Europarecht

keine Erhöhung des Grundhonorars für Übersetzung eines Strafbefehls mit einfachem Sachverhalt ins Ungarische

Aktenzeichen  2 Qs 30/20

Datum:
28.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
JurBüro – 2021, 85
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
JVEG § 4, § 11

 

Leitsatz

1. Das Vorliegen einer seltenen Fremdsprache ist – wie auch die Aufnahme als ein Beispielfall zeigt – ein maßgeblicher Umstand in der Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine Erhöhung nach § 11 I 3 JVEG vorliegen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach einer teleologischen Betrachtung ist dann von einer seltenen Sprache auszugehen, wenn die Fremdsprache in Deutschland wenig verbreitet ist, sodass zum einen nur wenige Personen Übersetzungsdienste anbieten und zum anderen geringe Hilfsmittel für eine Übersetzung existieren. In diesen Fällen ist es angezeigt auch bei Vorliegen relativ einfacher Texte ein erhöhtes Honorar zu gewähren. Anders ist dies grundsätzlich bei den in der Europäischen Union verwendeten und anerkannten Arbeits- und Amtssprachen (hier: Ungarisch). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

49 Cs 804 Js 26595/19 2020-06-02 Bes AGNUERNBERG AG Nürnberg

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Amtsgericht Nürnberg vom 04.06.2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 02.06.2020 aufgehoben.
2. Der Vergütungsanspruch des Übersetzers … für die im Verfahren erbrachten Übersetzungsleistungen wird auf einen Betrag von insgesamt 218,75 Euro festgesetzt.
3. Die weitere Beschwerde wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen.

