Europarecht

Keine systemischen Mängel im Asylverfahren in Ungarn

Aktenzeichen  Au 5 K 15.50489

Datum:
14.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 27a, § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 13 Abs. 1 S. 1, Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1, Art. 25 Abs. 2
GG GG Art. 16a
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Im Rahmen des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens und dem Konzept der normativen Vergewisserung obliegt es den nationalen Gerichten zu prüfen, ob die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte entspricht, widerlegt wird. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2 In Ungarn läuft ein Asylbewerber keine Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, sodass keine systemischen Mängel im ungarischen Asylverfahren oder den dortigen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestehen (u.a. BayVGH BeckRS 2015, 45776). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht konnte den folgenden Fall über die Klage des Klägers entscheiden, ohne dass die Beteiligten an der mündlichen Verhandlung vom 14. Januar 2016 teilgenommen haben. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Bundesamtes vom 17. November 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Damit besitzt der Kläger auch keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte in nationalem Verfahren über sein Asylgesuch entscheidet.
Ein Asylantrag ist gemäß § 27 a AsylG unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In diesem Falle ist gemäß § 34 a Abs. 1 AsylG durch das Bundesamt die Abschiebung in den zuständigen Staat anzuordnen; einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht.
Hintergrund dieser Bestimmungen ist, dass Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft kraft Verfassungsrechts (Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz – GG) als sichere Drittstaaten gelten, während sonstige sichere Drittstaaten durch Gesetz bestimmt werden. Wer sich in einem sicheren Drittstaat aufgehalten hat, bedarf grundsätzlich nicht des Schutzes eines anderen Staates. Bei der Republik Ungarn handelt es sich um einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union und damit um einen sicheren Drittstaat (§ 26 a Abs. 2 AsylG). Die Einreise aus einem dieser Staaten schließt die Berufung auf ein Asylrecht aus (Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG).
Im vorliegenden Fall ist auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union die Republik Ungarn für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Dublin III-Verordnung. Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die – wie hier – nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung. Der Kläger hat am 20. August 2015 in der Bundesrepublik Deutschland Asylantrag gestellt.
Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist ein Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, wenn auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den bei den Artikeln 22 Abs. 3 Dublin III-VO genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt wird, dass ein Kläger aus einem Drittstaat kommend, die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaates illegal überschritten hat. Vorliegend ergibt sich die Zuständigkeit der Republik Ungarn aus dem festgestellten EURODAC-Treffer. Danach hat der Kläger bereits in Ungarn um Asyl nachgesucht (EURODAC-Treffer beginnt mit „HU1“: Art. 9 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 4 Sätze 1 und 2 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung von EURODAC; im Folgenden: EURODAC-VO).
Die nach Art. 13 Abs. 1, 18 Abs. 1 Buchstabe b Dublin III-VO zuständige ungarische Behörde hat dem Wiederaufnahmegesuch des Klägers gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO fiktiv zugestimmt.
Es liegen auch keine Umstände vor, die die Zuständigkeit Ungarns in Durchbrechung des Systems der Bestimmungen der Dublin-Verordnungen entfallen ließen.
Dem gemeinsamen Europäischen Asylsystem, zu dem insbesondere die DublinVerordnungen gehören, liegt die Vermutung zu Grunde, dass jeder Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat gemäß den Anforderungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EuGRCh) sowie der EMRK behandelt wird. Es gilt daher die Vermutung, dass Asylbewerbern in jedem Mitgliedstaat eine Behandlung entsprechend den Erfordernissen der Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukommt.
Die diesem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“ zu Grunde liegende Vermutung ist jedoch dann als widerlegt zu betrachten, wenn in Mitgliedstaaten „nicht unbekannt sein kann“, also ernsthaft zu befürchten ist, dass dem Asylverfahren einschließlich seiner Aufnahmebedingungen in einem Mitgliedstaat derart grundlegende, systemische Mängel anhaften, dass für dorthin überstellte Asylbewerber die Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EuGrCh ausgesetzt zu werden.
Als systemische Mängel sind solche Störungen anzusehen, die entweder im System eines nationalen Asylverfahrens angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von ihnen nicht nur vereinzelt oder zufällig, sondern in einer Vielzahl von Fällen objektiv vorhersehbar treffen oder die dieses System auf Grund einer empirisch feststellbaren Umsetzung in der Praxis in Teilen funktionslos werden lassen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 21.2.2014 – 10 A 10656 – juris).
