Aktenzeichen M 9 S 17.50032
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 29 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2
Leitsatz
1 Ist ein Asylantragsteller für die Behörden nicht greifbar, ist er im Sinne von Art. 29 Abs. 2 S. 2 Var. 2 Dublin III-VO flüchtig mit der Folge, dass die Überstellungsfrist auf 18 Monate verlängert werden kann. Denn nach Sinn und Zweck der Bestimmung besitzt ein Asylbewerber keine Möglichkeit, sich dem Zuständigkeitsübergang nach dem Dublin-Regime durch pflichtwidriges Verhalten, insbesondere durch “Untertauchen” zu entziehen. (Rn. 31) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Es kann offen bleiben, ob Art. 29 Abs. 2 S. 2 Var. 2 Dublin III-VO die Befugnis eröffnet, die Dauer einer Fristverlängerung immer bis zum Maximalzeitpunkt auszuschöpfen. (Rn. 33) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Stimmt ein für die Durchführung des Asylverfahrens nach der Dublin III-Verordnung zuständiger Staat zu Unrecht einer Überstellung nicht zu, lässt dieser Umstand die objektiv nach der Gesetzeslage bestehende Zuständigkeit nicht entfallen. Dieser Umstand verhindert vielmehr den Erlass einer Abschiebungsanordnung, da nicht feststeht, dass die Abschiebung tatsächlich durchgeführt werden kann. (Rn. 34) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Der Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 S. 1 AsylG setzt voraus, dass das Bundesamt die Übernahmebereitschaft des Zielstaats abschießend geklärt hat (vgl. VG Trier BeckRS 2014, 50081). (Rn. 38) (red. LS Clemens Kurzidem)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (Az.: M 9 K 17.50031) des Antragstellers gegen Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom … Dezember 2016 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die bevorstehende Überstellung nach Österreich im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der Antragsteller ist (alles nach eigenen Angaben) türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und geboren am … 1991. Er wurde am 22. Februar 2016 wegen unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet aufgegriffen und erkennungsdienstlich behandelt (davor war er bereits am 28. Oktober 2015 durch das Bundespolizeirevier … erkennungsdienstlich behandelt und wohl bei der versuchten Einreise in das Bundesgebiet abgewiesen worden, vgl. Bl. 31 der Bundesamtsakten). Auf die Angaben in den schriftlichen Stellungnahmen „Questionnaire for determining the member state responsible for examinig an application (initial enquiry)“ (Erstbefragung Dublin schriftliches Verfahren Englisch), dem Antragsteller ausgehändigt laut Randvermerk auf Bl. 9 der Bundesamtsakte am 22. Februar 2016, beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) ausgefüllt zurückgelaufen am 8. März 2016 (Bl. 9 – 12 der Bundesamtsakten) sowie „Questionnaire for determining obstacles to deportation in Dublin procedure (supplementary enquiry)“ (Zweitbefragung Dublin schriftliches Verfahren Englisch), undatiert (Bl. 13f. der Bundesamtsakten) wird Bezug genommen. Er habe das Heimatland erstmalig am 20. Januar 2016 verlassen und sei am 26. Januar 2016 im Deutschland angekommen. Zum Reiseweg und den Durchreiseländern machte der Antragsteller keine Angaben. Er gab an, nicht zu wissen, mit welchen Transportmitteln er gereist sei und außerdem, dass er nicht durch Mitgliedstaaten der Europäischen Union gereist sei. Der Fall des Antragstellers wurde vom Bundesamt – Entscheidungszentrum … in … am 22. Februar 2016 aufgenommen und als sog. Dublin-Aufgriffsfall und ausdrücklich nicht als Asylantrag behandelt (vgl. Bl. 8 der Bundesamtsakten).
Für den Antragsteller folgt aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgang ein EURODAC-Treffer für Österreich (AT* …; Bl. 6 sowie Bl. 73 der Bundesamtsakte).
Am 16. März 2016 richtete die Antragsgegnerin ein Übernahmeersuchen an Österreich. Im Übernahmeersuchen (Bl. 20 – 22 der Bundesamtsakten) wird u.a. mitgeteilt, dass der Antragsteller bislang keinen Asylantrag gestellt habe. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) der Republik Österreich teilte mit Schreiben vom 23. März 2016 mit, dass dem Übernahmeersuchen zugestimmt wird.
