Europarecht

Keine Berücksichtigung der Einrede der Prozesskostensicherheit im einstweiligen Verfügungsverfahren

Aktenzeichen  21 O 8913/20

Datum:
4.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2020, 31319
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
EPÜ Art. 64 Abs. 3
PatG § 9 S. 2 Nr. 1, § 139 Abs. 1
BGB § 242, § 275
ZPO § 110, § 940

 

Leitsatz

1. Die Anordnung einer Prozesskostensicherheit läuft dem Wesen des einstweiligen Verfügungsverfahrens zuwider, weshalb § 110 ZPO im Eilverfahren selbst dann nicht anwendbar ist, wenn zwischen dem Verfügungsantrag und dem Erlass der einstweiligen Verfügung wegen der im Regelfall notwendigen mündlichen Verhandlung ein längerer Zeitraum liegt. (Rn. 36 und 42) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs wegen einer vom Schuldner im Einzelnen darzulegenden Unverhältnismäßigkeit kommt nur in Ausnahmefällen nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in Betracht, wobei nur solche Beeinträchtigungen des Verletzers relevant sind, die bestimmungsgemäß über diejenigen hinausgehen, die mit dem Anspruch auf Unterlassung üblicherweise einhergehen.  (Rn. 72) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung kommt jedenfalls dann auch ohne erstinstanzliche Entscheidung im Rechtsbestandsverfahren in Betracht, wenn der Antragsgegner mit eigenen Einwendungen bereits am Erteilungsverfahren beteiligt war, so dass das Erteilungsverfahren faktisch als zweiseitiges Verfahren geführt wurde.  (Rn. 91) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Verfügungsbeklagten an ihrem jeweiligen Geschäftsführer zu vollziehen ist,
zu unterlassen,
eine Anordnung zum Implantieren einer ballonexpandierbaren, prothetischen Aorten-Herzklappe in den Körper eines Patienten – insbesondere eine Anordnung bestehend aus einem Katheter des Typs „…“ und einer prothetischen Aorten-Herzklappe des Typs … – wobei die Anordnung umfasst:
eine Einführvorrichtung umfassend einen langgestreckten Schaft (180) mit einem aufpumpbaren Ballon (182), und eine prothetische Aorten-Herzklappe mit einem ballonexpandierbaren Rahmen (12) mit einem radial zusammengezogenen Zustand und einem radial expandierten Zustand, wobei der Rahmen (12) umfasst: eine einströmseitige Reihe von Öffnungen (36) an einem Einströmendabschnitt des Rahmens (12), eine ausströmseitige Reihe von Öffnungen (40) an einem Ausströmendabschnitt des Rahmens (12); und zumindest eine mittlere Reihe von Öffnungen (38) zwischen der einströmseitigen Reihe von Öffnungen (36) und der ausströmseitigen Reihe von Öffnungen (40); wobei die einströmseitige Reihe von Öffnungen (36) durch eine sich um den Umfang herum erstreckende, untere Reihe von Ende an Ende angeordneten Winkelstreben (22) und durch eine sich um den Umfang herum erstreckende, erste mittlere Reihe von Ende an Ende angeordneten Winkelstreben (24) gebildet ist, wobei die untere und die erste mittlere Reihe von Winkelstreben (22, 24) durch eine Mehrzahl von im Wesentlichen geraden, sich axial erstreckenden Streben (34) miteinander verbunden sind, wobei die ausströmseitige Reihe von Öffnungen (40) durch eine sich um den Umfang herum erstreckende, obere Reihe von Ende an Ende angeordneten Winkelstreben (32) und durch eine sich um den Umfang erstreckende, zweite mittlere Reihe von Ende an Ende angeordneten Winkelstreben (28) gebildet ist, wobei die obere und die zweite mittlere Reihe von Winkelstreben (28, 32) durch eine Mehrzahl von sich axial erstreckenden Streben (31) und durch eine Mehrzahl von winkelbeabstandeten, sich axial erstreckenden Kommissurfensterrahmenabschnitten (30) miteinander verbunden sind, wobei jede sich axial erstreckende Strebe (31) und jeder Kommissurfensterrahmenabschnitt (30) der ausströmseitigen Reihe von Öffnungen (40) sich von einem Ort aus, der durch das Zusammenlaufen der unteren Enden von zwei Winkelstreben (32) der oberen Reihe von Winkelstreben (32) definiert ist, zu einem anderen Ort hin, der durch das Zusammenlaufen der oberen Enden von zwei Winkelstreben (28) der zweiten mittleren Reihe von Winkelstreben (28) definiert ist, erstreckt; und wobei benachbarte Winkelstreben des Rahmens (12) einen Winkel von zumindest 120° bilden, wenn sich der Rahmen in dem radial expandierten Zustand befindet; wobei die Anordnung ferner eine Segelstruktur umfasst, wobei jeder Kommissurfensterrahmenabschnitt dafür ausgelegt ist, eine entsprechende Kommissur der Segelstruktur festzuspannen im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen;
(Anspruch 1 von …).
II. Die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, der Verfügungsklägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie, die Verfügungsbeklagte, die unter Ziffer I. bezeichneten Handlungen seit dem 17. Juni 2020 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
wobei
– zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine, höchst hilfsweise Zollpapiere) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen; und
– die Aufstellung mit den Daten der Auskunftserteilung zusätzlich in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist (z.B. Excel-Tabelle).
III. Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
IV. Das Urteil ist in Ziffer I. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.500.000,00 EUR, in Ziffer II. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000,00 EUR und in Ziffer III. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Verfügungsbeklagte ist wie tenoriert zu verurteilen, da die Einrede der fehlenden Prozesskostensicherheit nicht durchgreift (A.), die Verfügungsklägerin einen Verfügungsanspruch (B.) sowie einen Verfügungsgrund (C.) glaubhaft gemacht hat und die gebotene Interessenabwägung zu ihren Gunsten ausfällt (D.). Entsprechend rechtfertigen sich die Nebenentscheidungen (E.).
A.
Die Anordnung einer Prozesskostensicherheit gemäß § 110 Abs. 1 ZPO scheidet aus, da sie dem Wesen des einstweiligen Verfügungsverfahrens widerspricht. Die Vorschrift ist daher im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht anwendbar.
I.
Das einstweilige Verfügungsverfahren ist ein Verfahren eigener Art, dessen Zweck es ist, einstweilen Individualansprüche zu sichern und streitige Rechtsverhältnisse zu regeln. Es handelt sich seiner Natur nach um ein summarisches Erkenntnisverfahren, auf welches zwar grundsätzlich die Vorschriften zu den allgemeinen Klageverfahren Anwendung finden, dies jedoch nur soweit sich nicht aus den §§ 916 bis 945 ZPO und den Besonderheiten des einstweiligen Rechtsschutzes – wie dem Bedürfnis, so unverzüglich wie möglich zu einer einstweiligen Entscheidung und Regelung zu gelangen – etwas anderes ergibt (vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 31. Auflage, 2016, Vor § 916 Rn. 3). So ist anerkannt, dass wegen der Vorläufigkeit und dem eiligen Durchsetzungscharakter der einstweiligen Verfügung die Vorschriften über die vorläufige Vollstreckbarkeit (§§ 708 ff. ZPO) und die Einwilligung zur Klagerücknahme (§ 269 Abs. 1 ZPO) nicht anwendbar sind, da stattgebende einstweilige Verfügungen ihrer Natur nach vollstreckbar sind und es keinen Sinn macht, den Antragsteller durch Verweigerung der Einwilligung in die Antragsrücknahme an einem Rechtsschutzbegehren festzuhalten, welches nur einer einstweiligen Regelung unterworfen werden sollte.
Hiervon ausgehend verbietet es sich, die in § 110 ZPO geregelte Einrede der Prozesskostensicherheit für Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Vertragsstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, auf das einstweilige Verfügungsverfahren zu erstrecken, und zwar unabhängig davon, ob eine Entscheidung durch Beschluss oder aufgrund mündlicher Verhandlung ergeht (LG Düsseldorf, BeckRS 2011, 3782; Herget, in: Zöller, 31. Auflage, 2017, § 110 Rn. 3; Voß, in: Schulte, Patentgesetz, 10. Auflage, 2017, § 139 Rn. 273; Rüting, in: Cepl/Voß, Prozesskommentar zum gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage, 2018, § 110 Rn. 4; a.A.: Schulz, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage, 2020, § 110 Rn. 3).
II.
Zwar lässt sich der Schutzgedanke des § 110 ZPO, den Beklagten vor Schwierigkeiten bei der Vollstreckung seines Kostenerstattungsanspruchs im Falle des Obsiegens zu schützen, grundsätzlich auch auf die Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz übertragen.
Dass der Gesetzgeber die gerichtliche Entscheidung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht mit Kostenfragen belasten will, zeigt sich jedoch auch daran, dass anders als im Hauptsacheverfahren die Entscheidung über den Verfügungsantrag nicht von der Einzahlung eines Gerichtskostenvorschusses abhängig ist. Denn § 12 Abs. 1 GKG nennt nur „Klagen“ (vgl. Zimmermann, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 4. Auflage, 2019, § 12 GKG Rn. 3).
Zudem hat der Gesetzgeber den Gerichten mit § 938 ZPO bzw. den §§ 936, 921 Satz 2 ZPO die Möglichkeit an die Hand gegeben, die Vollziehung der einstweiligen Verfügung von einer Sicherheitsleistung des Antragstellers abhängig zu machen und somit flexibel auf den jeweiligen Einzelfall reagieren zu können.
