Europarecht

Schadensersatz, Leistungen, Aufrechnung, Staatsanwaltschaft, Dienstleistungen, Gesellschaft, Schiedsvereinbarung, Anerkennung, Vertrag, Verfahren, Schiedsspruch, Haftung, Gerichtsstandsvereinbarung, Anspruch, ordre public, Aussage gegen Aussage, beglaubigte Abschrift

Aktenzeichen  34 Sch 34/18

Datum:
8.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44914
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Das aus dem Einzelschiedsrichter … bestehende Schiedsgericht erließ in dem zwischen der Insolvenzschuldnerin als Schiedsklägerin und der Antragsgegnerin als Schiedsbeklagter geführten Schiedsverfahren am 5. Juni 2018 in Moskau/Russische Föderation folgenden Schiedsspruch:
Die Schiedsklägerin wird zugunsten der Schiedsbeklagten zur Zahlung von:
– 28.028,20 Euro (achtundzwanzigtausendachtundzwanzig Euro und zwanzig Cent) – eine Verschuldung aus den Rahmenlieferverträgen Nr. 8 und Nr. 9.
– 98.500 Rubel (achtundneunzigtausendfünfhundert Rubel) – die Kosten in Verbindung mit dem Interessenschutz der Antragstellerin durch einen Verfahrensbevollmächtigten.
– 7.009 US-Dollar (siebentausendneun US-Dollar) – die Aufwendungen der Antragsgegnerin für die Entrichtung von Anmelde- und Schiedsgebühren verurteilt.
2. Dieser Schiedsspruch wird für vollstreckbar erklärt, mit der Maßgabe, dass die Zahlung an Frau X., … Moskau, … Str. Haus … Russische Föderation zu erfolgen hat.
3. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Vollstreckbarerklärungsverfahrens.
4. Der Beschluss ist vorläufig vollstreckbar.
5. Der Streitwert wird auf 35.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Vollstreckbarerklärung eines am 5.6.2018 in Moskau/Russische Föderation ergangenen Schiedsspruchs
1. Die Antragstellerin ist die Insolvenzverwalterin der Schiedsklägerin, einer in Moskau ansässigen Gesellschaft. Mit Beschluss des Handelsgerichts der Stadt Moskau vom 5.3.2018 wurde die Überwachung der Schiedsklägerin angeordnet und die Antragstellerin zur Insolvenzverwalterin bestellt. Die Schiedsklägerin und Insolvenzschuldnerin wurde mit Beschluss des Handelsgerichts der Stadt Moskau vom 22.11.2018 für insolvent erklärt. Die Insolvenzverwalterin hat das Verfahren gegen die in München ansässige Antragsgegnerin (= Schiedsbeklagte), eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, aufgenommen. Die Schiedsklägerin und die Schiedsbeklagte (im Folgenden Parteien) sind im Bereich Logistik und Handel mit landwirtschaftlichen Ersatzteilen tätig.
Die Parteien schlossen am 30.1.2017 und am 6.4.2017 zwei Rahmenlieferungsverträge (Nr. 8 und Nr. 9) über die Lieferung von Ersatzteilen für Agrarmaschinen durch die Schiedsbeklagte an die Schiedsklägerin. Da die Schiedsbeklagte nach Ansicht der Schiedsklägerin ihren Verpflichtungen aus den Verträgen nicht nachkam, rief sie das Internationale kommerzielle Schiedsgericht bei der Industrie- und Handelskammer der Russischen Föderation in Moskau (im Folgenden MKAS) an.
a) In den jeweils in deutscher und russischer Sprache abgefassten Verträgen vereinbarten die Parteien in Ziff. 13.7., dass beliebige Streitigkeiten, Meinungsverschiedenheiten und Ansprüche im Zusammenhang mit dem Vertrag, seiner Erläuterung, Erfüllung, Unterbrechung oder Ungültigkeit der Lösung durch das MKAS unterliegen.
b) Die Schiedsklägerin leistete am 9.2.2017 eine Vorauszahlung i.H.v. 14.650,24 € und am 7.4.2017 eine Vorauszahlung i.H.v. 13.802,00 €. Die vollständige Lieferung der Ersatzteile erfolgte daraufhin jedoch nicht. Eine außergerichtliche Aufforderung der Schiedsklägerin vom 5.10.2017 blieb unbeantwortet, weshalb die Schiedsklägerin Kaufpreisrückzahlung und Schadensersatz vor dem Schiedsgericht geltend machte.
