Europarecht

Keine Wissenszurechnung innerhalb des VW-Konzerns im Dieselskandal

Aktenzeichen  42 O 259/20

Datum:
6.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 13250
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 826

 

Leitsatz

1. Hat die Fahrzeugherstellerin den eingebauten Motor nicht selbst hergestellt und entwickelt, muss der Käufer darlegen und nachweisen, dass sie Kenntnis von einer im Motor verbauten unzulässigen Abschalteinrichtung hatte. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es besteht im Falle eines Wechsels des Arbeitgebers innerhalb des Konzerns keine Pflicht zur konzernübergreifenden Weitergabe persönlicher Kenntnisse, die Mitarbeiter oder Vorstandsmitglieder im Rahmen eines Anstellungsverhältnisses bei einer anderen Konzerngesellschaft erlangt haben. Dies gilt umso mehr angesichts des Umstands, dass die VW AG und die Porsche AG mit den von ihnen hergestellten Fahrzeugen am Markt im Wettbewerb stehen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf … € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinem Erfolg.
I.
Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 826, 31 BGB noch nach weiteren denkbaren Anspruchsgrundlagen wie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB bzw. § 823 Abs. 2 i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu.
Dies folgt bereits daraus, dass der Kläger das Tatbestandsmerkmal des Vorsatzes – mithin die auf Seiten der Beklagten bestehende Kenntnis vom Vorhandensein der behaupteten Manipulationssoftware und ihren Auswirkungen – nicht hinreichend dargelegt hat. Somit kann letztlich dahingestellt bleiben, ob der streitgegenständliche Pkw über die behaupteten Funktionen der Motorsteuerungssoftware verfügt oder nicht.
1. Hat die Fahrzeugherstellerin den eingebauten Motor nicht selbst hergestellt und entwickelt, muss der Käufer darlegen und nachweisen, dass sie Kenntnis von einer im Motor verbauten unzulässigen Abschalteinrichtung hatte.
In subjektiver Hinsicht setzt § 826 BGB Schädigungsvorsatz sowie Kenntnis der Tatumstände voraus, die das Verhalten sittenwidrig erscheinen lassen. Der erforderliche Schädigungsvorsatz bezieht sich hierbei darauf, dass durch die Handlung einem anderen Schaden zugefügt wird. Er enthält ein Wissens- und Wollenselement: Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben. Dabei setzt § 826 BGB keine Schädigungsabsicht im Sinne eines Beweggrundes oder Zieles voraus. Es genügt bedingter Vorsatz hinsichtlich der für möglich gehaltenen Schadensfolgen, wobei dieser nicht den konkreten Kausalverlauf und den genauen Umfang des Schadens, sondern nur Art und Richtung des Schadens umfassen muss. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass ein Schaden im Sinn des § 826 BGB nicht nur in der Verletzung bestimmter Rechte oder Rechtsgüter liegt, sondern vielmehr jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage genügt, einschließlich der sittenwidrigen Belastung fremden Vermögens mit einem Verlustrisiko. Im Rahmen des § 826 BGB kann sich im Einzelfall aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns, insbesondere dem Grad der Leichtfertigkeit des Schädigers, die Schlussfolgerung ergeben, dass er mit Schädigungsvorsatz gehandelt hat. Dies kann insbesondere dann naheliegen, wenn der Schädiger sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des Rechtsguts durchgeführt hat und es dem Zufall überlässt, ob sich die erkannte Gefahr verwirklicht. Stets ist aber eine umfassende Würdigung sämtlicher Umstände erforderlich. Für den getrennt davon erforderlichen subjektiven Tatbestand der Sittenwidrigkeit genügt die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die das Sittenwidrigkeitsurteil begründen. Die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB setzt schließlich voraus, dass ein „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat (OLG Bamberg Urt. v. 17.12.2020 – 1 U 8/20).
