrift behaupteten und bestrittenen Zwangsrückruf, der nach klägerischem Vortrag vom Bundesverkehrsminister am 11.06.2018 verkündet worden sein soll, konnte der Kläger nicht nachweisen.
Bei einer Recherche im Internet findet man unschwer und damit allgemeinkundig eine „List of affected vehicles“ unter der Seite https://www.d..com/dokumente/innovation/sonstiges/uebersicht-modelle-diesel-rueckruf-published-by-d..pdf . Hierbei ist der klägerische Pkw jedoch nicht als vom Rückruf betroffen aufgelistet. Bei Eingabe der FIN des klägerischen Fahrzeugs auf dem von der Beklagten unter https://www.m.-b..de/passengercars/being-an-owner/service-und-wartung/diesel-software-update.module.html bereitgestellten online-tool ergibt sich lediglich, dass das Fahrzeug Teil einer freiwilligen Kundendienstmaßnahme ist. Es ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte für eine von behördlicher Seite angeordnete Rückrüfmaßnahme. Der insoweit beweisbelastete Kläger konnte eine solche auch nicht nachweisen.
Nachdem die Mangelbehauptung des Klägers damit ersichtlich ins Blaue hinein erfolgt ist, was durch die Ausführungen zur SCR-Technik, über welche das Fahrzeug ohnehin nicht verfügt noch bestätigt wird, kam eine Beweiserhebung durch Erholung eines Sachverständigengutachtens nicht in Betracht, da dies einen unzulässigen Ausforschungsbeweis darstellen würde.
2. Ein Rückabwicklungsanspruch besteht zudem bereits deswegen nicht, weil keine Rücktrittserklärung nach § 349 BGB vorliegt. Auch das Schreiben der Klägervertreter vom 08.06.2018 (Anlage K3) kann nicht als Rücktrittserklärung ausgelegt werden, da dies zum einen der Wortlaut nicht hergibt und zum anderen bei einem zugelassenen Rechtsanwalt erwartet werden kann, dass er im Falle eines gewollten Rücktritts diesen auch so bezeichnet und ausdrücklich erklärt.
Ferner wäre vor Erklärung des Rücktritts auch eine Nachfristsetzung zur Behebung des Mangels erforderlich, die hier ebenfalls nicht erfolgt ist.
3. Ferner wäre der Anspruch ohnehin nach §§ 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB verjährt, da die zweijährige Verjährungsfrist abgelaufen ist, womit die Beklagte die Leistung gemäß § 214 BGB verweigern kann. Eine längere Verjährungsfrist nach § 438 Abs. 2 BGB scheitert bereits daran, dass der Kläger weder einen Mangel noch ein arglistiges Verschweigen eines Mangels substantiiert vortragen, geschweige denn nachweisen konnte.
II. §§ 434, 437 Nr. 3, 440, 280, 281, 283 BGB
Der Kläger kann die eingeklagten Ansprüche auch nicht auf den Gesichtspunkt des Schadensersatzes stützen.
Es liegt weder ein Mangel vor (siehe oben B.II.1), noch eine wirksame Nachfristsetzung (siehe B.II.2) vor, zudem wäre der Anspruch auch verjährt (siehe B.II.3). Insoweit wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
III. §§ 826, 31, 249 BGB
Der Kläger kann den eingeklagten Anspruch auch nicht auf §§ 826, 31, 249 BGB stützen.
Der Kläger vermag es schon nicht, das Vorhandensein einer unzulässigen Programmierung der Motorsteuerungssoftware nachzuweisen, so dass es insoweit bereits an einer Täuschung, als auch an einem Schaden fehlt.
Der Kläger hat auch nicht einmal ansatzweise dargestellt, wann und in welchem Umfang eine Kenntnis und Handlungspflicht der verfassungsmäßigen Vertreter bestanden haben soll, die er im übrigen auch nicht konkret benennt. Hinsichtlich eines Handelns des Vorstandsvorsitzenden der Beklagten fehlt es an substantiiertem Vortrag dazu, an welches konkrete Handeln/Unterlassen anzuknüpfen sein sollte.
