Europarecht

Unzulässige Bewerbung eines Original Rotbiers aufgrund Irreführung über die Herstellung

Aktenzeichen  4 HK O 5207/19

Datum:
23.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2021, 24683
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UWG § 5 Abs. 1
VO (EU) 1169/2011 Art. 7 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Verwendung der Bezeichnung „Original“ in Verbindung mit einem Lebensmittel wird im Sinne von echt und ursprünglich sowie dahin verstanden, dass die Herstellung im Rahmen der für dieses Lebensmittel allgemein gebräuchlichen Rezepte erfolgt. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Bezugnahme auf traditionelles Brauhandwerk in Verbindung mit überlieferter Rezeptur wird dahin verstanden, dass diese auch heute, wenngleich gewandelten brautechnischen Erkenntnissen folgend, die aktuelle Braukunst bestimmt. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Vernichtung verletzenden Werbematerials ist nicht vom Beseitigungsanspruch umfasst. Geschäftspapiere können und müssen nicht zurückgerufen werden. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Anspruch auf Veröffentlichung eines Urteils besteht dann nicht, wenn die Presse bereits hinreichend über das Verfahren und dessen Ausgang berichtet hat. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 € oder von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfalle bis zu insgesamt 2 Jahren, Ordnungshaft auch für den Fall der Nichtbeitreibbarkeit des Ordnungsgeldes,
zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken
1. das Produkt … unter der Bezeichnung „Original … Rotbier“ anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder in den Verkehr bringen zu lassen.
2. mit den Angaben „Original … Rotbier“ und „das Original … Rotbier“ zu werben oder werben zu lassen.
3. wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, das Produkt … werde traditionell hergestellt.
II. Die Beklagte wird verurteilt, binnen 4 Wochen alle unter der Bezeichnung „Original … Rotbier“ in den Handel gebrachten Produkte aus den Vertriebswegen zurückzurufen.
III. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang sie die vorstehend unter Ziffer I. bezeichneten Wettbewerbshandlungen begangen hat, und zwar
1. unter Angabe der Art, des Zeitpunkts und der Anzahl der Werbemaßnahmen, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern,
2. unter Angabe der Menge des unter der Bezeichnung „Original … Rotbier“ vertriebenen Produktes, aufgeschlüsselt nach Stückzahlen sowie Einkaufs- und Verpackungspreisen jeder einzelnen Lieferung sowie Name und Anschrift der gewerblichen Abnehmer. Die Beklagte kann Name und Anschrift der gewerblichen Abnehmer einem von der Klägerin zu bezeichnenden, zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitteilen, sofern sie die Kosten seiner Einschaltung trägt und ihn gleichzeitig ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf Antrag mitzuteilen, ob in der Auskunft ein oder mehrere bestimmte Abnehmer enthalten sind.
IV. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die unter Ziffer I. bezeichneten Wettbewerbshandlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird.
V. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.531,90 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 06.08.2019 zu bezahlen.
VI. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
VII. Die Widerklage wird abgewiesen.
VIII. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 26 % und die Beklagte 74 %.
IX. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch hinsichtlich Ziffer I. nur gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 225.000,00 € (I. 1. und I. 2. zusammen 150.000,00 €,
I. 3. 75.000,00 €), hinsichtlich Ziffer II. nur gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 25.000,00 €, hinsichtlich Ziffer III. nur gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 22.500,00 € und für die Klägerin im Übrigen nur gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages und für die Beklagte nur gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
sowie folgenden
Beschluss:
Der Streitwert wird für die Klage auf 450.000,00 € (Unterlassung 300.000,00 €, Rückruf/Vernichtung 30.000,00 €, Auskunft 30.000,00 €, Schadensersatzfeststellung 70.000,00 €, Veröffentlichung 20.000,00 €) sowie für die Widerklage auf 150.000,00 €, mithin insgesamt auf 600.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist überwiegend begründet.
1. Unlauter handelt, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über folgende Umstände enthält: Die wesentlichen Merkmale der Ware oder Dienstleistung wie Verfügbarkeit, Art, Ausführung, Vorteile, Risiken, Zusammensetzung, Zubehör, Verfahren oder Zeitpunkt der Herstellung…, § 5 Abs. 1 UWG.
Es ist verboten, als nach Artikel 8 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 verantwortlicher Lebensmittelunternehmer oder Importeur Lebensmittel mit Informationen über Lebensmittel, die den Anforderungen des Artikel 7 Abs. 1, auch in Verbindung mit Abs. 4, der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011… nicht entsprechen, in den Verkehr zu bringen oder allgemein oder im Einzelfall dafür zu werben.
