Europarecht

Statthaftigkeit eines Normenkontrollantrags gegen eine bei Erhebung des Antrags bereits außer Kraft getretene Verordnung

Aktenzeichen  20 N 20.1117

Datum:
12.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 28906
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47
BayIfSMV § 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.     
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.     
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1. Der Antrag ist unzulässig, weil bei Erhebung des Normenkotrollantrags die angegriffene Norm bereits außer Kraft getreten war.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entzieht das Außerkrafttreten der zur Prüfung gestellten Norm dem Normenkontrollantrag grundsätzlich seinen Gegenstand. § 47 Abs. 1 VwGO geht von dem Regelfall einer noch gültigen Norm als Gegenstand des Normenkontrollantrags aus. Ein Normenkontrollantrag kann allerdings auch trotz Außerkrafttretens der angegriffenen Rechtsnorm zulässig bleiben, wenn in der Vergangenheit liegende Sachverhalte noch nach ihr zu entscheiden sind oder wenn während des Normenkontrollverfahrens eine auf kurzfristige Geltung angelegte Norm etwa wegen Zeitablaufs außer Kraft getreten ist. Das Außerkrafttreten der Norm allein lässt den zulässig gestellten Normenkontrollantrag nicht ohne weiteres zu einem unzulässigen Antrag werden, wenn die Voraussetzung der Zulässigkeit nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO fortbesteht, nämlich, dass der Antragsteller durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung einen Nachteil erlitten hat (BVerwG, U.v. 29.6.2001 – 6 CN 1.01 – juris Rn. 10).
Ist die Norm jedoch bei Stellung des Normenkontrollantrags bereits außer Kraft getreten, kommt eine nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO anerkennenswerte Beschwer nur dann in Betracht, wenn die aufgehobene Rechtsvorschrift noch Rechtswirkungen zu äußern vermag, weil in der Vergangenheit liegende Sachverhalte noch nach dieser Rechtsvorschrift zu entscheiden sind. Es muss sich aber dann um einen Nachteil handeln, der unmittelbar durch die Anwendung oder den Vollzug der aufgehobenen Rechtsvorschrift eintritt. Sonstige durch die Rechtsvorschrift verursachte Nachteile, die nicht durch deren Anwendung im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO eintreten, müssen außer Betracht bleiben (BVerwG, B.v. 14.7.1978 – 7 N 1.78 – BVerwGE 56, 172 = juris Rn. 11; B.v. 25.2.1993 – 4 NB 18/92 – juris Rn. 9; vgl. auch Ziekow in NK-VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 72 m.w.N.). Ein solcher Nachteil, der der Antragstellerin durch die Anwendung der bei Antragstellung bereits außer Kraft getretenen Bestimmung entstehen könnte, ist jedoch nicht erkennbar. Aus § 2 BayIfSMV ergeben sich seit dem 20. April 2020 keine unmittelbaren Rechtsfolgen mehr. Die Regelungswirkung des § 2 BayIfSMV bestand allein in der Untersagung des Betriebs verschiedener Einrichtungen und Unternehmen für die Dauer der Geltungszeit und ist mit Außerkrafttreten der angegriffenen Verordnung mit Ablauf des 19. April 2020 vollständig entfallen. Dass im direkten Anschluss daran mit Wirkung zum 20. April 2020 eine – teilweise inhaltsgleiche – Norm in Kraft getreten ist (vgl. § 2 2. BayIfSMV vom 16.4.2020, GVBl. 2020 S. 214), die die belastenden Rechtswirkungen aufrecht erhalten hat, ändert hieran nichts. Die unmittelbare Ersetzung der angegriffenen Norm durch eine andere belegt vielmehr, dass eine Fortdauer der Regelungswirkung des § 2 BayIfSMV über den 19. April 2020 hinaus nicht – auch nicht für einen Übergangszeitraum – in Betracht kommt.
Von diesem – die Statthaftigkeit des Antrags betreffenden – Gesichtspunkt zu unterscheiden ist die weiterführende Frage, ob ein Interesse an der nachträglichen Feststellung der Ungültigkeit bestehen kann, wenn die streitige Rechtsverordnung während eines anhängigen Normenkontrollverfahrens außer Kraft getreten ist (vgl. BVerwG, B.v. 2.9.1983 – 4 N 1.83 – BVerwGE 68, 12; B.v. 14.6.2018 – 3 BN 1.17 – juris; BVerfG, B. v. 15.7.2020 – 1 BvR 1630/20 – juris Rn 9). Das ist hier jedoch gerade nicht der Fall, da die Antragstellerin ihren Antrag erst zu einem Zeitpunkt gestellt hat, als die angegriffene Norm bereits seit 23 Tagen nicht mehr in Kraft war. Deshalb vermag die Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen und eine Wiederholungsgefahr einen solchen Nachteil nach dem Außerkrafttreten der streitigen Norm nicht zu begründen. Der streitgegenständliche Normenkontrollantrag ist unstatthaft und damit unzulässig.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG.
3. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Frage, ob außer Kraft getretene Normen Gegenstand einer Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 VwGO sein können, in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt ist.


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