Europarecht

Rücklauf der Ladung als unzustellbar löst keine Zustellungsfiktion aus

Aktenzeichen  M 7 K 17.30072

Datum:
14.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 10 Abs. 2, Abs. 4, § 32, § 33

 

Leitsatz

1. Hat das Landratsamt eine unvollständige Adresse mitgeteilt, so konnte das sich auf diese Angaben stützende Bundesamt gemäß § 10 Abs. 2 S. 2 AsylG die Ladung zur persönlichen Anhörung nicht wirksam zustellen.  (redaktioneller Leitsatz)
2. Vertritt man die Auffassung, dass die Adresse mit der Angabe der Hausnummer ausreichend bezeichnet war, kann sich das Bundesamt auf die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 4 S. 2 AsylG nicht berufen, da die Post keinen ordnungsgemäßen Zustellungsversuch vorgenommen hat. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. Dezember 2016 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte hat ihr Einverständnis zu einer schriftlichen Entscheidung allgemein erteilt.
Die zulässige Klage hat Erfolg.
Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat im Hauptantrag richtigerweise eine Anfechtungsklage erhoben. Der Gesetzgeber hat mit der in §§ 32, 33 AsylG geregelten Verfahrenseinstellung durch Verwaltungsakt dem Bundesamt eine Handlungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt, gegen die der Betroffene nur im Wege der Anfechtungsklage Rechtsschutz erlangen kann. Macht das Bundesamt von dieser gesetzlichen Ermächtigung fehlerhaft Gebrauch, darf das Gericht mit der Aufhebung der nach §§ 32, 33 AsylG getroffenen Entscheidung nicht zugleich über die Begründetheit des Begehrens auf Gewährung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingsanerkennung entscheiden. Vielmehr ist die Sachentscheidung nach den Regelungen des Asylgesetzes zunächst dem Bundesamt vorbehalten. Der Asylsuchende muss die Aufhebung dieses Bescheides erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will (vgl. BVerwG, U.v. 5.9.2013 – 10 C 1.13 – juris Rn. 14).
Den Klägern fehlt auch nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Das Interesse an gerichtlichem Rechtsschutz kann erst dann entfallen, wenn das mit dem Rechtsschutzbegehren verfolgte Ziel durch ein gleich geeignetes, keine anderweitigen rechtlichen Nachteile mit sich bringendes behördliches Verfahren ebenso erreicht werden kann wie in dem angestrebten gerichtlichen Verfahren. Hingegen reicht es nicht, wenn der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, einen Antrag an die zuständige Behörde zu stellen, der andere Rechtsfolgen als eine gerichtliche Aufhebung des belastenden Verwaltungsakts zeitigt (BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8). Zwar kann der Asylsuchende, dessen Verfahren nach § 33 Abs. 1 AsylG eingestellt worden ist, die Wiederaufnahme des Verfahrens beim Bundesamt beantragen (§ 33 Abs. 5 Satz 2 und 3 AsylG). Dem Asylbewerber soll hiermit die Möglichkeit der Heilung eines einmaligen Fehlverhaltens eingeräumt werden; die erstmalige Einstellung entfaltet somit lediglich Warncharakter (vgl. BT-Drs. 18/7538, S.17). Der Wortlaut des § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 AsylG legt nahe, dass die erste Wiederaufnahmeentscheidung nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG ein späteres erneutes Wiederaufnahmebegehren selbst dann sperrt, wenn die erste Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtwidrig gewesen ist. Damit würde es sich bei dem Wiederaufnahmeverfahren aber um kein gleich geeignetes, keine anderweitigen rechtlichen Nachteile mit sich bringendes behördliches Verfahren handeln, dass das Interesse an gerichtlichem Rechtsschutz entfallen lässt (vgl. BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – a.a.O. Rn. 8). Eine obergerichtliche Rechtsprechung zu § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 AsylG liegt noch nicht vor; in den erstinstanzlichen Entscheidungen werden unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten (vgl. VG Ansbach, U.v. 21.9.2016 – AN 4 K 16.30411 u.a. – juris Rn. 36; VG Stuttgart, B.v. 6.2.2017 – A 1 K 198/17 – juris Rn. 5). Bei dieser Rechtslage kann dem Antragsteller das Interesse nicht abgesprochen werden, mit der erhobenen Klage die Frage verbindlich zu klären, ob die Einstellung des Asylverfahrens zu Recht erfolgt ist (vgl. VG Dresden, U.v. 24.10.2016 – 4 K 733/16.A – juris Rn. 15).
Der Bescheid des Bundesamtes vom 21. Dezember 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten; er war deshalb aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt konnte nicht davon ausgehen, dass die Kläger das Verfahren nicht betreiben, da ihnen die Ladung zur persönlichen Anhörung nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde.
Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Asylverfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG muss der Ausländer Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle aufgrund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesen nicht zugestellt werden kann. Das Gleiche gilt, wenn die letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist (§ 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG). Kann die Sendung dem Ausländer nicht zugestellt werden, so gilt die Zustellung mit der Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt (§ 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG).
Die Fiktion der wirksamen Zustellung nach § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG setzt voraus, dass ein ordnungsgemäßer Zustellungsversuch erfolgt ist. Sie greift nach dem Sinn der Regelung nicht ein, wenn sich der Asylbewerber unter der maßgeblichen Anschrift aufhält, eine Zustellung entsprechend den Bestimmungen des Verwaltungszustellungsgesetzes jedoch infolge eines Umstands unterbleibt, der in der Sphäre der damit befassten Stelle, insbesondere der Post liegt (vgl. VGH BW, B.v. 15.11.1995 – A14 S 2542/95 – juris Rn. 4). Weiter setzt der Eintritt der Fiktion bei einer Zustellung an eine Adresse, die durch die Behörde genannt wurde, voraus, dass diese Adresse zutreffend ist (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 10 AsylG Rn. 16; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 10 Rn. 266 mit Verweis auf BT-Drs. 12/4450 S. 16). Unter der Anschrift ist die Angabe der Wohnung nach Ort, Straße, Hausnummer und gegebenenfalls weiteren Unterscheidungsmerkmalen (z.B. Gebäudeteile wie etwa Stockwerk oder Gartenhaus) zu verstehen (vgl. BVerwG, U.v. 13.4.1999 – 1 C 24.97 – juris Rn. 28; BayVGH, B.v. 28.7.2015 – 6 ZB 15.410 – juris Rn. 4).
Es kann vorliegend dahingestellt bleiben und muss nicht weiter aufgeklärt werden, ob der Post eine Zustellung unter der genannten Anschrift „… … …“ möglich gewesen ist oder die Zusatzabgabe „*“ notwendig war. Hat das Landratsamt eine unvollständige Adresse mitgeteilt, so konnte das Bundesamt, das sich auf diese Angabe gestützt hat, gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG die Ladung zur persönlichen Anhörung nicht wirksam zustellen. Vertritt man die Auffassung, dass die Adresse mit der Angabe der Hausnummer ausreichend bezeichnet war, kann sich das Bundesamt auf die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 4 Satz 2 AsylG nicht berufen, da die Post keinen ordnungsgemäßen Zustellungsversuch vorgenommen hat.
Soweit der Klägerbevollmächtigte zusätzlich vorgetragen hat, dass die Kläger gemäß § 33 Abs. 4 AsylG auch nicht belehrt worden seien, ist dies nicht zutreffend, da die Belehrung gegen Empfangsbestätigung bereits am 31. August 2016 erfolgte.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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