Europarecht

Schadensersatz, Kaufpreis, Fahrzeug, Kaufvertrag, Schadensersatzanspruch, Annahmeverzug, Streitwert, PKW, Auslegung, Laufleistung, Anspruch, Rechtsanwaltskosten, Wirksamkeit, Verletzung, Kosten des Rechtsstreits, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, von Amts wegen

Aktenzeichen  23 O 2545/21

Datum:
6.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 53844
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.581,40 € festgesetzt.

Gründe

A. Die zulässige Klage ist unbegründet.
I. Der Kläger kann aus keinem Rechtsgrund von den Beklagten Erstattung des Kaufpreises verlangen.
1. Vertragliche Ansprüche scheiden aus, da der Kaufvertrag vom 17.06.2019 nicht mit den Beklagten, sondern mit der Firma J. zustande gekommen ist.
2. Der Kläger hat auch keine Ansprüche wegen eines in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Thermofensters.
a. Insbesondere kommen keine Ansprüche aus § 826 BGB in Betracht, da kein vorsätzliches sittenwidriges Verhalten der Beklagten nachgewiesen ist.
Sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist ein Verhalten, das aus seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dabei genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, welche die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, 1963).
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist das Verhalten der Beklagten, ein mit einem sogenannten Thermofenster ausgestattetes Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, nicht als sittenwidrige Handlung zu bewerten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob ein im streitgegenständlichen Fahrzeug installiertes Thermofenster eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht und ob ein Rückrufbescheid wegen des Thermofensters erlassen wurde oder nicht. Bei einer anderen als durch eine Umschaltlogik zwischen Prüfstand und Fahrbetrieb die Abgasreinigung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, die – wie hier das Thermofenster – vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand, und bei der Gesichtspunkte des Motorrespektive Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei den Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt hatten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Das unterscheidet den vorliegenden Fall von den Verfahren über den EA189-Motor des Volkswagen-Konzerns, der gerade eine solche prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung aufgewiesen hat (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, NJW 2021, 921, 923). Demgegenüber muss bei dieser Sachlage, auch wenn – einmal unterstellt – hinsichtlich des Thermofensters von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegangen werden sollte, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe in Betracht gezogen werden. Die kontrovers geführte Diskussion über die Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2a VO (EG) Nr. 2007/715 zeigt, dass die Gesetzeslage an dieser Stelle zweifelhaft und keineswegs eindeutig ist. Die vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte Untersuchungskommission „Volkswagen“ kommt gerichtsbekannt zu der Einschätzung, dass ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenster nicht eindeutig vorliegt. Nach dem Bericht soll angesichts der Unschärfe der Bestimmung auch eine weite Interpretation der Ausnahmevorschrift und die Verwendung von Abschalteinrichtungen mit der Begründung, dass eine Abschaltung erforderlich sei, um den Motor vor Beschädigung zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, möglicherweise nicht gegen die VO (EG) Nr. 715/2007. Eine Auslegung, nach der ein Thermofenster eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, ist daher jedenfalls nicht unvertretbar (OLG München, Beschluss vom 13.11.2020 – 20 U 6100/19; Beschluss vom 10.02.2020 – 3 U 7524/19, juris Rn. 14 f.).
Eine Sittenwidrigkeit käme daher hier nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung einer Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise im streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde. In dem Fall, dass die Beklagte die Rechtslage fahrlässig verkannt hätten, würde es ihr an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit fehlen (OLG München, Beschluss vom 10.02.2020 – 3 U 7524/19, juris Rn. 13). Die diesbezüglichen Ausführungen in der Klageschrift sind weitgehend pauschal und differenzieren insbesondere nicht zwischen der Kenntnis der Funktionsweise des Thermofensters, die ggf. unterstellt werden kann, und dem Bewusstsein einer unterstellten Rechtswidrigkeit, was nicht ohne weitere Anhaltspunkte angenommen werden kann.
Wenn die Klagepartei das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit aus einer Täuschung gerade über dieses Thermofenster herleiten möchte, so ist eine solche Täuschung nicht erkennbar. Denn es liegt keine Umschaltlogik vor und das Thermofenster weist damit sowohl auf dem Prüfstand als auch im Normalbetrieb die gleiche Funktionsweise auf. Dass sich Schadstoffausstoß und Kraftstoffverbrauch im Prüfstand und Normalbetrieb ggf. trotzdem unterscheiden, ist dabei ohne Belang. Der Gesetzgeber hat sich dazu entschieden, für den Prüfstand bestimmte standardisierte Bedingungen (NEFZ) vorzugeben. Wenn die Bedingungen im Straßenbetrieb hiervon abweichen und dies zu erhöhten Schadstoffwerten oder einem erhöhten Kraftstoffverbrauch führt, das Thermofenster aber im Straßenbetrieb wie im Prüfstand gleichermaßen arbeitet, kann von den erhöhten Werten im Normalbetrieb nicht auf eine Täuschungsabsicht oder ein Rechtswidrigkeitsbewusstsein der Beklagten geschlossen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, NJW 2021, 921, 923).
