Europarecht

Schadensersatzanspruch gegenüber der Audi AG wegen des Erwerbs eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Audi-Fahrzeugs (hier: Audi Q3, 2.0 TDI)

Aktenzeichen  21 U 52/20

Datum:
29.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 855
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 195, § 199, § 826

 

Leitsatz

1. Zur VW-Abgasskandal-Thematik vgl. grundlegend BGH BeckRS 2020, 10555; vgl. auch OLG Celle BeckRS 2020, 35127; OLG Jena BeckRS 2020, 30910; OLG München BeckRS 2020, 34041; BeckRS 2020, 32848; BeckRS 2020, 34151; BeckRS 2020, 34153; BeckRS 2020, 36057; BeckRS 2020, 38370; OLG Bamberg BeckRS 2020, 29603; BeckRS 2020, 33045; BeckRS 2020, 33157; BeckRS 2020, 35123; sowie die Aufzählung ähnlich gelagerter VW-Diesel-Fälle bei OLG München BeckRS 2020, 25691 (dort Ls. 1); OLG München BeckRS 2020, 27215 (dort Ls. 1); OLG Köln BeckRS 2019, 42328 (dort Ls. 1); OLG Koblenz BeckRS 2020, 14352 (dort Ls. 1), OLG Stuttgart BeckRS 2020, 7002 (dort Ls. 1), OLG Jena BeckRS 2020, 8618 (dort Ls. 1), OLG Oldenburg BeckRS 2020, 6234 (dort Ls. 1) und KG BeckRS 2019, 29883 (dort Ls. 5); mit gegenteiligem Ergebnis noch: OLG München BeckRS 2019, 33738; BeckRS 2019, 33753; OLG Braunschweig BeckRS 2019, 2737. (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Käufer eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs steht gegen die Herstellerin (hier: Audi AG), auch wenn diese den Motor nicht hergestellt hat (hier: Motorherstellerin VW AG), ein Schadensersatzanspruch nach §§ 826, 31 BGB nicht allein aufgrund einer Zurechnung fremden Fehlverhaltens, sondern aufgrund eigenen deliktischen Handelns zu aufgrund des von ihr zu verantwortenden Inverkehrbringens des Fahrzeugs mit einer manipulativen, auf Täuschung ausgerichteten unzulässigen Abschalteinrichtung. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Audi AG ist vorzuwerfen, dass die Abgabe einer eigenen Erklärung gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt als EG-Typgenehmigungsbehörde die Verpflichtung einschloss, den Motor eigenständig auf Funktionsmäßigkeit und Gesetzesmäßigkeit zu überprüfen, weil mit dem Antrag auf Erteilung einer EG-Typgenehmigung zumindest konkludent erklärt wird, dass das Fahrzeug die gesetzlichen Vorschriften einhält, insbesondere über keine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt, und der Hersteller im EG-Typengenehmigungsverfahren umfassend verantwortlich ist. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
4. Für den Eigentümer eines Audi-Fahrzeugs, der erst im Jahr 2016 positive Kenntnis erlangt hat, dass auch sein Fahrzeug vom Diesel-Abgasskandal betroffen ist, kann nicht angenommen werden, dass ihm bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB anzulasten ist. (Rn. 68) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

71 O 1041/19 2019-11-22 Endurteil LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 22.11.2019, Az. 71 O 1041/19, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 34.142,15 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.06.2019 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi Q3 2.0 TDI mit der Fahrgestellnummer …55 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung des Klägers in Höhe von 1.590,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.06.2019 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
III. Von den Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger 40% und die Beklagte 60%. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch die jeweils andere Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für die erste Instanz auf 45.850 € und für das Berufungsverfahren auf 35.135,01 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines vom sog. Dieselabgasskandal betroffenen Fahrzeugs geltend.
Mit Kaufvertrag vom 16.08.2013 (Anlage K 1) erwarb der Kläger bei dem Autohaus S. GmbH & Co KG den streitgegenständlichen neuen Audi Q3, 2.0 TDI zu einem Kaufpreis von 45.850,00 €.
Zum Zeitpunkt des Kaufs befand sich in dem Fahrzeug, das von der Beklagten hergestellt ist, ein von der Volkswagen AG serienmäßig produzierter Dieselmotor des Typs EA 189 (EU5) nebst einer Motorsteuerungssoftware, die erkennt, ob das Fahrzeug auf dem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus unterzogen wird. Es wird in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxidoptimierten Modus, geschaltet. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstandes schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Grundlage der Erteilung der Typgenehmigung sind die Abgasmessungen auf dem Prüfstand.
Die Verwendung der Software wurde dem Kraftfahrt-Bundesamt weder von der VW-AG noch von der Beklagten im Rahmen der Tests zur Erreichung der Typgenehmigung offengelegt. Erst am 22.09.2015 veröffentlichte die VW-AG eine Ad-hoc-Mitteilung, mit der Auffälligkeiten bei Fahrzeugen mit dem Motor vom Typ EA 189 eingeräumt wurden.
Nach Bekanntwerden der Softwareproblematik verpflichtete das Kraftfahrtbundesamt die Beklagte zur Entfernung der unzulässigen Abschalteinrichtung und dazu, geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Daraufhin wurde ein Software-Update entwickelt, welches am 23.02.2018 auf das Fahrzeug des Klägers aufgespielt worden ist.
Mit einem vorgerichtlichen Anwaltsschreiben vom 14.01.2019 erhob der Kläger die Forderung auf Rückabwicklung des Kaufvertrags unter Fristsetzung bis 21.01.2019. Die Klage wurde am 09.05.2019 bei Gericht eingereicht und der Beklagten am 13.06.2019 zugestellt.
Der Kläger vertritt die Ansicht, dass er von der Beklagten vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden sei. Der im Fahrzeug verbaute Motor sei mit Wissen des Vorstands der Beklagten mit einer Betrugssoftware versehen worden, um die Behörden über die Einhaltung der gesetzlichen Abgasgrenzwerte zu täuschen und auf diese Weise scheinbar saubere Dieselfahrzeuge in hoher Stückzahl veräußern zu können. Hierdurch hätten sich die VW-AG und die Beklagte einen unerlaubten Wettbewerbsvorteil verschafft. Die Entwicklungsabteilung der VW-AG und der Beklagten hätten nicht ohne Kenntnis des Vorstandes entschieden, die Manipulationssoftware, vor deren Einsatz im regulären Fahrbetrieb die Firma B. gewarnt habe, serienmäßig in den Motorserien der konzernangehörigen Fahrzeuge einzubauen. Auch seien aufgrund von Überkreuzregelungen im Vorstand der Beklagten und der VW-AG die wesentlichen Entscheidungen gemeinsam getroffen worden. Aufgrund der Organisationsstruktur der Beklagten sei ausgeschlossen, dass der Einsatz der Betrugssoftware nicht auf der höchsten Ebene des Unternehmens veranlasst worden sei.