Gründe

I.
Mit Beschluss vom 02.06.2020 setzte das Amtsgericht Nürnberg die Entschädigung des Übersetzers … für die im Verfahren erbrachten Übersetzungsleistungen auf einen Betrag von insgesamt 256,25 Euro fest. Dabei nahm das Amtsgericht Nürnberg eine Erhöhung des Honorar gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 JVEG an. Als alleinigen Grund für die Erhöhung des Honorars führte das Amtsgericht Nürnberg an, dass es sich bei der Sprache Ungarisch um eine in Deutschland selten vorkommende Fremdsprache handle, sodass die Übersetzung besonders erschwert sei. Dabei schloss sich das Amtsgericht der Auffassung des Bundesverbandes der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) an, dass für die Einordnung der Sprache als „selten“ im Sinne des JVEG die Anzahl der für die jeweilige Sprache für den Bereich Justiz qualifizierten Übersetzer die in der Bundesrepublik in einer von der Justiz geführten Liste der allgemein beeidigten, öffentlich bestellten bzw. ermächtigten Dolmetscher und Übersetzer erfasst sind, maßgeblich sei. Als „selten“ gelte demnach eine Sprache, für die weniger als 1 Prozent der in Deutschland allgemein beeidigten Übersetzer in der bundesweiten Beeidigtenliste geführt werden. Da es in der Bundesrepublik 235 Übersetzer für Ungarisch von insgesamt 24.628 allgemein beeidigten Übersetzer (Stand 13.09.2019) gäbe, sei Ungarisch als seltene Sprache einzustufen.
Gegen diesen Beschluss legte der Bezirksrevisor bei dem Amtsgericht Nürnberg mit Schriftsatz vom 04.06.2020 Beschwerde ein. Zur Begründung führte er aus, dass in dem zu übersetzenden Text weder Fachausdrücke besonders häufig verwendet worden seien, noch handle es sich bei der Sprache „Ungarisch“ um eine selten vorkommende Fremdsprache im Sinne von § 11 Abs. 1 S. 3 JVEG, so dass ein erhöhtes Honorar nicht gerechtfertigt erscheine. Insbesondere sei die „1 Prozent-Klausel“ als Wertungsmaßstab eines Berufsverbandes nicht alleine geeignet, um über das Vorliegen einer seltenen Sprache zu entscheiden.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens sowie der geäußerten Rechtsmeinungen wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, insb. den Festsetzungsantrag des Bezirksrevisors vom 21.01.2020 und den Festsetzungsantrag des Übersetzers vom 13.05.2020 Bezug genommen.
Das Amtsgericht Nürnberg half der Beschwerde nicht ab, da die im Beschluss vom 02.06.2020 genannten Gründe weiterhin zuträfen.
Mit Verfügung vom 23.07.2020 wurde die Entscheidung über die Beschwerde gemäß § 4 Abs. 7 S. 2 JVEG der Kammer übertragen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
1. Gemäß § 4 Abs. 3 JVEG kann die Staatskasse gegen die Festsetzung einer Entschädigung nach § 4 Abs. 1 JVEG Beschwerde einlegen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt oder wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Das Amtsgericht ließ die Beschwerde in dem Beschluss vom 02.06.2020 zu. Gemäß § 4 Abs. 4 S. 4 JVEG ist das Beschwerdegericht an die Zulassung gebunden.
2. Die Beschwerde ist begründet. Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 S. 3 JVEG liegen nicht vor, sodass nur ein Honorar in Höhe von insgesamt 218,75 Euro festzusetzen ist.
§ 11 JVEG regelt den Vergütungsanspruch für Übersetzungen. Gemäß § 11 Abs. 1 S. 3 JVEG erfolgt eine Erhöhung des Grundhonorars (§ 11 Abs. 1 S. 1 JVEG) oder des erhöhten Honorars (§ 11 Abs. 1 S. 2 JVEG), wenn die Übersetzung wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls, insbesondere wegen der häufigen Verwendung von Fachausdrücken, der schweren Lesbarkeit des Textes, einer besonderen Eilbedürftigkeit oder weil es sich um eine in Deutschland selten vorkommende Fremdsprache handelt, besonders erschwert ist.
Wie sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift „Umstände des Einzelfalls“ ergibt, ist eine Prüfung des Einzelfalls erforderlich, ob die Voraussetzungen für eine Erhöhung nach § 11 Abs. 1 S. 3 JVEG vorliegen. Aus dem Wort „insbesondere“ sowie der Gesetzesbegründung bei der Neufassung des § 11 JVEG (BT-Drs. 517/12, S. 402) lässt sich ferner ableiten, dass es sich bei der Aufzählung des § 11 Abs. 1 S. 3 JVEG um Beispielsfälle handelt, die nicht abschließend sind. Für die Prüfung einer Erhöhung des Honorars ist eine Gesamtwürdigung des zu übersetzenden Textes als auch äußerer Begleitumstände vorzunehmen (OLG Nürnberg, Beschluss vom 29.3.2005 – 12 W 90/05; OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.10.2014 – 4 Ws 432/14).