Die Antragsgegnerin wandte im Schiedsverfahren ein, die geltend gemachte Forderung sei vollumfänglich durch Aufrechnung erloschen, da ihr aus einem Agenturvertrag vom 19.9.2016 eine Forderung i.H.v. 167.856,00 € zustehe, mit der sie aufgerechnet habe.
c) Das Schiedsgericht hat am 5.6.2018 in Moskau/Russische Föderation in dem zwischen den Parteien geführten Schiedsverfahren den oben wiedergegebenen Schiedsspruch erlassen.
In dem von der Antragstellerin in deutscher Übersetzung vorgelegten Schiedsspruch ist unter dem Abschnitt „Tatbestand“ auf Seite 4 unten/Seite 5 oben ausgeführt, der Kläger (= Schiedsklägerin) habe in der Verhandlung vom 14.2.2018 die Auffassung vertreten, ein Agenturvertrag sei direkt nicht mit den Rahmenlieferungsverträgen verbunden und unterliege nicht der Zuständigkeit von MKAS. Dies habe der Beklagtenvertreter (= Verfahrensbevollmächtigte der Schiedsbeklagten) bestätigt und ausgeführt, er sei aber berechtigt, Gegenforderungen zu erklären. Auf Seite 7, ebenfalls noch unter dem Abschnitt „Tatbestand“, ist ausgeführt, der Agenturvertrag sei vom Kläger nicht unterschrieben worden, weil dieser sein wirtschaftliches Interesse daran verloren habe. Er sei vom Beklagten erfunden und erst nach Klageerhebung durch den Kläger bei MKAS erstellt worden. Sollte der Beklagte die Auffassung vertreten, dass seine Rechte aus dem Agenturvertrag verletzt worden seien, könne er das „Schiedsgericht in Moskau“ anrufen. Unter dem Abschnitt „Entscheidungsgründe“ finden sich zu dem Agenturvertrag und einer etwaigen Aufrechnung keine Ausführungen.
2. Unter dem 17.10.2018 hat die Schiedsklägerin unter Vorlage des ausländischen Schiedsspruches in beglaubigter Kopie dessen Vollstreckbarerklärung beantragt.
3. Die Antragsgegnerin hat sich der Vollstreckbarerklärung insbesondere mit folgenden Ausführungen widersetzt. Der streitgegenständliche Schiedsspruch sei unter eklatanter Verletzung des ordre public zustande gekommen. Im Verfahren vor dem Schiedsgericht sei seitens der Schiedsbeklagten eingewandt worden, die von der Schiedsklägerin geltend gemachten Forderungen, die von der Schiedsbeklagten im Wesentlichen nicht bestritten würden, seien vollumfänglich durch Aufrechnung mit Gegenforderungen i.H.v. 167.856,00 € aus einem Vertrag vom 19.9.2016 erloschen. In den Entscheidungsgründen des Schiedsspruchs sei die erklärte Aufrechnung mit keinem Wort erwähnt, geschweige denn bei der Entscheidung berücksichtigt worden. Von der Schiedsklägerin sei im Schiedsverfahren zunächst sowohl die Existenz eines solchen Vertrages als auch dessen Erfüllung bestritten worden. Es seien diesbezüglich zahlreiche Beweise angeboten und vorgelegt worden. Schließlich seien sowohl Abschluss als auch Erfüllung des Vertrages vom 19.9.2016 von der Schiedsklägerin unstreitig gestellt worden, ebenso die Tatsache, dass von der Schiedsklägerin keine Zahlungen diesbezüglich geleistet worden seien. Im Schiedsspruch seien die Angriffs- und Verteidigungsmittel der Schiedsbeklagten ohne jegliche Berücksichtigung geblieben. Die Schiedsbeklagte sei verpflichtet worden, die geltend gemachte Forderung nebst Nebenforderungen und Verfahrenskosten zu bezahlen. Die Entscheidungsgründe würden Ausführungen bezüglich der erfolgten Aufrechnung gänzlich vermissen lassen. Die Gegenforderung sei in analoger Anwendung des § 767 Abs. 1 ZPO im vorliegenden Vollstreckbarerklärungsverfahren zu berücksichtigen. Hierfür sei das Oberlandesgericht München auch zuständig. Bei der Zuständigkeit nach § 767 Abs. 1 ZPO handle es sich um eine ausschließliche, weshalb gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 2 ZPO eine Gerichtsstandsvereinbarung insoweit nicht zulässig sei.
