Europarecht

Tierhaltungs- und Betreuungsverbot

Aktenzeichen  M 23 K 21.1107

Datum:
16.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 23279
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
TierSchG § 16a Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.     
Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage war sachdienlich als gegen den Bescheid vom 8. Februar 2021 gerichtete Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO auszulegen (§§ 88, 86 Abs. 1 VwGO). Auch wenn die Klägerin mehrmals darauf verwiesen hatte, an sich ihre fortgenommenen Tiere zurückerhalten zu wollen, war ihre Klage sachdienlich nicht im Sinne einer auf eine solche Rückgabe gerichtete allgemeine Leistungsklage auszulegen, denn einer solchen Klage stünde bereits von vornherein die entgegenstehende Rechtskraft des Urteils vom 28. Oktober 2020 im Verfahren M 23 K 20.3732 und in der Folge die entgegenstehende Bestandskraft des Bescheids vom 18. August 2020 entgegen. Das Verwaltungsgericht hatte bereits im Verfahren M 23 K 20.3732 den dort enthaltenen Klageantrag auf Herausgabe der fortgenommenen Tiere und auch die gegen die dauerhafte Fortnahme der Tiere gerichtete Klage rechtskräftig abgewiesen. Damit ist auch die vom Landratsamt angeordnete Veräußerung rechtskräftig bestätigt.
Die Unzulässigkeit einer solchen Leistungsklage ergäbe sich überdies daraus, dass eine Rückgabe der fortgenommenen Tiere mit der – unter behördlicher Ausübung der rechtskräftigen Veräußerungsanordnung vom 10. August 2020 – am 28. Oktober 2020 erfolgten Eigentumsübertragung nicht möglich ist, die Klägerin ein auf Rückgabe gerichtetes Rechtschutzbegehr folglich nicht erreichen kann. Denn mit der damit einhergehenden zivilrechtlichen Eigentumsübertragung ist die Eigentumslage endgültig herbeigeführt (vgl. VG München, U.v. 5.1.2021 – M 23 K 20.4728 – unveröffentlicht; VG Düsseldorf, U.v. 18.10.2016 – 23 L 1756/16 – juris Rn. 26.).
Eine damit einzig in Betracht kommende Anfechtungsklage gegen den streitgegenständlichen Bescheid hat indes keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, ist aber in der Sache unbegründet.
Für die Anfechtungsklage fehlt es zwar (noch) nicht am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis (vgl. hierzu; BayVGH, B.v. 18.5.2021 – 23 ZB 21.351 – juris Rn. 9). Auch wenn die Klägerin in der mündlichen Verhandlung kundgetan hatte, eine Aufnahme weiterer Tiere (zunächst) nicht zu beabsichtigen, so hat sich doch zum Ausdruck gebracht, dies für die nächsten Jahre nicht auszuschließen zu wollen.
Das in der Hauptsache ausschließlich zur gerichtlichen Überprüfung stehende Haltungs- und Betreuungsverbot ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Soweit das Landratsamt ein Nachstell- und Zuchtverbot “angeordnet” hat, geht dieses gänzlich im Haltungs- und Betreuungsverbot auf und folglich nicht darüber hinaus, sodass diesem kein eigenständiger Regelungsgehalt, sondern allenfalls klarstellende Bedeutung zukommt. Dies kommt im Bescheid auch mit den Worten “Dies bedeutet…” hinreichend deutlich zum Ausdruck.
Das Gericht folgt der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht von einer über die nachfolgenden Erwägungen hinausgehenden eigenständigen Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Nach § 16a Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 TierSchG trifft die zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Sie kann insbesondere demjenigen, der den Vorschriften des § 2 TierSchG wiederholt oder grob zuwidergehandelt und dadurch den von ihm gehaltenen oder betreuten Tieren erhebliche oder länger anhaltende Schmerzen oder Leiden oder erhebliche Schäden zugefügt hat, das Halten oder Betreuen von Tieren einer bestimmten oder jeder Art untersagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er weiterhin derartige Zuwiderhandlungen begehen wird. Eine Untersagung steht dann im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (vgl. BVerwG, B.v. 9.12.2016 – 3 B 34.16 – juris Rn. 7).