Informationen über Lebensmittel dürfen nicht irreführend sein, insbesondere in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, insbesondere in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprungsland oder Herkunftsort und Methode der Herstellung oder Erzeugung, Artikel 7 Abs. 1 VO (EU) 1169/2011.
a. Die Verwendung der Bezeichnung „Original“ in Verbindung mit einem Lebensmittel wird von maßgeblichen Teilen der angesprochenen Verkehrskreise im Sinne von echt und ursprünglich sowie dahin verstanden, dass die Herstellung im Rahmen der für dieses Lebensmittel allgemein gebräuchlichen Rezepte erfolgt (BGH Urteil vom 18.09.1981, Az. I ZR 11/80 – Original – Maraschino).
Die Bezugnahme auf traditionelles Brauhandwerk in Verbindung mit überlieferter Rezeptur wird von einem erheblichen Teil des angesprochenen Verkehrs dahin verstanden, dass diese auch heute, wenngleich gewandelten brautechnischen Erkenntnissen folgend, die aktuelle Braukunst bestimmt (OLG Stuttgart, Urteil vom 03.11.2011, Az. 2 U 29/11).
Dies können die Mitglieder der erkennenden Kammer als Teil der angesprochenen Verkehrskreise auch selbst beurteilen.
b. Das Rotbier (Starkbier) der Beklagten wird nach eigenem Vortrag der Beklagten mit einem Vollbier (Rotbier) geblendet, d.h. vermischt, um ein Endprodukt mit einer bestimmten Stammwürze zu erzeugen. Diese, beide zu vermischenden Biere werden in unterschiedlichen Braustätten (… sowie Braustätte der …) hergestellt und dann zusammengeführt.
Das Starkbier (Rotbier) der Beklagten wird in Holzfässern gelagert und reift dort für etwa 4 bis 5 Wochen. Hierbei handelt es sich um getoastete Fässer und nicht um gepichte Holzfässer, wie sie früher verwendet worden sind. Soweit die Beklagte anspricht, dass früher auch ungepichte Holzfässer im Winter verwendet worden seien, diente dies nicht zur Reifung und Geschmacksbildung des Bieres, kann also nicht maßgeblich sein.
Außerdem setzt die Beklagte auf eine oxidative Reifung des Bieres im Holzfass (Microoxidation). Auch wenn, wie der Geschäftsführer der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, keine Kohlensäure zugegeben wird, sondern Luftsauerstoff zu der genannten Veredelung führt, entspricht dies nicht der früher in … gepflegten Herstellungsweise. Ob in … andere Fässer verwendet wurden, kann dahinstehen, da streitgegenständlich ein „Original … Rotbier“ ist.
In diesen genannten Punkten weicht die Herstellungsweise des Rotbiers der Beklagten von ursprünglich in … gebräuchlichen Herstellungsverfahren ab und stellt daher kein allgemein gebräuchliches bzw. Original … Rezept dar. Dabei umfasst der Begriff Rezept auch das Herstellungsverfahren, da mit den Zutaten alleine ohne Angabe des Herstellungsverfahrens kein Endprodukt hergestellt werden kann.
Vielmehr verwendet die Beklagte ein gegenüber dem früher in … verwendeten Herstellungsverfahren abgewandeltes Verfahren, sodass das daraus entstehende Produkt nicht als Original … Rotbier bezeichnet werden kann, ohne die angesprochenen Verkehrskreise über das Verfahren der Herstellung in die Irre zu führen. Es trifft daher auch nicht zu, dass das „Original … Rotbier“ der Beklagten den Ursprung des … Brauhandwerks widerspiegelt und nach überlieferter Rezeptur gebraut wird (Anlage K4).
Damit steht zugleich fest, dass das Produkt … Rotbier nicht traditionell hergestellt wird; auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.
Insoweit besteht ein Unterlassungsanspruch aus §§ 5 I, 3a, 8 UWG, Artikel 7 Abs. 1 VO (EU) 1169/2011. Die Klägerin hat durchgehend wettbewerbsrechtliche Ansprüche erhoben, wie sich aus den Klageanträgen III. und IV. ergibt („Wettbewerbshandlungen“).
c. Die Klägerin hat jedoch keinen Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Behauptung der Beklagten, das Produkt … Rotbier werde handwerklich hergestellt.
Weder die Abfüllung in Euroflaschen noch der überregionale kistenweise Verkauf stehen der Bezeichnung als handwerklich hergestellt entgegen. Erwartet doch ein Verbraucher bei einer als handwerklich angepriesenen Herstellung durch eine große Brauerei heutzutage keinen kleinen handwerklich geführten Betrieb mehr.
