Europarecht

Rückabwicklung einer Kostenrückerstattung zwischen Jugendhilfeträgern

Aktenzeichen  M 18 K 14.5451

Datum:
8.6.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 134501
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 86 Abs. 2 S. 2, Abs. 5, § 89
SGB X § 102, § 111, § 112

 

Leitsatz

Die Anwendbarkeit von § 112 SGB X zur Rückabwicklung von zu Unrecht geleisteten Erstattungen gilt für Erstattungsansprüche nach §§ 102 ff SGB X, aber auch für sonstige, diesen vergleichbare, in den besonderen Teilen des SGB und darüber hinaus geregelte Kostenerstattungsansprüche zwischen Leistungsträgern, sofern nicht vorgehende Sonderregelungen bestehen. Nach Auffassung des Gerichts ist § 112 SGB X in den Fällen, in denen einmal eine Erstattung stattgefunden hat, auf alle folgenden Rückabwicklungen dieser Erstattungsleistung anwendbar. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Beklagte wird verpflichtet, die im Hilfefall …, geb. …, in der Zeit vom 01. Juli 2008 bis 17.Juni 2010 dem Kläger entstandenen Jugendhilfekosten in Höhe von … € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu erstatten.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die auf Erstattung einer Rückerstattung von Kostenerstattungsleistungen gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Erstattung der Jugendhilfekosten, die er im Zeitraum vom 01. Juli 2008 bis 17. Juni 2010 für den Hilfefall Elias Lechner aufgewendet hat, in Höhe von … € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz ab 08. Dezember 2014.
Rechtsgrundlage für das geltend gemachte Erstattungsverlangen ist § 112 SGB X. Danach sind die gezahlten Beträge zurückzuerstatten, soweit eine Erstattung zu Unrecht erfolgt ist. Nach der Gesetzesbegründung legt die Vorschrift fest, dass Leistungen eines Leistungsträgers, der irrtümlich von einer Erstattungspflicht ausging, von dem vermeintlich erstattungsberechtigten Leistungsträger zurückzuerstatten sind (BT-Drs 9/95, Seite 27).
Die Vorschrift entspricht dem allgemeinen, auch im öffentlichen Recht geltenden Rechtsgrundsatz, dass zu Unrecht erfolgte Vermögensverschiebungen wieder rückgängig gemacht werden sollen und eine in der irrtümlichen Annahme einer (Rück-) Erstattungspflicht geleistete Zahlung, für die es keinen Rechtsgrund gibt, nicht bei dem ungerechtfertigt Bereicherten verbleiben, (sondern rückabgewickelt werden sollen) (vgl. von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, § 113, Rn. 2; Hauck, SGB X § 112, Rn. 2).
Vorliegend ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass nach der jeweiligen Änderung der obergerichtlichen Rechtsprechung durch die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2010 und 14. November 2013, die (rückwirkend) die Rechtsauslegung des § 86 Abs. 2 und 5 SGB VIII modifiziert haben, die örtliche Zuständigkeit und die Pflicht zur Tragung der im Hilfefall entstandenen Kosten im Zeitraum vom 01. Juli 2008 bis 17. Juni 2010 aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts der Mutter des Hilfeempfängers im Bereich des Beklagten bei diesem lag. Damit steht weiterhin fest, dass die vom Beklagten an den Kläger aufgrund seines Kostenerstattungsverlangens gemäß § 89c SGB VIII gezahlte Erstattung rechtmäßig war, wogegen die vom Beklagten am 25. Januar 2012 geleistete Rückerstattung dieser Kostenerstattung zu Unrecht erfolgte.
Die Anwendbarkeit von § 112 SGB X zur Rückabwicklung von zu Unrecht geleisteten Erstattungen gilt für Erstattungsansprüche nach §§ 102 ff SGB X, aber auch für sonstige, diesen vergleichbare, in den besonderen Teilen des SGB und darüber hinaus geregelte Kostenerstattungsansprüche zwischen Leistungsträgern, sofern nicht vorgehende Sonderregelungen bestehen (vgl. von Wulffen a.a.O. Rn. 4).
