Europarecht

Keine rechtserhaltende Benutzung durch Bewerbung um einen Platz auf dem Oktoberfest

Aktenzeichen  33 O 8225/21

Datum:
25.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2022, 2843
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
MarkenG § 26, § 49 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Der Nachweis der rechtserhaltenden Benutzung ist durch eine Bewerbung bei der Stadt München für ein Festzelt auf dem jährlich stattfindenden Oktoberfest nicht erbracht. Denn darin ist nur eine nicht ausreichende interne Vorbereitungshandlung zu sehen. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung können weder in der unterbliebenen behördlichen Zulassung zum Oktoberfest noch in der im Jahr 2020 anhaltende Corona-Pandemie gesehen werden. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die beim Deutschen Patent- und Markenamt eingetragenen Marken
„SCHÜTZENLISL”
und
werden für verfallen erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
A. Die Klage ist zulässig.
I. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts folgt sachlich aus § 140 Abs. 1 MarkenG und örtlich aus § 96 Abs. 2 S. 1 MarkenG, §§ 12, 13, 17 ZPO.
II. Die Klage ist auch nicht wegen Rechtsmissbrauchs unzulässig.
Substanzielle Gesichtspunkte, die den Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen würden, an den im Rahmen der markenrechtlichen Verfallsklage wegen ihres Charakters als Popularklage ohnehin hohe Anforderungen gestellt werden (vgl. etwa Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 3. Auflage 2010, § 55 Rn. 13 m.w.N.), bringt die Beklagte nicht vor.
B. Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte (vgl. EuGH GRUR 2020, 1301 Rn. 79 f. – Ferrari/DU [testarossa]; BGH GRUR 2021, 736 Rn. 20 ff. – STELLA) konnte keinen Nachweis für eine ernsthafte Benutzung der angegriffenen Marken im maßgeblichen 5-Jahres-Zeitraum erbringen.
I. Nach § 49 Abs. 1 S. 1 MarkenG tritt Löschungsreife wegen Verfalls ein, wenn die Marke nach dem Tag der Eintragung innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren nicht gemäß § 26 MarkenG benutzt worden ist.
Eine rechtserhaltende Benutzung im Sinne von § 26 MarkenG setzt voraus, dass die Marke für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, im Inland ernsthaft benutzt worden ist. Die Benutzung der für Waren oder Dienstleistungen eingetragenen Marke wirkt nur dann rechtserhaltend, wenn die Verwendung der Hauptfunktion der Marke entspricht, dem Verkehr die Ursprungsidentität der Ware oder Dienstleistung zu garantieren, indem sie ihm ermöglicht, diese Ware oder Dienstleistung von Waren oder Dienstleistungen anderer Herkunft zu unterscheiden. Hierzu ist es ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Marke in üblicher und wirtschaftlich sinnvoller Weise für die Ware oder Dienstleistung verwendet wird, für die sie eingetragen ist (vgl. BGH GRUR 2009, 60 – LOTTOCARD). Ernsthaft ist die Benutzung einer Marke mithin dann, wenn sie verwendet wird, um für diese Waren und Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschließen und zu sichern. Ausgeschlossen sind die Fälle, in denen die Marke nur symbolisch benutzt wird, um die durch sie begründeten Rechte zu wahren. Die Ernsthaftigkeit der Benutzung der Marke ist anhand sämtlicher Tatsachen und Umstände zu beurteilen, durch die die wirtschaftliche Verwertung der Marke im Geschäftsverkehr belegt werden kann; dazu gehören insbesondere eine Nutzung, die im betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen wird, um Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu behalten oder hinzuzugewinnen, die Art dieser Waren oder Dienstleistungen, die Merkmale des Marktes sowie der Umfang und die Häufigkeit der Benutzung der Marke. Die Frage, ob eine Benutzung mengenmäßig ausreichend ist, um Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu behalten oder hinzuzugewinnen, hängt somit von mehreren Faktoren und einer Einzelfallbeurteilung ab (vgl. BGH GRUR 2013, 925 – VOODOO m.w.N. und BGH, Beschluss vom 18.05.2017, Az. I ZR 178/16 = BeckRS 2017, 126762 – Glückskäse m.w.N. sowie EuGH GRUR 2006, 582 – VITAFRUIT). Selbst eine geringfügige Benutzung kann als ernsthaft anzusehen sein, wenn sie mit Blick auf die Gewinnung oder Erhaltung von Marktanteilen wirtschaftlich gerechtfertigt ist; absolute Untergrenzen der ernsthaften Benutzung gibt es nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 18.05.2017, Az. I ZR 178/16 = BeckRS 2017, 126762 – Glückskäse mit Verweis auf EuGH GRUR 2006, 582 – VITAFRUIT).