Die Antragsgegnerin hat den Vertrag vom 19.9.2016 als Anlage AG 1 vorgelegt, zusammen mit drei Rechnungen vom 31.12.2016 über 32.760,00 €, vom 11.5.2017 über 39.000,00 € und vom 31.8.2017 über 96.096,00 € sowie einer Aufrechnungserklärung vom 5.2.2018. In dem Vertrag, der sowohl in deutscher als auch in russischer Sprache abgefasst ist, ist in Ziff. 3.1.1. geregelt, dass die Vergütung nach diesem Vertrag durch Zusatzvereinbarung der Parteien geregelt wird. Nach Ziff. 4.4. gilt bei Abweichung des russischen Vertragstextes von der deutschen Übersetzung der russische Vertragstext als maßgeblich.
Ziff. 4.5. der deutschen Fassung lautet:
Alle Streitigkeiten nach diesem Vertrag werden von Parteien im Einvernehmen gelöst, falls Einvernehmen nichts zu erreichen ist, werden sie beim Schiedsgericht nach dem Sitz des Angeklagten entschieden.
Im russischen Text ist als diesbezüglich zuständiges Gericht in kyrillischer Schrift „Арбитражный суд“ genannt.
4. Die Antragstellerin hat hiergegen eingewandt, ein Verstoß gegen den ordre public liege nicht vor. Die Aufrechnungsforderung sei selbstverständlich im Schiedsverfahren geprüft worden, was sich aus dem Schiedsspruch ergebe. Der Schiedsbeklagten stehe kein Gegenanspruch aus dem angeblichen Agenturvertrag zu. Der angebliche Anspruch sei nicht schiedsfähig. Zwar erwähne der Vertrag in der deutschen Übersetzung in § 4.5. ein „Schiedsgericht“. Das liege aber an einer falschen Übersetzung. Russland verfüge über klassische Zivilgerichte, aber auch über sogenannte Arbitragegerichte, die aber keine Schiedsgerichte, sondern staatliche Wirtschaftsund Handelsgerichte seien, die nur über Streitigkeiten zwischen Handelsgesellschaften entscheiden würden. Daher habe sich das Schiedsgericht auf Seite 4 des Schiedsspruchs bezüglich der Gegenforderung für nicht zuständig erklärt. Im Übrigen sei die Forderung aus dem angeblichen Agenturvertrag unbegründet, da ein solcher zwischen den Parteien nicht abgeschlossen worden sei. Der mit Anlage AG 1 vorgelegte Vertrag sei eine Fälschung. Es existiere weder ein Original noch ein notariell beglaubigter Vertrag. Im Übrigen seien weder Leistungen bestellt noch erbracht worden. Die vorgelegten Rechnungen für die angeblich erbrachten Dienstleistungen seien nicht zeitnah übersandt worden, sondern erstmalig im Rahmen des Verfahrens vor dem Schiedsgericht. Zudem seien sie weder nachvollziehbar noch seien die dort angegebenen Personen oder Preise der Schiedsklägerin bekannt. Die angebliche Aufrechnung sei mit Schreiben der Schiedsklägerin vom 9.2.2018 unverzüglich zurückgewiesen worden. Der Schiedsbeklagten sei es jederzeit möglich gewesen, ihre angebliche Forderung vor dem Arbitragegericht (Wirtschaftsgericht) in Moskau geltend zu machen. Im vorliegenden Verfahren sei die angebliche Gegenforderung schon deshalb nicht zu berücksichtigen, da aufgrund der Vereinbarung in Ziff. 4.5. des Vertrages das staatliche Wirtschaftsgericht ausschließlich international zuständig sei.