Mit Schreiben vom 1. April 2016 teilte die nach dem Wohnort des Antragstellers für diesen zuständige Ausländerbehörde, die Landeshauptstadt München, mit, dass der Antragsteller weder im Ausländerzentralregister noch im Einwohnermelderegister verzeichnet sei (Bl. 29 der Bundesamtsakten).
Mit Schreiben vom 31. Mai 2016 (Bl. 32f. der Bundesamtsakten; Bl. 34 enthält die Sendebestätigung) teilte das Bundesamt dem österreichischen Bundesasylamt – Koordinationsbüro Dublin mit, dass eine Überstellung des Antragstellers derzeit nicht möglich sei, weil der Antragsteller flüchtig sei; die Überstellung erfolge bis spätestens 23. September 2017 (Bl. 32 der Bundesamtsakten).
Der Antragsteller wurde am 10. Juni 2016 erneut aufgegriffen und erkennungsdienstlich behandelt; zu diesem Zeitpunkt war er im INPOL zur Fahndung ausgeschrieben (vgl. Bl. 36f. der Bundesamtsakten). Unter dem Datum des 10. Juni 2016 nimmt das Bundesamt die Stellung des Asylerstantrags an (Bl. 41 der Bundesamtsakten). Ebenfalls am 10. Juni 2016 fand das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens – Erstbefragung statt. Auf die Niederschrift wird Bezug genommen (Bl. 58 – 61 der Bundesamtsakten). Hier machte der Antragsteller erstmals Angaben zum Reiseweg und im Vergleich zu früher abweichende Angaben zu den Zeitpunkten von Aus- und Einreise: Er habe das Heimatland erstmals am 28. Oktober 2015 verlassen, sei über den Kosovo, Montenegro, Serbien und Österreich nach Deutschland eingereist, wo er am 4. November 2015 angekommen sei. Außerdem gab er an, dass er über Österreich nach Deutschland eingereist sei und in Österreich ca. im November 2015 einen Asylantrag gestellt habe.
Am 10. August 2016 richtete die Antragsgegnerin ein erneutes Übernahmeersuchen an Österreich. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) der Republik Österreich teilte mit Schreiben vom 19. August 2016 (Bl. 88 der Behördenakten) hierauf unter dem Betreff „Übernahmeersuchen gemäß Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Rates – Unzuständigkeit“ Folgendes mit:
„Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bedauert, mitteilen zu müssen, dass Ihrem Ersuchen um Übernahme der oben genannten Person vom 10.08.2016 nicht [Hervorhebung i.Orig.] zugestimmt werden kann, da eine aufrechte Zustimmung vom 23.03.2016 vorliegt (siehe Anlage).
Bitte beachten Sie in diesem Zusammenhang die relevanten Fristenläufe.“
Mit Bescheid vom … Dezember 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Österreich an (Nr. 3). Die Nr. 4 des Bescheids enthält die Befristungsentscheidung hinsichtlich des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG. Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen.
In einem Aktenvermerk ebenfalls vom 14. Dezember 2016 (Bl. 108 der Bundesamtsakten) ist vermerkt, dass die Überstellungsfrist verlängert worden sei, da die Ausländerbehörde mitgeteilt habe, dass dort der Antragsteller nicht bekannt sei. Ebenso sei er nicht im AZR eingetragen. Es sei zwei Monate zugewartet worden nach dem Aufgriff bis zur „Untergetaucht-Meldung“. Kurz darauf sei erst der Asylantrag gestellt worden. Somit sei die Verlängerung der Überstellungsfrist gerechtfertigt.
In einem weiteren Aktenvermerk ebenfalls vom 14. Dezember 2016 (Bl. 117 der Bundesamtsakten) findet sich eine Berechnung des Endes der Überstellungsfrist. Datum des Zuständigkeitsübergangs auf Österreich sei der 23. März 2016, Ende der Überstellungsfrist sei der 23. September 2017 nach Fristverlängerung wegen Untertauchens.
