Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und/oder Aufnahmebedingungen in Ungarn

Aktenzeichen  M 8 K 16.50296

Datum:
2.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a Abs. 1 S. 2
VO (EU) Nr. 603/2013 Art. 3 Abs. 2, Art. 9 Abs. 1, Art. 23, Art. 24 Abs. 4
EMRK EMRK Art. 3
GRCh GRCh Art. 4, Art. 18, Art. 19
RL 2011/95/EU Art. 21 Abs. 1
RL 2013/32/EU Art. 39 Abs. 2
RL 2013/33/EU Art. 8 Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1 In Ungarn besteht keine reale und durch Tatsachen belegte Gefahr, dass ein Schutzsuchender aus dem Mittleren Osten bei einer Rücküberstellung im Rahmen des Dublin-Systems mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einem Verstoß gegen das Zurückschiebungsverbot durch eine weitere Überstellung/Abschiebung nach Serbien ausgesetzt sein könnte. (redaktioneller Leitsatz)
2 In Bezug auf Ungarn bestehen keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass ein Asylbewerber als Dublin-Rückkehrer bei einer Rücküberstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßenden Inhaftierungspraxis oder unmenschlichen oder erniedrigenden Asylhaft- oder Aufnahmebedingungen oder sonstigen rechtsstaatlich-systemisch erheblichen Defiziten im Vollzug des Asylverfahrens ausgesetzt sein könnte. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten konnte das Gericht vorliegend ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) in der Sache entscheiden.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der streitbefangene Bescheid des Bundesamts ist rechtmäßig und verletzt den Klä-ger im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 HS. 2 AsylG, § 101 Abs. 2 VwGO) nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beklagte hat die Abschiebung nach Ungarn zu Recht angeordnet und eine sechsmonatige Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots ausgesprochen.
1. Nach § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung eines Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, wenn er den Asylantrag in einem anderen aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt hat und feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Im Fall des Klägers ist Ungarn für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Die Abschiebung dorthin kann durchgeführt werden.
1.1 Art. 3 Abs. 1 der Dublin-III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin-III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Danach ist vorliegend Ungarn gemäß Art. 13 der Dublin-III-VO der für die Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedstaat. Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO ist derjenige Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Die für den Kläger vorliegende EURODAC-Treffer mit der Kennzeichnung „HU1“ belegen dies mit normativer Rechtsmäßigkeits- und Richtigkeitsgewähr des Unionsrechts (Art. 23 der VO (EU) Nr. 603/2013 – EURODAC-VO). Die Ziffer „1“ steht dabei für einen auf internationalen Schutz gerichteten Antrag (Art. 24 Abs. 4 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 der EURODAC-VO). Griechenland hingegen scheidet als potenziell vorrangig zuständiger Mitgliedstaat aus, weil für dieses Land gegenwärtig weiterhin von systemischen Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen mit der Folge auszugehen ist, dass eine ursprünglich gegebenenfalls inmitten stehende Zuständigkeit Griechenlands nach Art. 13 der Dublin-III-VO gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der VO entfallen ist.
Die Zuständigkeit Ungarns ist auch nicht aus verfahrensbezogenen Gründen auf die Beklagte übergegangen. Insbesondere wurde das Gesuch um Wiederaufnahme des Klägers am 16. März 2016 und damit innerhalb von zwei Monaten nach dem Aufgreifen des Klägers am 12. Februar 2016 an Ungarn gerichtet (Art. 18 Abs. 1 Buchst. b, Art. 23 Abs. 2 UAbs. 1 der Dublin-III-VO), sodass es einer Erörterung des – aus Sicht des Gerichts erheblich zweifelhaften – Drittschutzes der Verfahrensvorschriften des II. und III. Abschnitts des VI. Kapitels der Dublin-III-VO vorliegend nicht bedarf. Nach Art. 25 Abs. 2 der Dublin-III-VO ist seit dem 1. April 2016 Ungarn als für die Wiederaufnahme des Klägers verpflichteter Staat anzusehen.
1.2 Der Kläger kann der Überstellung nach Ungarn auch nicht mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylrecht, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 EU-Grundrechtecharta (GRCh) bzw. Art. 3 EMRK mit sich bringen, sodass eine Überstellung dorthin unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der Dublin-III-VO).