Systemische Mängel sind zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hinsichtlich der Verhältnisse in der Republik Ungarn nicht anzunehmen.
Das Gericht teilt insoweit die Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U.v. 3.7.2014 – 71932/12 – UA Rn. 68 ff.; U.v. 6.6.2013 -2283/12 – Asylmagazin 2013, 342 ff.) sowie anderer deutscher Verwaltungsgerichte, die systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn verneinen (vgl. BayVGH, B.v. 27.4.2015 – 14 B 13.30076 – juris; VGH BW, B.v. 6.8.2013 – 12 S 675/13 – juris Rn. 4; OVG LSA, B.v. 31.5.2013 – 4 L 169/12 – juris Rn. 23; VG Würzburg, B.v. 2.1.2015 – W 1 S. 14.50120 – juris Rn. 28 ff.; U.v. 23.9.2014 – W 1 K 14.50050 – UA S. 8 ff.; VG Düsseldorf, B.v. 2.9.2014 – 6 L 1235/14.A – juris Rn. 30 ff.; B.v. 8.9.2014 – 9 L 1506/14.A – juris Rn. 8 ff.; VG Stade, B.v. 14.7.2014 – 1 B 862/14 – juris Rn. 7 ff.; VG Hannover, B.v. 27.5.2014 – 5 B 634/14 – juris Rn. 8 ff.; zuletzt auch unter Berücksichtigung der asylgesetzlichen Verschärfungen in Ungarn VG Ansbach, B.v. 29.10.2015 – AN 3 S. 15.50473 – juris; B.v. 20.10.2015 – 3 S. 15.50425 – juris; a.A.: SächsOVG, B.v. 24.7.2014 – A 1 B 131/14 – juris Rn. 4 m.w.N.; VG München, B.v. 26.6.2014 – M 24 S. 14.50325 – juris Rn. 31 ff.; VG Stuttgart, U.v. 26.6.2014 – A 11 K 387/14 – juris Rn. 16 ff.; VG Düsseldorf, B.v. 27.8.2014 – 14 L 1786/14.A – juris Rn. 24 ff.; B.v. 16.6.2014 – 13 L 141/14.A – juris Rn. 24 ff.; VG Oldenburg, B.v. 18.6.2014 – 12 B 1238/14 – juris Rn. 18 ff.; VG Berlin, B.v. 15.1.2015 – VG 23 L 899.14 – juris).
Systemische Mängel bestehen (erst) bei einer reellen Unfähigkeit des gesamten Verwaltungsapparats zur Beachtung des Art. 4 EuGRCh, was gleichbedeutend ist mit strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens haben. Die im jeweiligen nationalen Asylsystem festzustellenden Mängel müssen demnach so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig sind, sondern in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen. Dies kann einerseits darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind, andererseits aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Asylsystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – in weiten Teilen aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft defizitär ist und funktionslos wird (vgl. BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 10 B 35.14 – NVwZ 2014, S. 1677 ff. = juris Rn. 5 a.E.; und B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – NVwZ 2014, S. 1039 f. = juris Rn. 6 und 9; VGH BW, U.v. 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 – InfAuslR 2015, S. 77, 78 ff. = juris; OVG NRW, U.v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A – juris Rn. 79 ff.; OVG RP, U.v. 21.2.2014 – 10 A10656/13 -juris Rn. 39 f.).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat als Maßstab für die Beantwortung der Frage, ob Struktur und allgemeine Lage der Aufnahme im europäischen Zielstaat die Überstellung von Asylbewerbern dorthin verhindern, ausdrücklich benannt, ob eine Gleichgültigkeit der Behörden des betreffenden Staates vorliegt (vgl. EGMR, U.v. 4.11,2014, Tarakhel ./. Switzerland, Nr. 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff. = juris Rn. 114 f., und E.v. 13.1.2015, A.M.E. ./. Netherlands, Nr. 51428/10, hudoc Rn. 34 u. 35).
Unerheblich ist, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kommen kann und ob ein Drittstaatsangehöriger einer solchen tatsächlich schon einmal ausgesetzt gewesen ist. Derartige Erfahrungen sind in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob systemische Mängel im Zielland der Überstellung vorliegen; nur in diesem begrenzten Umfang sind individuelle Erfahrungen zu berücksichtigen. Persönliche Erlebnisse Betroffener, die einige Jahre zurückliegen, können allerdings durch neuere Entwicklungen im betreffenden Staat überholt sein. Individuelle Erfahrungen einer gegen Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung führen hingegen nicht zu einer Beweislastumkehr für die Frage des Vorliegens systemischer Mängel (vgl. BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 10 B 35.14 – NVwZ 2014, S. 1677 ff. = juris Rn. 6).