5. Mit Beschluss vom 12.8.2019 hat der Senat die mündliche Verhandlung angeordnet und diese am 4.11.2019 durchgeführt. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Nachdem auf Anzeige des Verfahrensbevollmächtigten der Schiedsklägerin vom 31.10.2018 durch die Staatsanwaltschaft München I gegen den Geschäftsführer der Schiedsbeklagten im Hinblick auf die angebliche Fälschung des Agenturvertrages vom 19.9.2016 ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs, Urkundenfälschung u.a. eingeleitet wurde, hat der Senat das streitgegenständliche Verfahren mit Beschluss vom 4.11.2019 gemäß § 148 Abs. 1 ZPO bis zum Abschluss der Ermittlungen ausgesetzt. Mit Verfügung vom 27.12.2019 wurde das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt mit der Begründung, aufgrund der sich widersprechenden Angaben der Beteiligten lasse sich nicht feststellen, wie sich der Vorgang tatsächlich zugetragen habe. Es stehe Aussage gegen Aussage, ohne dass einer der Aussagen von vorneherein ein erhöhter Beweiswert zukomme.
Die Antragstellerin hat am 18.3.2020 die Forderung aus dem streitgegenständlichen Schiedsspruch an Frau X. abgetreten. Mit Schriftsatz vom 12.5.2021 hat die Antragstellerin beantragt, der Schiedsspruch mit der Maßgabe für vollstreckbar zu erklären, dass die Zahlung an Frau X. zu erfolge hat.
Mit Verfügung vom 24.8.2021 hat der Senat eine weitere mündliche Verhandlung angeordnet und diese am 25.10.2021 durchgeführt. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
II.
Auf den Antrag der Antragstellerin ist der Schiedsspruch vom 5.6.2018 gemäß § 1061 Abs. 1 ZPO i.V.m. den Vorschriften des New Yorker UN-Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10.06.1958 (BGBl 1961 II, S. 122; im folgenden UNÜ) für vollstreckbar zu erklären. Gründe, gemäß § 1061 Abs. 2 ZPO festzustellen, dass der Schiedsspruch im Inland nicht anzuerkennen ist, liegen nicht vor.
1. Für den Antrag, den im Ausland ergangenen Schiedsspruch für vollstreckbar zu erklären, ist das Oberlandesgericht München nach §§ 1025 Abs. 4, 1061, 1062 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ZPO i.V.m. § 7 Gerichtliche Zuständigkeitsverordnung Justiz vom 11.6.2012 (GVBl. S. 295) zuständig, weil die Antragsgegnerin ihren Wohnsitz in Bayern hat. Soweit die Parteien in der Schiedsvereinbarung als zuständiges Gericht das Landgericht München II festgelegt haben, ist diese Bestimmung unwirksam, da insoweit eine derogationsfeste ausschließliche Eingangszuständigkeit des Oberlandesgerichts gegeben ist, § 1062 Abs. 1 ZPO (Senat vom 5.10.2009, 34 Sch 12/09 = BeckRS 2011, 8217; Zöller/Geimer ZPO 33. Aufl. § 1062 Rn. 1).
2. Maßgeblich für die Anerkennung des in der Russischen Föderation ergangenen Schiedsspruchs ist in erster Linie das Europäische Übereinkommen über die Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21.4.1961 (BGBl 1964 II S. 425; im Folgenden: EUÜ), das für die Russische Föderation seit 7.1.1964 in Kraft ist (BGBl 1994 II S. 978). Jenes Übereinkommen ändert das UNÜ teilweise ab (siehe Art. IX Abs. 2 EUÜ) und geht diesem vor (vgl. § 1061 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Es gilt jedoch, auch im Verhältnis zum innerstaatlichen Recht, das Meistbegünstigungsprinzip, wonach auf das anerkennungsfreundlichere Regelwerk zurückzugreifen ist (BGH NJW-RR 2004, 1504; Senat vom 22.6.2009, 34 Sch 26/08 = SchiedsVZ 2010, 169 [Rn. 29]; Seiler in Thomas/Putzo ZPO 42. Aufl. § 1061 Rn. 7).
3. Der Antrag ist zulässig (§ 1025 Abs. 4, § 1061 Abs. 1, § 1064 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO), denn er erfüllt die formellen Anforderungen.
a) Formelle Erfordernisse für die Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs aus einem anderen Vertragsstaat enthält das Europäische Übereinkommen nicht. Das nationale Recht verlangt zwingend auch für ausländische Schiedssprüche nur die Vorlage des Schiedsspruchs im Original oder in beglaubigter Abschrift, § 1064 Abs. 1 und 3 ZPO. Nach Art. IV Abs. 1 Buchst. a UNÜ ist hingegen die gehörig legalisierte Urschrift des Schiedsspruchs oder eine ordnungsgemäß beglaubigte Abschrift einer solchen Urschrift vorzulegen (vgl. Schlosser in Stein/Jonas ZPO 23. Aufl. Anh. zu § 1061 Rn. 136 und 138). Darüber hinaus verlangt Art. IV Abs. 1 Buchst. b UNÜ die Vorlage der Urschrift oder einer ordnungsgemäß beglaubigten Abschrift der zwischen den Parteien getroffenen Schiedsvereinbarung (vgl. Schlosser in Stein/Jonas Anh. zu § 1061 Rn. 140). An einer Legalisation des Schiedsspruchs fehlt es hier; die Schiedsklausel liegt mit den beiden Rahmenlieferungsverträgen nur in einfacher Kopie vor.
b) Soweit allerdings Art. IV UNÜ über das nationale Recht hinausgehende Anforderungen an die Vorlage von Urkunden, Übersetzungen und deren Qualität stellt, gilt nach Art. VII Abs. 1 UNÜ das Günstigkeitsprinzip, zumal Art. IV UNÜ lediglich als Beweismittelregelung zu verstehen ist (BGH NJW 2000, 3650; OLG Frankfurt BeckRS 2019, 16020). Die Antragstellerin hat den Schiedsspruch in beglaubigter Kopie vorgelegt und damit den anerkennungsfreundlicheren nationalen Vorgaben Genüge getan.
Im Übrigen sind die Existenz der Schiedsvereinbarung und des Schiedsspruchs selbst zwischen den Parteien unstreitig.
4. Auch die materiellen Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs liegen vor, da Anerkennungshindernisse nach Art. V UNÜ nicht gegeben sind.
Unstreitig steht der Antragstellerin ein Anspruch auf Zahlung von 28.028,20 € zu. Im Hinblick auf den Vortrag der Antragsgegnerin ist vorliegend entscheidend, ob sich ein Anerkennungshindernis i.S.v. Art. V Abs. 1 Buchst. b UNÜ und Art. V Abs. 2 Buchst. b UNÜ daraus ergibt, dass das Schiedsgericht unter Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs die von der Schiedsbeklagten geltend gemachte Aufrechnungsforderung nicht berücksichtigt hat.
Hiervon kann im Ergebnis nicht ausgegangen werden.
a) Allerdings gilt auch im Schiedsverfahren der Grundsatz, dass Schiedsgerichte das rechtliche Gehör im gleichen Umfang wie staatliche Gerichte gewähren müssen (OLG Frankfurt BeckRS 2019, 16020). Eine Partei muss Gelegenheit haben, ihre Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend zu machen. Dazu gehört nicht nur, dass eine Partei Gelegenheit zur Einreichung von Parteivortrag und Beweisangeboten beim Schiedsgericht hat, sondern auch, dass sich das Schiedsgericht durch Kenntnisnahme und Erwägungen damit intellektuell auseinandersetzt (BGH SchiedsVZ 2020, 46; Senat vom 29.1.2018, 34 Sch 31/15 = BeckRS 2018, 1172; OLG Frankfurt BeckRS 2020, 4606; Wilske/Markert in BeckOK ZPO 42. Edition § 1061 Rn. 24 m.w.N.). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass dies geschieht. Die Gerichte brauchen nicht jedes Vorbringen in der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen ergibt, dass das Gericht seiner Pflicht zur Berücksichtigung nicht nachgekommen ist (OLG Frankfurt BeckRS 2020, 4606). Solche Umstände liegen etwa dann vor, wenn es auf den wesentlichen Kern des Vortrags eines Beteiligten zu einer zentralen Frage des jeweiligen Verfahrens in den Entscheidungsgründen nicht eingeht (BVerfG BeckRS 2004, 24288). Die Anerkennungs- und Vollstreckungsversagung setzt neben dem Verstoß jedoch weiter voraus, dass dieser sich auf den erlassenen Schiedsspruch ausgewirkt hat, wobei die Möglichkeit, dass der Schiedsspruch auf der Gehörsverletzung beruht, ausreicht (BGH SchiedsVZ 2009, 126; Wilske/Markert in BeckOK ZPO § 1061 Rn. 28).