1.2.1 Das gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in den entsprechenden internationalen Verträgen finden (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – juris Rn. 78). Dem gemeinsamen Europäischen Asylsystem, zu dem insbesondere die Dublin-III-Verordnung gehört, liegt die Vermutung zugrunde, dass jeder Asylbewerber in jedem Mitgliedsstaat gemäß den Anforderungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh), des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (GFK) sowie der Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK) behandelt wird. Es gilt daher die Vermutung, dass Asylbewerbern in jedem Mitgliedsstaat eine Behandlung, diesen internationalen völkerrechtlichen Regelwerken entspricht, zukommt (EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O. juris Rn. 80).
Die diesem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O.) bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“ (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93, BVerfGE 94, 49 – juris Rn. 181 ff.) zugrunde liegende Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufgrund größerer Funktionsstörungen in dem zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 5 f. m.w.N.). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten – nicht rein quantitativen – Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss diesen ein größeres Gewicht als den dagegensprechenden Tatsachen zukommen, d.h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Zur Widerlegung der Vermutung, dass Asylbewerbern in einem EU-Mitgliedsstaat eine ausreichend rechtskonforme Behandlung zukommt, muss sich das Gericht nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Überzeugungsgewissheit verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen dort mit beachtlicher – d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit – einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Dies entspricht dem Maßstab des „real risk“ in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32). Danach ist eine aktuelle Gesamtwürdigung der zur jeweiligen Situation vorliegenden Berichte und Stellungnahmen vorzunehmen, wobei regelmäßigen und übereinstimmenden Berichten von internationalen Nichtregierungsorganisationen besondere Bedeutung zukommt (vgl. BVerfG, B.v. 21.4.2016 – 2 BvR 273/16 – juris Rn. 11). Das gilt insbesondere für die Stellungnahmen des UNHCR angesichts der Rolle, die diesem in Hinblick auf die Überwachung der Einhaltung der GFK (vgl. Art. 35) übertragen worden ist (vgl. EuGH, U.v. 30.5.2013 – C-528/11 – juris Rn. 44).
1.2.2 Dies zugrunde gelegt, besteht mit Blick auf Ungarn zur Überzeugung des Gerichts gegenwärtig keine reale und durch Tatsachen belegte Gefahr, dass der Kläger bei einer Rücküberstellung im Rahmen des Dublin-Systems mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einem Verstoß gegen das Zurückschiebungsverbot durch eine weitere Überstellung/Abschiebung nach Serbien ausgesetzt sein könnte. Auch bestehen keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger als Dublin-Rückkehrer im Falle der Überstellung nach Ungarn gegenwärtig mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßenden Inhaftierungspraxis oder unmenschlichen oder erniedrigenden Asylhaft- oder Aufnahmebedingungen oder sonstigen rechtsstaatlich-systemisch erheblichen Defiziten im Vollzug des Asylverfahrens in Ungarn ausgesetzt sein könnte.
Die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. Beschluss vom 22. Juni 2016, M 8 S. 16.50295) insbesondere mit Blick auf die seit 1. August 2015 geltende Rechtslage für Flüchtlinge in Ungarn und einen möglichen Verstoß gegen das Zurückschiebungsverbot noch geäußerten Zweifel greifen nach Überzeugung des nunmehr erkennenden Gerichts zum maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 HS. 2 AsylG) nicht in der Weise durch, dass etwaige Missstände und Schwachstellen der geltenden ungarischen Rechtsordnung für Asylbewerber, Flüchtlinge und Migranten sowie ihres Vollzugs auch für den Kläger relevante systemische Schwachstellen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der Dublin-III-VO begründen würden.
