Aktenzeichen W 8 K 17.502
VO Nr. 882/2004 (EG) Art. 54
LFGB § 39, § 42 Abs. 2
VO Nr. 852/2004 (EG) Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1
VO (EG) Nr. 178/2002
LMHV § 4 Abs. 1
VwGO § 173
ZPO § 227
BGB § 278
Leitsatz
1 Im Anwendungsbereich des Art. 54 VO (EG) Nr. 882/2004 ist § 39 LFGB unanwendbar. § 39 Abs. 2 LFGB iVm § 43 Abs. 5 IfSG wird dagegen durch die VO (EG) Nr. 882/2004 nicht verdrängt, da das Infektionsschutzgesetz einen anderen Zweck verfolgt. (Rn. 20 und 40) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Betriebsleiter eines Unternehmens, das als Lebensmittelunternehmer iSd § 3 Nr. 7 LFBG iVm Art. 3 Nr. 3 VO (EG) Nr. 178/2002 einzustufen ist, kann die ihn insbesondere hinsichtlich der Sorgfaltspflichten treffenden Aufgaben sowohl an Mitarbeiter als auch an Externe delegieren. Die eigene Verantwortlichkeit des Betriebsleiters wird dadurch allerdings nicht aufgehoben; er haftet vor allem für eine ausreichende Belehrung und Überwachung der Aufsichtspersonen sowie Organisationsmängel, die ihre Ursache in einer unzureichenden Kontrolle haben. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3 Welche Standorte für Handwaschbecken iSd Art. 4 Abs. 2 iVm Anhang II Kap. I Nr. 4 der VO (EG) Nr. 852/2004 “geeignet” sind, ist allein nach dem Sinn und Zweck dieser Verordnung zu bestimmen, nämlich der Gewährleistung von Sicherheit der Lebensmittel auf allen Stufen der Lebensmittelkette. (Rn. 29 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
4 Geschnittene Ananas ist kein Lebensmittel iSv § 42 Abs. 2 IfSG. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
5 Eine Duldungsverfügung als belastender Verwaltungsakt darf nicht vorsorglich ausgesprochen werden. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Nr. 1.3 des Bescheides des Landratsamtes W. vom 13. April 2018 und die entsprechende Zwangsgeldandrohung in Nr. 4, soweit sie sich auf die Nr. 1.3 bezieht, und die Nr. 2 des Bescheides werden aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens haben die Klägerin 2/3, der Beklagte 1/3 zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Das Gericht konnte über die Klage trotz des Ausbleibens von Beteiligten entscheiden, da hierauf in der Ladung zur mündlichen Verhandlung hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Klägerin war zur mündlichen Verhandlung laut Empfangsbekenntnis vom 9. Juli 2018 rechtzeitig und ordnungsgemäß geladen worden. Anlass für eine Terminverlegung aufgrund des am 19. Oktober 2018 eingegangenen Schreibens des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 19. Oktober 2018, in dem dieser mitteilte, dass aufgrund eines Büroversehens vergessen worden sei, für eine Terminsvertretung durch unterbevollmächtigte Rechtsanwälte Sorge zu tragen, bestand nicht.
Nach § 173 VwGO i. V. m. § 227 ZPO kann aus erheblichen Gründen ein Termin aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Nach § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO sind erhebliche Gründe insbesondere nicht das Ausbleiben einer Partei oder die Ankündigung nicht zu erscheinen, wenn nicht das Gericht dafür hält, dass die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert ist. Die erheblichen Gründe sind auf Verlangen glaubhaft zu machen (§ 227 Abs. 2 ZPO). Die Entscheidung steht im Ermessen des Gerichts.
Bei Berücksichtigung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots (§ 87b, § 87 Abs. 1 VwGO) sowie bei Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Erfordernisses des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 2 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) war eine Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung nicht erforderlich. Der Antrag auf Terminsverlegung wurde lediglich damit begründet, dass es aufgrund eines Büroversehens versäumt wurde, für eine Terminsvertretung durch unterbevollmächtigte Rechtsanwälte zu sorgen. Es wurde jedoch nicht vorgetragen, dass der Prozessbevollmächtigte selbst oder ein Vertreter der Klägerin selbst an dem – erst in drei Tagen stattfindenden – Termin verhindert gewesen wäre. Es bestehen somit keine Anhaltspunkte, dass ein Vertreter der Klägerin bzw. ihr Bevollmächtigter ohne Verschulden am Erscheinen am Termin verhindert war.