II. Der für die Prüfung der Verfallsvoraussetzung relevante Zeitraum liegt im Streitfall zwischen 04.08.2016 und 04.08.2021. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist vorliegend nicht der Zeitpunkt der Stellung der Löschungsanträge beim DPMA gem. § 49 Abs. 1 S. 2 MarkenG maßgeblich, weil die Klägerin die vorliegende Klage nicht binnen drei Monaten nach dem in § 49 Abs. 1 S. 4 MarkenG benannten Zeitraum erhoben hat, sodass Benutzungshandlungen bis einschließlich 04.08.2021 grundsätzlich Berücksichtigung finden konnten.
1. Nach § 49 Abs. 1 S. 1 MarkenG wird die Eintragung einer Marke auf Antrag für verfallen erklärt und gelöscht, wenn die Marke nach dem Tag, ab dem kein Widerspruch mehr gegen sie möglich ist, innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren nicht gemäß § 26 MarkenG benutzt worden ist. Die Rechtswirkungen des Verfalls treten aber dann nicht ein, wenn nach Ende des fünfjährigen Zeitraums und vor Stellung des Antrags auf Erklärung des Verfalls eine Benutzung nach § 26 MarkenG begonnen oder wieder aufgenommen wurde (§ 49 Abs. 1 S. 2 MarkenG). Ein Beginn oder eine Wiederaufnahme der Benutzung vor der Stellung des Verfallsantrags ist dann unbeachtlich, wenn sie innerhalb von drei Monaten vor der Stellung des Antrags auf Erklärung des Verfalls begonnen wird, sofern die Vorbereitungen für die erstmalige oder die erneute Benutzung erst stattgefunden haben, nachdem der Inhaber der Marke Kenntnis davon erhalten hat, dass der Antrag auf Erklärung des Verfalls gestellt werden könnte (§ 49 Abs. 1 S. 3 MarkenG). Dies gilt im Falle der nachgelagerten Verfallsklage aber nur dann, wenn diese innerhalb von drei Monaten nach Zustellung der Mitteilung nach § 53 Abs. 4 erhoben wird (§ 49 Abs. 1 S. 4 MarkenG). Aus dem Rechtsgedanken der Vorschrift folgt zugleich, dass im Falle der Versäumung der Dreimonatsfrist für die Berechnung des Fünfjahreszeitraums grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen ist (BGH GRUR 2021, 736 Rn. 15 ff. – STELLA).
2. Die vorgenannte Klage wurde nicht binnen drei Monaten ab Zustellung der Mitteilung nach § 53 Abs. 4 MarkenG erhoben. Für die Klageerhebung ist die Zustellung der Klage maßgeblich (OLG München BeckRS 2003, 30309510 – Hausmacher Senf – König Ludwig; BeckOK MarkenR/Kopacek, MarkenG, 28. Ed. 1.1.2022, § 49 Rn. 32). Der Klägerin wurden die Mitteilungen des DPMA gem. § 53 Abs. 4 MarkenG jeweils am 29.04.2021 zugestellt (vgl. Anlage TW 7). Der maßgebliche Dreimonatszeitraum endete somit am 29.07.2021. Die Zustellung der Klage erfolgte indes erst am 04.08.2021 und somit außerhalb des genannten Zeitraums.