1.2.2.1 Es besteht keine reale und durch Tatsachen belegte Gefahr, dass der Kläger im Falle einer Rücküberstellung nach Ungarn einem Verstoß gegen das sich aus Art. 33 Abs. 1 GFK und Art. 4, Art. 18 und Art. 19 GRCh sowie Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU ergebende Zurückschiebungsverbot ausgesetzt sein könnte. Nach den aktuellen Erkenntnissen ist es in hohem Maße unwahrscheinlich, dass der Kläger von Ungarn aus weiter nach Serbien abgeschoben werden könnte, ohne dass zuvor seine Asylgründe inhaltlich geprüft würden. Zwar ist nach dem seit 1. August 2015 geltenden ungarischen Asyl- und Flüchtlingsrecht Serbien nunmehr (wieder) sicherer Drittstaat (vgl. Zitate zur ungarischen Rechtslage in: Pro Asyl, Gänzlich unerwünscht – Entrechtung, Kriminalisierung und Inhaftierung von Flüchtlingen in Ungarn, Juli 2016, S. 18 f.). Die Einreise aus einem sicheren Drittstaat begründet nach dem ungarischen Recht (Art. 2 und Art. 51 des ungarischen Asylgesetzes) eine widerlegliche gesetzliche Vermutung, dass der Schutzsuchende dort bereits hätte Asyl beantragen und Schutz erhalten können. Der Schutzsuchende kann diese gesetzliche Vermutung widerlegen, wenn er nachweist, dass in seinem konkreten Fall der Drittstaat nicht sicher war, weil er dort keinen dem ungarischen Asyl adäquaten Schutz erhalten konnte.
Es kann offenbleiben, ob Serbien mit Blick auf Art. 39 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU tatsächlich nicht als sicherer Drittstaat einzustufen ist und auch, ob eine Widerlegung der entsprechenden gesetzlichen Schutzvermutung in praxi tatsächlich kaum möglich bzw. vor ungarischen Gerichten durchzusetzen ist (vgl. einerseits Pro Asyl, a.a.O. S. 19; andererseits UNHCR vom 9.9.2016, S. 1 unten, wonach einige Gerichte eine erhebliche Anzahl an Entscheidungen, mit denen Asylanträge als unzulässig abgewiesen wurden, aufgehoben und an das ungarische Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft OIN mit der Maßgabe zurückverwiesen haben, diese auf ihre Begründetheit zu prüfen), da eine Rücküberstellung des Klägers von Ungarn nach Serbien allein auf der Grundlage des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Republik Serbien über die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt (vgl. Beschluss des Rates vom 8.11.2007 – 2007/819/EG – ABl. L 334/2007; im Folgenden: Rückübernahmeabkommen) erfolgen könnte und eine solche für den Kläger realistischer Weise – tatbestandlich wie auch nach der Vollzugspraxis – ausscheidet.
Notwendige tatbestandliche Voraussetzung für eine solche Rücküberstellung wäre eine Übernahmebestätigung Serbiens (vgl. VG Berlin, U.v. 13.12.2016 – 3 K 509.15 A – juris Rn. 34 m.w.N.). Nach Art. 3 Abs. 1 des Rückübernahmeabkommens nimmt Serbien auf Ersuchen eines Mitgliedstaates ohne andere als die in diesem Abkommen vorgesehenen Förmlichkeiten alle Drittstaatsangehörige und Staatenlose zurück, die die geltenden rechtlichen Voraussetzungen für die Einreise in das Hoheitsgebiet des ersuchenden Mitgliedstaates oder die Anwesenheit oder den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet nicht oder nicht mehr erfüllen, sofern nachgewiesen oder glaubhaft gemacht ist, dass sie im Besitz eines gültigen Visums und einer gültigen Aufenthaltsgenehmigung Serbiens sind oder zum Zeitpunkt der Einreise waren oder nach einem Aufenthalt im Hoheitsgebiet Serbiens oder einer Durchreise durch sein Hoheitsgebiet in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates illegal und auf direktem Weg eingereist sind. Nach Art. 9 Abs. 1 des Rückübernahmeabkommens wird die Erfüllung der Voraussetzungen für die Rückübernahme insbesondere mit den in Anhang 3 aufgeführten Beweismitteln nachgewiesen. Das Rückübernahmeersuchen ist der zuständigen Behörde des ersuchten Staates nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 des Rückübernahmeabkommens innerhalb eines Jahres zu übermitteln, nachdem die zuständige Behörde des ersuchenden Staates Kenntnis davon erlangt hat, dass der Drittstaatsangehörige bzw. der Staatenlose die geltenden Voraussetzungen für die Einreise, die Anwesenheit oder den Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllt.
Bereits nach den o.g. tatbestandlichen Vorgaben des Rückübernahmeabkommens wäre ein erfolgreiches, den Kläger betreffendes Rückübernahmeersuchen Ungarns gegenüber Serbien in hohem Maße unwahrscheinlich, weil der Kläger nach eigenen Angaben über keine Reisedokumente und auch keine sonstigen Unterlagen zu seinem Reiseweg verfügt (vgl. die in Anlage 3 des Rückübernahmeabkommens enthaltene gemeinsame Liste der Dokumente, die als Nachweis für die Erfüllung der Voraussetzung für die Rückübernahme von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen gelten) und seit der illegalen Einreise des Klägers nach Ungarn nebst Anbringung seines internationalen Schutzgesuches zudem bereits mehr als ein Jahr verstrichen ist.