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Aufhebung des Bescheids vom 13. April 2017 hinsichtlich der Anordnungen in Nr. 1.3 sowie hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Nr. 4, soweit sich diese auf einen Verstoß gegen die Anordnung in Nr. 1.3 bezieht. Der Bescheid ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids als der letzten behördlichen Handlung in diesem Verfahren.
Rechtsgrundlage der lebensmittelrechtlichen Anordnungen ist Art. 54 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vom 29. April 2004 (ABl. L 165/1) i.V.m. den Vorschriften der Verordnung (EU) 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl L 327/1). Danach trifft die zuständige Behörde, wenn sie einen Verstoß gegen das Lebensmittelrecht festgestellt hat, die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der Unternehmer Abhilfe schafft.
Als unmittelbar in allen Mitgliedstaaten geltendes EU-Recht hat Art. 54 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 in seinem Anwendungsbereich Vorrang vor nationalem Recht. Insoweit ist daher § 39 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs – LFGB – als Eingriffsgrundlage des nationalen Rechts unanwendbar (vgl. OVG NRW, B.v. 26.11.2014 – 13 B 1250/14 – juris Rn. 10 ff; VGH BW, U.v. 16.6.2014 – 9 S 1273/13 – juris Rn. 22 ff; OVG HH, B.v. 5.9.2009 – 5 Bs 139/11 – juris; VG Berlin, U.v. 14.3.2018 – 14 K 328.16 – juris Rn. 22; Zipfel/ Rathke, Lebensmittelrecht, § 39 LFGB Rn. 10 f.). Der Umstand, dass der Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid (auch) auf § 39 Abs. 2 Satz 1 LFGB gestützt hat, ist rechtlich gleichwohl unschädlich, denn das Auswechseln der Rechtsgrundlage ist hier zulässig (Art. 47 BayVwVfG). Wegen der identischen Zielrichtung, strukturellen Vergleichbarkeit sowie des Gleichlaufs von Befugnisrahmen und Rechtsfolgen lässt der Austausch von § 39 Abs. 2 Satz 1 LFGB gegen Art. 54 Abs. 1 und 2 Buchst. b) der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 den Regelungsgehalt (Tenor) der Grundverfügung unberührt und sind zur Begründung auch keine wesentlich anderen oder zusätzlichen Erwägungen erforderlich (vgl. OVG NRW, B.v. 26.11.2014, a.a.O., Rn. 18 m.w.N.).
1. Der streitgegenständliche Bescheid vom 13. April 2017 ist formell rechtmäßig.
Ein durchgreifender Anhörungsmangel gem. Art. 28 BayVwVfG ist nicht gegeben. Zwar ist vorliegend eine Anhörung der Klägerin nach Art. 28 BayVwVfG seitens der Kontrollbehörde unterblieben, wobei offenbleiben kann, ob von einer Anhörung ermessensfehlerfrei nach Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG abgesehen werden konnte. Jedenfalls ist eine Heilung nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Art. 45 BayVwVfG durch Nachholung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingetreten (vgl. BVerwG, U.v. 12.4.2005 – 1 C 9/04 – BverwGE 123, 90 – juris Rn. 39; BayVGH, B.v. 7.10.2014 – 22 ZB 14.1062 – juris Rn. 9 f.).
2. Die Nr. 1.3 des Anordnungsbescheids vom 13. April 2017 und die entsprechende Zwangsgeldandrohung in Nr. 4, soweit sie sich auf die Nr. 1.3 bezieht, und die Nr. 2 sind materiell rechtswidrig und verletzen dadurch die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Im Übrigen ist der Bescheid materiell rechtmäßig.
2.1 Entgegen den Ausführungen der Klägerseite ist die Klägerin die richtige Adressatin des Bescheids. Die Klägerin war mit der Durchführung der Präsentation beauftragt. Zudem erklärte die bei der Kontrolle des Präsentationsstandes vor Ort angetroffene Promoterin Frau S. nach den Angaben des Beklagten, Mitarbeiterin der Klägerin zu sein. Unterlagen zum Nachweis der behaupteten Subunternehmerschaft von Frau S., die geeignet sind, den nach außen erzeugten Schein der Mitarbeiterschaft von Frau S. bei der Klägerin zu widerlegen, wurden seitens der Klägerin dagegen nicht vorgelegt.
Die Frage, ob Frau S. eine Mitarbeiterin der Klägerin war, ist jedoch letztlich nicht entscheidungserheblich. Denn selbst wenn man davon ausgeht, dass Frau S. eine von der Klägerin beauftragte Subunternehmerin ist, ist verantwortliche Lebensmittelunternehmerin i.S.v. § 3 Nr. 7 LFGB i.V.m. Art. 3 Nr. 3 VO (EG) Nr. 178/2002 vorliegend (auch) die Klägerin. Gemäß § 3 Nr. 7 LFGB i.V.m. Art. 3 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 bezeichnet der Ausdruck „Lebensmittelunternehmer“ die natürlichen oder juristischen Personen, die dafür verantwortlich sind, dass die Anforderungen des Lebensmittelrechts in dem ihrer Kontrolle unterstehenden Lebensmittelunternehmen erfüllt werden. Nach Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 sorgen die Lebensmittel- und Futtermittelunternehmer auf allen Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen in den ihrer Kontrolle unterstehenden Unternehmen dafür, dass die Lebensmittel oder Futtermittel die Anforderungen des Lebensmittelrechts erfüllen, die für ihre Tätigkeit gelten, und überprüfen die Einhaltung dieser Anforderungen. Der Betriebsinhaber eines Unternehmens kann die ihn insbesondere hinsichtlich der Sorgfaltspflichten treffenden Aufgaben sowohl an Mitarbeiter als auch an Externe (Berater) delegieren, die dann in erster Linie für die Einhaltung lebensmittelrechtlicher Vorschriften verantwortlich sind. Die eigene Verantwortlichkeit des Betriebsleiters wird allerdings nicht dadurch aufgehoben, dass auch ein anderer eine Prüfungspflicht hat (Meyer/Streinz, LFGB – BasisVO, 2. Auflage 2012, Art. 17 Rn. 10 m.w.N.). Der Betriebsinhaber ist im Fall der Delegation nicht schlechthin entlastet, denn er haftet (weiterhin) u.a. für eine eingehende und ausreichende Belehrung sowie die Überwachung der Aufsichtspersonen und ist für Organisationsmängel, die in einer unzureichenden Kontrolle die Ursache haben, verantwortlich (Meyer/Streinz, a.a.O. Rn. 14, 17). Ein Subunternehmer ist insoweit vielmehr als Erfüllungsgehilfe i.S.v. § 278 BGB für den Hauptunternehmer anzusehen, wobei etwaiges Verschulden des Erfüllungsgehilfen dem Hauptunternehmer zugerechnet wird. Somit war die vom Supermarkt mit der Durchführung eines Präsentationsstandes beauftragte Klägerin auch bei einer Delegation auf eine andere Person nicht von ihrer Organisations- und Aufsichtspflicht entbunden. Die Klägerin trug die Letztverantwortung für den Präsentationsstand und hätte mit dem Supermarktleiter die Gegebenheiten vor Ort besprechen müssen.
Die Adressierung des streitgegenständlichen Anordnungsbescheids an die Klägerin und nicht an die etwaige Subunternehmerin Frau S. muss zudem dem Grundsatz der effektiven Gefahrenabwehr und Störerauswahl entsprechen. Hiernach ist die Maßnahme an den zu richten, der den Verstoß effektiv beseitigen kann. Wie bereits ausgeführt war die Klägerin mit der Präsentation beauftragt und insoweit Ansprechpartnerin für den Auftraggeber. Ihr war und ist es damit im Hinblick auf die im streitgegenständlichen Bescheid getroffenen Anordnungen am einfachsten und effektivsten möglich, die Bedingungen der Präsentation zu klären und gegebenenfalls erforderliche Maßnahmen zu klären bzw. zu organisieren. Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die oben genannten Grundsätze bestehen demnach nicht.
2. 2.1 Der Beklagte hat zutreffend Verstöße gegen die Vorschrift des Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 vom 29. April 2004 (ABl L 139) festgestellt und die Klägerin unter Nr. 1.1 und 1.2 des streitgegenständlichen Bescheids zur Beseitigung dieser Mängel verpflichtet.
2.1.1 Nach Art. 4 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 haben Lebensmittelunternehmer, die auf Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen tätig sind, die den Arbeitsgängen gemäß Abs. 1 (Primärproduktion) nachgeordnet sind, die allgemeinen Hygienevorschriften gemäß Anhang II zu erfüllen. Nach Anhang II Kap. I Nr. 4 müssen an geeigneten Standorten genügend Handwaschbecken vorhanden sein. Diese müssen Warm- und Kaltwasserzufuhr haben; darüber hinaus müssen Mittel zum Händewaschen und zum hygienischen Händetrocknen vorhanden sein. Soweit erforderlich, müssen die Vorrichtungen zum Waschen der Lebensmittel von den Handwaschbecken getrennt angeordnet sein.
Bei dem Begriff „geeignet“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der Konkretisierung im Einzelfall bedarf und dessen Anwendung auf den jeweiligen Sachverhalt der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt (VG Berlin, U.v. 20.1.2011 – 14 A 91.08 – juris). Die Geeignetheit des Standorts eines Handwaschbeckens ergibt sich nicht aus der vom Beklagten angewendeten HDE-Leitlinie für eine gute Verfahrenspraxis, wonach sich insbesondere in Räumen, in denen unverpackte Lebensmittel bearbeitet und behandelt werden, im Arbeitsumfeld „leicht erreichbare“ Handwaschbecken befinden müssen. Vielmehr ist auf Sinn und Zweck der zugrundeliegenden Verordnung (EG) Nr. 852/2004 abzustellen. Dieser liegt darin, die Sicherheit der Lebensmittel auf allen Stufen der Lebensmittelkette zu gewährleisten (Art. 1 Abs. 1 lit. b) der Verordnung (EG) Nr. 852/2004) und – wie aus Nr. 4 und 7 der Erwägungsgründe der Verordnung folgt – hinsichtlich der Sicherheit von Lebensmitteln ein hohes Verbraucherschutzniveau und den Schutz der öffentlichen Gesundheit sicherzustellen, (vgl. VG Berlin, a.a.O.).
Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen ist im vorliegenden Fall das Vorhandensein eines Waschbeckens an einem geeigneten Standort zu verneinen. Wie sich aus dem Ergebnisprotokoll des Landratsamtes W. ergibt, war am Kontrolltag 5. April 2017 am Stand in der Obstabteilung kein Handwaschbecken in unmittelbarer Nähe mit Flüssigseife und Handtrocknungseinrichtungen. Das nächstmögliche Handwaschbecken war hinter der Metzgereitheke im Lager- bzw. Gebäckaufsetzraum des Marktes. In der mündlichen Verhandlung führte der Beklagtenvertreter aus, Frau S. hätte durch mehrere Türen und Räumlichkeiten hindurchgehen müssen, um das Handwaschbecken zu erreichen. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung erscheint es deshalb unwahrscheinlich, dass ein Promoter dieses vorhandene Handwaschbecken so oft aufsucht, wie eine Reinigung der Hände angezeigt ist, da sonst der Stand häufig verwaist wäre, was nicht gewollt ist und im Übrigen auch die Gefahr von Kontaminationen durch Dritte mit sich bringt (vgl. hinsichtlich eines Handwaschbeckens in einer Bäckereifiliale VG Düsseldorf, U.v. 17.3.2010 – 16 K 4105/09 – juris Rn. 13). Auch wenn – wie von der Klägerin vorgetragen – eine unmittelbare Nähe durch das Gesetz nicht gefordert wird und vom Gesetz auch keine konkrete Vorgabe in Metern gemacht wird, ist damit vorliegend mangels Sicherstellung des oben aufgezeigten Schutzniveaus ein geeigneter Standort i.S.v. Anhang II Kap.I Nr. 4 der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 eindeutig zu verneinen. Ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Anhang II Kapitel I Nr. 4 der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 ist vorliegend folglich gegeben.