Der Kläger habe dadurch ein Fahrzeug erhalten, das wegen des überhöhten Schadstoffausstoßes nicht über eine gültige Genehmigung auf der Grundlage der EG-Typgenehmigung verfüge. Es habe die Gefahr bestanden, dass das Fahrzeug stillgelegt werden muss. Das Fahrzeug habe zudem einen erheblichen Wertverlust erlitten. Der Kläger hätte den Wagen nicht gekauft, wenn er von der Manipulation der Abgaswerte im Prüfverfahren und der dadurch drohenden Folgen gewusst hätte. Der Anspruch des Klägers sei auch nicht verjährt. Er habe im Jahr 2015 noch keine Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs gehabt. Eine Klageerhebung sei unzumutbar gewesen.
Die Beklagte hingegen hält Schadensersatzansprüche des Klägers nicht für gegeben. Sie meint, das Fahrzeug enthalte keine unzulässige Abschalteinrichtung und bestreitet, dass dem Kläger ein Schaden entstanden sei. Eine sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte liege nicht vor, auch fehle es an der Kausalität zwischen angeblicher Täuschung und Schaden. Jedenfalls sei ein etwaiger Schaden durch das Aufspielen des Updates entfallen. Eine – unterstellt von der Beklagten verursachte – Fehlvorstellung des Klägers über die Schadstoffemission sei für dessen Kaufentscheidung nicht maßgeblich gewesen. Eine Haftung der Beklagten scheide auch deshalb aus, weil sie den Motor nicht entwickelt habe. Ihr seien weder Kenntnisse noch Entscheidungen der VW-AG zuzurechnen. Konkret verantwortliche Personen könne der Kläger nicht benennen, schon daran scheitere die Haftung, zumal die Beklagte nur für ihre Organe einzustehen habe. Eine sekundäre Darlegungslast treffe die Beklagte nicht. Abgesehen davon habe die Beklagte nach dem Stand der Ermittlungen keine Erkenntnisse dazu, dass Vorstandsmitglieder im aktienrechtlichen Sinn die Entwicklung der Umschaltlogik für den Motor EA 189 in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten.
Im Übrigen sei ein etwaiger Anspruch verjährt. Der Kläger habe bereits im Jahr 2015 Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs gehabt. Angesichts der umfangreichen Berichterstattung könne ihm dies nicht verborgen geblieben sein. Selbst wenn er keine positive Kenntnis gehabt haben sollte, liege zumindest grob fahrlässige Unkenntnis vor. Der Kläger hätte sich herausgefordert fühlen müssen, der Frage der Betroffenheit seines Fahrzeugs nachzugehen. Er hätte dies einfach und kostenlos durch eine Abfrage im Internet oder bei der Werkstatt herausfinden können.
Das Landgericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 24.09.2019 angehört und der Klage mit Urteil vom 22.11.2019 im Wesentlichen, allerdings unter Abzug einer Nutzungsentschädigung, stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der klägerische Anspruch ergebe sich aus § 826 BGB sowie aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, §§ 249 ff BGB. Die Beklagte habe Dieselmotoren unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung in den Verkehr gebracht. Die schädigende Handlung sei der Beklagten zuzurechnen, wobei es keiner konkreten Feststellung bedürfe, welcher Repräsentant der Beklagten vorsätzlich gehandelt habe. Die Täuschungshandlung sei nur vorsätzlich denkbar, weil die Softwareprogrammierung zwingend aktiv und ergebnisorientiert sei. Das Verhalten der Beklagten habe auch gegen die guten Sitten verstoßen. Dem Kläger sei durch die Bindung an den nicht erwartungsgerechten Vertrag ein Schaden entstanden, der den Anspruch auf Rückabwicklung auslöse. Der Anspruch sei auch nicht verjährt. Die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe bereits im Jahr 2015 Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs gehabt, sei eine reine Mutmaßung. Der Kläger habe in seiner informatorischen Anhörung nachvollziehbar und überzeugend dargestellt, dass er erst nach und nach Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs erlangt habe. Eine Kenntnis im Jahr 2015 sei daher nicht nachgewiesen. Auch eine grob fahrlässige Unkenntnis sei nicht zu bejahen.
Der Kläger müsse sich aber den Abzug von Gebrauchsvorteilen in Form einer Nutzungsentschädigung, bezogen auf eine Gesamtlaufleistung von 300.000 km, gefallen lassen. Annahmeverzug sei zu bejahen. Verzugszinsen seien ab Fristablauf des Anspruchsschreibens zuzusprechen, deliktische Zinsen hingegen nicht. Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten seien nur in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr zuzusprechen. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen im landgerichtlichen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Gegen das Urteil wendet sich (nur) die Beklagte mit ihrer Berufung.
Die Beklagte rügt, das Landgericht habe der Klage rechtsfehlerhaft stattgegeben und zu Unrecht einen Schadensersatzanspruch bejaht und Verjährung verneint. Sie ist der Auffassung, eine Haftung nach § 826 BGB oder §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, §§ 249 ff BGB bestehe nicht. Die Beklagte sei nur Herstellerin des Fahrzeugs und habe den im Fahrzeug verbauten Motor des Typs EA 189 nicht entwickelt. Eine sekundäre Darlegungslast obliege der Beklagten nicht; eine Repräsentantenhaftung komme nicht in Betracht. Ein Schaden sei bei dem Kläger nicht eingetreten. Selbst wenn ein Schaden eingetreten sei, sei er durch das Update wieder entfallen. Sie bestreitet auch die Kausalität. Der Kläger sei seiner Darlegungslast zur haftungsbegründenden Kausalität nicht nachgekommen.
Im Schriftsatz vom 16.10.2020, Bl. 605 ff. d.A., vertieft die Beklagte ihren Vortrag und legt dar, weshalb ihrer Meinung nach die inzwischen ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Haftung der VW-AG auf vorliegende Fallgestaltung nicht übertragen werden könne. Die Beklagte habe als Herstellerin des Fahrzeugs in den Jahren 2005/2006 durch ihr Produkt-Strategie-Komitee, dem jeweils auch einzelne Mitglieder des Vorstands angehörten, beschlossen, dass der von VW entwickelte Motor in bestimmten Fahrzeugen der Beklagten serienmäßig eingebaut wird. Der erste Einsatz sei im Jahr 2007 erfolgt. Die Beklagte habe den Motor samt Software als externes Produkt von der VW-AG zur Verwendung in ihren Fahrzeugen erworben. Die Hardware der Motorsteuerungsgeräte habe die Beklagte von den Zulieferern Bosch und Continental erhalten. Ohne Einflussmöglichkeit von Mitarbeitern der Beklagten sei die auf das jeweilige Fahrzeug abgestimmte Software ab 2008 auf den automatisierten Fertigungslinien der Beklagten vom Konzernserver der VW-AG heruntergeladen worden. Die Software sei dabei zur Vermeidung von Einflussnahme außerhalb der Entwicklungsverantwortung verriegelt gewesen.
Im Auftrag der Beklagten habe die Konzernmutter das EG-Typgenehmigungsverfahren organisiert. Von Mitarbeitern der VW-AG seien die entsprechenden Fahrzeuge der Beklagten dem Technischen Dienst A. vorgestellt worden, die Beklagte habe lediglich die Rechnungen und die Protokolle mit den Testergebnissen bekommen.