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus der Vorschrift des § 167 ZPO. Nach dieser Vorschrift kann die beabsichtigte Rechtswirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung eintreten, wenn die Zustellung demnächst erfolgt. Ein Zustellung „demnächst“ i.S.d. § 167 ZPO lag aber im Streitfall ebenfalls nicht vor.
Die Zustellung erfolgt „demnächst“, wenn sie innerhalb einer den Umständen nach angemessenen, selbst längeren Frist stattfindet und die Partei alles Zumutbare für die alsbaldige Zustellung getan hat (Musielak/Voit/Wittschier, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 167 Rn. 6). Als angemessene Frist wird in der Rechtsprechung ein Zeitraum angesehen, der drei Wochen nicht überschreitet (vgl. BGH NJW 1986, 1347, 1348). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben. Die Klage vom 17.06.2021 ging am 18.06.2021 (Bl. 1 d.A.) bei Gericht ein. Mit Verfügung vom 21.06.2021, ausgeführt am 24.06.2021, wurde die Klägerin zur Zahlung des Gerichtskostenvorschusses aufgefordert. Der Gerichtskostenvorschuss wurde allerdings erst am 28.07.2021 einbezahlt. Es liegt zwischen Klageeinreichung und Klagezustellung folglich ein Zeitraum von weit mehr als drei Wochen und die Verzögerung der Zustellung fällt wegen der späten Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses in die Sphäre der Klägerin.
III. Zum Nachweis der rechtserhaltenden Benutzung hat die Beklagte verschiedene Benutzungshandlungen behauptet und einige wenige Unterlagen vorgelegt, aus denen sich aus ihrer Sicht eine rechtserhaltende Benutzung der angegriffenen Markenregistrierungen ergibt. Die Beklagte sieht in ihren Bewerbungen für ein Festzelt auf dem Münchener Oktoberfest bereits eine rechtserhaltende Benutzung. Die vorgetragenen Sachverhalte können den Rechtserhalt indes nicht begründen, weil es sich lediglich um interne Vorbereitungshandlungen handelt und weder die fehlende Zulassung noch die pandemiebedingte Absage des Oktoberfests 2020 einen berechtigten Grund für die Nichtbenutzung der angegriffenen Zeichen darstellen (nachfolgend 1.). Auch die behaupteten Benutzungen im Jahr 2021 im Zusammenhang mit dem Biergarten „Schützenlisl“ können den Erfolg der Klage nicht vereiteln, weil es sich bei umfassender Abwägung sämtlicher Umstände um nicht ernsthafte Benutzungen handelt (nachfolgend 2.).
1. Die vorgebrachten Bewerbungen bei der Stadt München für ein Festzelt auf dem jährlich stattfindenden Oktoberfest genügen nicht den Anforderungen, die an eine rechtserhaltende Benutzung gestellt werden.
a. Auch die Beklagte stellt im Grundsatz nicht in Abrede, dass die vorgelegten Bewerbungsunterlagen jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht lediglich Vorbereitungshandlungen für die Aufnahme der Markennutzung mit Blick auf die von den Streitmarken beanspruchten Dienstleistungen darstellen.
