Europarecht

Urlaubsabgeltung, Kirchenbeamter, Diakon, Mindesturlaub, Anteilige Kürzung, Gewährung

Aktenzeichen  M 5 K 21.1118

Datum:
2.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 2313
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
UrlMV § 9 Abs. 1 S. 1
KBG.EKD § 38
KBGErgG § 29 S. 1
DiaKG § 41

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. 
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist der Rechtsweg zu den staatlichen Verwaltungsgerichten eröffnet. Die … Kirche in Bayern gewährt für die in § 9 Abs. 1 des Kirchlichen Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 9. Dezember 1993 (KABl. S. 372) – KVGG -, zuletzt geändert durch Kirchengesetz vom 29. März 2010 (KABl. S. 192), aufgezählten öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten des Kirchenrechts einen Rechtsweg zu den kirchlichen Verwaltungsgerichten. Dazu zählen grundsätzlich auch Kirchenbeamtensachen. Ausgenommen sind jedoch gemäß § 11 KVGG und § 23 Abs. 1 des Kirchengesetzes zur Ergänzung des Kirchenbeamtengesetzes der … Kirche in Deutschland in der Neufassung vom 12. Juni 2007 (KABl. S. 229) – KBGErgG -, zuletzt geändert durch Kirchengesetz vom 1. April 2021 (KABl. S. 148), vermögensrechtliche Streitigkeiten, für welche der Rechtsweg zu den staatlichen Verwaltungsgerichten gegeben ist. § 23 Abs. 1 KBGErgG gilt gemäß § 41 des Diakoninnen- und Diakonengesetzes vom 5. Dezember 2012 (KABl. 2013 S. 12) – DiakG -, zuletzt geändert durch das Kirchengesetz vom 1. April 2021 (KABl. S. 146), auch für Streitigkeiten aus dem Diakonendienstverhältnis, in welchem der Kläger zu der Beklagten stand.
Das gemäß § 23 Abs. 3 KBGErgG erforderliche Vorverfahren hat der Kläger durchlaufen.
II. Die Klage ist unbegründet. Der Widerspruchsbescheid des Landeskirchenamtes vom … November 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die geltend gemachte Urlaubsabgeltung für das Jahr 2020 (§ 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
1. Der Anspruch des Klägers auf Urlaubsabgeltung richtet sich nach § 9 der Verordnung über Urlaub, Mutterschutz und Elternzeit der bayerischen Beamten vom 28. November 2017 – UrlMV (GVBl. S. 543, 2019 S. 328), die zuletzt durch Verordnung vom 9. November 2021 (GVBl. S. 625) geändert worden ist. Ein Rückgriff auf den Direktanspruch aus Art. 7 Abs. 2 der RL 2003/88/EG ist deshalb weder möglich noch erforderlich (siehe unten unter 2.).
a) Die Rechtsbeziehungen zwischen den Kirchen und ihren beamteten Amtsträgerinnen und Amtsträgern wird von den Kirchen im Rahmen ihres verfassungsrechtlich verankerten Selbstbestimmungsrechts (Art. 140 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland/Grundgesetz – GG i.V. m. Art. 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung – WRV) durch ein eigenständiges Kirchenbeamtenrecht geregelt; dieses gehört zum Kernbereich der eigenen Angelegenheiten der Kirche (BayVGH, B.v. 7.8.2017 – 3 ZB 14.536 – juris Rn. 6). Das staatliche Beamtenrecht findet gemäß § 135 Satz 1 Beamtenrechtsrahmengesetz – BRRG -, der gemäß § 63 Abs. 3 Satz 2 Beamtenstatusgesetz – BeamtStG – fortgilt, keine Anwendung. Es bleibt den Kirchen jedoch unbenommen, das Kirchenbeamtenrecht wie das staatliche Beamtenrecht auszugestalten (vgl. § 135 Satz 2 BRRG).