III.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass infolge der neueren Rechtsprechung des BVerfG (vgl. GRUR 2018, 1288 – Die F.-Tonbänder; GRUR 2018, 1291 – Steuersparmodell eines Fernsehmoderators) über den Erlass einer einstweiligen Verfügung im Gewerblichen Rechtsschutz in aller Regel mündlich zu verhandeln ist. Zwar ergibt sich daraus eine im Vergleich zur Beschlussverfügung deutlich verlängerte Frist zwischen Antrag und Erlass einer einstweiligen Verfügung und demnach auch eine längere Frist zur Leistung einer Prozesskostensicherheit. Dieser Zeitraum wird jedoch insbesondere bei Uneinigkeit der Parteien über die Höhe der zu leistenden Sicherheit aufgrund des dann notwendigen Zwischenurteils immer noch deutlich zu kurz sein, dass die Klägerin eine etwaige zu stellende Sicherheit bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung stellt und dem Gericht gegenüber nachweist.
Nach alldem sprechen daher die besseren Argumente für die Nichtanwendung von § 110 ZPO im einstweiligen Rechtsschutz (vgl. auch OLG München, NJOZ 2012, 2019).
B.
Die Verfügungsklägerin hat das Bestehen eines Verfügungsanspruchs glaubhaft gemacht.
Die angegriffene Ausführungsform der Verfügungsbeklagten verwirklicht alle Merkmale von Anspruch 1 des Verfügungspatents wortsinngemäß (I.). Aufgrund der von der Verfügungsklägerin glaubhaft gemachten Angebotshandlungen der Verfügungsbeklagten verletzt diese das Verfügungspatent gemäß § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG (II.). Die Benutzung ist auch nicht durch einen Anspruch auf Erteilung einer Zwangslizenz gemäß § 24 PatG gerechtfertigt (III.). Da auch die übrigen Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs, insbesondere seine Verhältnismäßigkeit, gegeben sind, ist die Verfügungsbeklagte zur Unterlassung gemäß § 139 Abs. 1 i.V.m. Art. 64 Abs. 3 EPÜ zu verurteilen (IV.). Einer Entscheidung über den Hilfsantrag bedarf es demnach nicht mehr (V.).
I.
Die angegriffene Ausführungsform der Verfügungsbeklagten verwirklicht alle Merkmale von Anspruch 1 des Verfügungspatents wortsinngemäß.
1.
Das Verfügungspatent betrifft prothetische Herzklappen sowie Einführsysteme, um die Herzklappenprothesen zu implantieren; [0001]. Da die Implantierung derartiger Herzklappenprothesen am offenen Herzen naturgemäß mit zahlreichen Nachteilen/Gefährdungen für den Patienten verbunden bzw. für zahlreiche gar nicht geeignet ist, kommt der Implantierung über perkutane und minimal-invasive chirurgische Eingriffe eine große Bedeutung zu. Eine Methode dabei ist die Implantierung der Klappenprothesen mittels Katheterisierung. Das Verfügungspatent erwähnt zur Erläuterung hierzu die US 5,411,522 sowie die US 6,730,118, in denen faltbare Transkatheter-Herzklappen beschrieben werden, die in einem komprimierten Zustand eingeführt und an der gewünschten Stelle, z.B. der verkalkten Aortenklappe, mittels eines aufblasbaren Ballons bzw. eines selbstexpandierenden Rahmens an die gewünschte Position gesetzt werden können; [0005].
Dabei kommt dem Durchmesser einer Transkatheter-Herzklappe im zusammengefalteten bzw. „gecrimpten“ Profil eine zentrale Eigenschaft zu. Das Profil ist wichtig, weil es Einfluss darauf hat, ob der Arzt die Transkatheter-Herzklappe durch die Oberschenkelarterie oder -vene schieben kann. Insbesondere ermöglicht ein kleineres Profil die Behandlung einer breiteren Patientengruppe mit erhöhter Sicherheit; [0006].
Das Verfügungspatent selbst nennt die von ihm gelöste technische Aufgabe nicht. Vor dem genannten technischen Hintergrund kann diese jedoch darin gesehen werden, eine Anordnung einer ballonexpandierbaren, prothetischen Aortenklappe bereitzustellen, die so konstruiert ist, dass eine Überexpansion des Rahmens der künstlichen Herzklappe beim Aufpumpen des Ballons am Implantationsort vermieden wird, um so die Gefahr der Beschädigung der Klappe und des natürlichen Gewebes beim Implantieren in den Körper eines Patienten zu minimieren.
Zur Lösung schlägt der mit dem Hauptantrag geltend gemachte Anspruch 1 des Verfügungspatents folgende Vorrichtung vor, die sich gemäß der Darstellung der Verfügungsklägerin wie folgt gliedern lässt:
„Anordnung zum Implantieren einer ballonexpandierbaren, prothetischen Aorten-Herzklappe in den Körper eines Patienten, umfassend:
1. eine Einführvorrichtung umfassend einen langgestreckten Schaft (180) mit einem aufpumpbaren Ballon (182), und
2. eine prothetische Aorten-Herzklappe mit einem ballonexpandierbaren Rahmen (12) mit einem radial zusammengezogenen Zustand und einem radial expandierten Zustand, wobei der Rahmen (12) umfasst:
a) eine einströmseitige Reihe von Öffnungen (36) an einem Einströmendabschnitt des Rahmens (12),
b) eine ausströmseitige Reihe von Öffnungen (40) an einem Ausströmendabschnitt des Rahmens (12); und
c) zumindest eine mittlere Reihe von Öffnungen (38) zwischen der einströmseitigen Reihe von Öffnungen (36) und der ausströmseitigen Reihe von Öffnungen (40);
d) wobei die einströmseitige Reihe von Öffnungen (36)
(aa) durch eine sich um den Umfang herum erstreckende, untere Reihe von Ende an Ende angeordneten Winkelstreben (22) und
(bb) durch eine sich um den Umfang herum erstreckende, erste mittlere Reihe von Ende an Ende angeordneten Winkelstreben (24) gebildet ist,
(cc) wobei die untere und die erste mittlere Reihe von Winkelstreben (22, 24) durch eine Mehrzahl von im Wesentlichen geraden, sich axial erstreckenden Streben (34) miteinander verbunden sind,
e) wobei die ausströmseitige Reihe von Öffnungen (40)
(aa) durch eine sich um den Umfang herum erstreckende, obere Reihe von Ende an Ende angeordneten Winkelstreben (32) und
(bb) durch eine sich um den Umfang erstreckende, zweite mittlere Reihe von Ende an Ende angeordneten Winkelstreben (28) gebildet ist,
(cc) wobei die obere und die zweite mittlere Reihe von Winkelstreben (28, 32) durch eine Mehrzahl von sich axial erstreckenden Streben (31) und durch eine Mehrzahl von winkelbeabstandeten, sich axial erstreckenden Kommissurfensterrahmenabschnitten (30) miteinander verbunden sind,
(dd) wobei jede sich axial erstreckende Strebe (31) und jeder Kommissurfensterrahmenabschnitt (30) der ausströmseitigen Reihe von Öffnungen (40) sich von einem Ort aus, der durch das Zusammenlaufen der unteren Enden von zwei Winkelstreben (32) der oberen Reihe von Winkelstreben (32) definiert ist, zu einem anderen Ort hin, der durch das Zusammenlaufen der oberen Enden von zwei Winkelstreben (28) der zweiten mittleren Reihe von Winkelstreben (28) definiert ist, erstreckt; und
3. wobei benachbarte Winkelstreben des Rahmens (12) einen Winkel von zumindest 120° bilden, wenn sich der Rahmen in dem radial expandierten Zustand befindet;
4. wobei die Anordnung ferner eine Segelstruktur umfasst, wobei jeder Kommissurfensterrahmenabschnitt dafür ausgelegt ist, eine entsprechende Kommissur der Segelstruktur festzuspannen.“
2.
a)
Im Hinblick auf die zwischen den Parteien zu Recht allein diskutierte Frage der Verwirklichung von Merkmal 2 c) (nach der Merkmalsgliederung der Verfügungsbeklagten Merkmal 1.2.3) bedarf allein dieses Merkmal der näheren Erläuterung.
Die Verfügungsbeklagte meint, Merkmal 2 c) könne nur so verstanden werden, dass eine anspruchsgemäße Herzklappenprothese immer zwei mittlere Reihen von Öffnungen aufweisen müsse. Sie verweist hierzu insbesondre auf eine fehlende Aussage zur Ausgestaltung des Merkmals im Anspruch selbst und auf die Ausführungsbeispiele in den [0029], [0030] und [0031] sowie die Figuren 1, 2, 3, 4, 5, 20, 28, 32, 37, 40, 42, 43, 55 des Verfügungspatents.
Die Verfügungsklägerin tritt dem unter anderem mit dem Hinweis auf den Anspruchswortlaut entgegen.
b)
Nach der Vorgabe in Art. 69 Abs. 1 EPÜ bzw. § 14 Satz 1 PatG wird der Schutzbereich eines Patents durch die Patentansprüche bestimmt. Im Rahmen der Auslegung sind der Sinngehalt des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen (BGH GRUR 2004, 845 – Drehzahlermittlung; GRUR 2007, 410 – Kettenradanordnung I; GRUR 2010, 858 – Crimpwerkzeug III). Dabei sind Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen, die die technische Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschaulichen und daher nach ständiger Rechtsprechung nicht nur für die Bestimmung des Schutzbereichs, sondern ebenso für die Auslegung des Patentanspruchs heranzuziehen sind, unabhängig davon, ob diese Auslegung die Grundlage der Verletzungsprüfung oder der Prüfung des Gegenstands des Patentanspruchs auf seine Patentfähigkeit ist (BGH GRUR 2012, 1124 Rn. 27 – Polymerschaum mit Verweis auf BGH GRUR 2010, 858 – Crimpwerkzeug III).