Hierbei ist zur Beurteilung der materiellen Rechtmäßigkeit der nach § 16a Abs. 1 Satz TierSchG getroffenen tierschutzrechtlichen Anordnungen – der gesetzgeberischen Wertung des § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Hs. 2 TierSchG folgend – auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen (OVG Lüneburg, U.v. 20.4.2016 – 11 LB 29/15 – juris Rn. 35 m.w.N.; VG München, U.v. 6.7.2016 – M 23 K 16.315 – juris Rn. 38), vorliegend also auf den Bescheiderlass am 8. Februar 2021.
Hinsichtlich der Frage, ob den Vorschriften des § 2 TierschG, einer Anordnung nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierschG oder einer Rechtsverordnung nach § 2a TierschG wiederholt oder grob zuwidergehandelt wurde und dadurch den Tieren erhebliche oder länger anhaltende Schmerzen oder Leiden oder erhebliche Schäden zugefügt wurden, kommt den beamteten Tierärzten von Gesetzes wegen (vgl. § 15 Abs. 2, § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Hs. 1 TierschG) eine vorrangige Beurteilungskompetenz zu. Ein durch den Amtsveterinär erstelltes Gutachten ist grundsätzlich ausreichend und maßgeblich dafür, einen Verstoß gegen die Grundpflichten zur artgerechten Tierhaltung nach § 2 TierschG nachzuweisen (vgl. BVerwG, B.v. 2.4.2014 – 3 B 62.13 – juris Rn. 10). Durch schlichtes Bestreiten können amtstierärztliche Feststellungen deshalb nicht in Zweifel gezogen, geschweige denn widerlegt werden. Erforderlich ist vielmehr und allenfalls eine konkrete Darlegung, dass das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, unauflösliche Widersprüche aufweist oder im Hinblick auf die getroffenen Feststellungen und deren Herleitung und Begründung unvollständig ist (vgl. Lorz/Metzger, TierschG, 7. Auflage 2019, § 15 Rn. 18; BayVGH, B.v. 18.5.2021 – 23 ZB 21.351 – juris Rn. 6).
Unter Anwendung dieser Grundsätze sind die gesetzlichen Voraussetzungen für die Fortnahme der Tiere auf Basis der amtstierärztlichen Feststellungen erfüllt. Denn die tierschutzrechtlichen Anforderungen des § 2 Nr. 1 bis 3 TierSchG (betreffend tierärztlicher Versorgung, Ernährung, Pflege und verhaltensgerechter Unterbringung usw.) wurden nachhaltig nicht eingehalten und gingen ausweislich der veterinärfachlichen Stellungnahme mit erheblichen Leiden und Scherzen einher. Insoweit nimmt das Gericht auf die in der veterinärfachlichen Stellungnahme getroffenen und dem streitigen Bescheid zugrunde gelegten Feststellungen und Ausführungen, an deren Richtigkeit und Nachvollziehbarkeit zu zweifeln das Gericht (weiterhin) keinen Anlass hat, Bezug und legt sie seiner Entscheidung zugrunde.
