Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Schweden

Aktenzeichen  M 1 S 17.50978

Datum:
2.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 34a Abs. 2 S. 1, § 75 Abs. 1
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, UAbs. 3
GRCh GRCh Art. 4

 

Leitsatz

1 Einer Überstellung nach Schweden kann nicht mit dem Einwand entgegengetreten werden, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Schweden systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung iSd Art. 4 GRCh  mit sich bringen, sodass eine Überstellung nach Schweden unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, UAbs. 3 Dublin III-VO). (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Gesetz stellt hohe Anforderungen an die Berücksichtigungsfähigkeit gesundheitlicher Einwendungen (hier: einer psyscjichen Erkrankung), sowohl was die Schwere des Leidens, den Einwand nicht ausreichender Behandelbarkeit im Zielland als auch den qualifizierten ärztlichen Nachweis betrifft (siehe § 60 Abs. 7 S. 2 – 4, § 60a Abs. 2c, Abs. 2d AufenthG). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach seinen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger und am 23.1.2017 nach Deutschland eingereist. Er stellte am …2.2017 Asylantrag.
Nachdem sich Anhaltspunkte dafür ergaben, dass Schweden der gemäß der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig Staat ist (Erteilung eines Schengen-Visums durch Schweden), richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß der Dublin III-VO am 20.3.2017 ein Übernahmeersuchen an Schweden, welchem mit Schreiben vom 23.3.2017 entsprochen wurde.
Mit Bescheid vom 24. März 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids), stellte fest, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2 des Bescheides) und ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Schweden an (Nr. 3 des Bescheides). In Nr. 4 des Bescheides wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 3 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Auf die Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.
Die Bevollmächtigte des Antragstellers erhob am *.4.2017 Klage gegen den vorgenannten Bescheid (Az. M 1 K 17.50977) und beantragte zugleich im vorliegenden Verfahren,
die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO.
Zur Begründung führte die Bevollmächtigte aus, der Antragsteller sei krank. Sie verwies auf ein beigefügtes psychiatrisches Attest vom 22.3.2017, wonach beim Antragsteller Angst und depressive Störung (gemischt) sowie der Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung vorlägen.
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug verwiesen.
II.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag ist unbegründet.
Die Klage entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG. Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundlage der Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Ein gewichtiges Indiz sind dabei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Vorliegend überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, da die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG rechtmäßig ist. Nach § 34a Abs. 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Das Bundesamt hat zu Recht seine Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens abgelehnt (1.) und das Vorliegen von Abschiebungsverboten oder Abschiebungshindernissen verneint (2.).
1. Schweden hat dem fristgerecht gestellten Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO entsprochen. Schweden ist damit der allein zuständige Mitgliedstaat nach der Dublin III-VO und verpflichtet, den Antragsteller (wieder) aufzunehmen.
Besondere Umstände, die die ausnahmsweise Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO begründen oder nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO rechtfertigen bzw. bedingen würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann der Antragsteller seiner Überstellung nach Schweden nicht mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Schweden systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 der Grundrechtecharta (GRCh) mit sich bringen, sodass eine Überstellung nach Schweden unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO).
Nach dem Konzept der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 ua – juris) und dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) steht. Diese Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Den nationalen Gerichten obliegt im Einzelfall die Prüfung, ob ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesem Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber implizieren (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O Rn. 86). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufgrund größerer Funktionsstörungen in dem zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 5 f. m. w. N.). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten – nicht rein quantitativen – Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss diesen ein größeres Gewicht als den dagegen sprechenden Tatsachen zukommen, d. h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Dies zugrunde gelegt, besteht in Einklang mit der Rechtsprechung (siehe etwa VG München, B.v. 24.10.2016, M 1 S. 16.50765) keinerlei Anlass zur Annahme, dass der Antragsteller in Schweden aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Die Antragstellerseite hat hierzu selber nichts vorgebracht.
2. Die Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheids bleibt voraussichtlich auch insoweit ohne Erfolg, als im Rahmen der Anordnung zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote und inlandsbezogene Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe zu prüfen sind (zu dieser Prüfungspflicht siehe BayVGH, B.v. 12.3.2014, Az. 10 CE 14.427 – juris).
Die vorgetragenen gesundheitlichen Beschwerden können der Abschiebungsanordnung nicht entgegengehalten werden. Das Gesetz stellt hohe Anforderungen an die Berücksichtigungsfähigkeit gesundheitlicher Einwendungen, sowohl was die Schwere des Leidens, den Einwand nicht ausreichender Behandelbarkeit im Zielland als auch den qualifizierten ärztlichen Nachweis betrifft (siehe § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4, § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG). Diesen Anforderungen ist hier bei Weitem nicht Genüge getan. Das vorgelegte ärztliche Attest aus der Psychiatriepraxis Dr. med. (Universität P* …*) S. M. vom …3.2017 genügt nicht den Mindestanforderungen an ein eine psychische Erkrankung feststellendes fachärztliches Attest (siehe hierzu BVerwG, U.v.11.9.2007, BVerwGE 129, 251; siehe bereits VG München, U.v. 4.12.2000; M 30 K 00.51692, NVwZ-RR 2002, 230). Das Attest ist schon nicht von einem Facharzt für Psychiatrie oder Psychotherapeutische Medizin unterschrieben, sondern nur von einem Assistenzarzt (Dr. D.) des Praxisinhabers. Auch sind die getroffenen Diagnosen nicht geeignet, ein vom Gesetz gefordertes schweres Leiden des Antragstellers darzutun. Im Übrigen ist nichts dafür vorgebracht, dass die Leiden des Antragstellers nicht in Schweden behandelbar wären. Wie das Bundesamt im Bescheid zutreffend ausführt, verfügt Schweden über eine auch Asylsuchenden offenstehende Gesundheitsfürsorge.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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