Die Beklagte habe keinen Anlass gesehen, die von der VW-AG entwickelten Motoren im Rahmen oder in Vorbereitung des Typgenehmigungsverfahrens eigenständig zu überprüfen. Eine entsprechende Verpflichtung habe nicht bestanden. Dem Kraftfahrt-Bundesamt sei es mit den damals zur Verfügung stehenden Tests nicht möglich gewesen, die Umschaltlogik zu erkennen. Im Rahmen der Qualitätskontrolle der laufenden Produktion sei das grundsätzliche Funktionieren des Emissionskontrollsystems überprüft und überwacht worden, dass die Serienfahrzeuge mit den EG-Typgenehmigungsunterlagen übereinstimmen. Im Rahmen dieses „Conformity of Production (CoP)“ Tests habe die „Umschaltlogik“ nicht erkannt werden können.
Die Beklagte habe von der Programmierung keine Kenntnis gehabt, weil sie nicht an der Entwicklung des Motors beteiligt gewesen sei. Die Haftung der Beklagten könne weder auf angebliche Sorgfaltspflichtverletzungen, vermeintliches Organisationsverschulden oder eine konzernweite Wissenszusammenrechnung gestützt werden. Insoweit verweist die Beklagte auf ein von ihr in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten von Prof. Dr. G. vom 21.09.2020 (Anlage BB 8).
Die Beklagte ist weiter der Auffassung, ein etwaiger Anspruch des Klägers sei verjährt.
Das Landgericht habe zu Unrecht Annahmeverzug sowie den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten bejaht.
Im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung vom 04.03.2020 (Bl. 426 ff d.A.) sowie den Schriftsatz vom 16.10.2020 (Bl. 605 ff d.A.) Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt im Berufungsverfahren,
das am 22. November 2019 verkündete Urteil des Landgerichts Ingolstadt, 71 O 1041/19 im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Rechtsfehlerfrei sei ein für den Kläger nachteiliger Vertragsschluss angenommen worden, weil das streitgegenständliche Fahrzeug nicht jederzeit uneingeschränkt brauchbar gewesen sei. Ebenso korrekt habe das Landgericht ein sittenwidriges Handeln und eine Repräsentantenhaftung angenommen. Die Anhörung des Klägers bestätige die Kausalität.
Der Anspruch des Klägers sei auch nicht verjährt. Der Beklagten obliege die Darlegungs- und Beweislast für die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Betroffenheit seines Fahrzeugs. Eine Klageerhebung sei bis ins Jahr 2020 nicht zumutbar gewesen. Zudem sei mit dem Software-Update eine neue Abschalteinrichtung in Gestalt eines Thermofensters implementiert worden.
Im Einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 09.09.2020, Bl. 488 ff. d.A. verwiesen.
Der Senat hat über den Rechtsstreit am 11.01.2021 mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll, Bl. 668 ff. d.A., wird verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat insoweit Erfolg, als auf Grund der zwischenzeitlichen Nutzung des Fahrzeugs eine höhere Nutzungsentschädigung, also ein geringerer Zahlungsanspruch des Klägers, sowie lediglich Rechtshängigkeitszinsen auszusprechen waren und Annahmeverzug abzulehnen ist.
Im Ergebnis hat das Landgericht zu Recht angenommen, dass die Beklagte dem Kläger haftet, allerdings beruht der Anspruch auf § 826 BGB und nicht auch auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, 249 ff BGB.
Der Senat berücksichtigt bei seiner Entscheidung den ergänzenden Sachvortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 16.10.2020, zu dem die Klagepartei mit Schriftsatz vom 11.12.2020 Stellung genommen hat. Zudem hat sich die Klagepartei bereits erstinstanzlich dazu geäußert, dass und warum ihrer Ansicht nach die Beklagte (mit-)verantwortlich ist für den Einsatz der manipulativen Software in dem von ihr hergestellten Fahrzeug. Der Senat hält aus nachfolgenden Erwägungen eine Beweisaufnahme nicht (mehr) für erforderlich, vielmehr ist auch auf der Basis des ergänzenden Vortrags der Beklagten im Schriftsatz vom 16.10.2020 zu den Arbeitsabläufen und der arbeitsteiligen Aufgabenverteilung zwischen der Beklagten und der VW-AG eine Haftung der Beklagten zu bejahen. Im Einzelnen:
1. Die Haftung der Beklagten beruht nicht auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, 249 ff BGB, weil § 27 EG-FGV kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist. Der Bundesgerichtshof hat dies in seinem Urteil vom 30.07.2020, Az. VI ZR 5/20, umfassend dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf diese Ausführungen verwiesen.
2. Die Haftung der Beklagten ergibt sich jedoch, wie vom Landgericht zutreffend gesehen, aus §§ 826, 31 BGB. Dabei kann in weiten Teilen auf die grundsätzliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Bezug auf die Konzernmutter, die VW-AG, Bezug genommen werden, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19. Die dort getroffenen Aussagen zur Frage der Täuschung, der Sittenwidrigkeit, des Vorliegens eines Schadens, der Kausalität, der Verpflichtung zu einer sekundären Darlegungslast und Teilen der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen können auch auf die vorliegende Fallgestaltung übertragen werden. Gründe, die Sach- und Rechtslage vorliegend anders zu beurteilen, sind nicht ersichtlich.
Zentraler und höchstrichterlich noch nicht geklärter Streitpunkt des Verfahrens ist die Frage, ob für den unstreitigen Einsatz der „Umschaltlogik“ im Fahrzeug des Klägers auch die Beklagte deliktisch haftet oder nur die in diesem Verfahren nicht beteiligte VW-AG. Der Senat sieht eine Haftung der hiesigen Beklagten nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Kläger nicht allein aufgrund einer Zurechnung fremden Fehlverhaltens, sondern im Kern aufgrund eigenen deliktischen Handelns. Dies beruht auf dem von der Beklagten zu verantwortenden Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit einer manipulativen, auf Täuschung ausgerichteten unzulässigen Abschalteinrichtung.
a) Das Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit einem Motor, der über eine nicht offen gelegte Abschalteinrichtung bzw. Umschaltlogik verfügt, stellt eine konkludente Täuschung der Klagepartei durch die Beklagte dar, weil die Käufer der bemakelten Fahrzeuge, gleichgültig, ob sie das Fahrzeug neu oder gebraucht erwarben, arglos davon ausgingen, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Die Käufer durften darauf vertrauen, dass das erworbene Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden kann, über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt und die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren rechtmäßig durchlaufen worden sind. Tatsächlich enthielt der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs jedoch zum Zeitpunkt des Kaufs eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007, weil der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb gezielt durch den Einsatz einer entsprechenden Motorsteuerungssoftware reduziert worden ist. Die Technik war nicht nur zweifelsfrei unzulässig, sie diente vielmehr der gezielten Täuschung über die Einhaltung der zulässigen Abgaswerte. Dies hatte zur Folge, dass die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde bestand und ein weiterer Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr möglicherweise nicht (mehr) möglich war, vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19.