Mit Begleitschreiben vom 28. Dezember 2016 wurde der Bescheid an den Antragsteller versandt. Laut der bei den Bundesamtsakten befindlichen Kopie der Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid dem Antragsteller am 30. Dezember 2016 zugestellt.
Der Antragsteller ließ mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 5. Januar 2017, bei Gericht eingegangen per Telefax am selben Tag, Klage erheben (Az.: M 9 K 17.50031) mit dem Antrag, den Bescheid vom … Dezember 2016 aufzuheben.
Außerdem ließ der Antragsteller im selben Schriftsatz beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung [sic!] anzuordnen.
Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 9. Januar 2017, bei Gericht eingegangen per Telefax am selben Tag, ließ der Antragsteller Klage und Antrag begründen. In dem Schriftsatz, auf den im Übrigen Bezug genommen wird, ist im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller am 27. Januar 2016 einen Asylantrag gestellt habe. Das in dem angegriffenen Bescheid genannte Datum der Asylantragstellung, nämlich der 10. Juni 2016 sei unrichtig. Es handele sich wohl um einen Schreibfehler. Seitens des Bundesamts sei aufgrund des Abgleichs der Fingerabdrücke des Antragstellers festgestellt worden, dass der Antragsteller bereits zuvor einen Asylantrag in Österreich gestellt habe. Gemäß Art. 3 Dublin III-Verordnung sei damit Österreich für die Behandlung des Asylantrags des Antragstellers zuständig. Vom Bundesamt sei am 30. März 2016 ein Übernahmeersuchen an Österreich gerichtet worden. Die österreichischen Behörden hätten mit Schreiben vom 23. März 2016 ihre Zuständigkeit erklärt. Indessen sei Österreich nicht mehr für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig. Denn die Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Dublin III-Verordnung – also die Frist für die Durchführung der Abschiebung in den zuständigen Staat – sei abgelaufen. Diese Frist betrage grundsätzlich sechs Monate nach der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch die österreichischen Behörden. Diese Annahme sei vorliegend spätestens am 23. März 2016 erfolgt und sei demnach am 23. September 2016 abgelaufen. Da also die Überstellung des Antragstellers innerhalb der Frist von sechs Monaten nicht erfolgt sei, sei die Antragsgegnerin für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig geworden. Damit stelle sich sowohl die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig als auch die Abschiebungsandrohung [sic!] als rechtswidrig dar und beides verletze den Antragsteller in seinen Rechten.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor, äußerte sich in der Sache aber nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren und der Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
Der Antrag ist sachdienlich dahin auszulegen, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung begehrt wird und nicht, wie der Bevollmächtigte des Antragstellers unzutreffend beantragt hat, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung; durch die Bezugnahme auf den streitgegenständlichen Bescheid ist ausreichend klar, was gemeint sein soll, da dieser Bescheid eben nur eine Abschiebungsanordnung, aber keine Abschiebungsandrohung enthält.
Für das Gericht ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG). Insbesondere kommen das AsylG und das AufenthG in den durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I, S. 390), das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern sowie zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl I, S. 394) und das Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 (BGBl I, S. 1939) geänderten Fassungen zur Anwendung.
Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist er fristgerecht gestellt, § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der Antrag ist auch begründet, denn die Klage in der Hauptsache wird nach jetzigem Stand jedenfalls in Bezug auf die für den vorläufigen Rechtsschutz allein relevante Abschiebungsanordnung Erfolg haben. Das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung überwiegt daher das öffentliche Interesse an der kraft Gesetzes bestehenden sofortigen Vollziehbarkeit.
Die Abschiebungsanordnung nach Österreich in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids ist rechtswidrig, weil die Voraussetzungen gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht vorliegen.
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
1. Zwar ist entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten des Antragstellers davon auszugehen, dass Österreich als Mitgliedstaat, in dem der Antragsteller ausweislich des Eurodac-Treffers für Österreich einen Asylantrag gestellt hat, (immer noch) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die – wie hier – nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung.
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Österreich für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Das ist auch nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers Österreich. Ausgehend vom Vortrag des Antragstellers hat er in Österreich zudem einen Asylantrag gestellt. Der Umstand der Asylantragstellung in Österreich wird außerdem belegt durch den für den Antragsteller erzielten Eurodac-Treffer mit der Kennzeichnung „AT1“. Die Ziffer „1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 26. Juni 2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Neufassung) (EURODAC-VO)). Die Zuständigkeit Österreichs ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO erloschen. Damit ist vorliegend Österreich der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat.
Die österreichischen Behörden haben die Zuständigkeit Österreichs mit Schreiben vom 23. März 2016 jedenfalls zunächst auch akzeptiert.
Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten des Antragstellers ist die sog. Überstellungsfrist im Entscheidungszeitpunkt noch nicht abgelaufen, ein Zuständigkeitsübergang auf die Antragsgegnerin gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO ist daher nicht erfolgt.
Das wäre nur dann der Fall, wenn hier die Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Unterabs. 1, Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO die Regeldauer von sechs Monaten hätte, was aber nicht der Fall ist. Denn die Antragsgegnerin hat von der Möglichkeit gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Var. 2 Dublin III-VO Gebrauch gemacht.
Diese Vorschrift sieht vor, dass die Frist höchstens auf 18 Monate verlängert werden kann, wenn die betreffende Person flüchtig ist. Der Umstand, dass der Antragsteller im relevanten Zeitpunkt flüchtig gewesen ist, steht nach Aktenlage (Auskunft der Landeshauptstadt München vom 01.04.2016, Bl. 29 der Bundesamtsakten) fest. Zu diesem Zeitpunkt war der Antragsteller für die Behörden der Antragsgegnerin nicht greifbar; ausgerichtet am Sinn und Zweck der Vorschrift des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Var. 2 Dublin III-VO – die Verlängerung der Frist kann für den Fall, dass ein Antragsteller flüchtig ist, erfolgen, weil ein Antragsteller nicht dadurch den Zuständigkeitsübergang durch pflichtwidriges Tun soll herbeiführen können, indem er sich der Überstellung durch „Untertauchen“ entzieht – durfte die Antragsgegnerin in diesem Zeitpunkt die Frist verlängern.
Die Antragsgegnerin hat von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Aktenvermerk Fristverlängerung (Bl. 108 der Bundesamtsakten) erst am 14. Dezember 2016 erfolgt ist. Denn bereits im Zeitpunkt des Schreibens des Bundesamts vom 31. Mai 2016 (Bl. 32f. der Bundesamtsakten) an das österreichische Bundesasylamt – Koordinationsbüro Dublin ist die erfolgte Fristverlängerung, die mangels entsprechender Rechtsvorschrift nicht in einem Bescheid o.ä. erfolgen muss, nach außen dokumentiert, indem das Bundesamt in diesem Schreiben mitgeteilt hat, dass die Überstellung bis 23. September 2017 erfolgen werde; dieses Datum ist genau der Endzeitpunkt der (verlängerten) 18-Monats-Frist, gerechnet ab der österreichischen Zustimmung vom 23. März 2016 (vgl. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO).
Offen bleiben kann, ob Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Var. 2 Dublin III-VO die Befugnis dazu verleiht, die Dauer der Fristverlängerung immer bis zum Maximalzeitraum auszuschöpfen; im Zeitpunkt des „Untertauchens“ bzw. „Flüchtig-Seins“ ist das wohl nicht zu beanstanden, denn naturgemäß steht, anders als im Fall von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Var. 1 Dublin III-VO, gerade kein Endzeitpunkt fest. Diese Frage, wie auch die Frage, ob zu verlangen ist, dass in dem Zeitpunkt, in dem der Flüchtige wieder „auftaucht“, wiederum eine Begrenzung der verlängerten Frist vorzunehmen ist, kann aber in diesem Verfahren offen bleiben, da es darauf derzeit wegen der sogleich anschließenden Ausführungen unter 2. nicht ankommt.
Der Umstand dagegen, dass Österreich mit Schreiben vom 19. August 2016 – zu Unrecht – mittlerweile einer Überstellung nicht mehr zustimmt, lässt nicht die objektiv nach der Gesetzeslage weiterhin bestehende Zuständigkeit entfallen, vielmehr verhindert dieser Umstand den Erlass einer Abschiebungsanordnung deswegen, weil in diesem Fall nicht feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann (dazu sogleich).