Im Bereich der Kirchen, die in der … Kirche in Deutschland (EKD) vereinigt sind, haben die originär zur Kirchengesetzgebung berufenen Landeskirchen (vgl. Art. 10a Grundordnung der EKD vom 13. Juli 1948 i. d. F. der Bekanntmachung vom 15. Januar 2020, ABl. EKD S. 2) ihre Rechtsetzungshoheit für das Kirchenbeamtenrecht weitgehend auf die EKD übertragen, um die vorher bestehende Rechtszersplitterung zu beenden (vgl. Teil I der Begründung zum Kirchenbeamtengesetz vom 10. November 2005, FIS Kirchenrecht, Ordnungsnummer 1004.1). Die EKD hat mit dem Kirchengesetz über die Kirchenbeamtinnen und Kirchenbeamten in der … Kirche in Deutschland in der Bekanntmachung der Neufassung vom 15. März 2021 (ABl. EKD S. 70) – KBG.EKD -, zuletzt berichtigt am 1. September 2021 (ABl. EKD S. 222), ein eigenes „Vollgesetz“ ausgearbeitet, welches die Rechtsbeziehungen zwischen der … Kirche in Deutschland, den Gliedkirchen und den gliedkirchlichen Zusammenschlüssen und ihren jeweiligen Kirchenbeamtinnen und Kirchenbeamten zwar einerseits abschließend, umfassend und eigenständig regelt (siehe § 2 Abs. 1 Satz 1 KBG.EKD), aber stark an das staatliche Beamtenrecht angelehnt ist (vgl. Munsonius, in: Pirson/Rüfner/Germann, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 3. Auflage, 2020, Bd. 1, § 58 Rn. 54-55) und an zahlreichen Stellen Öffnungsklauseln zugunsten der EKD selbst, der Gliedkirchen und der gliedkirchlichen Zusammenschlüsse vorsieht.
b) Der Kläger stand im Dienst der … Kirche in Bayern. Diese ist eine Gliedkirche der EKD (vgl. Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Verfassung der … Kirche in Bayern in der Neufassung vom 6. Dezember 1999, zuletzt geändert durch Kirchengesetz vom 1. Dezember 2019, KABl. 2020, S. 1 – KVerf.ELKB) und besitzt Dienstherrenfähigkeit (§ 2 Abs. 2 KBG.EKD). Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht ein Diakonendienstverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 des DiakG, auf das gemäß § 41 DiakG die Regelungen des KBG.EKD, des Kirchengesetzes der Vereinigten … Kirche Deutschlands zur Ergänzung von § 60 Abs. 3 KBG.EKD (ErgG.VELKD zu § 60 Abs. 3 KBG.EKD) und das Kirchengesetz zur Ergänzung des Kirchenbeamtengesetzes der … Kirche in Deutschland (Ergänzungsgesetz zum Kirchenbeamtengesetz der EKD – KBG.EKDErgG vom 13. Dezember 2006 KABl. 2006, S. 197, zuletzt geändert durch Kirchengesetz vom 4. Juni 2021, KABl. 2021, S. 67 – KBGErgG) entsprechende Anwendung finden. Die gilt gemäß § 42 Abs. 1 DiakG auch für vor dem Inkrafttreten des DiakG zum 1. Januar 2014 begründete Diakonendienstverhältnisse, mithin auch für das Diakonendienstverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten.
Das Urlaubsrecht, das inmitten dieser kirchlichen Verwaltungsstreitsache steht, ist in dem durch § 41 DiaKG in Bezug genommenen KBG.EKD nur rudimentär geregelt. § 38 KBG.EKD, der seit Inkrafttreten des Kirchenbeamtengesetzes 2005 unverändert gilt (vgl. ABl. EKD 2005, S. 551), regelt in seinem Absatz 1 den Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub lediglich dem Grunde nach. Weitere Fragen wie etwa Umfang, Entstehung, Verfall, Übertragung, Abgeltung usw. sind im KBG.EKD nicht geregelt. Absatz 4 enthält eine Öffnungsklausel, wonach die EKD, die Gliedkirchen und die gliedkirchlichen Zusammenschlüsse „das Nähere“ je für ihren Bereich durch Rechtsverordnung regeln.
Für den Bereich der … Kirche in Bayern gilt ergänzend zum KBG.EKD das ebenfalls von § 41 DiakG in Bezug genommene KBGErgG. Dass es sich dabei im Einklang mit Art. 72 Abs. 1 Nr. 7 der Kirchenverfassung der … Kirche in Bayern in der Neufassung vom 6. Dezember 1999 (KABl. 2000 S. 10) – KVerf.ELKB -, zuletzt geändert durch Kirchengesetz vom 28.11.2019 (KABl. 2020, S. 1) um ein Kirchengesetz und nicht – wie in § 38 Abs. 4 KBG.EKD vorgesehen – um eine Rechtsverordnung handelt, ist aufgrund der höheren normenhierarchischen Dignität eines Kirchengesetzes unerheblich.
§ 29 Satz 1 KBGErgG ordnet in der für den streitgegenständlichen Zeitraum geltenden, zum 1. Juni 2017 in Kraft getretenen Fassung (Kirchengesetz vom 1. April 2017, KABl. S. 218) die entsprechende Anwendung der für die Beamtinnen und Beamten des Freistaats Bayern geltenden Bestimmungen auf Kirchenbeamtinnen und Kirchenbeamte an, soweit sich nicht aus dem Kirchenbeamtengesetz der EKD, dem KBGErgG oder aus anderen Kirchengesetzen etwas Anderes ergibt. Demnach ist insbesondere das Bayerische Beamtengesetz vom 29. Juli 2008 (GVBl. S. 500) – BayBG -, zuletzt geändert durch § 1 des Gesetzes vom 23. Dezember 2019 (GVBl. S. 724) anwendbar. Dort wiederum ist das Urlaubsrecht in Art. 93 BayBG ebenfalls nur in Grundzügen geregelt; es bedarf der Ergänzung durch eine Rechtsverordnung, zu deren Erlass Art. 93 Abs. 1 BayBG ermächtigt. Auf dieser Grundlage hat die Bayerische Staatsregierung die Verordnung über Urlaub, Mutterschutz und Elternzeit der bayerischen Beamten vom 28. November 2017 (GVBl. S. 543) – UrlMV -, zuletzt geändert durch Verordnung vom 9. November 2021 (GVBl. S. 625), erlassen. Über diese Verweisungskette ist die UrlMV auch auf den Kläger anwendbar.
c) Soweit der Klägervertreter vorträgt, die UrlMV sei nicht anwendbar, insbesondere da das KBG.EKD abschließenden Charakter habe, lediglich punktuelle Öffnungsklauseln enthalte und die Verweisung in § 29 Satz 1 KBGErgG zu unbestimmt sei, ist dem nicht zu folgen.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das KBG.EKD auf Diakoninnen und Diakone nicht unmittelbar anwendbar ist, sondern nur entsprechend; andernfalls bedürfte es der Verweisung in § 41 DiakG nicht. Dafür spricht auch, dass sich das Diakonendienstverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 DiakG vom Kirchenbeamtenverhältnis im Sinne des § 1 Abs. 2 KBG.EKD dadurch unterscheidet, dass das Amt des Diakons bzw. der Diakonin durch den diakonischen Auftrag bestimmt ist. Deshalb geht der Hinweis des Klägers auf den abschließenden Charakter des KBG.EKD und das Prinzip der Normenhierarchie an der Sache vorbei. Die Beklagte hätte das Diakonendienstverhältnis auch über die Öffnungsklauseln des KBG.EKD hinaus selbständig regeln dürfen. In der einseitigen Bezugnahme durch die ELKB liegt auch keine partielle Übertragung ihrer Rechtssetzungshoheit. Des Weiteren ist zu bemerken, dass gemäß § 29 Satz 1 KBGErgG die auf die bayerischen Beamtinnen und Beamten anwendbaren Vorschriften nur subsidiär auch auf Kirchenbeamte im Sinne des KBG.EKD anwendbar sind, d. h. im Falle einer Kollision kirchlichen Beamtenrechts mit staatlichem Beamtenrecht genießt das Kirchenbeamtenrecht Vorrang. Selbst wenn die ELKB auch bei der Regelung der Rechtsverhältnisse der Diakoninnen und Diakonen an das KBG.EKD gebunden wäre, wäre der Vorrang des KBG.EKD gewahrt.