b) Durch diese Täuschung entstand dem Kläger als Käufer eines vom sog. Dieselabgasskandal betroffenen Fahrzeugs ein Schaden, der in dem Abschluss des Kaufvertrags als ungewollte Verbindlichkeit zu sehen ist. Dieser Schaden ist auch nicht durch das später durchgeführte Software-Update entfallen, vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rn. 44 ff.
c) Der Schaden in Form des Kaufvertragsabschlusses wurde durch das Handeln der Beklagten verursacht. Die diesbezüglichen Rügen der Beklagten greifen nicht durch. Die haftungsbegründende Kausalität zwischen schädigender Handlung der Beklagten und dem Eintritt des Schadens bei dem Kläger ist zu bejahen. Bereits die allgemeine Lebenserfahrung rechtfertigt die Annahme, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwirbt, bei der bestehenden Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte, vgl. BGH aaO Rn 51. Zwar hat der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Landgericht nicht ausdrücklich gesagt, dass er das Fahrzeug nicht gekauft hätte, wenn er Kenntnis von der „Manipulationssoftware“ gehabt hätte. Er hat aber angegeben, dass er einen Diesel gekauft habe, weil er einen niedrigen Verbrauch und einen niedrigen Schadstoffausstoß hat. Das Softwareupdate hat er erst 2018 machen lassen, weil er befürchtete, es sei schlecht für den Motor. Insgesamt stützt dies die aus der allgemeinen Lebenserfahrung resultierende Annahme, dass der Kläger das Fahrzeug bei Kenntnis nicht gekauft hätte, widerlegt sie also gerade nicht.
d) Das Verhalten der Beklagten war sittenwidrig, auch wenn sie den Motor EA 189 nicht mitentwickelt haben sollte.
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft, vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann, ständige Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az. VI ZR 536/15, vom 07.05.2019, Az. VI ZR 512/17, zuletzt 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19.
Nicht nur das Verhalten der VW-AG, sondern auch der hiesigen Beklagten ist objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren, weil auch die beklagte A.-AG auf der Grundlage einer strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse Fahrzeuge in den Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgaswerte auf dem Prüfstand nur mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung eingehalten wurden. Damit ging eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden einher und es bestand die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren, BGH, a.a.O. Rdnr. 16. Auch die hier beklagte A.-AG hat nach Überzeugung des Senats das an sich erlaubte Ziel der Gewinnerhöhung ausschließlich dadurch erreicht, dass sie auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung die zuständige EG-Typgenehmigungsbehörde und die für sie handelnden Technischen Dienste arglistig getäuscht hat. Die Einwände der Beklagten, dass das Emissions-Zulassungsverfahren durch die VW-AG erfolgt ist und die Beklagte nur die Rechnungen und Testergebnisse erhalten hat, greifen nicht durch.
Die Beklagte als Herstellerin des hier streitgegenständlichen Fahrzeugs hat gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt als zuständiger EG-Typgenehmigungsbehörde in dem erforderlichen EG-Typgenehmigungsverfahren eine eigene falsche Erklärung dahingehend abgegeben, dass der Fahrzeugtyp genehmigungsfähig ist und mithin nicht über die tatsächlich bestehende unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Sie handelte dabei arglistig.
aa) Die Beklagte war als Herstellerin des Fahrzeugs umfassend für die Beantragung der Typgenehmigung verantwortlich.
Die Übereinstimmung eines Fahrzeugs mit einem genehmigten Typ, die durch die von einem Vertreter der Beklagten unterzeichnete Übereinstimmungserklärung bestätigt wird, ist Voraussetzung für dessen Zulassung im Gebiet der Europäischen Union.
Für die Typgenehmigung für Personenkraftwagen ist die RL 2007/46/EG maßgeblich, die mit der EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV), soweit erforderlich, in nationales Recht umgesetzt wurde. Zuständige nationale Genehmigungsbehörde für das Typgenehmigungsverfahren ist nach § 2 Abs. 1 EG-FGV das Kraftfahrtbundesamt. Verantwortlich für die Beantragung der EG-Typengenehmigung für das Gesamtfahrzeug in Bezug auf einen Fahrzeugtyp ist der Hersteller, hier die Beklagte, § 3 Abs. 5 S. 1 EG-FGV. Der Beklagten als Herstellerin obliegen dabei alle Belange des EG-Typgenehmigungsverfahrens und für die Übereinstimmung der Produktion, vgl. Art. 5 der RL 2007/46/EG, Art. 4 VO (EG) 715/2007. Die RL 2007/46/EG enthält eine Vielzahl von Einzelvorschriften für die verschiedenen technischen Systeme und Bauteile der Fahrzeuge. Die an die Abgasemissionen der Fahrzeuge zu stellenden Anforderungen regeln die VO (EG) 715/2007 und die dazu erlassene Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008. Die VO (EG) 715/2007 verpflichtet den Hersteller in Art. 5 Abs. 1 das Fahrzeug so auszurüsten, dass die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussenden Bauteile so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Ferner bestimmt Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) 715/2007, dass die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, grundsätzlich unzulässig ist.
Für die Erteilung einer EG-Typgenehmigung prüft der Technische Dienst gemäß den Anhängen der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008 im Auftrag der Genehmigungsbehörde das Fahrzeug nach den Vorgaben der Vorschriften und erstellt über die ermittelten Ergebnisse einen Bericht. Hier ist die Volkswagen AG gegenüber dem Technischen Dienst, der Firma A., im Auftrag der Beklagten aufgetreten.
Insgesamt lassen diese europäischen Vorgaben keinen Zweifel an der umfassenden Verantwortlichkeit des Herstellers im Typengenehmigungsverfahren, derer die Beklagte sich als weltweit tätiger großer Motoren- und Automobilhersteller zur Überzeugung des Senats bewusst war: Art. 3 Nr. 27 RL 2007/46/EG definiert den Hersteller als die „Person oder Stelle, die gegenüber der Genehmigungsbehörde für alle Belange des Typengenehmigungsverfahrens- oder … verantwortlich ist. Die Person oder Stelle muss nicht notwendigerweise an allen Stufen der Herstellung des Fahrzeugs, des Systems, des Bauteils oder der selbständigen technischen Einheit, das bzw. die Gegenstand des Genehmigungsverfahrens ist, unmittelbar beteiligt sein.“ Dies wird unter der Überschrift „Pflichten des Herstellers“ in Art. 5 Abs. 1 RL 2007/46/EG wiederholt. Nach Art. 4 „Pflichten des Herstellers“ der VO (EG) 715/2007 bzw. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 6 VO (EG) 692/2008 „weist (der Hersteller) nach“, dass alle von ihm verantworteten Neufahrzeuge über eine Typengenehmigung verfügen, die Grenzwerte eingehalten werden und die Fahrzeuge den ausführlichen Prüfanforderungen entsprechen, bzw. er „gewährleistet, dass die bei der Emissionsprüfung ermittelten Werte unter den in dieser Verordnung angegebenen Prüfbedingungen den geltenden Grenzwert nicht überschreiten.“
Der Beklagten ist mithin vorzuwerfen, dass sie als Herstellerin des Fahrzeugs mit der Abgabe der Beschreibungsunterlagen und ihrem Antrag auf Erteilung einer EG-Typgenehmigung eine eigene Erklärung gegenüber der Genehmigungsbehörde abgegeben hat, was die Verpflichtung einschloss, den Motor eigenständig auf Funktionsmäßigkeit und Gesetzesmäßigkeit zu überprüfen, weil mit dem Antrag auf Erteilung einer EG-Typgenehmigung zumindest konkludent erklärt wird, dass das Fahrzeug die gesetzlichen Vorschriften einhält und insbesondere über keine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Sie kann sich auch nicht darauf zurückziehen, dass die VW-AG im Typgenehmigungsverfahren gehandelt hat, weil die VW-AG dies, wie die Beklagte selbst vorträgt, im Auftrag der A.-AG als Fahrzeugherstellerin getan hat. Die Beklagte kann sich mithin nicht darauf berufen, dass allein die VW-AG Pflichten verletzt habe, was ihr verborgen geblieben und ihr nicht zurechenbar sei.