Der weitere Vortrag der Klägerin, in der Brauanlage der Beklagten … habe der Braumeister auf die Fertigung keinen derart maßgeblichen Einfluss mehr und wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten eines Braumeisters würden durch Maschineneinsatz entbehrlich und dass Sonden verschiedenste Sensorikprüfungen übernähmen, ist zum Teil nicht substantiiert – die Darlegungs- und Beweislast liegt bei der Klägerin – und im Übrigen geht auch der verständige Verbraucher heutzutage davon aus, dass auch bei handwerklichem Brauen Maschinen und Sonden zum Einsatz kommen können.
Die Klägerin hat den Vortrag der Beklagten, die den Geschmack beeinflussenden Vorgänge erfolgten handwerklich, nicht widerlegt. Im Übrigen hat die Beklagte hierzu vorgetragen, dass Sonden die Sensorik nicht ersetzten und dass der Braumeister entsprechenden Einfluss nehme. Auf den Vortrag im Schriftsatz vom 10.12.2019 wird Bezug genommen.
2. Ein Anspruch auf Rückruf und Vernichtung von Werbeträgern und Geschäftspapieren besteht nicht. Entgegen der älteren Ansicht des BGH (Urteil vom 03.05.1963, Az I b ZR 93/61) ist die Vernichtung verletzenden Werbematerials nicht vom Beseitigungsanspruch umfasst (Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, Teil 11, Rn. 173). Auch fehlt der Beklagten die Verfügungsgewalt über bereits verteilte Werbematerialien, sodass der geltend gemachte Anspruch insoweit nicht besteht (Koehler/Bornkamm/Feddersen, § 8 UWG, Rn. 1.125). Geschäftspapiere können und müssen nicht zurückgerufen werden.
Hingegen besteht ein Anspruch auf Rückruf der unter der Bezeichnung „Original … Rotbier“ in den Handel gebrachten Produkte (BGH, Beschluss vom 29.09.2016, Az I ZB 34/15).
3. Weiterhin schuldet die Beklagte Auskunft und ist ihre Verpflichtung zum Schadensersatz festzustellen, § 9 UWG. Die Aufnahme eines Wirtschaftsprüfervorbehalts erfolgt von Amts wegen (Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 9 UWG, Rn. 4.19 f.).
4. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in der geltend gemachten Höhe zu erstatten. Sie ist dem auch nicht entgegengetreten.
5. Der Antrag, der Klägerin die Befugnis zuzusprechen, das Urteil in der Zeitung … zu veröffentlichen, hat keinen Erfolg.
Die Befugnis zur Veröffentlichung ist zu versagen, wenn die Nachteile unverhältnismäßig größer wären als die Vorteile, (Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 12 UWG, Rn. 3.7). Dabei ist zu berücksichtigen, dass bereits durch die Anwesenheit der Presse in der mündlichen Verhandlung eine hinreichende Aufklärung der Verkehrskreise erfolgt.
6. Die Widerklage hat keinen Erfolg.
Dem Vortrag der Klägerin, sie mische nicht getrennt gebraute Rotbiere, bei ihr erfolge keine Charakterbildung des Bieres durch Einlagerung in Holzfässern, sie verwende auch keine ungepichten Holzfässer zur Herbeiführung eines Gasaustausches zur Herstellung des besonderen Geschmacks des Bieres, sondern sie setze einen Sud an und das Rotbier werde nach Gärung und Reifung in sauerstoffundurchlässigen Fässern ohne Zugabe von Kohlensäure in Flaschen abgefüllt, ist die Beklagte nicht substantiiert entgegen getreten.
Somit bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Herstellungsverfahren beim Rotbier der beiden Parteien, sodass nicht aus der Stattgabe der Unterlassungsanträge gegen die Beklagte der Schluss gezogen werden kann, dass auch der Widerklage dann stattgegeben werden müsste. Die Widerklage ist folglich nicht begründet.
7. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 ZPO.
8. Beim Streitwert waren der Größe und Bedeutung der Parteien in der Wettbewerbssituation sowie der Bedeutung des Streitgegenstands entsprechende angemessene Werte festzusetzen.
Dabei bemisst die Kammer die beiden Unterlassungsanträge der Klägerin (I. 1. und I. 2.) zusammen mit 150.000,00 €, entsprechend auch die Widerklage. Die weiteren Unterlassungsanträge der Klägerin (I. 3. und I. 4.) werden mit je 75.000,00 € bemessen, der Antrag VI. mit 20.000,- €. Die Rücknahme hinsichtlich des Wortes „herzustellen“ (Antrag I. 1.) entspricht einem Streitwert von 25.000,00 € (1/3 von I. 1.).


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