Die Beschreibung und die Zeichnungen sind zwar nach Art. 69 Abs. 2 EPÜ bzw. § 14 Satz 2 PatG zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen, da diese der Erläuterung der Patentansprüche dienen. Beschreibung und Zeichnungen sind mithin heranzuziehen, um den Sinngehalt des Patentanspruchs zu ermitteln. Ihre Heranziehung darf aber weder zu einer inhaltlichen Erweiterung noch zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortsinn des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führen (BGH GRUR 2004, 1023 – bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; GRUR 2010, 602 – Gelenkanordnung).
c)
Demnach gilt für Merkmal 2. c) folgendes:
aa)
Der Anspruchswortlaut lässt eine genaue Ausgestaltung der mittleren Reihe von Öffnungen gemäß Merkmal 2. c) nicht erkennen. Er verlangt aber ausdrücklich „zumindest eine mittlere Reihe von Öffnungen“. Dem Wort „zumindest“ ist zu entnehmen, dass dies eine Mindestanforderung ist, die anspruchsgemäß erfüllt sein muss. Das bedeutet ebenso, dass lediglich eine mittlere Reihe von Öffnungen gemäß dem Anspruchswortlaut ausreichend ist.
bb)
Zwar ist es richtig, dass bei der Auslegung des Patentanspruchs die Beschreibung und die Zeichnungen stets zu berücksichtigen sind. Das führt vorliegend aber nicht dazu, das Merkmal 2. c) einschränkend, nämlich so zu verstehen, dass immer mindestens 2 mittlere Öffnungen anspruchsgemäß vorhanden sein müssen. Dies würde die Bedeutung des Wortes „zumindest“ im Anspruch nivellieren.
Aus technisch-funktionaler Sicht ist auch nicht erkennbar, warum eine anspruchsgemäße Herzklappenprothese nicht nur über eine, sondern mindestens zwei mittlere Reihe von Öffnungen verfügen sollte. Das Verfügungspatent beschäftigt sich insbesondere mit der Ausgestaltung der einströmseitigen Reihe von Öffnungen, wie schon die Merkmalsgruppe 2. d) zeigt bzw. mit der Ausgestaltung der ausströmseitigen Reihe von Öffnungen, wie die Merkmalsgruppe 2. e) zeigt. Diese bilden gemäß Merkmal 2. zusammen mit der mittleren Reihe von Öffnungen den Rahmen der künstlichen Herzklappe. Entsprechend behandelt die Beschreibung die Ausgestaltung der Merkmalsgruppen 2. d) und 2. e).
Der Rahmen der künstlichen Herzklappe dient zum einen dazu, die Segelstruktur an den Kommissurfensterrahmenabschnitten festzuspannen ([0050] f.) sowie zur Befestigung des Innensaums („inner skirt“, [0037] und [0043]) und des Außensaums („outer skirt“, [0059]). Weiterhin muss der Rahmen eine hohe Ringfestigkeit aufweisen, um den sowohl von außen einwirkenden Kräften des umliegenden Gewebes der natürlichen Aortenklappe, als auch den Offnungs- und Schließbewegungen der Klappensegel bei jedem Herzschlag Stand zu halten. Darüber hinaus muss der Rahmen so konstruiert sein, dass er im zusammengefalteten Zustand einen möglichst geringen Durchmesser aufweist, um das zu passierende Gewebe bei der Einführung in den Patienten über die Oberschenkelarterie oder – vene nicht zu verletzen; [0006]. Zur Befestigung der Segelstruktur am Rahmen sieht das Verfügungspatent vor, dass diese an den Kommissurfensterrahmenabschnitten nach Merkmal 4) (entspricht Merkmal 1.3 der Merkmalsgliederung der Verfügungsbeklagten) festgespannt werden. Die Kommissurfensterrahmenabschnitte befinden sich nach Merkmal 2. e) (cc) und (dd) (entspricht Merkmal 1.2.5.1 bzw. Merkmal 1.2.5.1.1 der Merkmalsgliederung der Verfügungsbeklagten) an der obersten, ausströmseitigen Reihe von Öffnungen (40). Die genaue Befestigung des Innensaums („inner skirt“) am Rahmen lässt das Verfügungspatent hingegen offen. Der Zweck des Innensaums ist es, die Befestigung der Segelstruktur am Rahmen zu unterstützen und eine geeignete Abdichtung zwischen der Klappe und dem nativen Aortenring zu ermöglichen, indem sie Blutfluss durch offene Zellen des Rahmens blockiert; [0038] und [0053].
Ausführungen zur Notwendigkeit von zwei statt mindestens einer mittleren Reihe von Öffnungen enthält die Beschreibung nicht. Hierzu hat auch die Verfügungsbeklagte nichts vorgetragen. Für den Fachmann besteht daher gar keine Veranlassung, den Wortlaut anders als wortsinngemäß zu verstehen. Daher sind die von der Verfügungsbeklagten genannten Stellen in der Beschreibung bzw. Figuren nur geeignet, das Merkmal 2. c) zu veranschaulichen und Ausführungsformen der Erfindung darzustellen. Sie sind jedoch nicht geeignet, den insoweit eindeutigen Anspruchswortlaut einschränkend im Sinne der Verfügungsbeklagten zu verstehen.
3.
Die angegriffene Ausführungsform weist unstreitig eine mittlere Reihe von Öffnungen auf. Daher ist auch Merkmal 2. c) von Anspruch 1 des Verfügungspatents verwirklicht und damit der gesamte geltend gemachte Anspruch 1.
II.
Die Verfügungsklägerin hat glaubhaft gemacht, dass die Verfügungsbeklagte die angegriffene Ausführungsform in Deutschland zum Kauf anbietet (Anlage ASt 14). Die Verfügungsbeklagte ist dem Vorwurf des Vertriebs der angegriffenen Ausführungsform in Deutschland auch nicht entgegengetreten. Sie verletzt mithin das Patentrecht der Verfügungsklägerin gemäß § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG.
III.
Die Verletzungshandlung erfolgt unberechtigt. Das Bestehen eines Anspruchs der Verfügungsbeklagten auf Erteilung einer Lizenz gemäß § 24 Abs. 1 PatG gegenüber der Verfügungsklägerin ist bereits nicht glaubhaft gemacht.
Die Verfügungsbeklagte hat nicht glaubhaft gemacht, dass alle Voraussetzungen für die Erteilung einer Zwangslizenz vorliegen. Insbesondere hat sie nicht glaubhaft gemacht, dass sie sich hinreichend innerhalb einer eines angemessenen Zeitraumes erfolglos bemüht hat, vom Patentinhaber die Zustimmung zu erhalten, die Erfindung zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu benutzen. Der hierzu erfolgte Vortrag (Schriftsatz vom 25.08.2020, Seite 29 ff./Bl. 207 ff. d.A.) läßt jeden konkreten Vortrag zu den einzelnen Vorgängen, insbesondere zu den von der Verfügungsbeklagten der Verfügungsklägerin gegenüber angebotenen Konditionen für eine Lizenz vermissen (vgl. zu den Voraussetzungen BPatG, BeckRs 2016, 113453 – Isentress).
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Verfügungsbeklagte ihre Anträge auf einstweilige Benutzung der Erfindung nach § 85 Abs. 1 PatG in der mündlichen Verhandlung vom 03.09.2020 vor dem BPatG zurückgenommen hat.
IV.
Da auch die weiteren Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs gegeben sind, ist die Verfügungsbeklagte gemäß § 139 Abs. 1 PatG i.V.m. Art. 64 Abs. 3 EPÜ zu verurteilen.
1.
Eine Wiederholungsgefahr ist aufgrund der durch die Verfügungsklägerin glaubhaft gemachten Verletzungshandlung gegeben. Diese ist nicht durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung seitens der Verfügungsbeklagten ausgeräumt worden.
2.
Eine Einschränkung des Unterlassungsanspruch aufgrund von Verhältnismäßigkeitserwägungen kommt nicht in Betracht.
a)
Die Unverhältnismäßigkeit der Unterlassungspflicht ist als Einwand und somit als Gegenrecht des Schuldners ausgebildet. Daher bedarf es keiner allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprüfung, sondern der Schuldner muss den Einwand erheben und zu dessen materiellen Voraussetzungen substantiiert vortragen. Im deutschen Recht hat der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips Verfassungsrang und ist als allgemeiner Rechtsgrundsatz über § 242 BGB und § 275 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen.
Es ist höchstrichterlich anerkannt, dass im Ausnahmefall eine Einschränkung der Unterlassungspflicht geboten sein kann, wenn die sofortige Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs unter Berücksichtigung der Interessen von Patentinhaber und Verletzer eine unverhältnismäßige, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigte Härte darstellte und daher treuwidrig wäre (vgl. BGH GRUR 2016, 1031 – Wärmetauscher).