b) Vorliegend ergibt sich aus dem in der deutschen Übersetzung mit „Entscheidungsgründen“ überschriebenen Abschnitt des Schiedsspruchs nicht, dass das Schiedsgericht sich mit der von der Schiedsbeklagten vorgetragenen Aufrechnungsforderung in irgendeiner Form auseinandergesetzt und diese zum Gegenstand einer inhaltlichen Würdigung gemacht hätte. Soweit die Antragstellerin vorgetragen hat, die Aufrechnungsforderung sei vom Schiedsgericht selbstverständlich geprüft worden, das Schiedsgericht habe sich auf Seite 4 hinsichtlich der Gegenforderung für nicht zuständig erklärt, ist dies unzutreffend. Denn diesbezüglich gibt das Schiedsgericht lediglich die in der mündlichen Verhandlung vom 14.2.2018 vertretene Auffassung der Schiedsklägerin wieder.
c) Allerdings ist dieser Verstoß des Schiedsgerichts nicht entscheidungserheblich. Nach § 7 Nr. 2 der Schiedsregeln für internationale Handelsstreitigkeiten des MKAS, die vorliegend Anwendung finden, können Aufrechnungsforderungen vom Schiedsgericht nur behandelt werden, wenn sie von einer einzigen Schiedsvereinbarung gemeinsam mit den Anträgen aus der Klage oder von einer anderen Schiedsvereinbarung, die die Unterbreitung an den MKAS vorsieht, erfasst werden (Schütze Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit 3. Aufl. VII. Kapitel, IV. § 7). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Denn im Vertrag vom 19.9.2016 ist – dessen Gültigkeit unterstellt – die Zuständigkeit des staatlichen russischen Wirtschaftsgerichts vereinbart. Zwar steht in der deutschen Fassung der Ziff. 4.5. des Vertrages „Schiedsgericht“. Maßgeblich ist nach Ziff. 4.4. jedoch die russische Fassung. Wie die Schiedsklägerin zutreffend ausführt, ist mit dem dort genannten „Арбитражный суд“ nicht das Schiedsgericht (Третейский суд“), sondern das staatliche Wirtschaftsgericht gemeint (OLG Koblenz BeckRS 2011, 412). Das Schiedsgericht hätte die Gegenforderung also ohnehin nicht berücksichtigen können.
5. Soweit die Antragsgegnerin ihre bereits in das Schiedsverfahren eingeführte Gegenforderung zum Gegenstand eines gesonderten materiellrechtlichen Aufrechnungseinwandes im hiesigen Vollstreckbarerklärungsverfahren macht, hat sie damit keinen Erfolg.
a) Zwar sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Verfahren zur Vollstreckbarerklärung über die gesetzlichen Aufhebungsgründe hinaus sachlichrechtliche Einwendungen gegen den im Schiedsspruch festgestellten Anspruch zulässig. Allerdings müssen in entsprechender Anwendung des § 767 Abs. 2 ZPO die Gründe, auf denen die Einwendung beruht, grundsätzlich nach dem Schiedsverfahren entstanden sein, das heißt bei einer Aufrechnung darf die Aufrechnungslage nicht bereits während des Schiedsverfahrens bestanden haben. Letzteres gilt allerdings nicht ausnahmslos. Vielmehr ist die Aufrechnung auch mit einer vor Abschluss des Schiedsverfahrens entstandenen Forderung möglich, wenn der Schuldner schon vor dem Schiedsgericht aufgerechnet oder den Aufrechnungseinwand erhoben hat, das Schiedsgericht aber über die zur Aufrechnung gestellte Forderung nicht befunden hat. Wenn ein Schiedsgericht sich der Entscheidung über die Aufrechnung enthält, steht nichts im Wege, den Aufrechnungseinwand vor dem ordentlichen Gericht zu wiederholen, gleichviel ob das Schiedsgericht mit Recht oder Unrecht nicht auf die Aufrechnung eingegangen ist (BGH NJW-RR 2016, 1467 m.w.N.).