Den im veterinärfachlichen Gutachten vom 4. August 2020 getroffenen Feststellungen zu den erheblichen tierschutzrechtlichen Verstößen ist die Klägerin (weiterhin) nicht substantiiert entgegengetreten. Die von der Klägerin persönlich im gerichtlichen Verfahren schriftsätzlich vorgebrachten und im Verwaltungsverfahren (wiederholt und gleichlautend; vgl. Bl. 234 ff) vorgelegten Stellungnahmen zu den Haltungsbedingungen sind bereits im Ausgangsverfahren M 23 K 20.3732 gewürdigt worden. Hierzu hatte das Gericht bereits ausgeführt, dass diese zur Widerlegung der veterinärfachlichen Feststellungen ungeeignet sind, “zumal sie sich einerseits nicht mit den zuvor und konkret am … Juli 2020 festgestellten Haltungsbedingungen auseinandersetzen und andererseits gerade im Hinblick auf die Einhaltung der Pflege und Hygiene überaus pauschal gehalten sind. Die […] Klägerin lässt sogar eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem veterinärfachlichen Gutachten in Gänze vermissen, nachdem sie hiervon nach eigenen Angaben noch nicht einmal Kenntnis genommen hat, weswegen sie – obgleich selbst …ärztin – den Angaben des Landratsamts nicht substantiiert entgegenzutreten vermochte.” Auch wenn die Klägerin erstmals im vorliegenden gerichtlichen Verfahren mit Ihren “Kommentaren” auf einzelne Punkte der im Bescheid aufgeführten veterinärfachlichen Feststellungen und Beurteilungen eingeht, gehen diese nicht über bruchstück- und lückenhafte sowie allgemeine Schilderungen und einfaches Bestreiten hinaus. Neue und fachlich fundierte Feststellungen, die etwa den veterinärfachlich festgestellten Verstöße und erheblichen Leiden der Tiere entgegenstünden, sind nicht vorgebracht, sodass das Gericht auf seine bereits im Urteil M 23 K 20. 3732 gemachten Ausführungen verweist, die auch im vorliegenden Verfahren Geltung beanspruchen: “Die aus veterinärfachlicher Sicht zweifelsfrei belegten und klägerseits nicht erschütterten Verstöße belegen einerseits eine hohe Überforderung der Klägerin mit der Zahl der von ihr gehaltenen Tiere. Bei den belegten Verstößen handelt es sich um solche, die einem sachkundigen Tierhalter und gerade der Klägerin als …ärztin ohne weiteres hätten auffallen müssen. Die in der veterinärfachlichen Stellungnahme festgestellten Verstöße und Bewertungen dürften andererseits tatbestandlich grundsätzlich sogar geeignet sein, ein Tierhaltungsverbot gem. § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG auszusprechen, was in der veterinärfachlichen Stellungnahme im Übrigen bereits angelegt ist. Denn festgestellte massive Verstöße gegen tierschutzrechtliche Vorschriften und gegen behördliche Anordnungen erlauben grundsätzlich die Untersagung der Haltung und Betreuung von Tieren (vgl. BayVGH, B.v. 8.5.2019 – 23 ZB 18.756 – juris Rn. 8). Vorliegend sind im veterinärfachlichen und auch in dem Reptiliengutachten mehrfach betreffend verschiedener Tierarten die von § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG tatbestandlich vorausgesetzten erheblichen oder länger anhaltende Schmerzen oder Leiden dokumentiert. Insoweit sei angemerkt, dass ein Tierhaltungs- und Betreuungsverbot nicht voraussetzt, dass die Zuwiderhandlungen bezüglich aller gehaltenen oder betreuten Tiere begangen worden sind (vgl. VG Regensburg, B.v. 20.8.2010, RN 4 S 10.970, juris-Rn. 54; Hirt/Maisack/Moritz/Hirt/Maisack/Moritz TierSchG § 16a Rn. 45). Abgesehen von den nachhaltigen Verstößen gegen § 2 TierSchG ist auch dem Verhalten der Klägerin zu entnehmen, dass selbst Einzelanordnungen zur Herstellung tierschutzgemäßer Zustände nicht den gewünschten und gesetzlich geforderten Tierhaltungsstandard nach sich ziehen werden. So hat sich die Klägerin etwa bei der Kontrolle am … Juli 2020 vehement der tierschutzrechtlichen Kontrolle widersetzt (vgl. Polizeibericht v. 7.7.2020, BA Bl. 54 ff.) und hat im Übrigen bis zum Erlass des streitgegenständlichen Bescheids zu erkennen gegeben, ihre tierschutzwidrige Haltung nicht einzusehen. Vielmehr hat sie ausweislich Bl. 83 der Behördenakte darauf verwiesen, dass die Haltungsbedingungen anderswo genauso seien. Dieses Verhalten sowie mangelnde Einsicht mit Reflexion lassen im maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung die Prognose zu, dass die Klägerin für die Zukunft gerade nicht die nötige Gewähr für eine tierschutzgemäße Haltung bietet.”