Hier ist (auch zur Einhaltung der Rechtsordnung und zur Wahrung der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit) ein strenger Maßstab geboten. Da das Unterlassungsgebot für den Schuldner stets Härten bedeutet, die grundsätzlich hinzunehmen sind, ist der Einwand nur in sehr wenigen Ausnahmefällen begründet. Bringt der Schuldner beachtliche Gründe für eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs vor, ist für die Annahme, eine unbedingte Untersagung treffe ihn unzumutbar hart, eine sorgfältige Abwägung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich und eine schematische Lösung verbietet sich. Insofern ist auch das patentrechtliche und prozessuale Gesamtgefüge von maßgeblicher Bedeutung. Berücksichtigt werden können das Verhalten des Patentinhabers und sein Interesse an der Unterlassung, deren wirtschaftliche Auswirkungen für den Patentverletzer, das Verhältnis von Gegenstand des Klagepatents und angegriffenem (komplexen) Produkt, das Verhalten des Verletzers sowie allgemein Art und Umfang des Eingriffs. Es sind aber nur solche Beeinträchtigungen relevant, die bestimmungsgemäß über die hinausgehen, die mit dem Ausspruch der Unterlassung einhergehen. Der Verletzer muss mögliche und zumutbare Vorkehrungen zur Vermeidung der Patentverletzung treffen und diese beachten. Ebenso muss er sich so früh wie möglich um eine Lizenz bemühen und spätestens ab Zugang des Verletzerhinweises beginnen, für den Fall der Verurteilung zur Unterlassung eine Umstellung vorzubereiten, weil er nicht erwarten darf, hierfür Zeit nach Verkündung des Urteils zu erhalten (vgl. Werner, in: Busse, Patentgesetz, 9. Auflage, 2020, § 139 Rn. 91 f. m.w.N. – zur Veröffentlichung vorgesehen). An diesen Grundsätzen dürfte sich auch durch den von der Verfügungsbeklagten angeführten Gesetzesentwurf des BMJV zur Novellierung von § 139 PatG nichts ändern.
b)
Die Verfügungsbeklagte hat es hingegen dabei belassen, allgemeine Aussagen zur Unverhältnismäßigkeit im vorliegen Fall zu machen. Allein finanzielle oder immaterielle Nachteile führen – wie gezeigt – nicht zum Ausschluss des Unterlassungsanspruchs. Diese nimmt der Gesetzgeber mit der Möglichkeit des Unterlassungsanspruch grundsätzlich in Kauf.
Soweit sich die Verfügungsbeklagte darauf beruft, durch ein etwaiges Verbot der angegriffenen Ausführungsform würden (auch) die Interessen Dritter, etwa von Patienten negativ berührt werden, führt das ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung. Denn diese sind einerseits in den dafür vom Gesetz vorgesehenen Verfahren – etwa nach §§ 25, 83 PatG – geltend zu machen (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 12. Auflage, 2019, Seite 512, Rn. 387).
Andererseits muss berücksichtigt werden, dass die Verfügungsbeklagte bereits seit der Abmahnung am 06.07.2020 damit rechnen musste, alsbald keine Produkte der angegriffenen Ausführungsform mehr ausliefern zu dürfen. Dass die Verfügungsbeklagte dennoch weiter Produkte ausgeliefert bzw. Bestellungen angenommen hat, kann nun nicht der Verfügungsklägerin zum Nachteil gereichen. Die Verfügungsbeklagte hat es selbst zu verantworten, dass sie die angegriffenen Ausführungsformen trotz Abmahnung weiter vertrieben und damit gegenüber Ärzten und Patienten den Eindruck vermittelt hat, sie werde diese auch (in Zukunft) liefern können.
Demnach war auch eine Aufbrauchsfrist unabhängig von dem Umstand, dass die Verfügungsbeklagte das Vorliegen der hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht glaubhaft gemacht hat, nicht anzuordnen.
V.
Da bereits der Hauptantrag der Verfügungsklägerin erfolgreich ist, war der Hilfsantrag nicht mehr zu prüfen.
C.
Die Verfügungsklägerin hat auch das Bestehen eines Verfügungsgrundes glaubhaft gemacht; § 940 ZPO.
I.
Das grundsätzliche Vorliegen der Dringlichkeit hat die Verfügungsklägerin durch Einhaltung der im Bezirk des OLG-München vorausgesetzten Dringlichkeitsfrist von 1 Monat glaubhaft gemacht.
1.
Die Veröffentlichung der Patenterteilung erfolgte am 17.06.2020. Die Verfügungsklägerin hat die Verfügungsbeklagte am 06.07.2020 aus dem Verfügungspatent abgemahnt und nach deren offensichtlicher Erfolglosigkeit am 15.07.2020 den hiesigen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eingereicht.
Die im Bezirk des OLG München angenommene Dringlichkeitsfrist von 1 Monat ist daher eingehalten.
2.
Dem steht auch der Einwand der Verfügungsbeklagten nicht entgegen, die Verfügungsklägerin habe bereits in 2019 Kenntnis vom angeblichen Verletzungsgegenstand erhalten, so dass sie mit dem extra auf diesen zugeschnitten Verfügungspatent nunmehr keine einstweilige Verfügung rechtfertigen könne.
a)
Nach ständiger Rechtsprechung wird die sogenannte Dringlichkeitsfrist in Lauf gesetzt, wenn der Antragsteller Kenntnis von der fraglichen Verletzungshandlung und dem hierfür Verantwortlichen hat und er alle Informationen und Glaubhaftmachungsmittel besitzt, um mit Aussicht auf Erfolg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellen zu können. Ist dem Antragsteller – wie vorliegend – die angegriffene Ausführungsform bereits seit längerer Zeit bekannt, kommt es maßgeblich auf die Erteilung des Schutzrechts an (OLG München GRUR 2020, 385 Rn. 60 – Elektrische Anschlussklemme sowie Retzer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Auflage, 2016, Anh. zu § 12 Rn. 957).
Für den Beginn der Dringlichkeitsfrist ist daher auch der Zeitpunkt der Erteilung des geltend gemachten Schutzrechts maßgeblich. Dessen Erteilung wurde – wie vorstehend dargelegt – weniger als 1 Monat vor dem Antrag auf einstweilige Verfügung veröffentlicht.
b)
Der Verfügungsklägerin ist auch kein Vorwurf daraus zu machen, dass sie nicht bereits aus anderen Schutzrechten gegen die Verfügungsbeklagte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorgegangen ist.
Die Verfügungsbeklagte hat zwar mitgeteilt, dass die Verfügungsklägerin aus mehreren Schutzrechten in anderen Verfahren vorgeht. Sie hat aber nicht zu erkennen gegeben, aus welchem Schutzrecht die Verfügungsklägerin statt des Verfügungspatents hätte vorgehen sollen.
Darüber hinaus steht es dem Rechteinhaber jedenfalls grundsätzlich frei, welches seiner Rechte er auf welchem Wege geltend macht. Ihm ist dabei insbesondere – und gerade im Hinblick auf die nachfolgend zu erörternde Rechtsprechung zur einstweiligen Verfügung in Patentsachen – zuzugestehen, selbst zu entscheiden, welches Schutzrecht er für welche Verfahrensart besonders geeignet hält und welches nicht. Dem steht der Einwand des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB entgegen, dessen Voraussetzungen hier aber nicht gegeben sind.
II.
Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Glaubhaftmachung der Dringlichkeit in Patentsachen liegen vor.
1.
Im Gegensatz zu anderen Rechtsgebieten, wie etwa dem UWG oder dem Markenrecht, besteht im Patentrecht keine gesetzliche Vermutung für die Dringlichkeit.
Nach herrschender, von der Rechtsprechung geprägter Auffassung kommt der Erlass einer einstweiligen Verfügung in Patentstreitsachen nur dann in Betracht, wenn sowohl die Frage der Patentverletzung, als auch der Bestand des Verfügungsschutzrechts im Ergebnis so eindeutig zugunsten des Antragstellers zu beantworten ist, dass eine fehlerhafte, in einem Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist. Erforderlich ist ein hinreichend gesicherter Rechtsbestand des Verfügungspatents.
Das ist nach der herrschenden Spruchpraxis nur dann der Fall, wenn das Verfügungspatent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat. Es muss nach dieser – ungeschriebenen Voraussetzung – eine die Schutzfähigkeit bestätigende Entscheidung im Einspruchs-/Beschwerdeverfahren vor dem EPA oder des BPatG im Nichtigkeitsverfahren vorweisen können (OLG Düsseldorf GRUR-RS 2017, 142305 Rn. 18 – Kombinationszusammensetzung; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2009, 442 – Vorläufiger Rechtsschutz; OLG München a.a.O., Rn. 62). Die wesentliche Begründung hierfür ist, dass eine ausreichend vertiefte Beschäftigung sowohl des Antragsgegners als auch der Gerichte mit den komplexen Fragen insbesondere zum Rechtsbestand des Verfügungspatents aufgrund der im einstweiligen Verfügungsverfahren beschränkten Zeit nicht möglich ist. Daher soll der Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne erstinstanzliche Entscheidung im Rechtsbestandsverfahren nur in besonderen Fallgestaltungen in Betracht kommen. Als solche werden angesehen:
– die Beteiligung des Antragsgegners/Verfügungsbeklagten mit eigenen Einwendungen am Erteilungsverfahren, weil dieses dann faktisch als zweiseitiges Verfahren geführt wurde, d.h. die vorgebrachten Einwendungen auch sachlich geprüft wurden;
– wenn das Verfügungsschutzrecht allgemein als schutzfähig angesehen wird;
– wenn die Einwendungen gegen den Rechtsbestand des Verfügungsschutzrechts sich schon bei summarischer Prüfung als haltlos erweisen oder
– wenn es dem Antragsteller/Verfügungskläger aufgrund außergewöhnlicher Umstände, z.B. aufgrund der Marktsituation, ausnahmsweise unzumutbar ist, den Ausgang des Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren abzuwarten
(vgl. OLG München a.a.O., Rn. 62). Diese Aufstellung erhebt jedenfalls nach dem OLG Düsseldorf keinen Anspruch auf Vollständigkeit (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 12, 114 Rn. 18 – Harnkatheterset).