Entsprechende Sonderregelungen sind beispielsweise die Vorschriften der §§ 89 ff SGB VIII, neben denen allerdings die Erstattungsvorschriften des SGB X ergänzend anwendbar sind (vgl. Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage, vor § 89 Rn. 12).
§ 112 SGB X setzt voraus, dass eine Erstattung erfolgt ist, deren Voraussetzungen nicht (mehr) gegeben sind und die deshalb rückabgewickelt werden soll. Auf ein Verschulden bzw. die Vorwerfbarkeit hinsichtlich der Annahme einer Erstattungspflicht kommt es dabei nicht an, entscheidend sind die objektiven Gegebenheiten. Dem geltend gemachten Klagebegehren liegt eine (durch den Beklagten geleistete) Kostenerstattung zugrunde, allerdings begehrt der Kläger – einen Schritt weiter – die Erstattung dieser dem Beklagten in der irrtümlichen Annahme seiner, des Klägers, Kostentragungspflicht rückerstatteten Zahlung.
Ausgehend von dem § 112 SGB X prägenden Rechtsgedanken ist die Vorschrift auch auf Fälle wie diesen anwendbar, um den Grundgedanken der Regelung, eine Kostentragung entsprechend der tatsächlichen Zuständigkeit der jeweiligen Leistungsträger zu regeln, umzusetzen. Es würde jedem Billigkeitsgedanken widersprechen, wenn zwar eine zu Unrecht geleistete Kostenerstattung nach dieser Vorschrift rückgängig gemacht werden könnte, die Vorschrift aber auf den Fall, dass sich diese Rückerstattung als unrechtmäßig erweist, nicht angewendet werden könnte und sich der berechtigte Leistungsträger möglicherweise auf dem ursprünglichen, von engeren Fristen abhängigen Kostenerstattungsanspruch verweisen lassen müsste. Dies gilt umso mehr, als sich die Parteien durch die vom Kläger geleistete Rückerstattung Parteien bereits im Verfahren des SGB X befinden und nicht mehr von einem vorrangigen Erstattungsanspruch nach § 89c SGB VIII ausgegangen werden kann. Es kann daher auch dahingestellt bleiben, ob bei Annahme eines solchen Erstattungsanspruchs im Hinblick auf die Ausschlussfrist des § 111 SBG X auf das erste (fristgerechte) Erstattungsverlangen des Klägers vom 28. Mai 2008 abzustellen wäre.
Nach Auffassung des Gerichts ist § 112 SGB X, in den Fällen, in denen einmal eine Erstattung stattgefunden hat, auf alle folgenden Rückabwicklungen dieser Erstattungsleistung anwendbar.
Auch wenn für § 112 SGB X die Ausschlussfrist des § 111 SGB X nicht gilt, ist Rechtssicherheit durch den Eintritt der (hier noch nicht eingetretenen) Verjährung nach § 113 SGB X gegeben.
Der Beklagte hat die Rückerstattungsforderung des Klägers unter sinngemäßer Anwendung von § 291 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB mit einem Zinssatz in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verzinsen. Während Verzugszinsen für öffentlich-rechtliche Ansprüche nur bei einer entsprechenden ausdrücklich gesetzlichen Regelung gewährt werden (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24.11.1977 – III C 72.76), können nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Prozesszinsen in entsprechender Anwendung des § 291 BGB für öffentlich-rechtliche Geldforderungen grundsätzlich verlangt werden, es sei denn, das geschriebene Fachrecht weist eine diesem allgemeinen Grundsatz derogierende Regelung auf (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22.02.2001 – 5 C 34/00). Eine solche ist vorliegend nicht ersichtlich.
Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 VwGO vollumfänglich stattzugeben. Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern sind gemäß § 188 Satz 2 2. Halbs. VwGO nicht gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.

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