Europarecht

Verjährung der Ansprüche des geschädigten Fahrzeugerwerbers im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal: Grob fahrlässige Unkenntnis hinsichtlich der Anspruchsentstehung; Verjährungshemmung bei Erhebung einer Musterfeststellungsklage; Verstoß gegen Treu und Glauben bei Anmeldung der Ansprüche zum Klageregister ausschließlich zum Zweck der Verjährungshemmung

Aktenzeichen  VI ZR 1118/20

Datum:
29.7.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:290721UVIZR1118.20.0
Normen:
§ 31 BGB
§ 199 Abs 1 Nr 2 BGB
§ 204 Abs 1 Nr 1a BGB
§ 242 BGB
§ 826 BGB
§ 608 Abs 1 ZPO
§ 608 Abs 3 ZPO
Art 5 Abs 2 EGV 715/2007
Spruchkörper:
6. Zivilsenat

Leitsatz

1. Die Annahme grober Fahrlässigkeit (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB) setzt im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal zumindest in einem ersten Schritt die Feststellung voraus, dass der geschädigte Fahrzeugerwerber von dem sogenannten Dieselskandal Kenntnis erlangt hat.
2. Die Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB setzt lediglich voraus, dass die Musterfeststellungsklage selbst innerhalb der Verjährungsfrist erhoben wird. Dagegen kann die Anspruchsanmeldung zum Klageregister – im zeitlichen Rahmen des § 608 Abs. 1 ZPO – auch später erfolgen.
3. Die Berufung auf den Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BGB verstößt nicht allein deshalb gegen Treu und Glauben, weil der Gläubiger seinen Anspruch ausschließlich zum Zweck der Verjährungshemmung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage angemeldet hat.

Verfahrensgang

vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 25. Juni 2020, Az: 8 U 34/20vorgehend LG Dessau-Roßlau, 27. März 2020, Az: 4 O 367/19

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 25. Juni 2020 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Der Kläger erwarb im September 2013 in einem Autohaus einen gebrauchten VW Tiguan zu einem Kaufpreis von 22.490 €. Das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA189 (EU 5) ausgestattet.
2
Am 22. September 2015 erklärte die Beklagte in einer Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG a.F., dass bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Motoren vom Typ EA189 auffällige Abweichungen zwischen den auf dem Prüfstand gemessenen Emissionswerten und denen im realen Fahrzeugbetrieb festgestellt worden seien. Anfang Oktober 2015 richtete die Beklagte eine Internetplattform ein, auf der die Fahrzeughalter die Betroffenheit ihres konkreten Fahrzeugs ermitteln konnten. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) kam mit Bescheid vom 15. Oktober 2015 zu dem Ergebnis, dass die Motoren der Baureihe EA189 mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgerüstet seien, und ordnete gegenüber der Beklagten die Entfernung der Abschalteinrichtung und die Ergreifung geeigneter Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit im Rahmen eines Rückrufs an. Die Beklagte informierte die Öffentlichkeit mit Pressemitteilungen vom 15. Oktober, 25. November, 10. und 16. Dezember 2015 über technische Lösungen, mit deren Umsetzung ab Januar 2016 begonnen werde, und teilte mit, dass die betroffenen Fahrzeughalter angeschrieben und über die weiteren Schritte informiert würden. Die Medien berichteten umfangreich über die genannten Geschehnisse.
3
Am 17. September 2019 veräußerte der Kläger das Fahrzeug zu einem Preis von 10.000 € weiter.
4
Der Kläger behauptet, er habe sich im Dezember 2018 zum Klageregister zu einer gegen die Beklagte geführten Musterfeststellungsklage angemeldet und die Anmeldung im Juni 2019 wieder zurückgenommen.
5
Mit seiner im Juli 2019 eingereichten Klage hat der Kläger zuletzt Erstattung des Kaufpreises nebst Zahlung von Delikts- und Prozesszinsen gegen Zahlung eines Wertersatzes von höchstens 10.000 € statt Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und u.a. die Einrede der Verjährung erhoben.
6
Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.


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