bb) Im Übrigen hält der Senat aber auch die vollständige Übertragung des gesamten EG-Typgenehmigungsverfahrens auf die Konzernmutter nicht für zulässig und sieht darin ein Organisationsverschulden. Juristische Personen sind verpflichtet, den Gesamtbereich ihrer Tätigkeit so zu organisieren, dass für alle wichtigen Aufgabengebiete, hier das zentrale Genehmigungsverfahren, ein verfassungsmäßiger Vertreter zuständig sein muss, der die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft, vgl. BGH, Urteil vom 08.07.1980, Az. VI ZR 158/78. Die Beklagte kann sich ihrer haftungsrechtlichen Verantwortung nicht dadurch entziehen, dass sie einen so elementaren Teilbereich wie das EG-Typgenehmigungsverfahren der Konzernmutter überlässt.
Tut sie dies dennoch, muss sie sich das Wissen der VW-AG von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung (von dem vorliegend auszugehen ist) entsprechend § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Denn die Beklagte schildert selbst, dass die VW-AG in ihrem Auftrag tätig geworden ist, mithin eine rechtsgeschäftliche Handlung des Vertreters vorliegt. Wer sich im rechtsgeschäftlichen Verkehr bei der Abgabe von Willenserklärungen, hier dem Antrag auf Erteilung einer EG-Typgenehmigung, eines Vertreters bedient, muss es im schutzwürdigen Interesse des Adressaten hinnehmen, dass ihm die Kenntnis des Vertreters als eigene zugerechnet wird. Oder anders ausgedrückt, wer sich zur Erledigung eigener Angelegenheiten Dritter bedient, muss sich deren Wissen zurechnen lassen, vgl. BeckOK, BGB Hau/ Poseck, 55. Edition, Stand 01.08.2020, Rn. 1 zu § 166 BGB.
cc) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass im Zulassungsverfahren die Emissionsgrenzwerte nur auf dem Rollenprüfstand geprüft werden und es ihr damals nicht möglich gewesen sei, Prüfungen im realen Fahrbetrieb vorzunehmen bzw. es damals kein Prüfverfahren gab, mit dem das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen ermittelt hätte werden können. Im Gegenteil erleichterte dies die Täuschung des Kraftfahrtbundesamts, während die Beklagte – unabhängig von den zur Verfügung stehenden Überprüfungsmöglichkeiten – jedenfalls bei der VW-AG nachfragen hätte können, wie die Motorsteuerungssoftware programmiert ist, damit die vorgeschriebenen Grenzwerte eingehalten werden können. Die Beklagte hätte sich auch ohne Weiteres von der Konzernmutter die entsprechenden Unterlagen geben lassen können. Insoweit wird nicht vorgetragen, dass man dies versucht hätte, aber von Seiten der Konzernmutter dies abgelehnt worden sei oder dass man solche Unterlagen bekommen hätte, die aber geschönt gewesen seien. Selbst das von der Beklagten vorgelegte Rechtsgutachten von Prof. Dr. G. geht auf S. 23 davon aus, dass „die Möglichkeit der Aufdeckung der Abschalteinrichtung durch die A.-eigene Entwicklungsabteilung – vermittels einer grundlegenden Prüfung der Software bzw. einer Neuentwicklung von Testverfahren – nicht vollständig ausgeschlossen werden kann…“
dd) Hinzu kommt, dass zum Zeitpunkt der Entwicklung und des Einbaus des streitgegenständlichen Motors das Spannungsverhältnis zwischen kostengünstiger Produktion und Begrenzung der Stickoxidemissionen allgemein bekannt war. Die Beklagte ist selbst Herstellerin von Dieselmotoren (nebst Steuerungstechnik), die serienmäßig in Fahrzeugen des Konzerns zum Einsatz kommen. Dass sich unter diesen Umständen kein Verantwortlicher bei der Beklagten dafür interessiert haben will, ob und wie die Konzernmutter bei dem Motor EA 189 diesen Konflikt gelöst haben könnte, erscheint nicht plausibel. Zudem hat zum damaligen Zeitpunkt der europäische Gesetzgeber das grundsätzliche Verbot unzulässiger Abschalteinrichtungen normiert, wodurch der oben beschrieben Zielkonflikt zusätzliche Bedeutung gewann.
ee) Schließlich räumt die Beklagte auch ein, dass die grundsätzliche Entscheidung in Bezug auf die Verwendung des Motors EA 189 in den Jahren 2005/2006 von dem Produkt-Strategie-Komitee getroffen worden ist, dem auch mindestens ein Vorstandsmitglied angehört hat. Dass das vorgenannte Komitee der Beklagten keine Kenntnis von den Details des Motors gehabt hat, dessen serienmäßiger Einsatz ab 2007 beschlossen worden ist, hält der Senat nicht für plausibel. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Einsatz des Motors in einer Vielzahl von Fahrzeugen angeordnet wird, der unstreitig beteiligte Vorstand sich aber bei dieser Entscheidung, die die Beklagte selbst wegen ihrer Bedeutung als „Meilenstein“ bezeichnet, nicht darüber informiert, welche Eigenschaften der Motor hat und wie es gelingt, das bekannte Problem der Einhaltung der Stickoxidwerte zu lösen. Die Beklagte trägt hier nicht einmal vor, welches Vorstandsmitglied diesem Komitee angehört hat, ob dieses in Bezug auf seinen Kenntnisstand befragt worden ist und was gegebenenfalls die Antwort war. Der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast ist die Beklagte hier nicht in ausreichendem Maß nachgekommen.