Bei Beachtung dieser Maßgaben bestehen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) über den Streitfall keine systemischen Mängel des ungarischen Asylverfahrens und der dortigen Aufnahmebedingungen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO. Dies gilt soweit der einzelne internationalen Schutz begehrende Drittstaatsangehörige gerade keinem besonderen schutzwürdigen Personenkreis angehört. Mit den beiden Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sowohl vom 6. Juni 2013 in der Sache Mohammed ./. Österreich – Nr. 2283/12 -, und vom 3. Juli 2014 in der Sache Mohammadi ./. Österreich – Nr. 71932/12 -, geht das Gericht angesichts des Ablaufs und der Durchführung von Asylverfahren in Ungarn sowie der Behandlung von Dublin-Rückkehrern weiterhin davon aus, dass das ungarische Asylsystem und die Aufnahmebedingungen keine systematischen Defizite aufweisen. Obwohl der EGMR in seiner (ersten) Entscheidung vom 6. Juni 2013 – Nr. 2283/12 – noch deutlicher von alarmierenden Berichten über die Verhältnisse in Ungarn in den Jahren 2011 und 2012 ausging, hat er zuletzt in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2014 – Nr. 71932/12 – ausdrücklich hervorgehoben, dass angesichts der seinerzeit festzustellenden Änderung des Asylrechts wie auch der tatsächlichen Behandlung von Drittstaatsangehörigen in Ungarn zu Beginn des Jahres 2014 Art. 3 EMRK einer Rückführung eines Asylsuchenden dorthin nach den Dublin-Regularien gerade nicht entgegensteht. Dabei hat sich der EGMR ausdrücklich unter genauerer Darstellung des jeweiligen Inhalts auf im Einzelnen näher bezeichnete und ausgewertete Stellungnahmen verschiedener Regie-rungswie Nichtregierungsorganisationen gestützt, die zeitlich bis ins Jahr 2014 hineinreichten. Insgesamt seien Verbesserungen des Asylsystems einschließlich der Abschiebehaftbedingungen und auch der Rechtsschutzmöglichkeiten festzustellen.
Hintergrund dieser Verbesserung ist die zur Bewältigung der durch die massive Flüchtlingswelle namentlich von Schutzsuchenden aus Syrien und dem Irak entstandenen Flüchtlingskrise von der EU gewährte finanzielle, logistische und personelle Unterstützung. Die Hilfen und bereits erreichten Verbesserungen lassen zudem mittel- und langfristig eine weitere Besserung der Zustände erwarten. Gerade dass der UNHCR, dessen amtlichen Stellungnahmen bei der Beurteilung der Situation und der 36 Funktionsfähigkeit des Asylsystems in den Mitgliedstaaten eine besondere Relevanz zukommt (vgl. EuGH, U.v. 30.5.2013 – C-528/11 – NVwZ-RR 2013, S. 660 ff. = juris Rn. 44), zu Ungarn kein ausdrückliches Positionspapier gegen eine Überstellung von Asylsuchenden nach den Regeln der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 verfasst hat, hat den EGMR veranlasst anzunehmen, der betroffene Drittstaatsangehörige sei keines individuellen realen Risikos ausgesetzt gewesen, als Asylantragsteller in Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK unterworfen zu werden.
Dem schließt sich die erkennende Kammer nach eigenständiger Durchsicht und Bewertung der ebenfalls vorliegenden Erkenntnisse an, und hält daran auch mit Blick auf zeitlich nachfolgende neuere Erkenntnismittel fest. Eine Änderung der vom EGMR zugrunde gelegten Sachlage, die ein Abweichen von dessen Rechtsprechung rechtfertigen würde, besteht zur Überzeugung des Gerichts nicht:
Nach den zum 1. Januar 2014 erfolgten Änderungen im ungarischen Asylgesetz als genereller Reglung haben nunmehr Rückkehrer nach den Dublin-Regularien – bis auf einen Ausnahmefall – einen garantierten Zugang zum Asylverfahren und einer vollständigen Untersuchung ihres Asylbegehrens.