2.
Es kann dahinstehen, ob die von der vorherrschenden Auffassung an die Dringlichkeit in Patentsachen gestellten Anforderungen dem patentrechtlichen Erteilungsakt in Verbindung mit dem geltenden Trennungsprinzip sowie den Vorschriften des § 140 b Abs. 7 PatG, des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48/EG (sog. Enforcement-RL) sowie des Art. 50 TRIPs ausreichend Bedeutung beimessen. Denn hier sind die Voraussetzungen für einen Ausnahmefall gegeben:
a)
Gegen die Erteilung des Verfügungspatents wurden während des Erteilungsverfahren zwei Eingaben, nämlich am 05.12.2019 (Anlage ASt 23) und am 18.02.2020 (Anlage ASt 30) eingereicht.
Diese Eingaben wurden von der Prüfungsabteilung des EPA offensichtlich zur Kenntnis genommen und bei der Prüfung der Patenterteilung berücksichtigt. Zu der Eingabe vom 05.12.2019 äußerte sich die Prüfungsabteilung mit Schreiben vom 20.01.2020 (Anlage ASt 29), wonach die dortigen Einwendungen für relevant, im Hinblick auf erfolgte Anpassungen jedoch für nicht durchschlagend befunden wurden. Zur zweiten Eingabe vom 18.02.2020 äußerte sich die Prüfungsabteilung mit dezidiertem Schreiben vom 02.04.2020 (Anlage ASt 36).
Im Einzelnen handelte es sich dabei um folgende Einwendungen:
aa)
Mit der Einwendung vom 05.12.2019 (Anlage ASt 23) wurde geltend gemacht, die Anmeldung sei im Hinblick auf die Stammanmeldung, WO2012/048035 A2 (Anlage ASt 24), unzulässig im Sinne von Art. 76 Abs. 1 EPÜ erweitert.
Es wurde einerseits eingewendet, das Merkmal der Segelstruktur sei nicht in der Stammanmeldung offenbart.
Andererseits wurde bemängelt, die Ursprungsoffenbarung offenbare nicht Merkmal 2. c), wonach „zumindest eine mittlere Reihe“ von Öffnungen (38) vorhanden sein müsse. Die Zeichnungen in der Stammanmeldung offenbarten zwei mittlere Reihen von Öffnungen. Die Stellen in der Beschreibung [0012] sowie Anspruch 6, die nur eine mittlere Reihe beschrieben, würden das auf den Fall begrenzen, dass die einströmseitige Reihe der Öffnungen größer ist als diejenige der mindestens einen mittleren Reihe.
bb)
Mit der Einwendung vom 18.02.2020 (Anlage ASt 30) wurde das Fehlen eines erfinderischen Schritts im Hinblick auf die Voroffenbarungen TPO 1 („Serruys“, als Referenz für das Fachwissen des Fachmann zum relevanten Zeitpunkt), TPO 2 (= WO 2009/094188 A1 = HL7 = HLO 14) und TPO 3 (= US 2010/0004735 A1 = HL 8 = HLO 7) sowie die nicht ausreichende Offenbarung im Sinne von Art. 83 EPÜ beanstandet.
Es wurde geltend gemacht, die TPO 2 nehme – insbesondere durch die Figur 3 – alle Merkmale der Anmeldung vorweg bis auf die Offenbarung der 120°-Winkels (vgl. Anlage ASt 30, Seite 7-17). Das Merkmal der 120°-Winkels hätte für den Fachmann im Hinblick auf die TPO 3 jedoch nahegelegen (vgl. Anlage ASt 30, Seite 17-19).
b)
Die Prüfungsabteilung des EPA hat sich mit den Einwendungen wie folgt befasst:
aa)
Die Eingabe vom 05.12.2019 wurde ausweislich des Schreibens vom 20.01.2020 zur Kenntnis genommen, jedoch für nicht durchschlagend befunden (vgl. bereits oben, Anlage ASt 29).
Dass die Prüfungsabteilung insbesondere die auch im vorliegenden Rechtsstreit von der Verfügungsbeklagten geltend gemachte unzulässige Erweiterung von Merkmal 2. c) als Problem erkannt hatte, ergibt sich aus weiterer Korrespondenz, die die Verfügungsklägerin vorgelegt hat. So zeigt das Schreiben der Prüfungsabteilung vom 12.11.2019 (Anlage ASt 26), dass die Prüfungsabteilung selbst – unabhängig von der Eingabe Dritter am 05.12.2019 – die Frage der unzulässigen Erweiterung von Merkmal 2. c) im Hinblick auf [0012] der Stammanmeldung sowie deren Anspruch 6 am 19.07.2019 mit der Anmelderin thematisiert hatte. Die Anmelderin hatte zudem am 28.08.2019 ein Schreiben bei der Prüfungsabteilung eingereicht, in der sie unter anderem darlegte, warum aus ihrer Sicht keine unzulässige Erweiterung vorliegt (Anlage ASt 27, Seite 2-5). Im Anschluss daran erfolgten weitere Diskussionen zwischen der Prüfungsabteilung und der Anmelderin (vgl. Anlage HLO 11, Seite 2 „Comments“). Insoweit ist auch die recht knappe Stellungnahme der Prüfungsabteilung zur Eingabe vom 05.12.2019 zu verstehen.
Auch der weitere Einwand der fehlenden Segelstruktur wurde beachtet, indem er sogar in den Anspruch 1 aufgenommen wurde (vgl. Anlage HLO 11, Seite 2 „Comments“).
bb)
Auf den Einwand der fehlenden erfinderischen Tätigkeit in der Eingabe vom 18.02.2020 (Anlage ASt 30) hat die Prüfungsabteilung mit Schreiben vom 02.04.2020 (Anlage ASt 36) mitgeteilt, dass sie die dortige Einschätzung, wonach insbesondere die Figur 3 in der Anlage TPO 2 die Kommissurfenster in der ausströmseitigen Reihe von Öffnungen offenbare, nicht teile, da in dieser Figur noch eine darüber stehende Reihe offenbart werde. Da somit das Merkmal 2. e) (dd) fehle, wäre der Fachmann auch bei unterstellter Kombination von TPO 2 mit TPO 3 oder TPO 1 nicht zur angemeldeten Erfindung gelangt.
Hinsichtlich des Einwands von Art. 83 EPÜ, wonach nicht offenbart sei, bis zu welcher Gradzahl die Winkel der Winkelstreben erfindungsgemäß gehen könnten, teilte die Prüfungsabteilung mit, der Fachmann werde nur technisch sinnvolle Winkel annehmen und damit etwa solche über 180° nicht in Erwägung ziehen.
c)
Aus dem Vorstehenden ist zur Überzeugung der Kammer ersichtlich, dass die Prüfungsabteilung die vorgebrachten Einwände sorgfältig geprüft hat.
aa)
Der Vorwurf der Verfügungsbeklagten, die vorgelegte Prüfungshistorie zeige, dass die Prüfungsabteilung nicht mit der gebotenen Sorgfalt geprüft habe, teilt die Kammer nicht. Das Gegenteil ist – wie oben gezeigt – der Fall. Das zeigt insbesondere der Umstand, dass nach dem Einwand der fehlenden Segelstruktur diese als Merkmal in den Anspruch aufgenommen wurde.
Aus dem Umstand, dass die Stellungnahme zur Eingabe vom 18.02.2020 am 02.04.2020 und somit nach der Erklärung der Erteilungsbereitschaft vom 31.01.2020 (Anlage HLO 11) erfolgte, ergibt sich nichts anderes. Soweit die Verfügungsbeklagte der Prüfungsabteilung insoweit unterstellen möchte, diese unterliege dem sogenannten Inertia-Effekt, hat sie damit keinen Erfolg. Es ist aus Sicht der Kammer fernliegend, dass die Prüfungsabteilung die Einwendungen vom 18.02.2020 deshalb nicht sachgerecht geprüft hat, weil sie bereits die – vorläufige – Absicht zur Erteilung bekundet hatte.
Wie die dargestellte Erteilungshistorie zeigt, wurden mehrere Punkte mehrfach angesprochen. So wurde die Frage der unzulässigen Erweiterung von Merkmal 2. c) zunächst von der Prüfungsabteilung selbst mit der Anmelderin diskutiert (vgl. Anlage ASt 26). Im Anschluss daran wurde diese Frage nochmals in der Eingabe vom 05.12.2019 angesprochen (Anlage ASt 23).
Auch die mit der Eingabe vom 18.02.2020 geltend gemachten Druckschriften waren bereits teilweise Gegenstand des Europäischen Rechercheberichts (vgl. Anlage ASt 25, Seite 45).
Die Prüfungsabteilung hatte demnach mehrfach Veranlassung, sich mit einzelnen Fragen der Erteilung des Verfügungspatents zu beschäftigen und hat dies nachweislich getan.
bb)
Dass derjenige, der die beiden Einwendungen im Anmeldeverfahren angebracht hat und die Verfügungsbeklagte möglicherweise nicht identisch sind, ist unschädlich. Denn zur Überzeugung der Kammer kann es für die Annahme des Ausnahmefalls von Einwendungen im Prüfungsverfahren nicht darauf ankommen, ob der Einwendende mit dem Antragsgegner/Verfügungsbeklagten personenidentisch ist.