Die Verweisungsnorm des § 29 Satz 1 KBGErgG ist auch hinreichend bestimmt. Richtig ist, dass die Vorschrift weit gefasst ist und keine Beschränkung auf bestimmte Rechtsmaterien enthält. Damit unterscheidet sich § 29 Satz 1 KBGErgG z. B. von § 7 Abs. 1 des Ausführungsgesetzes zum Kirchenbeamtengesetz vom 10. November 2005 (ABl. EKD S. 567) – AGKBG.EKD -, zuletzt geändert durch Kirchengesetz vom 08.11.2016 (ABl. EKD S. 325). Dort ist die entsprechende Anwendung staatlichen Rechts für bestimmte, enumerativ aufgezählte Rechtsfragen vorgesehen, soweit das Recht der EKD hierzu keine Regelungen enthält. Die Vereinigte … Kirche Deutschlands (VELKD) – ein gliedkirchlicher Zusammenschluss, dem u. a. die beklagte … Kirche in Bayern angehört -, verwendet in § 17 Abs. 1 des für sie geltenden Kirchenbeamtenergänzungsgesetzes vom 16. November 2006 – AGKBG.VELKD -, zuletzt geändert durch Kirchengesetz vom 8. November 2011, dieselbe Regelungstechnik und sieht lediglich eine etwas weitergehende Verweisung auf das staatliche Recht vor (siehe § 17 Abs. 1 lit. g KBGErgG.VELKD). Andererseits sind Generalverweisungen wie die in § 29 Satz 1 KBGErgG keine Besonderheit, sondern finden sich z. B. auch in § 4 Abs. 1 Satz 1 des Ausführungsgesetzes zum Kirchengesetz über die Kirchenbeamtinnen und Kirchenbeamten in der … Kirche in Deutschland der … Kirche von Westfalen vom 16. November 2006 (KABl. 2006 S. 290) – EKvW-AGKBG.EKD -, zuletzt geändert durch Gesetzesvertretende Verordnung vom 21. Dezember 2017 (KABl. S. 218; KABl. 2018 S. 265), und in § 15 des Ausführungsgesetzes zum Kirchengesetz über die Kirchenbeamtinnen und Kirchenbeamten in der … Kirche in Deutschland der … Kirche im Rheinland vom 11. Januar 2007 (KABl. S. 65) – AG.KBG.EKD -, zuletzt geändert durch Kirchengesetz vom 15. Januar 2021 (KABl. S. 54). Diese Regelungstechnik leidet nicht an einem Mangel an Bestimmtheit. Das bayerische Beamtenrecht ist keine derart unüberschaubare Rechtsmaterie, dass es erforderlich wäre, auf einzelne Gesetze oder gar einzelne Vorschriften zu verweisen, um die Rechtslage erkennen zu können. Auch der Vorrang des Kirchenrechts, der sich aus dem Wort „soweit“ in § 29 Satz 1 KBGErgG ergibt, ändert daran nichts. Vielmehr kann aufgrund der weitgehenden Angleichung des Kirchenbeamtenrechts an das staatliche Beamtenrecht zunächst vom staatlichen Beamtenrecht ausgegangen werden und das so gefundene Ergebnis daraufhin überprüft werden, ob sich aus dem Kirchenrecht Abweichendes ergibt.
d) Voraussetzung für einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach § 9 Abs. 1 Satz 1 UrlMV ist, dass das Beamtenverhältnis – gleich aus welchem Grund – beendigt wurde, der Beamte zum Zeitpunkt der Beendigung noch über einen Resturlaubsanspruch verfügt, den er aufgrund einer Dienstunfähigkeit – also nicht allein aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – nicht einbringen konnte und der hinter dem jeweiligen Mindesturlaubsanspruch für das zu berücksichtigende Kalenderjahr bzw. die zu berücksichtigenden Kalenderjahre zurückbleibt.
aa) Zum Zeitpunkt der Beendigung verfügte der Kläger noch über einen Resturlaubsanspruch von 9 Tagen.