Auch die Käufer von Fahrzeugen der hiesigen Beklagten vertrauten darauf, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden und wurden darin arglistig getäuscht. Die Sittenwidrigkeit des Handelns ergibt sich aus dem nach Ausmaß und Vorgehen besonders verwerflichen Charakter der Täuschung von Kunden sowie der Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes unter Inkaufnahme nicht nur der Schädigung der Käufer, sondern auch der Umwelt allein im Profitinteresse.
e) Die subjektiven Voraussetzungen der Haftung nach § 826 BGB sind ebenfalls erfüllt. In subjektiver Hinsicht setzt § 826 BGB einen Schädigungsvorsatz sowie Kenntnis der Kausalität des eigenen Verhaltens für den Eintritt des Schadens und der das Sittenwidrigkeitsurteil begründenden tatsächlichen Umstände voraus. Der Schädigungsvorsatz enthält ein Wissens- und Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchsstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben und mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben, BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az. VI ZR 536/15.
Die Haftung einer juristischen Person nach § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB setzt zudem voraus, dass ihr „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat. Die erforderlichen Wissens- und Wollenselemente müssen dabei kumuliert bei einem solchen Vertreter vorliegen, der auch den objektiven Tatbestand verwirklicht hat, eine mosaikartige Zusammensetzung der kognitiven Elemente bei verschiedenen Personen ist hingegen nicht zulässig, vgl. BGH, Urteil vom 18.07.2019, Az. VI ZR 536/15. Darauf weist zutreffend auch das von der Beklagten vorgelegte Rechtsgutachten von Prof. Grigoleit hin, S. 15.
Der Senat geht nicht davon aus, dass eine Wissenszurechnung im Konzern die Haftung der Beklagten begründet. Der Umstand, dass die beteiligten Gesellschaften in einem Konzern verbunden sind, genügt nämlich für sich genommen nicht, um eine Wissenszurechnung zu begründen, vgl. BGH, Urteil vom 13.12.1089, Az. IV a ZR 177/88, Rn. 14, OLG Stuttgart, Urteil vom 04.09.2019, Az. 13 U 136/18).
Die Haftung der Beklagten beruht vielmehr – wie schon ausgeführt – auf ihrem eigenen deliktischen Handeln, dem von ihr zu verantwortenden Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
Im Hinblick auf den neuen Vortrag im Schriftsatz vom 16.10.2020 ist die Beklagte der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast in größerem Umfang als bisher nachgekommen, weil sie zur Organisationsstruktur, der Arbeitsorganisation, den damaligen internen Zuständigkeiten, den Berichtspflichten und den von ihr veranlassten Ermittlungen näher vorgetragen hat. Die Beklagte argumentiert allerdings damit, dass schon keine belastbaren Anhaltspunkte für eine Kenntnis der Vorstandsmitglieder im aktienrechtlichen Sinn oder von potentiellen Repräsentanten bestünden, weshalb ein vertieftes Vorgehen nicht angezeigt sei und keine Verpflichtung zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen von Seiten des Aufsichtsrats bestehe. Dies teilt der Senat aus nachfolgenden Gründen nicht. Auch die subjektiven Voraussetzungen für eine Haftung nach § 826 BGB sind erfüllt.
aa) Zur Produktion erklärt die Beklagte nunmehr, dass bereits in den Jahren 2005/2006 vom Produkt-Strategie-Komitee, dem auch mindestens ein nicht namentlich benannter Vorstand angehört hat, die grundsätzliche Entscheidung getroffen worden ist, dass in bestimmten Fahrzeugen der Beklagten der von der Konzernmutter entwickelte Motor vom Typ EA 189 eingebaut wird, was letztlich ab 2007 zu einem serienmäßigen Einsatz geführt hat. Die Beklagte behauptet dazu weiter, dass weder Organe noch Repräsentanten, nicht einmal Werksmitarbeiter der Beklagten Kenntnis von den Details des Motors, insbesondere der Software gehabt hätten, weil diese verriegelt und verschlossen gewesen sei und so vom Konzernserver in der Fertigung aufgespielt worden sei. Dies hält der Senat – wie oben bereits ausgeführt – nicht für plausibel. Es ist nicht nachvollziehbar, dass das oben genannte Komitee, dem auch mindestens ein Vorstandsmitglied der Beklagten angehört hat, den Einsatz eines Motors in eigenen Fahrzeugen befürwortet, sich aber keine Gedanken darüber macht, wie der Motor funktioniert, welche Eigenschaften er hat, und wie es gelingt, die entsprechenden Stickoxidgrenzwerte einzuhalten. Bei dem Motor handelt es sich um das Kernstück des Fahrzeugs und bei der Verwendung um eine grundlegende, eine Vielzahl von Fahrzeugen betreffende Strategieentscheidung, die mit erheblichen persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden ist. Da die Beklagte auch selbst Dieselmotoren entwickelt und die Frage, wie die gesetzlichen Grenzwerte technisch und wirtschaftlich kostengünstig eingehalten werden können, unter Kfz-Herstellern zu der damaligen Zeit ein Hauptthema war, kann nicht nachvollzogen werden, dass die Beklagte kein Interesse daran hatte, zu wissen, wie es der Mutterkonzern geschafft hat, die strengen Grenzwerte einzuhalten. Es scheint ausgeschlossen, dass die Beklagte den von der Konzernmutter entwickelten Motor ohne eigene Prüfung und Kenntnis der wesentlichen Merkmale „blind“ in ihre eigenen Fahrzeuge eingebaut hat. Es liegt vielmehr auf der Hand, dass im Unternehmen der Beklagten mindestens ein handelnder Repräsentant an der Entscheidung über die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung beteiligt war. Dies folgt schon aus der Tragweite der Entscheidung, aber auch aus den genannten Umständen.
Deshalb kann auch vorliegend – entgegen den Ausführungen im Rechtsgutachten Grigoleit, Seite 17 ff. – in Bezug auf die Frage der personalen Anknüpfung – wie es der BGH in dem Urteil vom 25.05.2020 getan hat – auf die bewusste Beteiligung eines Organmitglieds an der grundlegenden strategischen Entscheidung abgestellt werden.
bb) Die Beklagte kann sich nicht darauf zurückziehen, dass sie den Motor samt Software nur als externes Produkt von der VW-AG zugekauft hat und dieser vertrauen durfte. Der Bundesgerichtshof hat in der von der Beklagten zitierten Entscheidung vom 03.06.1975, Az. VI ZR 192/73, ausgeführt, dass einem Unternehmer, der für die von ihm hergestellten Geräte vorgefertigte Einbauteile verwendet, grundsätzlich die Sorgfaltspflichten eines Herstellers obliegen. Davon kann es zwar Ausnahmen geben, wovon hier allerdings schon wegen der Bedeutung des Motors für das Fahrzeug keine Rede sein kann. Die Beklagte durfte sich vorliegend nicht allein auf die fachliche Betriebserfahrung ihrer Konzernmutter und deren durchgeführte Prüfungen verlassen. Sie hätte vielmehr die konkreten Eigenschaften bei der VW-AG erfragen müssen und sich selbst von der mangelfreien Beschaffenheit des Motors im Hinblick auf ihre eigene Verantwortlichkeit im EG-Typgenehmigungsverfahren überzeugen müssen. Der Auffassung von Prof. Dr. G. auf Seite 22 ff. des Gutachtens folgt der Senat aus den obigen Gründen nicht.
Was das Zulassungsverfahren betrifft, zu dem die Beklagte vorträgt, dass hier nur Mitarbeiter der VW-AG gehandelt hätten, wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Die Beklagte hat gegenüber der EG-Typgenehmigungsbehörde eine eigene Erklärung abgegeben und zumindest konkludent erklärt, dass die dem Technischen Dienst von der VW-AG vorgestellten Fahrzeuge keine unzulässigen Abschalteinrichtungen enthalten und den Gesetzen entsprechen. Da dies tatsächlich nicht zutraf, ist das Verhalten der Beklagten als vorsätzlich zu bewerten, weil die Folgen des Handelns bewusst in Kauf genommen worden sind. Selbst wenn man dies nicht so sehen wollte, hält der Senat aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte die Durchführung des EG-Typgenehmigungsverfahrens vollständig und ohne weitere Kontrolle der Konzernmutter überlassen hat, eine Zurechnung des bei der VW-AG zweifelsfrei vorhandenen Täuschungs- und Schädigungsvorsatzes entsprechend § 31 BGB für gerechtfertigt.
f) Auf der Basis der getroffenen Feststellungen ist damit von einem Schädigungsvorsatz der handelnden Personen auszugehen, die von den sittenwidrigen, strategischen Unternehmensentscheidungen Kenntnis hatten. Nicht nur der objektive Tatbestand, sondern auch sämtliche für den Vorsatz nach § 826 BGB erforderlichen Wissens- und Wollenselemente sind damit bei den entsprechenden Entscheidungsträgern verwirklicht. Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in eigener oder zurechenbarer Kenntnis der Funktionsweise der Software ihren serienmäßigen Einsatz in Motoren anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.
3. Der Anspruch des Klägers ist auch nicht verjährt. Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Hier hat der Kläger nicht bereits im Jahr 2015, sondern erst im Jahr 2016 Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs erlangt (a). Seine Unkenntnis im Jahr 2015 war auch nicht grob fahrlässig (b). Im Einzelnen:
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorhanden, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB stellt nur auf die Kenntnis der tatsächlichen Umstände ab, mithin des Lebenssachverhalts, der die Grundlage des Anspruchs bildet. Dabei ist weder notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Die erforderliche Kenntnis ist vielmehr bereits vorhanden, wenn die dem Geschädigten bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners als naheliegend erscheinen zu lassen. Es muss dem Geschädigten lediglich zumutbar sein, aufgrund dessen, was ihm hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs bekannt ist, Klage zu erheben, wenn auch mit dem verbleibenden Prozessrisiko, insbesondere hinsichtlich der Nachweisbarkeit von Schadensersatz auslösenden Umständen. Die dreijährige Verjährungsfrist gibt dem Geschädigten dann noch hinreichende Möglichkeiten, sich für das weitere Vorgehen noch sicherere Grundlagen, insbesondere zur Beweisbarkeit seines Vorbringens, zu verschaffen (BGH, Urteil vom 17.12.2020, Az. VI ZR 739/20 m.w.N.).
Aus der Regelung des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, die nur auf die Kenntnis der den Anspruch begründenden tatsächlichen Umstände abstellt, ergibt sich, dass das Risiko der fehlerhaften rechtlichen Bewertung eines Sachverhalts vom Gesetz grundsätzlich dem Anspruchsinhaber auferlegt wird. Nicht erforderlich ist also in der Regel, dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht.
Im vorliegenden Fall fehlt es an einer Kenntnis des Klägers im Jahr 2015, da dieser damals noch nicht wusste, dass er zu den Geschädigten des Abgasskandals zählt. Der Senat teilt in diesem Zusammenhang allerdings nicht die Auffassung des Landgerichts, dass die Beklagte Behauptungen zu einer Kenntnis des Klägers ins Blaue hinein gemacht hat und diese jeden Bezug zur Klagepartei vermissen ließen. Vielmehr trägt der Kläger eine sekundäre Darlegungslast bezüglich des Zeitpunkts der Kenntniserlangung. Die Annahme einer sekundären Darlegungslast setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die nähere Darlegung dem Behauptenden nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 18.01.2018, Az. I ZR 150/15). Dies ist hier in Bezug auf die Kenntnis des Klägers der Fall. Der Beklagten ist es nicht möglich, hierzu nähere Angaben zu machen.
Der Kläger hat seiner sekundären Darlegungslast allerdings genügt und im Rahmen seiner Anhörung durch das Landgericht in der mündlichen Verhandlung vom 24.09.2019 (Protokoll Bl. 306 ff d.A) zur Überzeugung des Landgerichts dargelegt, dass er im Jahr 2015 noch keine Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs gehabt hat. Die Ausführungen des Landgerichts hierzu sind in sich stimmig und nachvollziehbar. Der Kläger hatte angegeben, erst durch das Anschreiben von A. im Februar 2016 von der Betroffenheit seines Fahrzeugs erfahren zu haben. Weiter hat er vorgetragen, nicht sehr internetaffin zu sein und nicht im Internet überprüft zu haben, ob sein Fahrzeug von der Umschaltlogik betroffen ist. Er habe zwar 2015 von den Problemen von VW gehört, aber damals nicht zugeordnet, dass auch A. betroffen sein könnte. Der Senat schließt sich der Wertung des Landgerichts an. Die Beklagte hat zwar bereits in erster Instanz dargelegt, wie umfassend die Öffentlichkeit durch die Medien informiert wurde. Dies mag genügen, soweit es allgemein um die Problematik einer sittenwidrigen Schädigung von Kunden geht, damit geht jedoch nicht automatisch auch die positive Kenntnis eines Käufers einher, selbst zum Kreis der Geschädigten und potentiellen Anspruchsteller zu gehören.