Die Anforderung, dass an geeigneten Orten hygienische Waschvorrichtungen zum Händewaschen eingerichtet werden ist auch nicht unverhältnismäßig. Andere, die Klägerin weniger belastende Maßnahmen sind nicht ersichtlich. Insbesondere sind Einweghandschuhe alleine nicht ausreichend, sondern kommen laut Angaben des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung nur zusätzlich zu den gewaschenen Händen in Betracht. Schließlich wird der Klägerin durch die im streitgegenständlichen Bescheid genannte Möglichkeit eines mobilen Handwaschbeckens nichts Unmögliches abverlangt.
2.1.2 Die unter Nr. 1.2 des Bescheides getroffene Anordnung hinsichtlich der Betriebshygiene ist ebenfalls rechtmäßig. Nach Anhang II Kap. IX Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 sind Lebensmittel auf allen Stufen der Erzeugung, der Verarbeitung und des Vertriebs vor Kontaminationen zu schützen, die sie für den menschlichen Verzehr ungeeignet oder gesundheitsschädlich machen bzw. derart kontaminieren, dass ein Verzehr in diesem Zustand nicht zu erwarten wäre. Im vorliegenden Fall gab es weder Arbeitsanweisungen der Zentrale noch war die Reinigung der Gerätschaften zum Zeitpunkt der Kontrolle geregelt. Das Wasser des Eimers zur Zwischenreinigung der Gerätschaften war bereits eingetrübt.
2.2 Weiter ist die unter Nr. 1.4 des Bescheids getroffene Anordnung hinsichtlich des Hygienemanagements rechtmäßig. Nach § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2 LMHV (Lebensmittelhygiene-Verordnung) dürfen leicht verderbliche Lebensmittel nur von Personen hergestellt, behandelt oder in den Verkehr gebracht werden, die auf Grund einer Schulung nach Anhang II Kapitel XII Nummer 1 der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 über ihrer jeweiligen Tätigkeit entsprechende Fachkenntnisse auf den in Anlage 1 genannten Sachgebieten verfügen. Die Fachkenntnisse nach Satz 1 sind auf Verlangen der zuständigen Behörde nachzuweisen. Ein leicht verderbliches Lebensmittel ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 LMHV ein Lebensmittel, das in mikrobiologischer Hinsicht in kurzer Zeit leicht verderblich ist und dessen Verkehrsfähigkeit nur bei Einhaltung bestimmter Temperaturen oder sonstiger Bedingungen erhalten werden kann.
In der Regel kann davon ausgegangen werden, dass Lebensmittel leicht verderblich sind, wenn sie nicht durch Konservierung, Art der Verpackung oder auf andere Weise (tiefgefrieren) für einen längeren Zeitraum haltbar sind und deshalb in kurzer Zeit verderben. Dazu gehören insbesondere viele Frischwaren wie bestimmte Obstarten (Erdbeeren, Himbeeren), wobei dagegen Lebensmittel nicht leicht verderblich sind, die von Natur aus länger haltbar sind; auch dazu gehören bestimmte Obstarten (z.B. Bananen, Apfelsinen) (Rathke/Sosnitza, in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 170. EL März 2018, Rn. 30), so dass die unbearbeitete Ananas an sich als nicht leicht verderblich anzusehen wäre.
Abzustellen ist hier jedoch auf den Prozess der Zerkleinerung der Ananas bzw. auf die geschnittene Ananas, da am Präsentationsstand der Umgang mit der zerkleinerten Ananas in der Form erfolgte, dass diese den Kunden in mundgerechten Stücken mit dem Zweck der Verkostung angeboten worden ist. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 LMHV sind damit vorliegend zu bejahen.
2.3 Der Beklagte hat die Klägerin unter Nr. 1.5 des Bescheides zu Recht verpflichtet, ein HACCP-Konzept zu erstellen und der Behörde auf Verlangen vorzulegen. Nach Art. 5 Abs. 1 der Verodnung (EG) Nr. 852/2004 haben die Lebensmittelunternehmer ein oder mehrere ständige Verfahren, die auf den HACCP-Grundsätzen beruhen, einzurichten, durchzuführen und aufrechtzuerhalten. Nach Art. 5 Abs. 4 lit.a der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 haben die Lebensmittelunternehmen gegenüber der zuständigen Behörde den Nachweis zu erbringen, dass sie Absatz 1 entsprechen; dieser Nachweis erfolgt in der von der zuständigen Behörde unter Berücksichtigung der Art und Größe des Lebensmittelunternehmens verlangten Form. Ein solches Konzept wurde hier jedoch nicht vorgelegt.