(1) Nach § 3 Abs. 1 UrlMV beträgt der Urlaubsanspruch 30 Tage pro Kalenderjahr. Er ist gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 UrlMV anteilsmäßig zu kürzen, wenn das Beamtenverhältnis nicht im gesamten Kalenderjahr besteht. Das Diakonendienstverhältnis endete gemäß § 41 DiakG i.V. m. § 66 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 KBG.EKD, da der Kläger nach Erreichen der ihn maßgeblichen Altersgrenze von 65 Jahren und 8 Monaten kraft Gesetzes in den Ruhestand trat. Endet das Beamtenverhältnis in der ersten Hälfte des Kalenderjahres, weil der Beamte mit oder nach Erreichen der Altersgrenze in den Ruhestand tritt, so steht ihm der halbe Erholungsurlaub zu, ansonsten der volle Erholungsurlaub. Daraus folgt, dass dem Kläger, der mit Ablauf des 30. Juni 2020 und damit noch in der ersten Jahreshälfte in den Ruhestand trat, der halbe Erholungsurlaub für 2020 in Höhe von 15 Tagen zustand.
(2) Hinzu kommen 20 Urlaubstage aus 2019, die gemäß § 7 Absatz 1 Satz 2 UrlMV übertragen wurden und bis zum 30. April 2020 genommen werden konnten. Dem Verfall der noch nicht eingebrachten Urlaubstage aus 2019 zum 30. April 2020 steht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht entgegen, wonach der Urlaubsanspruch dann nicht verfällt, wenn der Arbeitgeber bzw. Dienstherr den Arbeitnehmer bzw. Beamten nicht konkret und in völliger Transparenz über seine Urlaubsansprüche informiert, zur rechtzeitigen Inanspruchnahme des Urlaubs auffordert und darauf hinweist, dass der Urlaub andernfalls ersatzlos verfällt (EuGH, U.v. 6.11.2018 – NZA 2018, 1612). Denn auch diese Hinweispflicht bezieht sich lediglich auf den durch Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG gewährleisteten Mindesturlaubsanspruch, d. h. nur insoweit kommt es bei Verstoß des Arbeitgebers/Dienstherrn gegen seine Hinweisobliegenheit nicht zu einem Verfall (VG Düsseldorf, U.v. 12.3.2021 – 2 K 3079/19, juris Rn. 26 f.). Im Jahr 2019 hat der Kläger jedoch 30 Urlaubstage eingebracht, sodass der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch für 2019 durch Urlaubsgewährung erfüllt worden ist. Selbst wenn ein Urlaubstag aus dem Jahr 2018 – in dem der Kläger lediglich 19 Urlaubstage eingebracht hat – noch offen war, wurde der zum Mindesturlaubsanspruch 2018 fehlende Urlaubstag im Urlaubsjahr 2019 gewährt und ist damit erloschen.
(3) Etwaige Abgeltungsansprüche für Zeiträume vor dem Jahr 2018 sind nicht ersichtlich und wären gemäß § 9 Abs. 1 Satz 4 UrlMV verfallen. Die Vorschrift, die einen Verfall des Urlaubs- und damit auch des Urlaubsabgeltungsanspruchs nach 24 Monaten vorsieht, ist unionsrechtskonform (so auch Baßlsperger, in: Weiß/Niedermaier/Summer, Beamtenrecht in Bayern, Stand: November 2021, Art. 93 BayBG Rn. 80). Der Europäische Gerichtshof hat sogar eine Verfallsfrist von lediglich 15 Monaten als mit Art. 7 der RL 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar angesehen (EuGH, Urteil vom 22. November 2011 – C-214/10, NZA 2011, 1333, 1334 [Rn. 35]).
(4) Vom Kläger wurden im Jahr 2020 alle der ihm zustehenden 35 Urlaubstage beantragt und von der Beklagten gewährt. Davon sind jedoch gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 UrlMV die Tage der Dienstunfähigkeit abzuziehen, hier 9 Tage (16. Juni 2020 bis 26. Juni 2020). Nur in Höhe dieses Resturlaubsanspruchs kommt bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen ein Urlaubsabgeltungsanspruch in Betracht.
bb) Den Resturlaubsanspruch in Höhe von 9 Tagen konnte der Kläger aufgrund von Dienstunfähigkeit nicht mehr vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses einbringen.