b) Dem steht jedoch entgegen, dass nach der in Ziff. 4.5. des Vertrages vom 19.9.2016 getroffenen Regelung – seine Wirksamkeit unterstellt – für die angebliche Gegenforderung der Schiedsbeklagten das staatliche russische Wirtschaftsgericht zuständig ist.
aa) Nach allgemeiner Ansicht ist die Prozessaufrechnung nur dann zulässig, wenn die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für die Geltendmachung einer streitigen und noch nicht rechtskräftig festgestellten Gegenforderung besteht (BGH NJW 2015, 1118; Wendtland in BeckOK ZPO § 145 Rn. 31), da das Gericht rechtskräftig über diesen Gegenanspruch zu entscheiden hätte. Die Frage der internationalen Zuständigkeit richtet sich dabei nach der lex fori, also nach deutschem Prozessrecht (Hüßtege in Thomas/Putzo vor § 1 Rn. 5).
bb) Die internationale Zuständigkeit ergibt sich im deutschen Recht aus den Regeln über die örtliche Zuständigkeit. Danach ist gemäß § 33 Abs. 1 ZPO ein Gerichtsstand der Widerklage gegeben, soweit der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch in Zusammenhang steht. Diese Zuständigkeitsregelung gilt in analoger Anwendung auch für die Aufrechnung (Zöller/Schultzky § 145 ZPO Rn. 19). Demzufolge kann eine Aufrechnung mit einer konnexen Gegenforderung entsprechend § 33 ZPO geltend gemacht werden, während die Aufrechnung mit bestrittenen inkonnexen Gegenforderungen unzulässig ist (Rüßmann in jurisPK BGB 9. Aufl. § 388 Rn. 33).
cc) Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei der bestrittenen (angeblichen) Gegenforderung um eine konnexe handelt und damit grundsätzlich der Aufrechnungseinwand erhoben werden könnte. Denn gemäß § 38 ZPO ist es den Parteien möglich, die internationale Zuständigkeit eines deutschen oder eines ausländischen Gerichts durch Gerichtsstandvereinbarung frei zu vereinbaren (OLG Schleswig BeckRS 2013, 21785; Hüßtege in Thomas/Putzo Vorb § 38 Rn. 5). Die Vereinbarung eines Gerichtsstandes ist ein Vertrag über prozessrechtliche Beziehungen. Zulässigkeit und Wirkung einer vor dem Prozess getroffenen internationalen Gerichtsstandsvereinbarung beurteilen sich, wenn ein deutsches Gericht angerufen wird, nach deutschem Prozessrecht, während das Zustandekommen dieser Vereinbarung sich nach deutschem oder ausländischem bürgerlichen Recht richtet (BGH NJW 1986, 1438). Für die Zulässigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung und ihre Wirkung auf die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts ist also deutsches Recht anzuwenden. Dies gilt auch dafür, ob die Zuständigkeit deutscher Gerichte ausgeschlossen und die eines ausländischen Gerichts vereinbart ist (Hüßtege in Thomas/Putzo Vorb § 38 Rn. 7).
Inwieweit die Parteien mit Ziff. 4.5. des Vertrages vom 19.6.2016 eine ausschließliche Zuständigkeit vereinbaren wollten, ist also im Wege der Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermitteln.
Das ist hier der Fall. Die Parteien sind Kaufleute und haben eine schriftliche Vereinbarung getroffen. Sie haben hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Ansprüche gegen die jeweils andere Partei vor deren Heimatgericht geltend zu machen sind. Bereits dem Wortlaut nach handelt es sich dabei um eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung. Die streitige Regelung verlangt zwar vorgeschaltet Einvernehmen herbeizuführen. Sie besagt aber ausdrücklich, dass, soweit kein Einvernehmen erzielt wird, Streitigkeiten beim Gericht am Sitz des Gegners entschieden werden. Eine derartige Regelung entspricht auch dem objektiven Interesse der Parteien, denn sie führt dazu, dass sie ausschließlich in ihrer eigenen Sprache und nach dem ihnen bekannten eigenen Rechtssystem in Anspruch genommen werden können (BGH NJW 2015, 1118; OLG Schleswig BeckRS 2012, 21785).