Dazu kommt, dass Serbien – offenbar in unmittelbarer Reaktion auf die im Oktober 2015 vollendete Errichtung des Grenzzaunes entlang der ungarisch-serbischen Grenze und des damit verbundenen unerwünschten und von der Regierung Serbiens nachdrücklich kritisierten Rückstaus von Flüchtlingen auf deren Staatsgebiet – seine Verpflichtungen aus dem Rückübernahmeabkommen im Verhältnis zu Ungarn weitestgehend ausgesetzt hat, soweit es nicht die Rückübernahme von Staatsangehörigen des Westbalkans und der Türkei betrifft (vgl. VG Berlin a.a.O. m.w.N.). Dies findet seine empirische Bestätigung in der vom Bundesamt dem Verwaltungsgericht Berlin im dortigen Verfahren 3 K 509.15 A mitgeteilten aktuellen Statistik der ungarischen Polizei. Danach wurden im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. August 2016 insgesamt 146 Staats- bzw. Drittstaatsangehörige von Ungarn nach Serbien überstellt. Davon hatten 25 Personen die albanische, drei Personen die bosnisch-herzegowinische, 30 Personen die kosovarische, sechs Personen die mazedonische, zwei Personen die montenegrinische, 60 Personen die serbische und 17 Personen die türkische Staatsangehörigkeit. Zwei weitere Rückführungen betrafen einen komorischen bzw. einen tunesischen Staatsangehörigen. Schutzsuchende aus den Herkunftsländern des Mittleren Ostens waren nicht unter den Zurückgeführten, was sich auch mit den aktuellen Erkenntnissen des UNHCR deckt (vgl. UNHCR vom 9.9.2016). Nach dieser Auskunft des UNHCR hat Serbien in der ersten Hälfte des Jahres 2016 für 114 Personen die Zustimmung zu durch Ungarn gestellte Übernahmeersuchen erteilt. Bei 107 dieser Personen handelt es sich um Staatsangehörigen des Westbalkan und der Türkei. Schließlich bestätigt auch die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Januar 2016, erteilt gegenüber dem Verwaltungsgericht Regensburg im dortigen Verfahren RO 4 K 15.50580, dass Serbien die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn im Wege einer Einzelfallprüfung ablehnt, wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass die betreffende Person tatsächlich über Serbien nach Ungarn eingereist ist. Da Serbien in der Regel keine Registrierung der „durchreisenden“ Flüchtlinge vorgenommen hat und Ungarn auch keine anderen Nachweise vorliegen, kann dieser Nachweis regelfällig auch nicht erbracht werden. Zudem ist eine Übernahme durch Serbien ohnehin ausgeschlossen, wenn, wie im Fall des Klägers, zwischen dem Grenzübertritt zwischen Serbien und Ungarn und dem Antrag auf Rückübernahme – wie vorstehend mit Blick auf Art. 10 Abs. 1 Satz 1 des Rückübernahmeabkommens bereits ausgeführt – mehr als ein Jahr verstrichen ist.
Vor dem Hintergrund des Umstands, dass es – soweit ersichtlich – seit Oktober 2015 zu keinem einzigen belegten Fall der Rückführung eines Flüchtlings aus einem Herkunftsland des Mittleren Ostens von Ungarn nach Serbien auf der Grundlage des Rückübernahmeabkommens gekommen ist, hat zudem auch das ungarische Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft die faktische Außerkraftsetzung des Rückübernahmeabkommens durch Serbien im Wege einer Weisung nachvollzogen und keine Drittstaatsbescheide gegenüber Schutzsuchenden aus dem Mittleren Osten mehr erlassen (vgl. VG Berlin a.a.O.).