Der Beklagtenvertreter erklärte im Rahmen der mündlichen Verhandlung, das Konzept könne auch sehr einfach ausfallen. Es müsse nur ersichtlich sein, dass sich der/die Betreffende Gedanken gemacht habe, welche Maßnahmen er/sie zu welchem Zeitpunkt vornehme, um den Hygieneschutz zu gewährleisten. Anhaltspunkte für eine Unverhältnismäßigkeit bestehen insoweit folglich nicht.
2.4 Die genannten Anordnungen unter Nr. 1.1, 1.2, 1.4 und 1.5 des streitgegenständlichen Bescheids waren zudem erforderlich zur Sicherstellung, dass die Klägerin Abhilfe schafft, und begegnen auch im Übrigen keinen rechtlichen Bedenken. Ein Entschließungsermessen steht der Behörde im Rahmen einer Anordnung nach Art. 54 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 nicht zu. Vielmehr besteht bei Vorliegen eines Verstoßes die Pflicht, erforderliche Maßnahmen zu treffen (vgl. BayVGH, U.v. 9.7.2015 – 20 BV 14.1490 – juris). Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind nicht ersichtlich. Soweit hierzu im Rahmen der obigen Ausführungen zu den einzelnen Anordnungen schon Ausführungen gemacht wurden, wird hierauf verwiesen.
2.5 Rechtswidrig ist dagegen die Anordnung unter Nr. 1.3 des streitgegenständlichen Bescheids hinsichtlich der fehlenden Bescheinigung der Erstbelehrung nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) bzw. eines Gesundheitszeugnisses.
Rechtsgrundlage ist hier § 39 Abs. 2 LFGB i.V.m. § 43 Abs. 5 IfSG. § 39 Abs. 2 LFGB wird insoweit nicht durch die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 verdrängt, da das Infektionsschutzgesetz einen anderen Zweck verfolgt (vgl. §§ 1ff. IfSG) als diese (VG Ansbach, U.v. 6.10.2017 – AN 14 K 16.02519 – juris Rn. 30).
Das Erfordernis einer Belehrung bzw. Bescheinigung des Gesundheitsamtes für Personen, die gewerbsmäßig die in § 42 Abs. 1 bezeichneten Tätigkeiten erstmalig ausüben und mit diesen Tätigkeiten erstmalig beschäftigt werden, ergibt sich aus § 43 Abs. 1 IfSG. Einschlägige Tätigkeit i.S.v. § 42 Abs. 1 IfSG könnte vorliegend das Herstellen, Behandeln oder Inverkehrbringen der in Absatz 2 genannten Lebensmittel sein (Satz 1 lit. a). (Geschnittene) Ananas ist jedoch schon nach dem Wortlaut kein Lebensmittel i.S.v. § 42 Abs. 2 IfSG. Auch eine Subsumtion unter § 42 Abs. 2 Nr. 8 IfSG nach Sinn und Zweck der Norm kommt wegen des entgegenstehenden eindeutigen Wortlauts, der auf Salat und nicht z.B. auf Rohkost an sich abstellt, nicht in Betracht.
Ein Verstoß gegen § 43 IfSG liegt damit mangels einer Tätigkeit, die eine Belehrung bzw. eine Bescheinigung des Gesundheitsamtes in diesem Sinn erfordert, nicht vor.