Da schon aus diesen Gründen eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch Einbau eines sog. Thermofensters nicht in Betracht kommt, bedurfte es keiner Beweisaufnahme zu dessen konkreter Ausgestaltung.
b. Mangels Täuschung über die Einhaltung der erforderlichen Abgaswerte auf dem Prüfstand und die Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs (s.o.) scheidet auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB aus. Hinzu kommt, dass eine vorsätzliche Schädigung des Klägers fernliegend ist. Wie oben dargelegt, liegt eine solche nicht vor, da die gewählte Motorenkonstruktion möglicherweise optimierungstauglich ist, jedoch keine Täuschung dergestalt darstellt, dass sie aus Ingenieursicht darauf angelegt ist, etwaige Käufer eines Fahrzeugs über die tatsächliche Wirksamkeit der Abgasreinigung zu täuschen. Denn das Fahrzeug weist gerade keine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung auf. Im Übrigen fehlt es auch an einer Stoffgleichheit zwischen dem Vermögensvorteil, nämlich der behaupteten Ersparnis von Entwicklungs- und Produktionskosten bei der Beklagten und dem bei dem Kläger nach eigener Darstellung eingetretenen Schaden.
c. Der Klagepartei war nach § 283 ZPO keine Stellungnahmefrist auf das Vorbringen der Beklagtenpartei in der mündlichen Verhandlung vom 06.12.2021 zu gewähren, weil es sich nicht um neues Vorbringen i.S.v. dieser Vorschrift handelt. Neues Vorbringen setzt voraus, dass es auch entscheidungserheblich ist (BeckOK ZPO/Bacher, Stand: 01.09.2021, § 283 Rn. 3), was hier nicht der Fall ist. Die Beklagtenvertreterin hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass wegen des Thermofensters jüngst ein verpflichtender Rückrufbescheid des KBA ergangen sei, was der Klägervertreter mit Nichtwissen bestritten hat. Die Frage, ob wegen des Thermofensters ein verpflichtender Rückruf vorliegt, kann dahinstehen, da sie nichts an der Beurteilung der Sittenwidrigkeit ändert. Der Kenntnisstand der Beklagten bei Inverkehrbringen des Fahrzeugs bzw. Abschluss des Kaufvertrages ist kein anderer, egal ob in der vergangenen Woche ein verpflichtender Rückrufbescheid ergangen ist.
3. Der Kläger hat gegen die Beklagte auch keinen Schadensersatzanspruch wegen weiterer in dem Fahrzeug verbauter unzulässiger Abschalteinrichtungen.
a) Es fehlt insofern schon an einem schlüssigen Vortrag.
In der Klageschrift vom 09.09.2021 schildert die Klagepartei neben dem Thermofenster lediglich weitere Abschalteinrichtungen, die in Opel-Diesel-Modellen mit SCR-Katalysator verbaut seien. Dem Einwand der Beklagte, das Fahrzeug verfüge über keinen SCR-Katalysator stimmt die Klagepartei im Ergebnis zu, indem sie auf Seite 14 der Replik vom 26.11.2021 darlegt, dass die Beklagte in anderen Modellen Harnstoff-Tanks verbaut habe.
Entgegen der klägerischen Behauptung hat die Beklagte in ihrer Klageerwiderung auch nicht eine Reduzierung der AGR bei einem gewissen Umgebungsluftdruck, einer bestimmten Umdrehungszahl sowie einer bestimmten Geschwindigkeit eingeräumt.
b) Ungeachtet des unschlüssige klägerischen Vorbringens ist das Gericht auch nicht vom Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen überzeugt. Der diesbezügliche Vortrag des Klägers erfolgte letztlich pauschal und „ins Blaue hinein“, so dass eine Beweiserhebung über diese Behauptungen des Klägers auf einen in der ZPO nicht vorgesehenen Ausforschungsbeweis hinausliefe. Zwar ist bei der Annahme eines willkürlichen Sachvortrags Zurückhaltung geboten und ein solcher nur im Ausnahmefall anzunehmen, da es einer Partei auch möglich sein muss, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genaue Kenntnis besitzt, die sie nach Lage der Dinge aber für wahrscheinlich hält. Eine unzulässige Ausforschung ist aber dennoch gegeben, wenn eine Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich auf’s Geratewohl Behauptungen aufstellt (BGH, Urteil vom 20.09.2002 – V ZR 170/01, NJW-RR 69, 70). Solche greifbaren Anhaltspunkte für die vom Kläger behauptete illegale Abschalteinrichtung liegen jedoch nicht vor.
4. Der Kläger hat auch keine Ansprüche nach § 831 BGB. Nach den vorstehenden Ausführungen wurde bereits keine Sorgfaltspflichtverletzung der Beklagten als Unternehmen hinreichend dargelegt und bewiesen.
5. Im Übrigen kommt ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV deshalb nicht in Betracht, weil den Vorschriften bereits der Schutzcharakter fehlt (OLG München, Beschluss vom 10.01.2020 – 3 U 5980/19). Eine Norm ist dann als Schutzgesetz anzusehen, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Bei diesen Vorschriften handelt es sich nicht um Normen mit Drittschutzwirkung für den Autokäufer. Bei Vorschriften, die wie hier Richtlinien umsetzen, kommt es nach der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung insofern maßgeblich auf den Inhalt und Zweck der Richtlinie – hier also RL 2007/46/EG – an. Diese zielt nicht auf den Schutz der Vermögensinteressen der Fahrzeugkäufer ab, sondern auf die Harmonisierung des Binnenmarktes und in diesem Zusammenhang auf hohe Verkehrssicherheit, hohen Schutz der Umwelt und der Gesundheit, rationale Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung.
6. Da eine Haftung schon aus den vorstehenden Gründen scheitert, kommt es nicht mehr darauf an, ob die Beklagte zu 1) passivlegitimiert ist, ob der Kläger Eigentümer des Fahrzeugs ist und ob er den Kaufpreis bezahlt hat.
III. Mangels Anspruch in der Hauptsache hat die Klagepartei auch keinen Anspruch auf Zinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten. Ebenso scheidet die Feststellung von Annahmeverzug aus
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 709 Satz 1, Satz 2 ZPO.
C. Der Streitwert war wie geschehen von Amts wegen festzusetzen (§§ 3 ZPO, 48 GKG).


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