Europarecht

Verbandsklage gegen einzelne Windkraftanlage

Aktenzeichen  M 19 K 16.1912

Datum:
11.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 150571
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BImSchG § 19
UmwRG § 1 Abs. 1 S. 1, § 2 Abs. 1, § 3
VwGO § 42 Abs. 2
AK Art. 9 Abs. 2, Abs. 3

 

Leitsatz

1. Für die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung einer Windkraftanlage ist eine vorherige Öffentlichkeitsbeteiligung nicht vorgesehen. Damit scheidet eine Anwendung von Art. 6 Abs. 1 lit. b AK aus. Das bedeutet, dass auch der Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK nicht eröffnet ist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es gibt keine Verpflichtung nationaler Gerichte, § 42 Abs. 2 VwGO dahingehend auszulegen, dass anerkannte Umweltverbände gegen alle behördlichen Maßnahmen und Entscheidungen, die (zumindest auch) in Anwendung umweltbezogener Vorschriften des Unions- und gegebenenfalls auch nationalen Rechts ergangen sind, klagebefugt wären. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte im schriftlichen Verfahren entschieden werden, da alle Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist unzulässig. Der Kläger ist nicht klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO.
1. Insbesondere ergibt sich keine Klagebefugnis aus § 2 Abs. 1 UmwRG. Zwar handelt es sich beim Kläger um einen nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltschutzverband, der grundsätzlich nach § 2 Abs. 1 UmwRG klagebefugt sein kann. Allerdings liegt keine Entscheidung im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG vor. Für das streitgegenständliche Vorhaben besteht keine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG). Die streitige – einzelne – Windkraftanlage unterfällt gemäß Nr. 1.6 der Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) nicht der Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung.
Ferner stellt das genehmigte Vorhaben eine Anlage im Sinne der Nr. 1.6.2 Anhang 1 zur 4. BImSchV dar, die dem vereinfachten Verfahren nach § 19 BImSchG unterfällt. Damit ist auch der Anwendungsbereich von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG nicht eröffnet.
Auch eine Entscheidung nach dem Umweltschadengesetz steht nicht inmitten (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UmwRG).
Im Gesetz zur Änderung des UmwRG vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 95) hat der Bundesgesetzgeber eine Ausdehnung des UmwRG auf die Fälle des Art. 9 Abs. 3 AK ausgeschlossen. Mit Schreiben vom 5. September 2016 legte die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben vor (BT-Drs. 18/9526). Ein Ziel dieses Entwurfs ist es, Konformität der deutschen Regelungen zum Gerichtszugang in Umweltangelegenheiten mit den Anforderungen des Art. 9 Abs. 2 und 3 AK herzustellen. Allerdings hat der Entwurf das Gesetzgebungsverfahren noch nicht abschließend durchlaufen und kann deshalb noch keine Anwendung finden. Ferner sieht die Neuregelung eine Übergangsbestimmung dahingehend vor, dass sie erst für Entscheidungen gelten soll, die nach dem 31. Dezember 2016 ergangen sind. Sie wäre also für das vorliegende Verfahren nicht heranzuziehen.
2. Eine Klagebefugnis ergibt sich nicht aus einer unmittelbaren Anwendung von Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 AK. Der Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK betrifft Fälle, in denen nach Art. 6 AK eine Verpflichtung zur Öffentlichkeitsbeteiligung besteht. Dies ist hier nicht der Fall. Denn eine Verpflichtung zur Öffentlichkeitsbeteiligung ergibt sich weder sich aus Art. 6 Abs. 1 Buchst. a AK i.V.m. dem Anhang I zur AK, noch aus Art. 6 Abs. 1 Buchst. b AK. Nach der letztgenannten Vorschrift wendet jede Vertragspartei Art. 6 AK in Übereinstimmung mit ihrem innerstaatlichen Recht auch bei Entscheidungen über nicht in Anhang I aufgeführte geplante Tätigkeiten an, die eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben können. Zu diesem Zweck bestimmen die Vertragsparteien, ob Art. 6 AK Anwendung auf eine derartige geplante Tätigkeit findet. Eine solche Regelung fehlt vorliegend. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 8.11.2016 – C-243/15 – juris) kann auf den hier zu entscheidenden Fall nicht übertragen werden. Der Europäische Gerichtshof hat in dieser Entscheidung das Beteiligungsrecht des dortigen anerkannten Umweltverbands unmittelbar aus der im dortigen Verfahren anzuwendenden Richtlinie 92/433/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen – FFH Richtlinie – in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Buchst. b AK hergeleitet. Maßgeblich für die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b AK ist nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs, dass die zuständigen nationalen Behörden vor der Genehmigung einer Tätigkeit zu prüfen haben, ob diese unter den Umständen des Einzelfalls erhebliche Umweltauswirkungen haben kann. Das aus Art. 6 Abs. 1 Buchst. b AK folgende Beteiligungsrecht soll die Prüfung ermöglichen, ob die nationale Behörde diese Pflicht beachtet hat (BayVGH, U.v. 14.3.2017 – 22 B 17/12 – juris Rn. 29). Dies hilft im vorliegenden Fall nicht weiter. Denn anders als in dem vom Europäischen Gerichtshof entschiedenen Fall ist für die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung einer WKA vorher keine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen. Damit scheidet eine Anwendung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b AK aus. Das bedeutet, dass auch der Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK nicht eröffnet ist.
3. Aus § 64 Abs. 1 BNatSchG folgt ebenfalls kein Klagerecht. Denn der Anwendungsbereich der naturschutzrechtlichen Verbandsklage nach § 64 Abs. 1 BNatSchG ist nicht eröffnet. Dem Beklagten als anerkanntem Naturschutzverband stand vor der Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung kein Mitwirkungsrecht nach § 63 BNatSchG zu. Damit kann § 64 Abs. 1 BNatSchG, der auf die Regelungen des § 63 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 und Abs. 2 Nr. 5 bis 7 BNatSchG Bezug nimmt, keine Klagebefugnis vermitteln. Auch eine erweiternde Auslegung scheidet aus, weil die Vorschrift nicht im Sinne des klägerischen Begehrens interpretationsfähig ist. Dies widerspräche dem im Wortlaut des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG klar und unmissverständlich zum Ausdruck kommenden Willen des Bundesgesetzgebers. Eine Auslegung contra legem fordert das Unionsrecht nicht (BVerwG, U.v. 1.4.2015 – 4 C 6/14 – juris Rn. 35).
4. Eine Klagebefugnis ergibt sich auch nicht aus einer unmittelbaren Anwendung von Art. 9 Abs. 3 AK (BayVGH, U.v. 14.3.2017 – 22 B 17/12 – juris Rn. 35 f.). Der Bevollmächtigte des Klägers legt zwar zu Recht dar, dass das UmwRG in seiner aktuellen Fassung mit Art. 9 Abs. 3 AK nicht vereinbar ist. Allerdings ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass der Vorschrift des Art. 9 Abs. 3 AK keine unmittelbare Rechtwirkung zukommt (EuGH, U.v. 28.7.2016 – C-543/14 – juris Rn. 51; BVerwG, U.v. 5.9.2013 – 7 C 21/12 – juris Rn. 30 ff.). Denn die Vorschrift selbst enthält keine hinreichend bestimmte Regelung (vgl. im Einzelnen BayVGH, U.v. 12.3.2017 – 22 B 17/12 – juris Rn. 36; OVG RhPf, B.v. 27.2.2013 – 8 B 10254/13 – juris Rn. 6 ff.).
5. Aus einer europarechtskonformen Auslegung von § 42 Abs. 2 VwGO lässt sich ebenfalls keine Klagebefugnis für den Kläger herleiten. Zwar verlangt der Europäische Gerichtshof, dass der nationale Richter dann, wenn eine mit dem Unionsrecht geschützte Art betroffen ist, das nationale Recht im Hinblick auf die Gewährung eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes in den vom Umweltrecht der Union erfassten Bereichen so auszulegen hat, dass es „so weit wie möglich“ im Einklang mit den in Art. 9 Abs. 3 AK festgelegte Zielen steht (EuGH, U.v. 8.3.2011 – C-240/09 – juris Rn. 50). Daraus ergibt sich aber nicht die Verpflichtung nationaler Gerichte, § 42 Abs. 2 VwGO dahingehend auszulegen, dass anerkannte Umweltverbände gegen alle behördlichen Maßnahmen und Entscheidungen, die (zumindest auch) in Anwendung umweltbezogener Vorschriften des Unions- und ggf. auch nationalen Rechts ergangen sind, klagebefugt wären. Einer derart weiten Auslegung stehen die sehr klaren abschließenden gesetzlichen Regelungen zum Anwendungsbereich sowohl des UmwRG als auch des Verbandsklagerechts nach dem BNatSchG sowie der Vertrauensschutz für Anlagenbetreiber entgegen (BayVGH, U.v. 14.3.2017 – 22 B 17/12 – juris Rn. 37 ff.). Weder das Bundesverwaltungsgericht noch der Europäische Gerichtshof verlangen eine Auslegung des unmittelbar nicht anwendbaren Art. 9 Abs. 3 AK dahingehend, dass er contra legem am Ende gleichwohl zur Anwendung kommt. Das Vertrauen der Inhaber einer Genehmigung ist insoweit schutzwürdig (BayVGH, U.v. 14.3.2017 – 22 B 17/12 – juris Rn. 45). Der Gesetzgeber beurteilt die Möglichkeiten einer Verbandsklage für den Fall, dass nur eine einzelne WKA genehmigt wurde, anders als die Fälle der Errichtung von Windparks. Hierin liegt nicht die Schaffung eines rechtsfreien Raums, sondern die stärkere Gewichtung der Rechtssicherheit. Im Übrigen sind Nachbarn einer WKA uneingeschränkt klagebefugt.
Mangels Klagebefugnis war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Beigeladene hat einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt. Deshalb entspricht es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten dem Kläger aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben