Europarecht

Verfahrensgebühren bei Dublin-Verfahren – erfolgreiche Kostenerinnerung

Aktenzeichen  AN 17 M 21.50080

Datum:
15.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2021, 463
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RVG VV Nr. 3100, Nr. 3309
VwGO § 123

 

Leitsatz

1. Der Gebührensatz von 0,3 nach der Nr. 3309 VV RVG fällt somit nur dann an, wenn es sich bei dem Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens ausschließlich um eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme handelt.  (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO eintretende Zuständigkeitsübergang für das Asylverfahren des Erinnerungsführers auf Deutschland betrifft nicht nur die Abschiebungsanordnung als Basis für die Vollstreckung, sondern auch den Grundverwaltungsakt der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG, der Voraussetzung für den Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG ist.  (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 12. März 2021 für das Verfahren AN 17 E 20.50358 wird dahingehend abgeändert, dass die durch den Erinnerungsführer beantragte 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG unter entsprechender Anpassung der Auslagenpauschale und der Mehrwertsteuer festzusetzen ist. Die Neufassung des Kostenfestsetzungsbeschlusses nach Maßgabe dieses Beschlusses wird der Urkundsbeamtin übertragen.
2. Die Erinnerungsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Erinnerungsverfahrens.

Gründe

I.
Der Erinnerungsführer wendet sich mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 12. März 2021, mit dem die dem Antragsteller in einem erfolgreichen Verfahren nach § 123 VwGO gegen eine drohende Abschiebung im Rahmen eines Dublin-Verfahrens nach Rumänien zu erstattenden notwendigen Aufwendungen festgesetzt wurden.
Mit Beschluss vom 6. November 2020 (AN 17 E 20.50358) verpflichtete das Verwaltungsgericht Ansbach die Erinnerungsgegnerin (Antragsgegnerin) im Wege der einstweiligen Anordnung dazu, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass vorläufig eine Abschiebung des Antragstellers aus dem Bescheid vom 18. Februar 2020 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens AN 17 K 20.50321 nicht erfolgen dürfe. Gleichzeitig wurden der Erinnerungsgegnerin die Kosten des Verfahrens auferlegt. Bereits zuvor hatte das Verwaltungsgericht Ansbach einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung (§ 34a AsylG) nach § 80 Abs. 5 VwGO mit Beschluss vom 11. März 2020 abgelehnt und die diesbezügliche Klage mit Urteil vom 15. Juni 2020, rechtskräftig seit 28. Juli 2020, abgewiesen (AN 17 S 20.50096, AN 17 K 20.50097). Nach Eintritt der Bestandskraft lief die Überstellungsfrist nach § 29 Abs. 1 Unterabs. 1 der VO (EU) 604/2013 (Dublin III-VO) mit der Folge des Zuständigkeitsübergangs für das Asylverfahren des Erinnerungsführers auf die Bundesrepublik Deutschland ab, § 29 Abs. 2 Dublin III-VO. Hierauf gestützt erhob der Erinnerungsführer eine weitere Klage (AN 17 K 20.50321) und stellte, als die Abschiebung nach Rumänien auf Grund der bestandskräftigen Abschiebungsanordnung drohte, den besagten und schließlich erfolgreichen Antrag nach § 123 VwGO (AN 17 E 20.50358).
In der Folge beantragte der Prozessbevollmächtigte des Erinnerungsführers im Verfahren AN 17 E 20.50358 mit Schriftsatz vom 6. November 2020 Kostenfestsetzung auf Basis eines Gegenstandswertes von 2.500,00 EUR:
„1,3 Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV 261,30 Euro Auslagen Nr. 7002 VV 20,00 Euro Zwischensumme 281,30 Euro
16% MWSt. Nr. 7008 VV 45,00 Euro
SUMME 326,30 Euro“
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 12. März 2021 wurden die dem Erinnerungsführer (Antragsteller) von der Erinnerungsgegnerin (Antragsgegnerin) zu erstattenden notwendigen Aufwendungen im Verfahren AN 17 E 20.50358 auf 83,94 EUR, zuzüglich Verzinsung gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO ab 7. Januar 2021, festgesetzt. Zur Begründung war im Wesentlichen ausgeführt, dass es im vorliegenden Verfahren um die Aussetzung einer Abschiebung gegangen sei. Diese sei ein Akt der Zwangsvollstreckung und daher könne nur eine 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG festgesetzt werden.
Gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluss beantragte der Erinnerungsführer mit Schriftsatz vom 19. März 2021 die Entscheidung des Gerichts.
Zur Begründung führt er aus, dass zu Recht eine 1,3 Gebühr nach Ziff. 3100 VV RVG beantragt worden sei und verweist auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart (B.v. 20.10.2009 – 11 K 3166/09 – juris).
Die Urkundsbeamtin half der Erinnerung nicht ab und legte das Verfahren mit Schreiben vom 25. März 2021 dem Einzelrichter zur Entscheidung vor.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Kostenfestsetzungsbeschluss sowie auf den Inhalt der gerichtlichen Akten in diesem Verfahren sowie der Verfahren AN 17 S 20.50096, AN 17 K 20.50097, AN 17 E 20.50308 und AN 17 E 20.50358 verwiesen.
II.
Die Kostenerinnerung, über die das Gericht in der Besetzung wie im zugrundeliegenden Beschluss zu entscheiden hat, ist zulässig, insbesondere fristgerecht innerhalb von zwei Wochen nach §§ 165, 151 VwGO erhoben, und begründet.
Die im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 12. März 2021 festgesetzte 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zum RVG (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) ist hier nicht einschlägig, weil Gegenstand des Verfahrens AN 17 E 20.50358 keine (Zwangs) Vollstreckung und kein Verwaltungszwang im Sinne der Vorbemerkung Nr. 3.3.3. zum Unterabschnitt 3 – Vollstreckung und Vollziehung – des VV RVG ist. Zwar begehrte der Erinnerungsführer in sachgerechter Auslegung seines Antrages, die Abschiebung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen und zählt die Aussetzung einer Abschiebung nach teilweise vertretener Ansicht als Akt der Zwangsvollstreckung im Sinne des VV RVG Nr. 3309 (umstr., s. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl. 2019, RVG VV 3309 Rn. 191). Jedoch ist bei der Anwendung Nr. 3309 des VV RVG mit ihrer 0,3 Verfahrensgebühr der Sinn und Zweck der Regelung in den Blick zu nehmen. Die im Vergleich zur 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG deutlich niedrigere 0,3 Verfahrensgebühr der Nr. 3309 VV RVG erklärt sich daraus, dass das Gericht im Anwendungsbereich des Unterabschnittes 3 VV RVG – Vollstreckung und Vollziehung – sich auf die Nachprüfung der Zulässigkeit der Zwangsmaßnahmen beschränkt und nicht mehr die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsaktes prüft. Der Gebührensatz von 0,3 nach der Nr. 3309 VV RVG fällt somit nur dann an, wenn es sich bei dem Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens ausschließlich um eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme handelt (VG Stuttgart, B.v. 10.2.2009 – A 11 K 426/09 – juris Rn. 2; VG Ansbach, B.v. 28.10.2011 – AN 14 M 11.30449 – n.v.; B.v. 12.12.2011 – AN 14 M 11.30450 – n.v.).
In der vorliegenden Konstellation einer bereits bestandskräftigen Abschiebungsanordnung nach §§ 29 Abs. 1 Nr. 1 a), 34a AsylG mit erst nach Eintritt der Bestandskraft abgelaufener Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO und dem damit gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO einhergehenden Zuständigkeitsübergang auf die Bundesrepublik Deutschland (Erinnerungsgegnerin), ist Streitgegenstand eines zu dessen Sicherung erhobenen Antrages nach § 123 VwGO nicht lediglich die Zwangsvollstreckungsmaßnahme der drohenden Abschiebung auf Basis der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG. Vielmehr betrifft der gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO eintretende Zuständigkeitsübergang für das Asylverfahren des Erinnerungsführers auf Deutschland nicht nur die Abschiebungsanordnung als Basis für die Vollstreckung, sondern auch den Grundverwaltungsakt der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG, der Voraussetzung für den Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG ist. Derlei nach Bestandskraft zu Gunsten des Erinnerungsführers eingetretene Umstände sind über § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG (Wiederaufgreifen des Verfahrens) geltend zu machen und, sofern eine Abschiebung aufgrund der bestandskräftigen Abschiebungsanordnung droht, über eine Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO verfahrensrechtlich abzusichern. Anders, also als reine Maßnahme der Zwangsvollstreckung im Sinne der Nr. 3309 VV RVG, könnte man dies nur für den Fall sehen, dass ausschließlich, im Rahmen des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ebenfalls zu prüfende, inlandsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60a ff. AufenthG geltend gemacht werden (vgl. etwa VGH BW, B.v. 8.11.1999 – 11 S 2472/99 – juris).