b. In rechtlicher Hinsicht kann der Beklagten nicht dahingehend gefolgt werden, dass sich die Vorbereitungshandlungen schon so sehr konkretisiert hätten, dass eine Aufnahme der Benutzung im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Volksfestzeltes unmittelbar bevorgestanden hätte. Zwar ist in engen Grenzen anerkannt, dass auch Verhaltensweisen im Vorbereitungsstadium der Markennutzung zur Begründung des Rechtserhalts geeignet sein können. Gefordert wird in diesem Zusammenhang, dass sich die Benutzung auf Waren oder Dienstleistungen bezieht, die bereits vertrieben oder erbracht werden oder deren Vertrieb oder Erbringung konkret vorbereitet wird und unmittelbar bevorsteht (vgl. EUGH GRUR 2003, 425 Rn. 37 – Ansul/Ajax; Ströbele/Hacker/Thiering/Ströbele, MarkenG, 13. Aufl. 2021, § 26 Rn. 36). Im Vorfeld solcher Maßnahmen liegende allgemeine Aktivitäten, die eine künftige Zeichennutzung erst vorbereiten und das Stadium eines unmittelbaren konkreten Einsatzes der Marke noch nicht erreicht haben, erfüllen dagegen als lediglich innerbetriebliche Vorgänge noch nicht die Voraussetzungen des Benutzungszwangs (Ströbele/Hacker/Thiering/Ströbele, MarkenG, 13. Aufl. 2021, § 26 Rn. 36 mit Verweis auf BGH GRUR 1980, 289, 290 – Trend; ähnlich EuGH BeckRS 2019, 12912 Rn. 53 – Viridis Pharmaceutical/EUIPO [Boswelan]).
Im vorliegenden Fall hat die vorgetragene Zeichennutzung das Vorbereitungsstadium noch nicht überschritten. Im Streitfall ist zu berücksichtigen, dass sich die Beklagte für einen Platz auf dem Oktoberfest und damit dem größten Volksfest der Welt beworben hatte. In diesem Zusammenhang weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass gerade mit Blick auf die großen Festzelte Wechsel in der Person des Wirtes oder Neuzulassungen in der Vergangenheit höchst selten vorkamen. Somit musste die Beklagte von Anfang an damit rechnen, dass ihrem ambitionierten Vorhaben nur ganz mäßige Erfolgsaussicht zukommen kann. Belegt wird dies letztlich dadurch, dass sämtliche Bewerbungen ab dem Jahr 2016 erfolglos verliefen. Ob die Bewerbung für das Jahr 2020 tatsächlich erfolgreich gewesen wäre, wie dies die Beklagte behauptet, kann nicht sicher beurteilt werden und unterfällt daher dem Bereich der Spekulation. Denn der Grund für die Absage des Oktoberfestes 2020 bestand in der anhaltenden pandemischen Lage.
c. Ein berechtigter Grund für die Nichtbenutzung der streitgegenständlichen Zeichen lag insoweit ebenfalls nicht vor.
aa. Nach § 26 Abs. 1 MarkenG ist eine Nichtbenutzung einer eingetragenen Marke innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren dann unschädlich, wenn berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung vorliegen. Das Merkmal des berechtigten Grundes ist grundsätzlich eng auszulegen (EuGH GRUR 2007, 702 Rn. 42 ff. – Armin Häupl/Lidl). Als berechtigte Gründe für eine Nichtbenutzung kommen demnach nur Umstände in Betracht, die vom Willen des Markeninhabers unabhängig und deshalb von diesem nicht zu beeinflussen sind EuGH GRUR 2007, 702 Rn. 49 – Armin Häupl/Lidl). Es muss sich um Gründe handeln, die der Markeninhaber auch bei der gebotenen unternehmerischen Sorgfalt nicht verhindern kann und die auch nicht zu seinem unternehmerischen Risiko gehören (Ströbele/Hacker/Thiering/Ströbele, MarkenG, 13. Aufl. 2021, § 26 Rn. 130).
bb. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe stellen weder die unterbliebene behördliche Zulassung zum Oktoberfest noch die im Jahr 2020 anhaltende Corona-Pandemie einen berechtigten Grund für die Nichtbenutzung dar.