Das Vorliegen einer seltenen Fremdsprache ist – wie auch die Aufnahme als ein Beispielfall zeigt – ein maßgeblicher Umstand in der Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine Erhöhung nach § 11 Abs. 1 S. 3 JVEG vorliegen. Eine Definition, wann eine selten vorkommende Sprache im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 3 JVEG gegeben ist, findet sich weder im Gesetz noch in den Gesetzesmaterialien. Nach einer teleologischen Betrachtung ist dann von einer seltenen Sprache auszugehen, wenn die Fremdsprache in Deutschland wenig verbreitet ist, sodass zum einen nur wenige Personen Übersetzungsdienste anbieten und zum anderen geringe Hilfsmittel für eine Übersetzung existieren (BeckOK KostR/Bleutge, JVEG § 11 Rn. 16). In diesen Fällen ist es angezeigt auch bei Vorliegen relativ einfacher Texte ein erhöhtes Honorar zu gewähren. Anders ist dies grundsätzlich bei den in der Europäischen Union verwendeten und anerkannten Arbeits- und Amtssprachen (vgl. BDZ/Binz, JVEG § 11 Rn. 18; Schneider JVEG/Schneider, § 11 Rn. 30). Durch den Austausch der Mitgliedsstaaten besteht bereits ein erhöhter Bedarf für Übersetzungsdienstleistungen. Ebenfalls liegen vermehrt Hilfsmittel für Übersetzungen vor und die Rechtssysteme sind miteinander vergleichbar und vielfach harmonisiert.
Diesen Umständen hat das Amtsgericht Nürnberg keine Rechnung getragen, indem es die Seltenheit einer Fremdsprache allein nach einer Prozentzahl der registrierten Übersetzer bestimmte. Allerdings ist die vom Amtsgericht Nürnberg berücksichtigte Liste der in Deutschland allgemein beeidigten Übersetzer im Rahmen der Gesamtwürdigung, ob eine besondere Erschwernisse nach § 11 Abs. 1 S. 3 JVEG vorliegt, einzubeziehen. Ist die tatsächliche Verbreitung der Sprache und die Verfügbarkeit von qualifizierten Übersetzern gering, sind die weiteren Voraussetzungen für eine Erhöhung des Honorars nicht so hoch anzusetzen wie für eine weit verbreitete Sprache. Dies ist auch bei Amtssprachen von Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu berücksichtigen.
Die Kammer ist überzeugt, dass mit 235 registrierten Übersetzern für Ungarisch in Deutschland eine ausreichende Verfügbarkeit von qualifizierten Übersetzern für die Sprache gegeben ist. Diese Überzeugung wird auch durch den Umstand bestätigt, dass der vom Berufsverband vorgeschlagene Grenzwert von 1 % für die Sprache „Ungarisch“ lediglich um 0,05 % unterschritten ist.
Folglich ist bei der in Rede stehenden Übersetzung eine Erhöhung des Honorars nur dann gegeben, wenn in der Zusammenschau weitere Kriterien hinzutreten, die ein besonderes Erschwernis nach § 11 Abs. 1 S. 3 JVEG rechtfertigen.
Ein weiteres Kriterium des § 11 Abs. 1 S. 3 JVEG ist die häufige Verwendung von Fachbegriffen. Vorliegend ist die Übersetzung eines Strafbefehls zu vergüten gewesen, der naturgemäß mehrere juristische Fachbegriffe aufweist. Eine Übersetzung ist jedoch nicht zwangsläufig schon deshalb als erheblich erschwert einzuschätzen, weil es sich um gerichtliche Formulare bzw. Formulierungen handelt (OLG Nürnberg, Beschluss vom 29.3.2005 – 12 W 90/05). Gebräuchliche und häufig verwendete juristische Begriffe können allein keine Erhöhung nach § 11 Abs. 1 S. 3 JVEG rechtfertigen (OLG München, Beschluss vom 23.12.2004 – 1 AR 310/04; KG, Beschluss vom 19.12.2008 – 1 AR 1428/08 – 1 Ws 358/08; OLG Köln, Beschluss vom 17.3.2008 – 17 W 46/08).
Die Kammer ist der Überzeugung, dass der vorliegende Strafbefehl noch keine häufige Verwendung von Fachbegriffen aufweist, welche eine Erhöhung des Honorars begründen kann. Dabei hat die Kammer auch berücksichtigt, dass es sich bei einem Strafbefehl um ein verfahrenseinleitendes Schriftstück handelt, mit der Folge, dass eine hohe qualitative Anforderung an die Übersetzungsleistung zu stellen ist (vgl. für eine Anklage OLG Stuttgart Beschluss vom 31.10.2014 – 4 Ws 432/14). Allerdings sind in dem in Rede stehenden Strafbefehl wenige juristische Fachbegriffe enthalten, die darüber hinaus allesamt gebräuchlich sind. Es handelt sich um Fachtermini, die jeder Strafbefehl aufweist. Es liegt ferner ein vergleichsweise kurzer und einfacher Sachverhalt vor und es handelt sich um ein häufig vorkommendes Delikt.
Weitere Kriterien des § 11 Abs. 1 S. 3 JVEG wie eine besondere Eilbedürftigkeit der Übersetzung oder eine schwere Lesbarkeit des Textes waren vorliegend nicht gegeben. Sonstige Umstände, die eine Erhöhung rechtfertigen, sind nicht ersichtlich.
Nach einer Gesamtschau der Umstände, insb. der Verbreitung der ungarischen Sprache und des relativ einfachen Sachverhalts des Strafbefehls, kommt die Kammer zur Überzeugung, dass die Voraussetzungen einer Erhöhung nach § 11 Abs. 1 S. 3 JVEG nicht vorliegen (ebenso für die Sprache „Ungarisch“: OLG Köln, Beschluss vom 17.3.2008 – 17 W 46/08; Schneider JVEG/Schneider, § 11 Rn. 48).
Der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 02.06.2020 war daher aufzuheben und der Vergütungsanspruch des Übersetzers … für die im Verfahren erbrachten Übersetzungsleistungen auf einen Betrag von insgesamt 218,75 Euro festzusetzen.
III.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage war die weitere Beschwerde gem. § 4 Abs. 5 S. 1 JVEG zuzulassen.
IV.
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG). Gerichtliche Auslagen sind nicht entstanden.


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