2. Jedoch steht nicht i.S.v. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG fest, dass die Abschiebung nach Österreich durchgeführt werden kann.
Zwar bestehen keinerlei Zweifel daran, dass das Asylsystem in Österreich den anzulegenden Maßstäben gerecht wird.
Jedoch steht die Mitteilung des österreichischen BFA vom 19. August 2016 entgegen.
Gemäß § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt u.a. im hier vorliegenden Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG die Abschiebung an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Das setzt voraus, dass das Bundesamt die Übernahmebereitschaft des Zielstaates abschließend geklärt hat (vgl. VG Trier, B.v. 16.04.2014 – 5 L 569/14.TR -, juris Rn. 52; Funke/Kaiser in: Gemeinschaftskommentar zum AsylG, 101. Ergänzungslieferung Juni 2014, § 34 a AsylVfG, Rn. 20 m.w.N.), d.h. die Aufnahmebereitschaft des Zielstaats muss feststehen (Hailbronner, AuslR, 96. Aktualisierung 2016, § 34a AsylG Rn. 22) bzw. der Zielstaat hat der Übernahme zugestimmt (vgl. Bergmann in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Auflage, § 34 a AsylVfG, Rn. 3), was im Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG wegen Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO auch eine fiktive Zustimmung mit einschließt.
Das ist hier aber nicht der Fall, vielmehr steht derzeit nur die fehlende Übernahmebereitschaft fest.
Österreich hat eine Übernahme auf der Grundlage des Dublin-Verfahrens nämlich mit dem Schreiben des BFA vom 19. August 2016 ausdrücklich abgelehnt. Es ist nicht ganz klar, warum im streitgegenständlichen Bescheid dieses Schreiben nicht einmal erwähnt, sondern nur auf das überholte Zustimmungsschreibens vom 23. März 2016 verwiesen wird. Es kommt aber auch nicht darauf an, ob dieses Schreiben, obwohl es in der Bundesamtsakte vorhanden ist (Bl. 88 der Bundesamtsakte) nur übersehen oder ob es wegen seiner höflichen Formulierung möglicherweise nicht richtig verstanden wurde. Denn aus dem Schreiben vom 19. August 2016 ergibt sich unzweideutig, dass Österreich den Antragsteller nicht (mehr) aufnehmen wird (vgl. den Wortlaut „Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bedauert, mitteilen zu müssen, dass Ihrem Ersuchen um Übernahme der oben genannten Person vom 10.08.2016 nicht [Hervorhebung i.Orig.] zugestimmt werden kann[…]). Der im Anschluss folgende Verweis auf das frühere Schreiben vom 23. März 2016 („[…]da eine aufrechte Zustimmung vom 23.03.2016 vorliegt (siehe Anlage)“), das außerdem in der Anlage noch einmal mitgeschickt wurde, ändert an der Aussage des Schreibens vom 19. August 2016 nichts. Denn die Mitsendung des „alten“ Schreibens vom 23. März 2016 in der Anlage dient ersichtlich nur dazu, die Behörde der Antragsgegnerin höflich darauf hinzuweisen, dass sie aus Sicht der österreichischen Behörden die Überstellungsfrist versäumt hat. Das wird deutlich aus dem folgenden Satz: „Bitte beachten Sie in diesem Zusammenhang die relevanten Fristenläufe“ und nicht zuletzt aus dem Betreff des Schreibens vom 19. August 2016, nämlich Unzuständigkeit.
Der Umstand, dass Österreich nach dem oben unter 1. Gesagten immer noch zuständig ist, ändert nichts, denn § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG stellt gerade darauf ab, dass zusätzlich zur bestehenden rechtlichen Zuständigkeit eines Mitgliedstaats auch in tatsächlicher Hinsicht feststehen muss, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann, was bei einer ausdrücklichen Weigerung des Mitgliedstaats nicht gegeben ist. In einer Konstellation wie der vorliegenden bedürfte es für den Nachweis insoweit eines erneuten Schreibens der österreichischen Behörden, in dem wiederum eine Zustimmung zur Abschiebung des Antragstellers erteilt bzw. das Schreiben vom 19. August 2016 widerrufen wird; daran fehlt es im Entscheidungszeitpunkt dieses Beschlusses.
3. Dem Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).