Nach alledem müssen Schutzsuchenden aus dem Mittleren Osten gegenwärtig nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, im Falle einer Rücküberstellung aus der Bundesrepublik Deutschland nach Ungarn einer weiteren Überstellung / Abschiebung nach Serbien ausgesetzt zu werden. Allein der Umstand, dass das ungarische Asylrecht Serbien als sichere Drittstaaten einstuft und damit in Verbindung mit dem Rückübernahmeabkommen eine Kettenabschiebung theoretisch rechtlich möglich wäre, begründet – zusätzlich auch unterstellt, dass Serbien nicht den Anforderungen genügt, die sichere Drittstaaten gemäß Art. 39 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU erfüllen müssen – keinen vorliegend entscheidungserheblichen systemischen Mangel des ungarischen Asylsystems, weil sich dies für den Kläger faktisch nicht auswirken wird. Zudem ist derzeit auch nichts dafür ersichtlich, dass Serbien seine Haltung zur Rückübernahme von Flüchtlingen aus Ungarn ändern könnte, solange die Grenzsituation zwischen Ungarn und Serbien wie bisher fortbesteht.
1.2.2.2 Es bestehen auch keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger als Dublin-Rückkehrer im Falle der Überstellung nach Ungarn gegenwärtig mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßenden Asylrechtsvollzugs- und Inhaftierungspraxis ausgesetzt wäre.
Die seit dem 1. August 2015 in Ungarn geltenden Bestimmungen über die Voraussetzungen für die Anordnung der Asylhaft sehen einen Haftgrund vor bei unklarer Identität oder Staatsangehörigkeit zum Zwecke der Klärung, bei Ausländern, die sich im Ausweisungsverfahren befinden und einen Asylantrag stellen, obwohl sie diesen zweifelsfrei bereits zuvor hätten stellen können, oder um eine drohende Aufenthaltsbeendigung zu verzögern oder abzuwenden, wenn der Sachverhalt des Asylbegehrens aufgeklärt werden muss und eine Aufklärung nicht ohne Haft möglich ist, speziell wenn die Gefahr des Untertauchens besteht, wenn der Asylbewerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, wenn der Asylantrag im Flughafenbereich gestellt wurde oder zur Sicherstellung der Durchführung des Dublin-Verfahrens, wenn die ernsthafte Gefahr des Untertauchens besteht (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27.1.2016, Antwort zu Frage 4 a.a.O.). Diese Haftgründe entsprechen im Wesentlichen den in Art. 8 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a bis f der Richtlinie zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen – Richtlinie 2013/33/EU -, bezeichneten zulässigen Haftgründen und sind daher unionsrechtlich unbedenklich (vgl. VGH BW, U.v. 13.10.2016 – 11 S. 1596.16 – juris Rn. 36). Die Entscheidung über Asylhaft wird dem Ausländer mündlich in seiner Muttersprache oder einer ihm verständlichen Sprache mitgeteilt, und ihm wird die Anordnungsverfügung ausgehändigt. Asylhaft kann nach ungarischem Recht erstmalig maximal für 72 Stunden durch die ungarische Asylbehörde angeordnet werden und gerichtlich bis zu einer maximalen Dauer von sechs Monaten verlängert werden, wobei spätestens alle 60 Tage eine Haftprüfung stattzufinden hat. Bei dem Haftprüfungstermin muss der Betroffene anwaltlich vertreten sein und kann Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Maßnahme einlegen. Auch nach Bestätigung der Maßnahme durch das Gericht kann der Betroffene jederzeit Einwendungen erheben, über die das Gericht binnen acht Tagen zu entscheiden hat, wobei eine wiederholte Beschwerde aus denselben Gründen nicht statthaft ist. Sollten Betroffene aus sprachlichen oder anderen Gründen gehindert sein, selbst einen Anwalt zu beauftragen, so wird ihnen von Amts wegen vom zuständigen Gericht ein Anwalt beigeordnet. Die Verfahrenskosten trägt der ungarische Staat. Die Haft ist nach ungarischem Recht zu beenden, wenn die Höchstdauer erreicht ist, der Haftgrund nicht mehr existiert, feststeht, dass der Asylbewerber minderjährig ist, ein Krankenhausaufenthalt aus medizinischen Gründen erforderlich ist, die Voraussetzungen zur Durchführung des Dublin-Verfahrens (Überstellung) gegeben sind oder das Dublin-Verfahren nicht durchgeführt werden kann (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27.1.2016, Antwort zu Frage 4, a.a.O.).