Ergänzend hierzu ist festzustellen, dass die Klägerin weiterhin zum Ausdruck gebracht hat, behördlichen Anordnungen zur Einstellung tierschutzrechtlicher Verstöße nicht nachkommen zu wollen. So ist für den maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt weder den mündlichen Anordnungen vom 20. und 25. August 2021 nachgekommen noch den Anordnungen im Bescheid vom 11. Januar 2021. Die Klägerin gibt zudem (weiterhin) unzureichende Einsicht zu erkennen, indem sie meint, sie könne “selbst entscheiden, wenn [sie] die Unterstützung eines Kollegen benötige”. Hierdurch setzt sie sich erkennbar und ohne fachlich begründete Rechtfertigung über die veterinärfachliche Beurteilungskompetenz hinweg. Auch dies bestätigt die in dem Bescheid vorgenommene Prognose erwarteter weiterer Verstöße.
Das aufgrund der Tatbestandsmäßigkeit des Haltungs- und Betreuungsverbots damit eröffnete Ermessen hat das Landratsamt rechtsfehlerfrei ausgeübt. Im Rahmen der gerichtlich beschränkt überprüfbaren behördlichen Ermessensausübung (§ 114 Satz 1 VwGO, Art. 40 BayVwVfG) sind keine relevanten Ermessensfehler erkennbar. Indem das Landratsamt der Klägerin die Haltung und Betreuung der in Ihrer Obhut belassenen bzw. zurückgegebener Tiere weiterhin erlaubt hat, hat das Landratsamt zu erkennen gegeben, dass es von seinem Auswahlermessen Gebrauch gemacht hat. Angesichts der Vielzahl der tierschutzrechtlichen Verstöße und der erkennbaren Uneinsichtigkeit der Klägerin ist auch nicht ersichtlich, welche anderen milderen Maßnahmen ernstlich in Betracht kommen könnten, um weitere tierschutzrechtliche Verstöße in Zukunft sicher ausschließen zu können (vgl. BayVGH, B.v. 23.11.2018 – 9 ZB 16.2467 – juris Rn. 16). Bei der Vielzahl an dokumentierten gravierenden Verstößen, der fehlenden Einsicht der Klägerin als Tierhalterin und ihrer Überforderung mit der hohen Anzahl der gehaltenen Tiere, die weitere Verstöße bei bestehen belassenem Tierbestand als wahrscheinlich erscheinen lassen, hat das Landratsamt das grundsätzlich bestehende Auswahlermessen rechtsfehlerfrei dahingehend ausgeübt, eine überschaubare Zahl an Tieren zur Haltung zu belassen und damit insgesamt den Tierbestand dauerhaft zu reduzieren, um so der Überlastungssituation der Klägerin zum Wohle der Tiere entgegenzuwirken und auch um ihr für ein mögliches Wiedergestattungsverfahren die Möglichkeit zu geben, unter dem reduzierten Tierbestand eine ordnungsgemäße Tierhaltung vorweisen zu können. Dabei ist dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch ohne die vom Klägerbevollmächtigten als unabdingbar gerügte Befristung hinreichend Rechnung getragen, da der Klägerin die vom Gesetz in § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Hs. 2 TierschG vorgesehene Möglichkeit der Wiedergestattung auf Antrag bleibt, sofern der Grund für die Annahme weiterer Zuwiderhandlungen entfallen ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2018 – 10 ZB 18.103 – juris Rn. 11).
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung resultiert aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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