3. Die unter Nr. 2 des Bescheids enthaltene Duldungsanordnung gegenüber der Klägerin und die Androhung unmittelbaren Zwangs für den Fall der Nichtgewährung des Rechts auf Betretung und Untersuchung sind ebenfalls rechtswidrig und verletzen die Klägerin dadurch in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Das Betretungsrecht der für die Lebensmittelüberwachung zuständigen Behörde ergibt sich aus § 42 Abs. 2 LFGB, die entsprechenden Duldungs- und Mitwirkungspflichten sind in § 44 Abs. 1 LFGB geregelt. Im streitgegenständlichen Fall ist weder dargetan noch ersichtlich, dass sich Frau S. dem Vollzug des Betretungsrechts widersetzt hat noch dass die Klägerin sich entsprechend eingelassen hat, sich dem Betretungsrecht zukünftig entgegenzustellen. Eine Duldungsverfügung als belastender Verwaltungsakt darf jedoch nicht rein vorsorglich ausgesprochen werden (vgl. HessVGH, B.v. 15.9.1994 – 4 TH 655/94 – juris, Orientierungssatz). Der Erlass einer Duldungsanordnung war damit unverhältnismäßig.
In der Folge ist auch die Androhung unmittelbaren Zwangs für den Fall der Nichtgewährung des Rechts auf Betretung und Untersuchung rechtswidrig und verletzt die Klägerin dadurch in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Zudem ergibt sich die Rechtswidrigkeit der Androhung unmittelbaren Zwangs aus folgenden Überlegungen: Nach Art. 29 Abs. 1 VwZVG können Verwaltungsakte, mit denen eine Duldung gefordert wird, mit Zwangsmitteln vollstreckt werden. Bei der Wahl des Zwangsmittels ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten, wobei in der Regel das Mittel des Zwangsgeldes als am wenigsten einschneidende Maßnahme anzuwenden ist. Die Androhung unmittelbaren Zwanges ist dagegen regelmäßig nur dann verhältnismäßig, wenn die Androhung von Zwangsgeld von vorneherein als aussichtslos erscheint (VG Augsburg, U.v. 26.4.2010 – Au K 09.1474 – juris). Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin in der Vergangenheit Anordnungen der Behörde trotz erfolgter Zwangsgeldandrohung nicht nachgekommen ist, bestehen vorliegend jedoch nicht.
4. Gegen die Androhung der Zwangsgelder in Nr. 4 des Bescheids (Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, 31, 36 VwZVG) bestehen keine rechtlichen Bedenken, soweit damit die rechtmäßigen Anordnungen unter Nr.1.1, 1.2, 1.4 und 1.5 durchgesetzt werden sollen. Insbesondere sind die Anordnungen unter Nr. 1 mit einer Frist für die Erfüllung der Verpflichtung versehen (Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG). Die Androhung ist auch bestimmt genug (Art. 36 Abs. 3 VwZVG), da für die Klägerin hinreichend erkennbar ist, welche Handlungen von ihr verlangt werden und welche Zwangsgeldandrohung an die jeweilige Nichterfüllung gekoppelt ist. Das angedrohte Zwangsgeld von 50,00 EUR (je Nr. 1.2, 1.4 und 1.5) bzw. 150,00 EUR (Nr. 1.1) ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Es entspricht Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG, wonach das Zwangsgeld mindestens 15,00 und höchstens 50.000,00 EUR beträgt.
Soweit sich die Zwangsgeldandrohung auf die rechtswidrige Anordnung unter Nr. 1.3 des streitgegenständlichen Bescheids bezieht, ist sie infolge der Aufhebung des Grundverwaltungsakts ebenfalls aufzuheben.
5. Die Kostenentscheidung in Nr. 5 und 6 des Bescheids vom 13. April 2017 ist rechtmäßig. Die Kosten für den Verwaltungsaufwand waren der Klägerin trotz teilweiser unrichtiger Sachbehandlung aufzuerlegen. Nach Art. 16 Abs. 5 KG sind unter anderem die Kosten, die bei richtiger Sachbehandlung durch die Behörde nicht entstanden wären, nicht zu erheben. Vorliegend wären die Kosten auch bei vollständig richtiger Sachbehandlung entstanden. Denn zur Prüfung bezüglich der anderen Mängel und zum Erlass des Bescheides hätte die Behörde voraussichtlich im Wesentlichen den gleichen Zeitaufwand gehabt. Gegenteilige Anhaltspunkte sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
6. Die Kostenentscheidung des gerichtlichen Verfahrens beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Da von den sechs Anordnungen in Nr. 1 und Nr. 2 des Bescheids zwei rechtswidrig sind und die Klägerin insoweit obsiegt, sind die Kosten verhältnismäßig in 2/3 zu 1/3 zu teilen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.