Europarecht

Stundung eines Erschließungsbeitrags

Aktenzeichen  6 ZB 20.2607

Datum:
13.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 981
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 135 Abs. 4
BayKAG Art. 5a Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 Nr. 5a
AO § 228

 

Leitsatz

1. Begünstigt durch eine Stundung nach § 135 Abs. 4 BauGB wird grundsätzlich nur derjenige Beitragsschuldner, der selbst Landwirtschaft betreibt; hat er das Grundstück verpachtet oder gar bereits einem Dritten übertragen, kommt eine zinslose Stundung nicht in Betracht. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein gemeindlicher Bescheid, mit dem der Erschließungsbeitrag entsprechend dem gesetzlichen Wortlaut des § 135 Abs. 4 BauGB „solange gestundet wurde, wie das Grundstück zur Erhaltung der Wirtschaftlichkeit des landwirtschaftlichen Betriebs genutzt werden muss“, büßt seine Wirksamkeit automatisch in dem Zeitpunkt ein, in dem diese Voraussetzung wegfällt. Eines besonderen Aufhebungsbescheids bedarf es dazu nicht, vielmehr kommt es allein auf den objektiven Wegfall der Voraussetzung für die Stundung an. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 11 K 19.603 2020-09-29 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. September 2020 – RN 11 K 19.603 – wird abgelehnt.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 33.890,16 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Beklagten, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts in seinem stattgebenden Teil zuzulassen, hat keinen Erfolg. Die innerhalb der Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils in seinem stattgebenden Teil bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dieser Zulassungsgrund wäre begründet, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
a) Mit Bescheiden vom 2. November 2005 hatte der beklagte Markt die Klägerinnen für die in ihrem Miteigentum stehenden Grundstücke FlNr. …8 und …9 für die Herstellung der „Erschließungseinheit I.straße“ jeweils zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 16.945,08 € herangezogen. Gleichzeitig war der Erschließungsbeitrag gemäß § 135 Abs. 4 BauGB zinslos gestundet worden, „solange das Grundstück von Ihnen landw. genutzt wird und in Ihrem Eigentum ist. Änderungen sind dem Markt mitzuteilen“. Auf Anfrage des Beklagten, ob die Stundungsvoraussetzungen noch vorliegen, teilten die Klägerinnen unter Vorlage eines wiederholt verlängerten Pachtvertrags vom 16. Januar 1997 mit, dass die Grundstücke – nach wie vor – von ihrem Cousin bewirtschaftet würden. Daraufhin widerrief der Beklagte mit Bescheiden vom 5. Juni 2012 die Stundungen und verlangte die Zahlung der festgesetzten Beträge. Dem kamen die Klägerinnen zunächst nach. Unter dem 30. Januar 2015 forderten sie von dem Beklagten die Rückzahlung mit der Begründung, sie hätten ohne Rechtsgrund gezahlt, weil die Stundungsvoraussetzungen von Anfang an nicht vorgelägen hätten, die Stundung deshalb keine Wirkung entfaltet habe und bei Anforderung der Erschließungsbeiträge bereits Zahlungsverjährung eingetreten sei.
Nachdem der Beklagte die Rückzahlung abgelehnt und die Widersprüche hiergegen erfolglos geblieben waren, erhoben die Klägerinnen Klage, der das Verwaltungsgericht im Wesentlichen stattgab. Es hat mit dem angegriffenen Urteil vom 29. September 2020 den Beklagten unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids und des Widerspruchsbescheids verpflichtet, den durch die Klägerinnen bezahlten Erschließungsbeitrag in Höhe von 33.890,16 € an diese als Gesamtgläubigerinnen zurückzuerstatten und den Rückzahlungsbetrag mit zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB jährlich seit 1. April 2019 zu verzinsen. Soweit die Klägerinnen darüber hinaus eine Verzinsung seit dem 10. Juli 2012 beansprucht haben, hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.
b) Der Zulassungsantrag des Beklagten hält dem erstinstanzlichen Urteil in seinem stattgebenden Teil nichts Stichhaltiges entgegen, das Zweifel an seiner Richtigkeit begründet und weiterer Prüfung in einem Berufungsverfahren bedarf.
(1) Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, den Klägerinnen stehe der geltend gemachte Erstattungsanspruch zur Seite, weil die mit Bescheiden vom 2. November 2005 festgesetzten Beitragsforderungen des Beklagten bereits durch Zahlungsverjährung (Art. 13 Abs. 1 Nr. 5a KAG i.V.m. § 228 AO) erloschen gewesen seien. Dies hat es in Anknüpfung an die Senatsrechtsprechung tragend darauf gestützt, dass die zusammen mit den Beitragsfestsetzungen ausgesprochenen Stundungen nach § 135 Abs. 4 BauGB keine Rechtswirkungen entfaltet haben, weil die gesetzlichen Stundungsvoraussetzungen von Anfang an nicht vorgelegen haben. Dem hält der Zulassungsantrag nur seine gegenteilige Bewertung entgegen, ohne damit weiteren Klärungsbedarf aufzuzeigen.