Entscheidend ist, dass die zum Patent angemeldete Erfindung im Anmeldeverfahren mit Einwendungen Dritter konfrontiert war und sich insoweit bewähren musste. Von wem diese eingereicht wurden, ist nicht erheblich, da es allein auf die eingereichten Einwendungen ankommt. Dann kann das Anmeldeverfahren wie ein vorweggenommenes Einspruchsverfahren betrachtet werden.
Dass die hiesigen Einwände von einem Strohmann der Verfügungsklägerin gemacht wurden, um einen Ausnahmefall künstlich zu generieren, trägt selbst die Verfügungsbeklage nicht vor.
d)
Die Verfügungsbeklagte wendet im einstweiligen Verfügungsverfahren zuletzt gegen den Bestand des Verfügungspatents ein, dieses sei
– im Hinblick auf die Anlage HLO 5 neuheitsschädlich vorweggenommen,
– im Hinblick auf Merkmal 2. c) unzulässig erweitert,
– im Hinblick auf die HLO 14 in Verbindung mit der HLO 7 oder HLO 6 nicht erfinderisch,
– im Hinblick auf die HLO 6 in Verbindung mit der HLO 14 nicht erfinderisch,
– im Hinblick auf die HLO 5 in Verbindung mit der HLO 14 nicht erfinderisch, unzureichend offenbart.
Diese Angriffe vermögen auch nach eigenständiger, nachfolgend ausgeführter Prüfung der Kammer gerade im Hinblick auf das zweimalige Einreichen von Einwendungen im Anmeldeverfahren keine ausreichenden Zweifel am Rechtsbestand des Verfügungspatents zu säen.
aa) Die Erfindung gemäß Patentanspruch 1 ist durch die Offenbarung der Druckschrift der Anlage HLO 5 (= US 2006/0259137 A1) nicht neuheitsschädlich getroffen.
Dieser Einwand wurde im Anmeldeverfahren nicht geltend gemacht. Die Druckschrift ist indes im Europäischen Recherchebericht genannt (ASt 25, Seite 45; vgl. auch die Patentschrift EP 3 494 928 B 1, Anlage ASt 5, Seite 1). Dass die Prüfungsabteilung des EPA dennoch zu Unrecht die Neuheit bejaht hat, ist nicht erkennbar. Der Einwand fehlender Neuheit in Bezug auf diese Druckschrift erweist sich als offensichtlich haltlos.
(1.)
Die Verfügungsbeklagte hat sich in der mündlichen Verhandlung vom 04.09.2020 in Ergänzung zu ihrem schriftsätzlichen Vortrag vom 25.08.2020 (Seite 87-99/Bl. 265-277 d.A.) zur Vorwegnahme aller Merkmale bis auf die Kommissurfensterrahmenabschnitte darauf berufen, die Anlage HLO 5 nehme die erfindungsgemäße Herzklappenprothese des Verfügungspatents neuheitsschädlich, d.h. insgesamt vorweg. Sie hat insbesondere vorgetragen, auch die Befestigung der Segelstruktur mit Hilfe von Kommissurfensterrahmenabschnitten sei offenbart und hierzu auf die Zusammenschau der Figuren 6 A, 6 C einerseits und der Figuren 11, 12, 13 andererseits in Verbindung mit [0134] der Anlage HLO 5 verwiesen.
Die Figuren 6 C und 12 sehen folgendermaßen aus:
Der Passus, auf den sich die Verfügungsbeklagte in [0134] der HLO 5 beruft, hat folgenden Wortlaut:
„The commissural tabs (35) of the valve (32) can be stitched directly to the hexagon shaped elements (50) of the outflow ring, rather than being secured via slots.“
(2.)
Es kann jedenfalls an dieser Stelle dahinstehen, ob die Druckschrift in der Anlage HLO 5 auch die Befestigung der Segelstruktur mit Hilfe von Kommissurfensterrahmenabschnitten in der vom Verfügungspatent gelehrten Art und Weise offenbart.
Denn die Druckschrift offenbart jedenfalls nicht – worauf auch die Verfügungsklägerin in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat – Merkmal 3, wonach benachbarte Winkelstreben des Rahmens (12) einen Winkel von zumindest 120° bilden, wenn sich der Rahmen in dem radial expandierten Zustand befindet.
(a)
Die Beklagte beruft sich hierzu in ihrem Schriftsatz vom 25.08.2020 (Seite 95/Bl. 273 d.A.) darauf, die Figur 12 der HLO 5 zeige den Rahmen der Herzklappenprothese im expandierten Zustand und bei einer Messung der dort gezeigten Winkel zwischen den Winkelstreben ergebe sich der Winkel von 120°.
(b)
Dies stellt offensichtlich keine Offenbarung des Merkmals eines Winkels von „mindestens 120°“ gemäß Merkmal 3 des Verfügungspatents dar.
Neuheitsschädlich ist nur eine Lehre, aus der sämtliche Merkmale der beanspruchten Kombination unmittelbar und eindeutig hervorgehen (BGH GRUR 2008, 887 – Momentanpol; Meier-Beck, GRUR 2009, 893). Zur Feststellung einer neuheitsschädlichen Offenbarung ist auf den für den Fachkundigen erkennbaren Inhalt der jeweiligen vorverlautbarten technischen Lehre abzustellen. Dabei geht das Gesetz von dem gleichen Begriff der Offenbarung aus, wie er auch sonst im Patentgesetz zugrunde gelegt wird. Der Begriff der Offenbarung wird im Gesetz grundsätzlich einheitlich gebraucht (Melullis, in: Benkard, PatG, 11. Auflage 2015, § 3 Rn. 160 mit Verweis auf BGH GRUR 1981, 812 – Etikettiermaschine).
Der Offenbarungsgehalt wird bestimmt durch den Gegenstand der Vorbenutzung bzw. -veröffentlichung und dessen gesamten Informationsgehalt (ders., a.a.O., Rn. 161 mit Verweis auf BGHZ 128, 270, 275 – Elektrische Steckverbindung). Entscheidend ist, was der Fachmann der Schrift oder Benutzung aus dem Stand der Technik als technische Information entnimmt (ders., a.a.O., Rn. 162).
Voraussetzung für eine neuheitsschädliche Vorwegnahme ist somit, dass sich die Information bzw. das Merkmal als für den Fachmann feststellbare und ausreichend ausführbare Anweisung zum technischen Handeln ergibt (ders. a.a.O., Rn. 164).
Dabei ist allgemein anerkannt, dass schematische Darstellungen, wie sie üblicherweise in Patentschriften und Gebrauchsmusterbeschreibungen zu finden sind, regelmäßig nur das Prinzip der beanspruchten Vorrichtung wiedergegeben. Sie offenbaren jedoch keine exakten Abmessungen. Auch bei exakter Übereinstimmung der beanspruchten Lehre mit den durch Nachmessen ermittelten Werten steht eine solche Abbildung der Neuheit einer späteren Lehre daher regelmäßig nicht entgegen (ders., a.a.O., Rn. 178 mit Verweis auf EPA 16.11.1993 – T857/91; EPA ABl. 85, 310 – Venturi zu 6, 5; Keukenschrijver, in: Busse, PatG, 8. Auflage, 2016, § 3 Rn. 98; vgl. auch Fitzner/Metzger, in: Fitzner/Lutz/Bodewig, BeckOK Patentrecht, 17. Edition, Stand: 15.01.2020, § 3 Rn. 121). Patentzeichnungen offenbaren daher in der Regel nur das Prinzip, nicht auch exakte Abmessungen (Scharen, in: Benkard, PatG, § 14 Rn. 29; Keukenschrijver, a.a.O., § 14 Rn. 50; Moufang, in: Schulte, PatG mit EPÜ, 10. Auflage, 2017, § 34 Rn. 308).
Dieses Ergebnis wird vorliegend gestützt durch die Ausführungen in der Einwendung vom 18.02.2020 (Anlage ASt 30, Seite 17, Ziffer 3) sowie im Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 25.08.2020 (Seite 59/Bl. 237 d.A.). Dort wird in Bezug auf das Naheliegen durch die TPO 2 (= US 2009/094188 A2 = HLO 14) jeweils konzediert, dass sie das Merkmal der 120° nicht offenbare. Die in der TPO 2 dargestellten Zeichnungen (insbesondere die vornehmlich geltend gemachte Figur 3) unterscheiden sich aber in ihrer Detailierung nicht wesentlich von den in der Anlage HLO 5 (insbesondere Figur 12) gezeigten, aus denen die Verfügungsbeklagte nunmehr die Offenbarung der 120° für den Fachmann erschließen möchte:
Selbst wenn man zu Gunsten der Verfügungsbeklagten unterstellte, das Merkmal der 120° ergebe sich aus den Zeichnungen, wäre es für den Fachmann nicht neuheitsschädlich offenbart, da nicht ersichtlich und auch von der Verfügungsbeklagten nicht vorgetragen wurde, dass der Fachmann es überhaupt und insbesondere als erfindungswesentlich zur Kenntnis genommen hätte (vgl. Moufang, a.a.O., Rn. 305).