2. All diese Voraussetzungen lassen sich dem Klägervortrag angesichts der Besonderheit, dass die Beklagte den streitgegenständlichen Motor nicht selbst hergestellt und entwickelt hat, nicht entnehmen.
Vielmehr wird wiederholt die pauschale Behauptung aufgestellt, „es sei davon auszugehen, dass der Vorstand über die Verwendung der Motorsteuerungssoftware informiert“ gewesen sei. Begründet wird dies, wenn überhaupt, mit der rechtlichen Verflechtung der Herstellerin des Motors und der Beklagten als Schwestergesellschaft sowie die aus Sicht des Klägers bestehende Pflicht zur Organisation und zum Informationsaustausch. Des Weiteren sieht die Klagepartei eine Pflicht zur Überprüfung der erworbenen und lediglich verbauten Motoren auf deren Gesetzmäßigkeit hin.
Selbst wenn man den klägerischen Sachvortrag genügen lassen wollte, um eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten anzunehmen, so hätte die Beklagte dieser genügt. Denn sie hat substantiierten Vortrag zu den Umständen der durch die AG vermittelten Kenntniserlangung von Auffälligkeiten respektive der Unzulässigkeit der Motorsteuerung gehalten. Es wäre vor diesem Hintergrund, eine sekundäre Darlegungslast unterstellt, erneut Sache des Klägers, sich mit diesen Ausführungen dezidiert zu befassen und darzulegen, dass und wodurch welche für die Beklagte handelnde Person schon früher Kenntnis hatte, woran es aber – abgesehen von Behauptungen „ins Blaue hinein“ – fehlt (OLG Bamberg a.a.O.).
3. Für ein allenfalls fahrlässiges Verhalten spricht auch der gegen die Beklagte ergangene Bußgeldbescheid vom 07.05.2019 der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Danach wird zwar der Beklagten eine Mitverantwortung für den Einbau der mangelhaften, von der … AG entwickelten und hergestellten Motoren zugewiesen. Es wird dabei aber lediglich die fahrlässige Verletzung von Aufsichtspflichten in einer Abteilung des Entwicklungsbereichs der Beklagten festgestellt und kein vorsätzliches Handeln (vgl. auch OLG Koblenz, Urteil v. 30.09.2020, Az. 5 U 1970/19).
Auch die vom Kläger hierzu vorgetragenen personellen Verflechtungen innerhalb des Konzerns insbesondere im Vorstandsbereich führen zu keiner anderen Bewertung. Es besteht im Falle eines Wechsels des Arbeitgebers innerhalb des Konzerns keine Pflicht zur konzernübergreifenden Weitergabe persönlicher Kenntnisse, die Mitarbeiter oder Vorstandsmitglieder im Rahmen eines Anstellungsverhältnisses bei einer anderen Konzerngesellschaft erlangt haben. Dies gilt umso mehr angesichts des Umstands, dass die … AG und die Beklagte mit den von ihnen hergestellten Fahrzeugen am Markt im Wettbewerb stehen (vgl. OLG München, Beschluss v. 09.09.2020, Az. 27 U 1634/20).
Zuletzt kommt auch eine Zurechnung eventueller Erkenntnisse von Mitarbeitern der … AG nicht in Betracht. Hierfür genügt insbesondere die Verbundenheit in einem Konzern nicht, zumal es im Streitfall nicht um die Zurechnung des Wissens einer Tochtergesellschaft zulasten der Konzernmutter geht, sondern um zwei Schwestergesellschaften (vgl. OLG Frankfurt, Urteil v. 04.09.2019, Az. 13 U 136/18; zum Ganzen erneut OLG Bamberg Urt. v. 17.12.2020 – 1 U 8/20).
Deliktische Ansprüche des Klägers gegenüber der Beklagten bestehen demnach nicht.
II.
Die Ansprüche auf Feststellung von Annahmeverzug sowie Zahlung von Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten scheiden mangels Hauptforderung aus.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 Satz 1, 2 ZPO.
Verkündet am 06.04.2021


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