(1) Der Corona-Pandemie ist vorliegend schon deshalb die Anerkennung als berechtigter Grund für die Nichtbenutzung zu versagen, da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass diese ursächlich für die Nichtbenutzung der Zeichen war. Denn es bestehen erhebliche Zweifel, ob die Beklagte mit ihrem Zulassungsantrag für das Jahr 2020 erfolgreich gewesen wäre. Einer hypothetische Zulassung für das Jahr 2021 kommt vorliegend keine Relevanz zu, weil die potentielle Nutzung außerhalb des maßgeblichen Benutzungszeitraums liegt.
(2) Aber auch der Vorbehalt der behördlichen Zulassung stellt keinen berechtigten Grund für die Nichtbenutzung dar. Um nämlich von einem Hindernis für die Benutzung der Marke ausgehen zu können, muss der betreffende Grund einen unmittelbaren Bezug zur Markennutzung aufweisen. Ein solcher Bezug zur Markennutzung liegt demgegenüber nicht vor, wenn dieser nur allgemeine bürokratische Hindernisse gegenüberstehen, welche die Unternehmensstrategie des Markeninhabers behindern (Ströbele/Hacker/Thiering/Ströbele, MarkenG, 13. Aufl. 2021, § 26 Rn. 131). Denn solche Hindernisse betreffen die Entscheidungsfähigkeit des Markeninhabers bezüglich der Benutzung der jeweiligen Marke nicht. Mit anderen Worten fällt es in die Risikosphäre des Markeninhabers, wenn er eine Marke auf Grundlage eines spezifischen Konzepts und mit einer bestimmten Erwartung anmeldet und sich diese Erwartung im Nachhinein nicht erfüllt (ähnlich EuGH BeckRS 2019, 12912 Rn. 69 – Viridis Pharmaceutical/EUIPO Boswelan). Eine solche Situation besteht auch hier. Denn trotz unterbliebener Zulassung für das Oktoberfest kamen in Bezug auf die von der Marke beanspruchten Dienstleistungen zahlreiche alternative Nutzungsmöglichkeiten in Betracht, etwa die Kennzeichnung kleinerer gastronomischer Betriebe oder Einrichtungen.
2. Die im Zusammenhang mit dem Konzept „Schützenlisl“-Biergarten vorgetragenen Benutzungssachverhalte vermögen das Tatbestand:smerkmal der Ersthaftigkeit der Benutzung nicht zu begründen. Die Kammer ist auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles zu dem Ergebnis gelangt, dass die vorgetragenen Benutzungen einzig und allein zu dem Zweck erfolgten, eine Löschung der angegriffenen Marken zu verhindern.
a. Zwar ist die Ernsthaftigkeit der Benutzung nicht mit Blick auf die Rentabilität oder Schlüssigkeit der Geschäftsstrategie zu beurteilen (vgl. BGH BeckRS 2017, 126762 – Glückskäse) und dürfen die Anforderungen an die mengenmäßige Benutzung nicht zu hoch angesetzt werden (vgl. Ströbele/Hacker/Ströbele, MarkenG, 13. Auflage 2021, § 26 Rn. 15). Allerdings ist jeweils unter Zugrundelegung aller Umstände des Einzelfalls – in Berücksichtigung der branchenbezogenen Gegebenheiten sowie der wirtschaftlichen Verhältnisse des Verwenders – objektiv zu beurteilen, ob die Vertriebshandlungen sich unabhängig von dem Bestreben, den Bestand der Marke an sich zu erhalten, als wirtschaftlich sinnvoll darstellen (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering/Ströbele, MarkenG, 13. Auflage, § 26 Rn. 11).