Demnach sind die Zeichnungen in der Anlage HLO 5 offensichtlich nicht geeignet, das Merkmal eines mindestens 120° betragenden Winkels vorwegzunehmen. Eine anderweitige Offenbarung dieses Merkmals findet sich in dieser Druckschrift nicht.
bb)
Im Hinblick auf den Einwand der unzulässigen Erweiterung in Merkmal 2. c) kann zunächst festgestellt werden, dass dieser Punkt – wie oben ausgeführt – von der Prüfungsabteilung selbständig gesehen und mit der Verfügungsklägerin diskutiert wurde und sodann mit der Eingabe vom 05.12.2019 nochmals angebracht wurde.
Die Entscheidung der Prüfungsabteilung, keine unzulässige Erweiterung des Merkmals 2. c) anzunehmen, erweist sich auch für die Kammer als nachvollziehbar.
(1.)
In der Stammanmeldung findet sich folgender Beschreibungsteil:
In some embodiments, the frame comprises an inflow row of openings at the inflow end portion of the frame, an outflow row of openings at the outflow end portion of the frame, and at least one intermediate row of openings between the inflow row of openings and outflow row of openings. The openings of the inflow row of openings are larger than the openings of the at least one intermediate row of openings.
Im ersten Satz werden Ausführungsbeispiele angesprochen, die „mindestens eine mittlere Reihe von Öffnungen“ aufweisen. Der darauffolgende Satz beschreibt, dass die Öffnungen der einströmseitigen Reihe von Öffnungen größer sind als diejenigen der mindestens einen mittleren Reihe von Öffnungen.
Dabei beschreibt der Satz 1 von [0012] das, was sich aus den Zeichnungen ergibt, dass nämlich die anspruchsgemäße Herzklappenprothese aus einer einströmseitigen, einer ausströmseitigen und mindestens einer mittleren Reihe von Öffnungen besteht. Die Zeichnungen 1 bis 5 in der Stammanmeldung zeigen dieses Prinzip in der Weise, dass jeweils zwei mittlere Reihen vorhanden sind. Dadurch wird aber der Offenbarungsgehalt der insoweit deutlichen Beschreibungsstelle nicht eingeschränkt. Wäre [0012] so zu verstehen, dass immer dann, wenn mindestens eine mittlere Reihe von Öffnungen vorliegt, die einströmseitige Reihe größer als sie ist, wäre das nicht in Einklang zu bringen mit den Figuren 11 oder 12, die ausweislich der Beschreibung in [0024] ebenfalls Ausführungen der beanspruchten Erfindung darstellen.
Aus der Beschreibungsstelle in Satz 2 von [0012] kann daher – entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten – nicht der Schluss gezogen werden, die Anmelderin habe damit die Verwendung von nur einer Reihe von mittleren Öffnungen allein dann vorgesehen, wenn die einströmseitige Reihe der Öffnungen größer ist als die mittlere Reihe.
Es wird offenbart, dass dann, wenn eine einströmseitige, eine ausströmseitige und mindestens eine mittlere Reihe von Öffnungen vorhanden ist, die einströmseitigen auch größer sein können als die mindestens eine mittlere Reihe. Dass dies immer der Fall sein muss, wird nicht offenbart. Das wäre vor dem Hintergrund der gebotenen Auslegung einer Patentanmeldung auch unangebracht. Denn dabei ist eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts zu vermeiden. Das Interesse des Anmelders ist regelmäßig darauf gerichtet, möglichst breiten Schutz zu erlangen, also die Erfindung in möglichst allgemeiner Weise vorzustellen und auch nicht allein auf aufgezeigte Anwendungsbeispiele zu beschränken (vgl. Schäfers, in: Benkard, Patentgesetz, 11. Auflage, 2015, § 34 Rn. 14 f.).
Daher erweist sich die Entscheidung der mit 3 Fachleuten besetzten Prüfungsabteilung als tragfähig und steht dem Eindruck des Rechtsbestands des Verfügungspatents nicht entgegen.
cc)
Ein Naheliegen im Hinblick auf die HLO 14 in Verbindung mit der HLO 7 oder HLO 6 scheidet aus.
(1.)
Die HLO 14 gibt die WO 2009/094188 A2 wider. Diese wurde bereits als TPO 2 in der Eingabe vom 18.02.2020 vorgebracht. Die HLO 7 gibt die US 2010/0004735 A1 wider und entspricht der TPO 3 in der Eingabe vom 18.02.2020. Die HLO 14 ist zudem im Europäischen Recherchebericht als relevanter Stand der Technik (Typ A „technological background“) aufgeführt.
(2.)
Die Prüfungsabteilung hat die erfinderische Tätigkeit in Bezug auf die Druckschriften HLO14 und HLO 7 geprüft und ein Naheliegen verneint (vgl. oben).
(3.)
Für die Kammer ergibt sich auch nach dem Vorbringen der Verfügungsbeklagten kein Anlass zu einer anderen Beurteilung.
Die Kammer teilt insoweit die nachvollziehbare Auffassung der Prüfungsabteilung, dass sich in der HLO 14 die Kommissurfenster gerade nicht in der Reihe der ausströmseitigen Öffnungen befindet. Die bereits oben dargestellte Figur 3 offenbart offensichtlich über derjenigen Reihe, in der die Kommissurfenster angebracht sind, eine weitere Reihe. Diese ist als die ausströmseitige Reihe von Öffnungen anzusehen.
Etwas anders ergibt sich auch nicht aus den vorgebrachten Argumenten der Verfügungsbeklagten. Diese argumentiert zum einen, die in der Figur 3 gezeigte oberste Reihe sei keine Reihe im Sinne von Merkmal 2. e), so dass die darunter liegende Reihe mit den Kommissurfenstern als Reihe im Sinne vom Merkmal 2. e) angesehen werden müsse. Zudem hat sie vorgetragen, das Weglassen dieser obersten Reihe sei nicht erfinderisch, da diese Reihe technisch nicht notwendig, sondern für den Patienten eher nachteilig sei. Daher habe es für den Fachmann nahegelegen sie wegzulassen.
Dem ist mit der Prüfungsabteilung einerseits entgegen zu halten, dass die Streben, die die Kommissurfenster bilden, eindeutig nicht die obere Reihe der Winkelstreben mit der nächsten Reihe verbinden. Andererseits ist anzumerken, dass die Beschreibung der HLO 14 in Bezug auf die Figur 1
in [0057] erläutert:
Stent 10 further includes at least one longitudinal post 16, which can be used for attachment of tissue to the stent, along with providing additional stability to thefirst end 12 of the stent.
Demnach dient die oberste Reihe (12) in der Figur 1 dazu, dem Gerät Stabilität zu verleihen und wird ihrerseits durch Pfosten (16) mit Querstreben (1) der darunter liegenden Reihe verstärkt. Dies gesteht auch die Verfügungsbeklagte inzident ein, wenn sie zum Beweis der Möglichkeit des Weglassens der obersten Reihe auf die Figur 2 der HLO 14 verweist, die wiederum die Pfosten mit Querstreben enthält:
Die Pfosten in der Figur 3 enthalten demgegenüber keine Querstreben, so dass nicht ersichtlich ist, warum der Fachmann diese darüber angeordnete Reihe einfach weggelassen hätte.
Da die HLO 14 das Merkmal 2. e) cc) offensichtlich nicht nahelegt und die Verfügungsbeklagte auf die Druckschriften HLO 7 bzw. HLO 6 zur Darlegung der Offenbarung des 120°-Winkels verweist, kann an dieser Stelle dahinstehen, ob diese die 120° offenbaren.
dd)
Auch der Einwand des Naheliegens im Hinblick auf die HLO 6 = US 2008/154355 A1) in Verbindung mit der HLO 14 überzeugt nicht.
Die Durchschrift HLO 6 wird im Europäischen Prüfbericht als relevanter Stand der Technik (Typ A: „technological background“) ebenso aufgeführt wie die Anlage HLO 14. Es ist somit davon auszugehen, dass beide der Prüfung tatsächlich zugrunde gelegt wurden. Daneben wurde die HLO 14 als TPO2 gegen die Erteilung des Verfügungspatents in Anmeldeverfahren als Einwendung angeführt (vgl. oben).
(1.)
Die Verfügungsbeklagte meint insbesondere unter Bezugnahme auf Figur 2 der HLO 6, dass darin bis auf die Kommissurfensterrahmen alle Merkmale der Erfindung des Verfügungspatents offenbart seien.
(2.)
Dem ist zu entgegnen, dass die Anlage HLO 6 bereits nicht das Merkmal 2. e) dd) umfasst, wonach die obere und die zweite mittlere Reihe von Winkelstreben (28, 32) durch eine Mehrzahl von sich axial erstreckenden Streben (31) und durch eine Mehrzahl von winkelbeabstandeten, sich axial erstreckenden Kommissurfensterrahmenabschnitten (30) miteinander verbunden sind.
Wie die Figur 2 der HLO 6 zeigt, sind die axialen Streben durchgängig über mehrere Reihen angeordnet.
Darüber hinaus ist nicht erkennbar, dass der Fachmann bei Kombination der HLO 6 mit der HLO 14 nur die dort gezeigten Kommissurfensterrahmenabschnitte in die Figur 2 der HLO 6 übernommen hätte, die ebenfalls dargestellte oberste Reihe von Öffnungen, die die Kommissurabschnitte gerade nicht enthält (vgl. oben), aber wegelassen hättte.