Demnach kann nicht lediglich eine 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG festgesetzt werden, sondern ist eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG zu wählen. Die Auslagenpauschale und die Mehrwertsteuer sind sodann entsprechend anzupassen.
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus § 15 Abs. 2 RVG, nach dem der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern kann. Dieselbe Angelegenheit ist nach § 16 Nr. 5 RVG „das Verfahren über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, über den Erlass einer einstweiligen Verfügung oder einstweiligen Anordnung, über die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, über die Aufhebung der Vollziehung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts und jedes Verfahren über deren Abänderung, Aufhebung oder Widerruf“. Zwar liegt ein ablehnender Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich der durch den Erinnerungsführer beantragten Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (AN 17 K 20.50097) gegen die Abschiebungsanordnung nach Rumänien vom 11. März 2020 vor (AN 17 S 20.50096). Jedoch wurde die Hauptsacheklage mit Urteil vom 15. Juni 2020 (AN 17 K 20.50097), rechtskräftig seit dem 28. Juli 2020, abgewiesen. Insofern war angesichts des nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides des Bundesamtes vom 18. Februar 2020 erfolgten Ablaufes der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO kein Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO mehr möglich. Der gegen die drohende Abschiebung neben der Erhebung der Hauptsacheklage (AN 17 K 20.50321) gestellte Antrag nach § 123 VwGO, dem mit Beschluss vom 6. November 2020 entsprochen wurde (AN 17 E 20.50358), kann nicht als Abänderung oder Aufhebung des ablehnenden Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO vom 11. März 2020 (AN 17 S 20.50096) verstanden werden, da eine Abänderung nach § 80 Abs. 7 VwGO nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides ausscheidet (Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, 39. EL Juli 2020, § 80 Rn. 577). Zudem handelt es sich nicht mehr um den identischen Streitgegenstand, da der Ablauf der Überstellungsfrist nach § 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO und der damit einhergehende Zuständigkeitsübergang für das Asylverfahren des Erinnerungsführers auf Deutschland gemäß § 29 Abs. 2 Dublin III-VO nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides vom 18. Februar 2020 nunmehr im Rahmen eines Anspruches auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG geltend gemacht werden muss, zu dessen Absicherung im Falle einer drohenden Abschiebung auf Basis des bestandskräftigen Bescheides ein Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO statthaft ist.
Der Einzelrichter macht von § 173 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO Gebrauch und überträgt die erforderliche Neufassung des Kostenfestsetzungsbeschlusses der Urkundsbeamtin (zu dieser Möglichkeit BayVGH, B.v. 15.10.2020 – BeckRS 2020, 28718 Rn. 12; Hug in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 165 Rn. 3).
Die auch im Erinnerungsverfahren zu treffende Kostengrundentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO (Kunze in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 56. Ed. 1.1.2021, § 165 Rn. 11 m.w.N. auch zur a.A. mit Verweis auf § 66 Abs. 8 Satz 2 GKG). Das Erinnerungsverfahren ist gerichtskostenfrei (BayVGH, B.v. 27.2.2020 – 8 C 18.1889 – BeckRS 2020, 6594 Rn. 21), was sich in einer asylrechtlichen Streitigkeit wie hier überdies aus § 83b AsylG ergibt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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