b. Vorliegend spricht eine Zusammenschau sämtlicher Umstände für die Annahme einer Scheinbenutzung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das „alternative Benutzungskonzept“ der Beklagten erst im Januar 2021 zu einem Zeitpunkt überhaupt in Angriff genommen wurde, in dem die Benutzungsschonfrist fast abgelaufen war. Zwar ist der Beklagten dahingehend Recht zu geben, dass dies allein noch keinen Grund für die Annahme einer Scheinbenutzung darstellt, da der Markeninhaber das Recht haben muss, die gesetzlich eingeräumten Fristen voll auszuschöpfen (Ströbele/Hacker/Thiering/Ströbele, MarkenG, 13. Auflage 2021, § 26 Rn. 110). Allerdings tritt vorliegend erschwerend hinzu, dass sich die Beklagte im Zeitpunkt der „Neukonzeption“ und der daran anschließenden Nutzungsaufnahme im Biergarten des bereits in rechtlichen Auseinandersetzungen mit der Klägerin befand, d.h. mit der Stellung eines Verfallsantrags bzw. der Erhebung einer Verfallsklage rechnen musste. Für die Annahme einer Scheinbenutzung spricht zudem, dass die Neukonzeption nach eigenem Vortrag der Beklagten in enger Abstimmung mit ihrem Prozessbevollmächtigten erfolgte. Denn es ist, abgesehen von der vorzunehmenden rechtlichen Prüfung, ob der Umfang der geplanten Nutzung zur Begründung eines Rechtserhalts ausreichend ist, kein einleuchtender Grund dafür ersichtlich, einen Rechtsanwalt in die Konzeption der Benutzung unbeanstandet eingetragener Marken einzubeziehen. Schließlich sprechen die vorgetragenen Benutzungshandlungen, insbesondere Art und Umfang der in Auftrag gegebenen Werbeartikel, gleichfalls nicht für eine nachhaltige und auf eine gewisse Dauer angelegte wirtschaftliche Betätigung am Markt, sondern dafür, dass angesichts eines drohenden Verfallsantrags Benutzungssachverhalte konstruiert werden sollten. So trägt auch die Beklagte erstens keine fortgesetzten Bestellungen der im April 2021 freigegebenen und ab Juni 2021 in Auftrag gegebenen Artikel wie Flyer, Bierdeckel und Speisekarten vor, sodass sich die Schlussfolgerung aufdrängt, dass es sich um eine bis dato einmalige Bestellung handelte. Zweitens vermitteln auch die auf Bl. 46/51 befindlichen Verwendungen innerhalb des Biergartens, unabhängig von der Frage, ob diese bis zum heutigen Tag im in entsprechender Weise vorzufinden sind, den Eindruck, das Motiv der Beklagten habe einzig darin bestanden, die Löschungsreife der Streitmarken zu verhindern. Hierfür spricht schließlich auch, dass die Verwendung der Marken in der genannten Art und Weise objektiv nicht geeignet war, Marktanteile zu erschließen oder auch nur zu behalten (vgl. EuGH GRUR 2009, 410 – Silberquelle/Maselli), weil der Biergarten des bereits vor der Umwidmung in einen Biergarten „Schützenlisl“ bestanden hatte. Drittens lässt die Beklagte jeden Vortrag dahingehend vermissen, welche konkreten Umsätze sie mit unter den angegriffenen Marken vermarkteten Dienstleistungen erzielt hat.
c. Auf die Frage, ob die vorgetragenen Sachverhalte aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise überhaupt als markenmäßige Benutzungen für die geschützten Dienstleistungen aufgefasst werden oder – trotz des hinzugefügten ® (vgl. dazu auch Ströbele/Hacker/Thiering/Ströbele, MarkenG, 13. Auflage 2021, § 26 Rn. 20) – nicht vielmehr nur als Bezeichnung einer Räumlichkeit, kommt es daher nicht an. Ebenso wenig braucht entschieden werden, ob die Pandemie und die weiteren von der Beklagten vorgebrachten Hinderungsgründe berechtigte Gründe für eine Nichtbenutzung darstellen können, weil der relevante Benutzungszeitraum im Streitfall auch Zeiträume nach dem ersten und zweiten Lockdown erfasst.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 S. 1 und 2 ZPO.


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