Dem Gericht liegen zum Zeitpunkt der hier getroffenen Entscheidung keine belastbaren Erkenntnisse vor, welche die Bewertung des OVG Lüneburg in seiner Entscheidung vom 15. November 2016 (8 LB 92.15 – juris Rn. 48 f.) und des VGH Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom 13. Oktober 2016 (a.a.O., Rn. 36 f.) stützen könnten, dass die Entscheidung, ob ein Asylbewerber in Asylhaft genommen oder einer offenen Aufnahmeeinrichtung zugewiesen wird, auch nach der Novellierung des ungarischen Asylrechts im Jahre 2015 „regelmäßig ohne nachvollziehbare Gründe, mithin willkürlich“ erfolgt bzw. „behördliche und gerichtliche Haftanordnungen und -prüfungen (…) im Regelfall schematisch ohne Prüfung des Einzelfalls und ohne Abwägung milderer Mittel“ erfolgen. Mit dem Verwaltungsgericht Berlin (a.a.O.) ist das Gericht der Auffassung, dass die hierzu maßgeblich angestellte schematische Betrachtung des Verhältnisses derjenigen Asylbewerber, die sich in Ungarn in Asylhaft befinden, zur Gesamtzahl der Asylbewerber – nach Angaben von Amnesty International (vgl. Stranded hope: Hungary’s sustained attack on the rights of refugees and migrants, September 2016, S. 24) sollen sich unter Verweis auf das Hungarian Helsinki Committee am 1. August 2016 insgesamt 700 der insgesamt 1.200 registrierten Asylbewerber, also mehr als die Hälfte, in Asylhaft befunden haben – für die Frage, ob die Inhaftierungspraxis der ungarischen Asylbehörde und deren gerichtliche Kontrolle eine regelhafte Verletzung von Art. 4 GRCh darstellt, als solche keine relevante Aussagekraft hat.
Systemische Mängel vermag das Gericht zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch hinsichtlich der Aufnahme- und ggf. Haftbedingungen in Ungarn nicht festzustellen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich die Zahl der in Ungarn dauerhaft schutzsuchenden Flüchtlinge seit Öffnung der deutschen Grenze im September 2015 einerseits und der von Seiten der ungarischen Regierung bis Oktober 2015 verwirklichten Maßnahmen zur Schließung der sog. Balkan-Route andererseits auf ein niedriges Niveau abgesenkt hat. Nach den aktuellen Feststellungen des Verwaltungsgerichts Berlin im o.g. Verfahren wurden in Ungarn im Zeitraum vom 1. Januar bis 4. Dezember 2016 (nur) noch 28.873 Schutzgesuche gestellt. Berücksichtigt man den Umstand, dass sich mit Stand 5. Dezember 2016 in Ungarn nur ca. 500 Schutzsuchende in einem laufenden Verfahren befanden, so drängt es sich auf, dass die überwiegende Mehrheit der Antragsteller – wie auch der Kläger – das einmal erreichte Ungarn lediglich als Transitland begreifen und in andere europäische Länder weiterreisen. Dementsprechend sind die ungarischen Haft- und offenen Aufnahmeeinrichtungen nicht nur nicht überfüllt, sondern aktuell sogar unterbelegt. In Ungarn gibt es gegenwärtig insgesamt noch drei Haft- und vier offene Aufnahmeeinrichtungen. Nach den Feststellungen des UNHCR variiert die Qualität der Versorgung in den offenen Aufnahmeeinrichtungen stark (vgl. UNHCR vom 9.9.2016). Die vom Verwaltungsgericht Berlin dem UNHCR konkret gestellte Frage nach der aktuellen Versorgungsituation der Schutzsuchenden im Allgemeinen und in den Aufnahmeeinrichtungen im Besonderen ließ der UNHCR ebenso unbeantwortet wie die Frage nach den gegenwärtigen Inhaftierungsbedingungen in Ungarn. Dies wertet auch das erkennende Gericht – wie das Verwaltungsgericht Berlin – dahingehend, dass aus Sicht des UNHCR gegenwärtig offenbar keine Zustände zu beklagen sind, die das gemeinsame Europäische Asylsystem mit Blick auf Ungarn strukturell in Frage zu stellen geeignet sind.