Werden Grundstücke landwirtschaftlich oder als Wald genutzt, ist der Beitrag gemäß § 135 Abs. 4 Satz 1 BauGB (hier in der Fassung vom 23.9.2004) so lange zinslos zu stunden, wie das Grundstück zur Erhaltung der Wirtschaftlichkeit des landwirtschaftlichen Betriebs genutzt werden muss. Satz 1 gilt auch für die Fälle der Nutzungsüberlassung und Betriebsübergabe an Familienangehörige im Sinn des § 15 AO (§ 135 Abs. 4 Satz 2 BauGB). Begünstigt wird grundsätzlich nur derjenige Beitragsschuldner, der selbst Landwirtschaft betreibt. Hat er das Grundstück verpachtet oder gar bereits einem Dritten übertragen, kommt eine zinslose Stundung nicht in Betracht (Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 19 Rn. 10).
Nach den unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts lagen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Stundung wegen landwirtschaftlicher Nutzung bei Erlass der Beitrags- und Stundungsbescheide vom 2. November 2005 nicht vor. Die Klägerinnen hatten bereits Jahre zuvor den ursprünglich von ihren Eltern geführten landwirtschaftlichen Betrieb aufgegeben. Die Grundstücke waren seit dem 1. Januar 1997 an Herrn Z., ihren Cousin, verpachtet; dieser gehört nicht zu den Familienangehörigen im Sinn von § 15 AO.
Der Senat hat bereits entschieden, dass ein gemeindlicher Bescheid, mit dem der Erschließungsbeitrag entsprechend dem gesetzlichen Wortlaut des § 135 Abs. 4 BauGB „solange gestundet wurde, wie das Grundstück zur Erhaltung der Wirtschaftlichkeit des landwirtschaftlichen Betriebs genutzt werden muss“, seine Wirksamkeit automatisch in dem Zeitpunkt einbüßt, in dem diese Voraussetzung wegfällt. Eines besonderen Aufhebungsbescheids bedarf es dazu nicht; es kommt allein auf den objektiven Wegfall der Voraussetzung für die Stundung an (BayVGH, B.v. 25.1.2013 – 6 B 12.355 – juris Rn. 21; Driehaus in Berliner Kommentar, BauGB, § 135 Rn. 27; Schmitz, Erschließungsbeiträge, § 19 Rn. 11). Entsprechendes gilt in der vorliegenden Fallkonstellation. Zunächst ist das Verwaltungsgericht zu Recht – und insoweit unwidersprochen – davon ausgegangen, dass der Stundungsbescheid des Beklagten die gesetzlichen Stundungsvoraussetzungen des § 135 Abs. 4 BauGB zwar nicht wörtlich, aber sinngemäß ohne Einschränkung aufgenommen hat. Weiter hat es mit überzeugender Begründung ausgeführt, dass der Stundungsbescheid von Anfang an keine Wirkungen entfaltet, wenn die Voraussetzungen des § 135 Abs. 4 BauGB – wie im vorliegenden Fall – von Anfang an objektiv nicht vorliegen. Ein solcher Stundungsbescheid geht gleichsam ins Leere. Ihm kann daher entgegen der Auffassung des Beklagten keine Tatbestandswirkung zukommen. Es bedarf folglich keines besonderen Aufhebungsbescheids oder einer Rücknahme oder eines Widerrufs der Stundung, um den Erschließungsbeitrag fällig zu stellen.
Das Verwaltungsgericht hat vor diesem Hintergrund zu Recht entschieden, dass der Beginn der Zahlungsverjährungsfrist nicht aufgrund der mit Bescheiden vom 2. November 2005 ausgesprochenen Stundungen hinausgeschoben worden und keine Unterbrechung der Zahlungsverjährungsfrist erfolgt ist.
(2) Der Beklagte kann dem Erstattungsanspruch der Klägerinnen nicht mit Erfolg „Kenntnis der Nichtschuld“ im Sinn des § 814 BGB oder treuwidriges Verhalten entgegensetzen.
Nach den unwidersprochenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts wurden die Stundungen von Amts wegen ausgesprochen. Es gibt keine Anhaltspunkte für die Vermutung, die Klägerinnen könnten sie durch unvollständige oder gar falsche Angaben herbeigeführt haben. Ebenso wenig spricht etwas für die Annahme, die Klägerinnen hätten die Rechtslage von Anfang an erkannt oder jedenfalls bei Zahlung der vom Beklagten angeforderten Erschließungsbeiträge gewusst, dass bereits Zahlungsverjährung eingetreten ist und sie ohne Rechtsgrund leisten. Im Gegenteil deutet alles darauf hin, dass sich sowohl der Beklagte als auch die Klägerinnen bei Erlass der Bescheide vom 2. November 2005 im Rechtsirrtum über die einzelnen Stundungsvoraussetzungen des § 135 Abs. 4 BauGB befanden. Die Klägerinnen hatten nach Aktenlage keinen Anlass zur Annahme, die Verpachtung der – weiterhin landwirtschaftlich genutzten – Grundstücke im Jahr 1997 sei von Bedeutung und dem Beklagten mitzuteilen oder gar nachzumelden. Erst recht kann ihnen nicht zum Vorwurf gemacht werden, sie hätten die rechtswidrige Stundung von Anfang an „sehenden Auges“ erwirkt. Das gilt umso mehr, als von Seiten des Beklagten die gesetzlichen Stundungsvoraussetzungen wohl nicht ausreichend ermittelt, jedenfalls aber nicht dokumentiert und in den Bescheiden vom 2. November 2005 den Klägerinnen gegenüber auch nicht hinreichend klargestellt worden sind.
2. Die Rechtssache weist aus diesen Gründen keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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