cc) Erforderlich ist schließlich, dass der Kläger im konkreten Urlaubsjahr weniger als den gesetzlichen Mindesturlaub genommen hat. Dabei kommt es entgegen der Rechtsauffassung des Klägers nicht darauf an, ob es sich bei dem eingebrachten Urlaub um Urlaub aus dem konkreten Urlaubsjahr oder um übertragenen bzw. angesparten Alturlaub handelt, denn zur Erfüllung des Mindesturlaubsanspruchs aus Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299 vom 18. November 2003, S. 9) ist nicht mehr erforderlich als eine bezahlte Freistellung im Mindestumfang in einem konkreten Jahr (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 2 C 10/12 – NVwZ 2013, 1925, juris Rn. 23; B.v. 25.6.2013 – 1 WRB 2.11 – juris Rn. 40; B.v. 16.6.2016 – 2 B 72.15 – juris Rn. 10; BVerfG, B.v. 15.5.2014 – 2 BvR 324/14 – NVwZ 2014, 1160, juris Rn. 13 ff.; VG Düsseldorf, U.v. 12.3.2021 – 2 K 3079/19 – juris Rn. 38 f.; VG Berlin, U.v. 9.7.2021 – VG 5 K 118.19 – BeckRS 2021, 31861 Rn. 28).
Für das Jahr 2020 stand dem Kläger ein Mindesturlaubsanspruch in Höhe von grundsätzlich 20 Tagen zu, gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 i.V. m. § 3 Abs. 3 Satz 1 UrlMV allerdings nur in Höhe von 6/12, da das Diakonendienstverhältnis im Jahr 2020 nur für 6 volle Kalendermonate bestand. Der Mindesturlaubsanspruch für 2020 beträgt damit 10 Urlaubstage. Einer anteiligen Kürzung des Mindesturlaubsanspruchs steht Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG nicht entgegen, denn diese Vorschrift ist erkennbar auf das gesamte Kalenderjahr bezogen (vgl. auch § 5 Abs. 1 lit. c Bundesurlaubsgesetz/BUrlG, der nach h.M. unionsrechtskonform ist, siehe nur Gallner, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 22. Aufl. 2022, § 5 BUrlG Rn. 4).
Gewährt wurden in 2020 26 Urlaubstage. Der 2020 eingebrachte Erholungsurlaub bleibt mithin nicht hinter dem Mindesturlaubsanspruch für 2020 zurück, sondern übersteigt den Mindestanspruch deutlich.
2. Ein Rückgriff auf Art. 7 Abs. 2 der RL 2003/88/EG kommt nicht in Betracht. Zwar ist es richtig, dass aus dieser Vorschrift nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unter bestimmten Voraussetzungen und mit bestimmten Maßgaben ein Anspruch des Einzelnen auf Urlaubsabgeltung besteht (BVerwG, Urteil vom 31.03.2013 – 2 C 10/12 – NVwZ 2013, 1295, juris Rn. 30 ff.). Darin liegt jedoch eine Ausnahme von dem in Art. 288 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) niedergelegten Grundsatz, dass Richtlinien der Europäischen Union nicht unmittelbar anwendbar sind. Voraussetzung für die sog. unmittelbare Wirkung einer Richtlinie ist insbesondere, dass der nationale Gesetzgeber seiner Pflicht zur vollständigen und fristgerechten Umsetzung einer Richtlinie nicht nachgekommen ist (ständige Rechtsprechung, siehe nur EuGH, U.v. 19.11.1991 – C-6/90 und C-9/90 – NJW 1992, 165; U.v. 5.10.2004 – C-397/01 u. a. – NJW 2004, 3547). Der Bayerische Verordnungsgeber hat jedoch durch die Verordnung zur Änderung der Urlaubsverordnung vom 24. Juni 2014 (GVBl. S. 234) eine entsprechende Regelung hinsichtlich der Urlaubsabgeltung geschaffen, die auch auf das Diakonendienstverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten entsprechend anzuwenden ist (s. o.). Für die unmittelbare Anwendung der RL 2003/88/EG bleibt deshalb kein Raum.
Im Übrigen könnte der Kläger aus Art. 7 Abs. 2 der RL 2003/88/EG ebenfalls nicht mehr herleiten, denn auch der Abgeltungsanspruch aus dieser Vorschrift ist auf den Mindesturlaub im Sinne des Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG beschränkt, der bei Bestehen des Dienstverhältnisses nur während eines Teils des Kalenderjahres anteilig zu kürzen und hier durch Urlaubsgewährung erloschen ist (s. o.).
III. Da der Kläger in vollem Umfang unterlegen ist, waren ihm gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 i.V. m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).


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