Auch die Ausführungen bzgl. der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen (Vorsatz, sittenwidriges Handeln) sind unzureichend und zwar unabhängig von der isolierten Frage der Zurechnung eines deliktischen Handelns. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, wobei dies aufgrund einer umfassenden Würdigung von Inhalt, Zweck und Beweggründen des Handelns zu beurteilen ist. Nicht bei jedem Pflichtverstoß sind diese Voraussetzungen zu bejahen, sondern es muss eine besondere Verwerflichkeit hinzukommen, die im Falle einer Pflichtverletzung durch Unterlassen erfordert, dass das geforderte Handeln einem sittlichen Gebot entsprechen muss. An einem Vortrag des Klägers zu den Gesamtumständen einer Verwerflichkeit der Erteilung der Übereinstimmungsbescheinigung oder aber des Inverkehrbringens des Fahrzeugs bezogen auf einen verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten fehlt es hier (vgl. auch OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – 7 U 134/17, BeckRS 2019, 2727, Rn.165 ff.).
Eine Haftung des Herstellers aus §§ 826, 31 BGB scheitert (auch) daran, dass – wie bei allen deliktischen Ansprüchen – die Ersatzpflicht eines Schädigers auf solche Schäden beschränkt ist, die in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen. Auf eine derartige Eingrenzung kann, um das Haftungsrisiko in angemessenen und zumutbaren Grenzen zu halten, auch im Rahmen des § 826 BGB nicht verzichtet werden. Der von dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung (deren Vorhandensein hier noch nicht einmal feststeht) versehenen Fahrzeugs geltend gemachte Schaden ist indes nicht vom Schutzzweck des § 826 BGB gedeckt (OLG München, Beschluss vom 09. Mai 2019 – 32 U 1304/19 -, Rn. 8 – 9, juris).
IV. §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 6, 27 EG-FGV
Die eingeklagten Ansprüche ergeben sich auch nicht aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 6, 27 EG-FGV.
a. Unabhängig davon, ob die Beklagte diese Vorschriften der EG-FGV verletzt hat, fehlt ihnen der von § 823 Abs. 2 BGB vorausgesetzte Schutzgesetzcharakter. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Norm als Schutzgesetz anzusehen, wenn sie nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf den Inhalt und den Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mit gewollt hat. Bei Vorschriften, die – wie hier die EG-FGV – Richtlinien umsetzen, kommt es nach der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung insoweit maßgeblich auf den Inhalt und Zweck der Richtlinie – hier der Richtlinie 2007/46/EG – an.
b. Den Erwägungsgründen (2), (4) und (23) zufolge bezweckt die Richtlinie 2007/46/EG die Vollendung des Binnenmarkts und dessen ordnungsgemäßes Funktionieren. Darüber hinaus sollen die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisiert und spezifiziert werden, wobei die Rechtsakte vor allem auf eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung abzielen. An keiner Stelle lässt sich hingegen ein Hinweis dafür finden, dass der Richtliniengeber darüber hinaus den Schutz des einzelnen Fahrzeugerwerbers bzw. -besitzers gegen Vermögensbeeinträchtigungen im Blick hatte. Auch der nationale Gesetzgeber hat in der Begründung zur EG-FGV (S. 36 der BT-Drucks. 190/09) in Übereinstimmung damit ausgeführt, dass die Richtlinie dem Abbau von Handelshemmnissen und der Verwirklichung des Binnenmarktes der Gemeinschaft dienen und die EG-FGV darüber hinaus zur Rechtsvereinfachung und zum Bürokratieabbau beitragen soll.