Soweit das OVG Lüneburg (a.a.O, Rn. 51 f.) und der VGH Baden-Württemberg (a.a.O., Rn. 37 f.) hinsichtlich der Haftanstalten zu der Auffassung gelangten, inhaftierte Asylbewerber würden wie Strafgefangene behandelt, indem sie zu gerichtlichen Anhörungen oder anderen Terminen außerhalb der Haftanstalt mit Handschellen und angeleint gebracht, hygienische Mindeststandards teilweise nicht eingehalten und Häftlinge sich über einen zu geringen Nährwert der Mahlzeiten und den daraus resultierenden Gewichtsverlust beklagen würden, so beruht dies ganz überwiegend auf mitgeteilten Vorkommnissen, die zeitlich deutlich vor der Zäsur der Verhältnisse in Ungarn seit September 2015 liegen und schon deshalb – wenn sie denn überhaupt verallgemeinerungsfähig wären – keine tragfähige Grundlage für die Beurteilung der aktuellen Situation sein können. Soweit allerdings Amnesty International – und auch Pro Asyl – in ihren vorgenannten Publikationen aktuelle Aussagen und Erhebungen über die ungarische Asylpolitik im Allgemeinen und die hier in Rede stehende Zustände in den Aufnahmeeinrichtungen im Besonderen zur Verfügung stellen, sieht das Gericht in Gesamtwürdigung der hierzu durchgeführten Befragungen und ihrer offenbar auch weitgehend unkritischen Übernahme mit Blick auf die geringe Anzahl der Befragten, die zudem bestehenden Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben und gerade auch diese Befragungsergebnisse deutlich relativierende gegenläufige Erkenntnisse (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27.1.2016; UNHCR vom 9.9.2016) darin keinen hinreichend belastbaren Beleg für systemisch bedingte Misshandlungen von Asylhäftlingen in Ungarn (vgl. VG Berlin, a.a.O. Rn. 40). Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Januar 2016 an das Verwaltungsgericht Regensburg (dort Antwort zu Frage 5) sind diesem keine Fälle von willkürlicher Behandlung bekannt geworden.
Systemische Mängel ergeben sich auf der Grundlage der aktuellen Erkenntnisse auch nicht hinsichtlich des Vollzugs des ungarischen Asylverfahrens. Zwar ist das Asylverfahren des Klägers aufgrund seiner Weiterreise nach Deutschland nach Art. 66 Abs. 2 und 4 des ungarischen Asylgesetzes wohl eingestellt worden (vgl. dazu und zum Nachfolgenden insbesondere Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27.1.2016 zu den Fragen 1 bis 4 und 7). Auch ist davon auszugehen, dass der Kläger keine Wiederaufnahme des Verfahrens nach Art. 66 Abs. 6 des ungarischen Asylgesetzes wird beantragen können, da seit der Einstellung mehr als neun Monate vergangen sind. Dementsprechend wird der Kläger als Folgeantragsteller behandelt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ihm kein Flüchtlingsschutz nach ungarischem Recht mehr gewährt werden könnte. Auch stehen Rückkehrern Ansprüche auf Leistungen wie Unterkunft und Verpflegung sowie medizinische Versorgung in Ungarn zu.
1.3. Eine Rücküberstellung nach Ungarn ist auch möglich. Eine Rückführung ist nicht von vornherein deshalb ausgeschlossen ist, weil Ungarn ungeachtet seiner Verpflichtungen aus der Dublin-III-VO zur Wiederaufnahme tatsächlich nicht bereit wäre (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2016 – 1 C 24.15 – juris Rn. 21 f.).