Daher ist die anspruchsgemäße Erfindung auch durch die etwaige Kombination von Anlage HLO 6 und HLO 14 nicht nahegelegt.
ee)
Ein Naheliegen im Hinblick auf die HLO 5 in Verbindung mit der HLO 14 scheidet ebenso aus. Beiden Druckschriften kann der Winkelgrad von mindestens 120 nicht entnommen werden. In Bezug auf die HLO 5 wurde dies bereits aufgezeigt, in Bezug auf die HLO 14 konzediert dies die Verfügungsbeklagte selbst (vgl. Schriftsatz vom 25.08.2020, Seite 59/Bl. 237 d.A.). Soweit die Verfügungsbeklagte dennoch darauf verweisen sollte, der Winkel ergäbe sich aus den Zeichnungen, gilt dasselbe wie zur HLO 5 ausgeführt. Daher hätte auch ihre Kombination nicht zu dessen Hinzufügung durch den Fachmann geführt.
Darüber hinaus ist wiederum nicht ersichtlich, dass der Fachmann bei Kombination der beiden Druckschriften ausgehend von Figur 12 der HLO 5, bei Übernahme der Kommissurfenster aus der HLO 14 (Figur 3) die Rahmenstruktur so angepasst hätte, dass sie der anspruchsgemäßen entspricht.
ff)
Schließlich ist der Einwand der fehlenden Ausführbarkeit der Erfindung gemäß Art. 83 EPÜ erkennbar unzutreffend. Die Verfügungsbeklagte beruft sich darauf, der Fachmann sei nach Lesen der Verfügungspatentschrift nicht in der Lage, einen Rahmen zu konstruieren, der als Rahmen für eine prothetische Herzklappe geeignet ist.
Richtig ist zwar, dass der Anspruch 1 nur die grundlegende Rahmenstruktur mit einströmseitiger, mittlerer und ausströmseitiger Reihe von Öffnungen samt Kommissurfenstem offenbart. Aus den Ausführungsbeispielen sowie den Unteransprüchen wird der Fachmann jedoch ohne weitere Anstrengungen erkennen, wie er insbesondere die mittlere Reihe der Öffnungen ausführen kann. Dabei wir ihm Unteranspruch 3 helfen, der ausdrücklich auf die Ausgestaltung eines Rahmens mit nur einer mittleren Reihe von Öffnungen ausgerichtet ist.
e)
Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass nach eigenständiger Prüfung durch die Kammer
– der Einwand der Neuheitsschädlichkeit offenkundig fehl geht,
– der Einwand der unzulässigen Erweiterung bereits ausführlich im Anmeldeverfahren geprüft wurde und sich als nicht begründet erweist,
– der Einwand des Naheliegens im Hinblick auf die HLO 14 in Verbindung mit der HLO 7 oder HLO 6 bereits im Prüfungsverfahren erörtert wurde und sich als nicht begründet erweist,
– der Einwand des Naheliegens im Hinblick auf die HLO 6 in Verbindung mit der HLO 14 offensichtlich fehl geht,
– der Einwand des Naheliegens im Hinblick auf die HLO 5 in Verbindung mit der HLO 14 offensichtlich fehl geht,
– der Einwand der unzureichenden Offenbarung offensichtlich fehl geht.
Ferner ist festzustellen, dass alle zum Angriff auf den Rechtsbestand vorgebrachten Druckschriften im Rahmen der Prüfung Berücksichtigung gefunden haben (vgl. den Europäischen Recherchebericht für die HLO 5, HLO 6 und HLO 14 bzw. die Eingabe vom 18.02.2020 für die HLO 7 = TPO 3 = US 2010/000 4735 A1).
Außerdem muss in die Überlegung mit eingestellt werden, dass es sich um einen Streit zwischen Wettbewerbern handelt, die sich und ihre jeweiligen Produkte offensichtlich gegenseitig beobachten. Es liegt demnach kein Fall vor, bei dem ein völlig unwissendes und branchenfremdes Unternehmen plötzlich mit der Verletzung eines Patents einer ihm nach seinem Geschäftsfeld völlig unbekannten Technologie überrascht wird. Die Verfügungsbeklagte, die vorträgt, sie habe sich bereits weit vor der Abmahnung um eine Lizenz bezüglich der hier angegriffenen Ausführungsform bei der Verfügungsklägerin bemüht, war demnach nicht argund/oder ahnungslos.
Auch der zwischen der Abmahnung am 06.07.2020 und der mündlichen Verhandlung am 04.09.2020 verstrichene Zeitraum ist nicht so kurz bemessen, dass es der Verfügungsbeklagten unmöglich oder wesentlich erschwert gewesen wäre, sich adäquat gegen den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu wehren. Das belegt unter anderem der Umstand, dass die Verfügungsbeklagte genug Zeit hatte, am 14.08.2020 eine Zwangslizenzklage vor dem BPatG zu erheben und am 24.08.2020 einen Einspruch bei der Einspruchsabteilung des EPA sowie einen Antrag auf einstweilige Gestattung gemäß § 85 PatG.
f)
Nach alldem ist aus Sicht der Kammer der Rechtsbestand des Verfügungspatents hinreichend gesichert. Die Entscheidung der – im Gegensatz zur erkennenden Kammer – mit drei Fachleuten (vorliegend: Fachfrauen; vgl. Anlage ASt 51, Seite 2, Ziffer 3) besetzten Prüfungsabteilung des EPA erweist sich nach selbständiger Prüfung durch die Kammer und vor dem Hintergrund der im Prüfungsverfahren bereits erfolgten Einwendungen als zutreffend und ist daher ausreichend zur Glaubhaftmachung der Dringlichkeit.
III.
Da sich der Antrag der Verfügungsklägerin als eindeutig begründet erweist, kann sie von der Verfügungsbeklagten ebenfalls Auskunft gemäß § 140 b Abs. 1, Abs. 7 PatG verlangen.
Eine untragbare Beeinträchtigung der Verfügungsbeklagten durch die Verpflichtung zur Auskunft im einstweiligen Verfügungsverfahren ist nicht anzunehmen. Einerseits hat die Verfügungsbeklagte bereits von sich aus im Verfahren Angaben zu ihren Vertriebshandlungen gemacht (vgl. etwa Protokoll vom 04.09.2020, Seite 3). Andererseits beträgt der zu beauskunftende Zeitraum nur wenige Monate, beginnend ab dem 17.06.2020.
Ein Wirtschaftsprüfervorbehalt war dabei nach einhelliger Ansicht nicht zu gewähren.
D.
Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass die Verfügungsklägerin als verletzte Patentinhaberin per se einen Nachteil erleidet, wenn die Rechtsverletzung nicht zeitnah abgestellt wird.
Aus dem Einwand der Verfügungsbeklagten, eine einstweilige Verfügung sei unverhältnismäßig, weil das Verfügungspatent noch sehr jung sei und daher noch eine lange Schutzdauer vor sich habe, folgt aus Sicht der Kammer das Gegenteil. Zum einen steht es im Ermessen des Inhabers, wie lange er ein Schutzrecht aufrechterhält. Bezahlt er die Jahresgebühren nicht, endet dessen Schutz vor Erreichen der gesetzlichen Höchstdauer. Zum anderen sind mitunter gerade „junge“ Patente auf eine schnelle und effektive Durchsetzung angewiesen, um ihrer Stellung als Ausschließlichkeitsrecht gegenüber unberechtigten Nutzern Geltung zu verschaffen und andere davon abzuhalten, sie (ebenfalls) zu ignorieren. Schließlich findet sich auch im Gesetz keinerlei Anhalt dafür, dass „alten“ Patenten unter leichteren Bedingungen einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren sei als jungen Patenten.
Soweit die Verfügungsbeklagte auf die Interessen Dritter verweist, kann auf die obigen Ausführungen im Rahmen des Unterlassungsanspruchs verwiesen werden.
Schließlich ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass die Verfügungsklägerin eine nicht unerhebliche Sicherheitsleistung zu leisten hat. Diese dürfte ausgehend von einem Preis von ca. … pro angegriffener Ausführungsform der Verfügungsbeklagten (Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 02.09.2020, Seite 5) und einem Verkaufsvolumen von nicht mehr als … Stück pro Jahr, den bis zu einer etwaigen Aufhebung der einstweiligen Verfügung eintretenden Schaden sowie die ihr entstandenen Anwaltskosten deutlich kompensieren.
E.
I.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 ZPO.
Die Verfügungsklägerin hat ihren ursprünglichen Antrag auf Sequestrierung der angegriffenen Ausführungsformen zurückgenommen. Sie trifft daher grundsätzlich diesbezüglich die Kostenlast gemäß § 269 Abs. 3 Satz 2 HS 1 ZPO. Da im Vergleich zu den beiden anderen Anträgen, mit denen sie obsiegt, der zurückgenommene Antrag nicht erheblich ins Gewicht fällt, sind der Verfügungsbeklagten gemäß §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 HS 2 ZPO die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
II.
Im Rahmen der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit war dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die einstweilige Verfügung aus einem zwar nicht offensichtlich zu Unrecht erteilten Verfügungspatent erlassen wird. Gleichwohl konnte nicht unberücksichtigt bleiben, dass das Verfügungspatent sich im Einspruchsverfahren befindet und daher jedenfalls nicht vollkommen ausgeschlossen werden kann, dass es widerrufen wird. Mit der Sicherheitsleistung ist einerseits dem Interesse der Verfügungsklägerin Rechnung getragen, die einen grundsätzlich vollstreckbaren Titel erhält, andererseits auch der Verfügungsbeklagten, die für den Fall des endgültigen Obsiegens eine ausreichende Sicherheit erhält.


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