Namentlich der jüngste Bericht von „aida, Asylum Information Database, Country Report Hungary“ mit Stand 17. Februar 2015, der von Mitgliedern des „Hungarian Helsinki Committee (HHC)“ geschrieben und von „European Council on Refugees and Exiles (ECRE)“ herausgegeben wurde, abrufbar unter: http: …www.asylumin-europe.org/sites/default/files/report-download/aida_-_hungary_thirdupdate_ final_ feb ruary_2015.pdf, stellt insgesamt heraus, dass Dublin-Rückkehrer – anders als im Jahr 2013 – Zugang zum Asylverfahren haben und ihr Asylbegehren vollständig geprüft wird (S. 21). Asylsuchende werden als Erstantragsteller den nationalen Bestimmungen zufolge registriert und behandelt. Wirkt ein Asylsuchender nicht ausreichend mit, kann dies u.U. zu finanziellen Konsequenzen bei der Tragung der Unter-bringungs- und Behandlungskosten führen. Es liegen bislang keine Erkenntnisse vor, dass Asylsuchende nicht tatsächlich untergebracht werden. In Aufnahmeeinrichtungen werden Asylsuchende mit Essen versorgt, erhalten Hygieneartikel und Taschengeld; Kinder, Alleinerziehende und über 60-Jährige erhalten einen Betrag über 25% 38 der niedrigsten Rente (95 EUR), andere Erwachsene weniger. Im Jahr 2014 betrug die Verweildauer von Personen in den Asylunterkünften länger als 5 Monate. Die staatlichen Unterbringungszentren werden von Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Frauen werden regelmäßig mit Familien auf einem Flur untergebracht. Unbe-gleitete Kinder werden in einer gesonderten Einrichtung aufgenommen. Familien werden während des Asylverfahrens nicht getrennt. Die Bedingungen in den Unterbringungszentren sind nicht einheitlich. Jedoch gibt es überall drei Mahlzeiten am Tag. Es kann überwiegend auch selbständig gekocht werden. Die Menschen teilen sich Räume. Psychologische Betreuung und Psychotherapie für traumatisierte Asylsuchende wird von Nichtregierungsorganisation angeboten (S. 40-44). Nicht inhaftierte Asylsuchende können sich frei im Land bewegen, dürfen ihre Unterbringungseinrichtung aber nur weniger als 24 Stunden verlassen. Um die monatlichen Geldzahlungen zu erhalten, müssen Asylsuchende wenigstes 25 Tage im Monat in der Einrichtung sein (S. 46 f.). Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist gewährleistet; Allgemeinmediziner sind in den Unterbringungszentren regelmäßig unter der Woche verfügbar, Fachärzte jedoch nur in Notfällen (S. 49 f.). Im Jahr 2014 waren mehr als 4.800 Asylsuchende inhaftiert; die Haftplätze sind fast vollständig belegt. Es gibt keine besonderen Kategorien von Asylsuchenden, die inhaftiert werden. Familien werden gemeinsam in einer gesonderten Einrichtung in Haft genommen (S. 51).
Ein systemischer Mangel wird zur Überzeugung der Kammer insbesondere nicht durch die in Ungarn (auch im Jahr 2015) praktizierte Asylhaft begründet. Eine Inhaftierung ist nach dem ungarischen Asylgesetz zulässig zur Überprüfung der Identität und Staatsangehörigkeit, nach dem Untertauchen oder anderweitiger Behinderung der Durchführung des Asylverfahrens, oder wenn dies aus gewichtigen Gründen zu befürchten ist oder wenn der Betreffende seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, an Verfahrenshandlungen teilzunehmen, und damit die Durchführung eines Dublin-Verfahrens behindert hat. Die Verhängung der Asylhaft ist nach vorheriger Einzelfallprüfung nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch die Anwendung weniger einschneidender Alternativen zur Inhaftierung erreicht werden kann, etwa durch die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit, die Pflicht, sich an einem zugewiesenen Ort aufzuhalten oder Meldeauflagen. Gegen die Anordnung der Asylhaft als solches gibt es kein eigenständiges Rechtsmittel; die Haft wird allerdings insoweit richterlich überprüft, dass dies erstmals nach 72 Stunden und in der Folgezeit in 60-TagesIntervallen erfolgt (vgl. zu den Einzelheiten der Asylhaft: Auswärtiges Amt, Bericht an das VG Düsseldorf vom 19.11.2014- 508516.80/48135, juris Mitteilungen, S. 2 f.; (österreichisches) Bundesverwaltungsgericht, B.v. 4.12.2014 – W 192 2014566-1/3 E – (B) I. 1.1. Asylrechtliche Haft), abrufbar unter: http: …www.ris.bka.gv.at (Datenbank RIS)).