Ergänzend ist anzumerken, dass auch nach russischem Recht die Gerichtsstandsvereinbarung zu einer ausschließlichen internationalen Zuständigkeit des staatlichen russischen Wirtschaftsgerichts führen würde (Gernert in IPRax 2020, 78 ff.)
dd) Ein so begründeter ausschließlicher Gerichtsstand schließt allerdings nicht schon von Gesetzes wegen die Aufrechnung mit einem der Abrede unterliegenden Anspruch vor einem anderen als dem für die Klage zuständigen Gericht aus. Je nach dem – durch Auslegung zu ermittelnden – Willen der Parteien und dem Zweck der Vereinbarung kann diese aber auch ein prozessuales Aufrechnungsverbot enthalten, wovon in der Regel auszugehen ist (BGH NJW 2015, 1118; NJW 1979, 2477; NJW 1973, 421).
Vorliegend ist die Gerichtsstandsabrede schon ihrem Wortlaut nach nicht auf zu erhebende Klagen beschränkt. Vielmehr haben die Parteien die Formulierung „werden beim Gericht entschieden“ gewählt. Daraus ist zu schließen, dass es den Parteien nicht nur um eine Beschränkung der Klageerhebung ging. Wie der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 21.1.2015 (BGH NJW 2015, 1118) ausführt, spricht insbesondere die beiderseitige Interessenlage für die Vereinbarung auch eines Aufrechnungsausschlusses. Indem nicht nur eine einzelne Vertragspartei begünstigt werden sollte, sondern als Gerichtsstand nur die Heimatgerichte der jeweils anderen zugelassen sind, haben die Antragstellerin und die Antragsgegnerin deutlich gemacht, dass jede von ihnen gegen sie erhobene Ansprüche aus Kaufverträgen nur vor ihrem jeweiligen Heimatgericht behandelt sehen wollte. Andernfalls entstünde für die zuerst klagende Partei ein doppelter Nachteil. Ist sie nach der Vereinbarung unter Umständen schon gezwungen, vor einem für sie fremden Gericht zu klagen, müsste sie bei Zulassung der Prozessaufrechnung auch die gegen sie gerichteten Ansprüche der Gegenseite vor einem für sie fremden Gericht abwehren. Dies gilt auch im vorliegenden Fall.
ee) Der Einwand der Antragsgegnerin, nach § 40 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sei die Gerichtsstandsvereinbarung vorliegend unwirksam, da für eine Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 Abs. 1 ZPO nach § 802 ZPO ausschließlich das Prozessgericht zuständig sei, greift nicht. Zum einen ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens keine Vollstreckungsabwehrklage. Da zudem, wie oben unter II. 5. b) dd) dargestellt, die von der Antragsgegnerin zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung nach der zwischen den Parteien getroffenen ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung der Zuständigkeit des staatlichen russischen Gerichts unterfällt und dies ein Aufrechnungsverbot bewirkt, ist für die Gegenforderung in keinem Fall das deutsche Prozessgericht zuständig.
Aufgrund der ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien ist der Senat mangels internationaler Zuständigkeit nicht zur Entscheidung über die von der Schiedsbeklagten zur Aufrechnung gestellte, streitige Gegenforderung berufen.
6. Da die Antragstellerin am 18.3.3020 unstreitig die streitgegenständliche Forderung an Frau X. abgetreten hat, war auf Antrag der Antragstellerin auszusprechen, dass Zahlung an diese zu erfolgen hat (Seiler in Thomas/Putzo § 265 Rn. 13).
Für vollstreckbar zu erklären ist der tatsächliche Leistungsausspruch in seiner konkreten Form, wie ihn das Schiedsgericht getroffen hat. Deshalb findet eine Umrechnung einer in ihm verlautbarten ausländischen Währung in Euro nicht statt (Senat vom 28.11.2005, Az. 34 Sch 19/05 = NJOZ 2006, 4376). 34 Sch 34/18 – Seite 11 – Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ist nach § 1064 Abs. 2 ZPO anzuordnen.
Der Streitwert entspricht dem Wert der zu vollstreckenden Hauptsache zuzüglich der im Schiedsspruch betragsmäßig ausgeurteilten Kosten- und Aufwendungsforderung, letztere umgerechnet in Euro zu dem bei Antragstellung gültigen Wechselkurs (Senat vom 23.2.2007, Az. 34 Sch 31/2006 = BeckRS 2007, 4685).


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