c. Die von der Fahrzeugherstellerin für das streitgegenständliche Fahrzeug ausgestellte EG-Übereinstimmungsbescheinigung war und ist gültig im Sinne des § 27 EG-FGV, das Gericht vermag sich der Argumentation des Klägers insoweit nicht anzuschließen. Aus Sicht des Gerichts setzt die Gültigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung nicht voraus, dass das einzelne Fahrzeug auf das sie sich bezieht, allen geltenden Rechtsakten entspricht, sondern eine Übereinstimmungsbescheinigung ist dann gültig im Sinne des § 27 EG-FGV, wenn sie formell ordnungsgemäß ist und sich auf eine wirksame EG-Typengenehmigung bezieht (so auch LG Braunschweig, Urteil vom 31.08.2017, Az. 3 O 21/17 und VG Düsseldorf, Urteil vom 24.01.2018, Az. 6 K 12341/17).
d. Im Ergebnis kommt den §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV daher bereits kein Schutzgesetzcharakter zu, so dass es auf eine Verletzung der §§ 6, 27 EG-FGV durch die Beklagte ohnehin nicht ankommt.
V. §§ 823 Abs. 2 i.V.m. 263 StGB
Eine Haftung der Beklagten ergibt sich auch nicht aus §§ 823 Abs. 2 i.V.m. § 263 StGB.
Eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB hat der Kläger bereits nicht schlüssig dargestellt. Insbesondere sind die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des Betrugs bei einem verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten im Sinne des § 31 BGB nicht dargelegt worden. Dies wäre jedoch zwingend erforderlich, da die Beklagte selbst als juristische Person nach § 14 StGB keine Straftat begehen kann.
Zudem konnte der Kläger selbst in der Verhandlung auch zum Verkäufer keine näheren Angaben machen, ihm sei lediglich spanisch vorgekommen, dass man das Fahrzeug nach Ablauf der Finanzierungszeit auch wieder zurückgeben könnte, was jedoch bei Fahrzeugfinanzierungsverträgen gerichtsbekannt nicht unüblich ist.
Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB scheitern auch daran, dass der Hersteller selbst als juristische Person gemäß § 14 StGB keine Straftat begehen kann. Zwar sind ihm nach § 31 BGB zivilrechtlich Handlungen verfassungsmäßig berufener Vertreter zurechenbar. Eine Haftung besteht jedoch nicht, wenn es – wie vorliegend – an der gebotenen Darlegung der Verwirklichung sämtlicher Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB durch die entsprechenden Personen fehlt (OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – 7 U 134/17, BeckRS 2019, 2727, Rn.148 ff.; OLG München, Beschluss vom 09. Mai 2019 – 32 U 1304/19 -, Rn. 4 – 5, juris).
VI. Zinsen
1. § 849 BGB
Der Kläger hat auch keinen Zinsanspruch aus § 849 BGB, da zum einen weder eine deliktische Handlung der Beklagten oder ihrer Vertreter vorliegt, noch ist vorliegend wegen einer Entziehung oder Beschädigung einer Sache eine Wertminderung zu ersetzen.
2. Verzugszinsen
Der Kläger kann auch keine Verzugszinsen verlangen, nachdem der Kläger bereits keinen Anspruch gegen die Beklagte hat, kann diese sich auch nicht mit der Erfüllung eines Anspruchs in Verzug befunden haben.
C. Klageantrag 2 (Feststellung Annahmeverzug)
Nachdem die Beklagte nicht zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rücknahme des klägerischen Fahrzeugs verpflichtet ist, befindet sie sich bzgl. der Rücknahme des Fahrzeugs auch nicht im Annahmeverzug. Der dahingehende Klageantrag war daher ebenfalls abzuweisen.
D. Nebenforderungen
Mangels Anspruch in der Hauptsache war die Klage auch hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie der Zinsen hieraus abzuweisen. Insoweit teilen diese Nebenforderungen das Schicksal der unbegründeten Hauptforderung.
E. Nebenentscheidungen
Kosten: § 91 Abs. 1 ZPO
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO
Streitwert: §§ 63 Abs. 2, 48 Abs. 1 GKG, 3 ff. ZPO