Eine Rücküberstellung des Klägers ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil Ungarn seine Zusammenarbeit im Rahmen der Dublin-III-VO mit den übrigen Mitgliedstaaten zwischenzeitlich vollständig eingestellt hätte. Soweit UNHCR in seiner Auskunft vom 9. September 2016 darauf hinweist, die ungarische Regierung habe die für das Dublin-Verfahren zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten am 27. April 2016 darüber informiert, Ungarn werde keinen weiteren Übernahmeersuchen nach der Dublin-Verordnung zustimmen, so ist eine derartige „Totalverweigerung“ in der Praxis offensichtlich nicht ins Werk gesetzt worden. Nach der im Verfahren 3 K 509.15 A dem Verwaltungsgericht Berlin vom Bundesamt vorgelegten Übersicht zu den Prüffällen und Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-VO vom 1. Januar bis 30. November 2016 wurden an Ungarn in diesem Zeitraum 11.544 Übernahmeersuchen durch die Beklagte gestellt, von denen 3.574 positiv beschieden wurden. Auf dieser Grundlage konnten 278 Rücküberstellungen nach Ungarn erfolgen. Bezogen auf den Monat November 2016 wurden von 594 Übernahmeersuchen an Ungarn 83 Übernahmeersuchen positiv beschieden und konnten 14 Rücküberstellungen erfolgen. Dass die Gründe für die im Übrigen nicht erfolgten Überstellungen allein in der Sphäre Ungarns liegen würden, kann nicht festgestellt werden. Zwar ist nicht zu verkennen, dass Ungarn durch die offenbar praktizierte Kontingentierung der maximal akzeptierten Rücküberstellungen nach dem Dublin-Regime auf eine niedrige zweistellige Zahl pro Tag die Möglichkeit der Rückführung einer größeren Gruppe von Schutzsuchenden anscheinend bewusst unterbindet. Jedoch kann keine Rede davon sein, dass Ungarn Überstellungen nach dem Dublin-Verfahren gänzlich eingestellt hat. Auf eine statistisch nur geringe oder nicht geringe Überstellungsquote kommt es im Übrigen von Rechts wegen nicht an (vgl. OVG Schleswig, B.v. 21.11.2016 – 2 LA 111/16 – juris Rn. 5 ff.). Entscheidend ist vielmehr allein der Umstand, dass es in der Vollzugspraxis tatsächlich zu Überstellungen nach der Dublin-III-VO nach Ungarn kommt und dies auch in Bezug auf den Kläger nicht a priori ausgeschlossen ist. Ist dies der Fall, kann eine Rücküberstellung, auch im Wege der Abschiebung, durchgeführt werden (§ 34a Abs. 1 Satz 1 a.E. AsylG). So liegt auch der Fall des Klägers. Auch die Quote der erfolgreichen Überstellungen aus der Bundesrepublik Deutschland in die übrigen Mitgliedstaaten im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. November 2016 bewegt sich im Übrigen nur in einem jedenfalls vergleichbar niedrigen Bereich (vgl. zum gesamten Vorstehenden VG Berlin a.a.O., Rn 44 m.w.N.).
2. Aufgrund der vorstehend erfolgten Würdigung der vorliegenden Erkenntnismittel konnte das erkennende Gericht eine Sachentscheidung treffen, ohne dass es eines vorherigen richterlichen Hinweises bedurft hätte.
Nach § 86 Abs. 1 VwGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen und ist an den Vortrag der Beteiligten nicht gebunden. Das Gesetz fordert gerade nicht, dass das Gericht vor seine Entscheidung bekannt gibt, welchen Sachverhalt es für erwiesen erachtet und welcher Rechtsauffassung es im Einzelnen vertritt (vgl. Geiger in: Eyermann, VwGO 14. Aufl. 2014, § 104 Rn. 8). Der Kläger hat sich im Schriftsatz seiner Bevollmächtigten ausdrücklich auf die seiner Ansicht nach systemischen Schwachstellen des Asylrechts und seines Vollzugs in Ungarn berufen. Somit musste er auch schon nach seinem eigenen Vortrag damit rechnen, dass entsprechende, aktuelle Erkenntnismittel der vorliegend mit Zustimmung der Beteiligten im schriftlichen Verfahren ergehenden Entscheidung vom Gericht zu Grunde gelegt werden. Es liegt dabei auch in der Natur der Sache, dass das Gericht in der Hauptsacheentscheidung nicht mehr der Auffassung folgt, die es zuvor im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unter Würdigung der zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnismittel vertreten hat. Nachdem der Beschluss vom 22. Juni 2016, M 8 S. 16.50295 bereits über ein halbes Jahr zurückliegt, konnte auf der Basis der nunmehr verfügbareren Erkenntnismittel zu den aktuellen Gegebenheiten des Asylrechts und seines Vollzugs in Ungarn die vorliegende Entscheidung mithin ohne vorherigen rechtlichen Hinweis ergehen. Dies umso mehr auch deswegen, weil der Kläger weder neue Tatsachen und Beweismittel, die seine Auffassung belegen würden, vorgebracht (§ 74 Abs. 2 Satz 4 AsylG) noch um rechtlichen Hinweis ersucht hat.
3. Nachdem Einwände gegen die im streitgegenständlichen Bescheid unter Nummer 2 verfügte Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf sechs Monate wieder erhoben wurden noch ersichtlich sind und auch personenbezogene Abschiebungshindernisse nicht im Raum stehen, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Zivilprozessordnung (ZPO).


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