Diese Regelungen zur Asylhaft und ihre tatsächliche Anwendung hat der EGMR bereits bei seiner Entscheidung vom 3. Juli 2014 – Nr. 71932/12 – berücksichtigt, da er u.a. auf den Country Report des Ungarischen Helsinki-Komitee vom 30. April 2014 abgestellt hat. Dem ist zu entnehmen, dass in der Zeit zwischen Juli und Dezember 2013 etwa 26% aller Asylbewerber und etwa 42% der männlichen Asylbewerber inhaftiert worden sind; ferner bestehen in den Haftanstalten nicht unerhebliche Mängel auf den Gebieten der Wohnverhältnisse, der Wasserqualität und der Versorgung mit Putz- und Reinigungsmitteln. Dem bereits genannten neuen Bericht „aida-Country-Report Hungary“ Stand 17. Februar 2015 sind für das gesamte Jahr 2014 keine nennenswert höheren Haftzahlen als die soeben dargestellten wie auch keine Verschlechterung der bereits früher festgestellten mäßigen Haftbedingungen zu entnehmen (dort S. 51, 53-56, 58-61). Ähnliche Zahlen und Umstände haben den EGMR gerade nicht veranlasst, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK – dessen Schutzbereich dem des Art. 4 EU-GR-Charta entspricht -bei der Behandlung von Asyl begehrenden Drittstaatsangehörigen in Ungarn festzustellen.
Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte für systemische Mängel wegen drohender Obdachlosigkeit von Schutz suchenden Drittstaatsangehörigen in Ungarn greifbar. Es ist nämlich bisher, d.h. im gesamten vergangenen Jahr 2014 gerade kein Fall bekannt, in dem einem Asylantragsteller – etwa wegen Überbesetzung der Unterbringungseinrichtungen – in Ungarn kein Obdach gewährt worden ist (vgl. aida, Asylum Information Database, Country Report Hungary, Stand 17. Februar 2015, S. 43; und bereits National Country Report Hungary, Stand 30. April 2014, S. 40).
Ebenfalls nicht geeignet ein anderes rechtliches Ergebnis zu begründen, ist der Umstand, dass in Ungarn am 1. August 2015 ein Gesetz in Kraft getreten ist, welches die Rechte von Asylsuchenden (nochmals) einschränkt. Die materielle Verschärfung des Asylrechts insbesondere dergestalt, dass Asylanträge abgelehnt werden dürfen, wenn Asylsuchende über sichere Transitstaaten (Serbien) eingereist sind, führt nicht per se zum Vorliegen systemischer Mängel. Auch das deutsche Asylrecht kennt derartige einschränkende Bestimmungen (§ 26a AsylG).
Es liegen derzeit dem Gericht auch keine Erkenntnisse darüber vor, dass DublinRückkehrer von Ungarn nach Serbien abgeschoben würden. Die geänderte Gesetzeslage in Ungarn ist dem Umstand geschuldet, dem bis Sommer 2015 ungehinderten Zustrom von Flüchtlingen Herr zu werden. Die ungarische Regierung scheint insoweit bemüht, die Vorschriften der Dublin-VO einzuhalten und für eine geregelte Einreise und Registrierung der Flüchtlinge zu sorgen, die gerade nicht in Ungarn Asyl beantragen wollen, sondern mit dem Ziel Deutschland in den Schengen-Raum einreisen (vgl. VG Ansbach, B.v. 29.10.2015 – AN 3 S. 15.50473 – juris Rn. 43). Des Weiteren ist an dieser Stelle darauf zu verweisen, dass aufgrund der in Kraft getretenen Regelungen und der begleitenden Maßnahmen der ungarischen Behörden der ungehinderte Zustrom von Flüchtlingen nach Ungarn derzeit nicht mehr anhält. Damit dürfte sich auch das zwischenzeitlich aufgetretene Problem vorhandener Kapazitätsengpässe für die Unterbringung zurückkehrender Flüchtlinge deutlich entschärft haben.
Der Umstand, dass die Beklagte derzeit davon absieht, syrische Flüchtlinge nach Ungarn zu überstellen, mag ebenfalls keinen Erfolg der Klage zu begründen. Sofern die Abschiebungsanordnung nach Ungarn mit den Bestimmungen der Dublin III-VO in Einklang steht, kann der Kläger dieser Anordnung nur mit dem Vortrag entgegentreten, dass in Ungarn systemische Schwachstellen des Asylsystems bzw. der Aufnahmebedingungen vorliegen.
Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die ein Selbsteintrittrecht der Beklagten begründen könnten, sind nicht ersichtlich, zumal es sich bei den vom volljährigen Kläger benannten Personen (Vater und Bruder) nicht um berücksichtigungsfähige Familienangehörige im Sinne von Art. 2 g) Dublin III-VO handelt.
Ein der Abschiebung nach Ungarn entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG ausnahmsweise von der Beklagten auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wäre (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 -AuAS 2014 S. 244 ff. = juris Rn. 11 f.; OVG NRW, B.v. 30.8.2011 – 18 B 1060/11 -juris Rn. 4), ist ebenfalls nicht ersichtlich.
Auch ist die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO von sechs Monaten seit fiktiver Annahme des Überstellungsgesuchs durch die Republik Ungarn (31. Oktober 2015) noch nicht abgelaufen, so dass es keiner Entscheidung über die Frage bedarf, ob dem Kläger allein aus dem Fristablauf ein subjektiv-öffentliches Recht erwachsen kann.
Schließlich ändert an der Zuständigkeit Ungarns für die Behandlung des Asylantrages des Klägers auch nichts, dass dieser vorgetragen hat, er habe das Gebiet der Europäischen Gemeinschaft erstmalig in Bulgarien betreten.
Eine objektive Überprüfung, ob der die Aufnahme erklärende Mitgliedsstaat tatsächlich nach Maßgabe der Kriterien der Dublin III-VO für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, kann ein Asylbewerber nicht verlangen, da es den Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin III-VO, soweit sie nicht ausnahmsweise grundrechtlich „aufgeladen“ sind, an der hierfür erforderlichen drittschützenden Wirkung fehlt. Dies folgt einerseits aus der Erwägung, dass die Verordnung ebenso wie das gesamte gemeinsame Europäische Asylsystem auf der Annahme beruht, dass alle beteiligten Staaten – Mitgliedstaaten wie Drittstaaten – die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (Prinzip des gegenseitigen Vertrauens). Andererseits sprechen hierfür auch die Ziele der Dublin III-VO, nämlich erstens – durch organisatorische Vorschriften die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten zu regeln, so wie dies schon im Dubliner Übereinkommen der Fall war, -zweitens – im Interesse sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Asylbewerber eine zügige Bearbeitung der Asylanträge zu gewährleisten, sowie – drittens – ein „forum shopping“ zu verhindern (vgl. EuGH, U.v. 10.12.2013 – C-394/12 – juris; U.v. 21.11.2011 – C-411/10 – juris; U.v. 14.11.2013 – C-4/11 – juris). Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der Kläger keine Berührungspunkte zum dem aufnahmebereiten Mitgliedstaat hat, mithin zum bloßen Objekt des Verfahrens würde, was vorliegend angesichts seines wenn auch kurzen Aufenthaltes in Ungarn nicht der Fall ist, bzw. der aufnahmebereite Mitgliedstaat über den Sachverhalt durch den ersuchenden Mitgliedstaat vorsätzlich getäuscht wurde.
Bei Vorliegen jedenfalls eines EURODAC-Treffers der Kategorie 1 für Ungarn kann nicht davon gesprochen werden, dass die Beklagte quasi willkürlich ein Wiederaufnahmeersuchen an Ungarn gerichtet und die ungarischen Behörden über eine eigentlich gegebene Zuständigkeit Bulgariens getäuscht hat.
Als Ausfluss des Prinzips gegenseitigen Vertrauens hat der Asylsuchende überdies nur einen Anspruch darauf, dass sein Asylgesuch in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft materiell geprüft wird. Weitergehende Ansprüche besitzt der Asylsuchende nicht. Dies entspricht im Wesentlichen auch der Regelung in Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO, wonach jeder Mitgliedsstaat abweichend von Art. 3 Abs. 1 (Dublin III-VO) beschließen kann, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.
Schließlich begegnet die rechtliche und tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung des Klägers nach Ungarn keinen Bedenken.
Einwände gegen das im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot für 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung, gestützt auf § 11 Auf-enthaltG, wurden von Seiten des Klägers nicht erhoben und sind auch sonst nicht ersichtlich.
Nach allem erweist sich der Bescheid des Bundesamtes vom 17. November 2015 als rechtmäßig und war die Klage demnach mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.


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