b) Das Landgericht hat auch zutreffend eine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Betroffenheit seines Fahrzeugs verneint. Aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17.12.2020 ergibt sich nichts zu der Frage, ob/wann in den Abgasfällen eine grob fahrlässige Unkenntnis zu bejahen ist. Der Senat teilt insoweit nicht die teilweise vertretene Auffassung, dass der Verjährungsbeginn regelmäßig mit dem unstreitigen Zeitpunkt des allgemeinen Bekanntwerdens des „Dieselskandals“ übereinstimmt, weil über die der Beklagten vorgeworfene Täuschung ab Herbst 2015 umfassend in sämtlichen Medien berichtet wurde und damit einem in Deutschland lebenden Kunde des Konzerns jedenfalls grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB vorzuwerfen wäre. Grob fahrlässige Unkenntnis ist zu bejahen, wenn die Unkenntnis des Gläubigers darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen (BGH NJW-RR 2009, 544). Dies ist hier nicht der Fall. Wer ein Fahrzeug zu kaufen beabsichtigt, informiert sich regelmäßig über die Eigenschaften des Fahrzeugs. Ist das Fahrzeug aber einmal gekauft, ist das Thema häufig erst einmal erledigt und es besteht, außer bei Mängeln, kein Anlass, bestimmte Eigenschaften zu hinterfragen. Nach gefestigter Rechtsprechung besteht für den Gläubiger keine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten (BGH, NJW-RR 2010, 681 Rz. 14, betreffend Arzthaftung). Gründe, weswegen dies vorliegend anders zu beurteilen wäre, sind nicht ersichtlich. Im vorliegenden Fall fuhr der Kläger das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens des Abgasskandals bereits mehrere Jahre. Er wechselte also nicht ständig das Fahrzeug und hatte damit auch keine Veranlassung, sich fortlaufend auf dem Fahrzeugmarkt zu informieren. Es waren auch nicht alle Dieselfahrzeuge der Beklagten bzw. des VW-Konzerns betroffen, sondern nur solche mit einem EA-189-Motor. In der Regel kennt ein Kunde die technische Bezeichnung des Motors in seinem Wagen nicht, es drängt sich damit für ihn auch nicht sofort auf, dass sein Wagen vom Abgasskandal betroffen ist. Erforderlich ist vielmehr eine aktive Recherche, um die Betroffenheit in Erfahrung zu bringen. Auch der Kläger musste nicht von sich aus davon ausgehen, dass sein Fahrzeug über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Auch wenn eine Nachfrage, wie die Beklagte ausführt, einfach und kostenlos war, besteht in dieser Situation keine Obliegenheit des Klägers nachzuforschen, ob sein Fahrzeug von der Abgasmanipulation betroffen war, zumal der Kläger angegeben hat, nur wenig im Internet zu recherchieren. Es ist nicht als grob fahrlässig zu qualifizieren, wenn der Kläger diese Überprüfung in den verbleibenden Monaten des Jahres 2015 unterließ und bis zum Erhalt des Benachrichtigungsschreibens davon ausging, dass es bei seinem Fahrzeug nicht zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist.
4. Die Beklagte hat gemäß §§ 826, 31, 249 ff. BGB dem Kläger sämtliche aus der sittenwidrigen Schädigung resultierende Schäden zu ersetzen.
Der Kläger kann damit den von ihm aufgewendeten Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des erlangten Fahrzeugs an die Beklagte zurückverlangen. Er muss sich aber dasjenige anrechnen lassen, was ihm durch das schädigende Ereignis zugeflossen ist. Dass die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auch bei einem Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB anzuwenden sind, hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, ausdrücklich bestätigt, Rn. 66 ff. Er hat auch ausgeführt, dass dem keine europarechtlichen Normen entgegenstehen. Der Senat nimmt auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs Bezug, aaO, Rn. 73 ff. Geklärt ist mit dieser Entscheidung weiter, dass die grundsätzlich vom Landgericht vorgenommene lineare Berechnungsweise nach der Formel Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer / Restlaufleistung keinen rechtlichen Bedenken unterliegt und die Höhe der gezogenen Vorteile nach § 287 ZPO geschätzt werden kann. Die zu erwartende Gesamtlaufleistung schätzt der Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens gemäß § 287 ZPO wie das Landgericht auf 300.000 km.
Vorliegend hat der Kläger ein Neufahrzeug erworben; zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hatte es unstreitig einen Kilometerstand von 75.282 km. Unter Zugrundelegung des Kaufpreises von 45.850,00 € ergibt sich damit eine Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer in Höhe von 11.437,85 €. Es verbleibt somit ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 34.142,15 €.
4. Dem Kläger stehen Zinsen ab Rechtshängigkeit zu, §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Das Schreiben vom 14.01.2019 ist nicht geeignet, einen Schuldnerverzug der Beklagten zu begründen, weil der Abzug einer Nutzungsentschädigung zwar im Schreiben angesprochen wird, ein Kilometerstand aber nicht mitgeteilt worden ist. Es verbleibt es damit bei der Geltendmachung einer Zahlung von 45.850 €, was deutlich über dem berechtigten Anspruch (ausgeurteilt wurden 35.135,01 €) liegt, so dass von einer relevanten Zuvielforderung auszugehen ist. Die Beklagte wäre nur dann in Schuldnerverzug geraten, wenn seitens des Klägers die ihm obliegende Gegenleistung ordnungsgemäß angeboten worden wäre, vgl. BGH aaO, Rn. 85. Zinsen waren daher ab Rechtshängigkeit, mithin ab 14.06.2019 zuzusprechen.
5. Die Entscheidung des Landgerichts zu den zugesprochenen Rechtsanwaltskosten begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Der Kläger kann die Zahlung der anfallenden außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Teil des Schadens nach § 826, 249 ff. BGB verlangen. Der Anspruch besteht in der vom Landgericht zugesprochenen Höhe. Die Beklagte hat dem Kläger die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in der ausgeurteilten Höhe zu erstatten, weil sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich und zweckmäßig waren. Angesichts der sich stellenden Rechtsfragen ist es nicht zu beanstanden, wenn sich der Kläger anwaltlich vorab hat beraten lassen und zunächst mit anwaltlicher Hilfe versucht hat, vorgerichtlich eine gütliche Einigung zu erzielen. Da sich die Beklagte im Lauf der Zeit auch auf außergerichtliche Lösungen eingelassen hat, musste ein betroffener Käufer nicht von vornherein davon ausgehen, dass ein anwaltliches Aufforderungsschreiben zwecklos ist. Die Frist von nur einer Woche ist zwar kurz bemessen, genügt aber, auch im Hinblick auf die erst einige Monate später erhobene Klage, noch, dass nicht von einem unbedingten Klageauftrag ausgegangen werden muss, der einen Anspruch entfallen ließe.
III.
Die Kostenquote entspricht dem jeweiligen Obsiegen bzw. Unterliegen der Parteien, §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Dabei war für die erste Instanz von einem Streitwert von 45.850 € auszugehen, da sich die Klagepartei zunächst trotz der Aufnahme eines Abzugs für Nutzungsentschädigung im Klageantrag gegen jegliche Berücksichtigung der gezogenen Nutzungen verwahrt hat (vgl. Bl. 77 ff d.A.). Erst im Termin wurde die Kilometerleistung angegeben und ein entsprechender Abzug gemacht. Maßgeblich für den Streitwert der ersten Instanz ist jedoch die Klageschrift. Bei der Kostenquote erster Instanz wurden zudem die unberechtigt geltend gemachten Deliktszinsen unter Zugrundelegung eines fiktiven Streitwertes zu Lasten des Klägers berücksichtigt. In der Berufungsinstanz wurde wegen des geringen Unterschieds zwischen gefordertem und zugesprochenen Betrag auf eine Quotelung verzichtet.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, Nr. 711 ZPO.
Die Revision ist gemäß § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Einige wesentliche Punkte sind zwar durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 und 17.12.2020 geklärt, offen und in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte kontrovers beurteilt werden jedoch die Fragen, ob die Beklagte Audi AG als Herstellerin der von ihr in den Verkehr gebrachten Fahrzeuge haftet, sowie die Frage, ob Verjährung wegen grob fahrlässiger Unkenntnis zu bejahen ist.


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