Europarecht

Verwaltungsgerichte, Ausnahmegenehmigung, Kennzeichnungspflicht, Innergemeinschaftlicher Handel, Schriftsätze, Kennzeichnungsvorschriften, Kennzeichnungssystem, Kennzeichnungsmittel, Vorläufige Vollstreckbarkeit, mündlich Verhandlung, Kostenentscheidung, Maßgeblicher Zeitpunkt, Rechtsmittelbelehrung, Prozeßbevollmächtigter, Anwendungsvorrang, Streitwertfestsetzung, Hilfsantrag, Tatbestandsvoraussetzungen, Ermessensausübung, Verpflichtungsantrag

Aktenzeichen  B 7 K 20.675

Datum:
30.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40907
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ViehVerkV § 45 Abs. 2
ViehVerkV § 34 Abs. 1 und 3
Art. 4 Abs. 2 VO (EG) Nr. 21/2004 i.V.m. Anhang Abschnitt A zur VO (EG) Nr. 21/2004
Art. 4 Abs. 5 VO (EG) Nr. 1760/2000
Art. 1 VO (EG) Nr. 644/2005
Art. 1 VO (EG) Nr. 2680/1999
VO (EU) 2019/2035 Art. 47
AEUV Art. 13
GG Art. 20a

 

Leitsatz

1. Die nationale Ausnahmemöglichkeit des § 45 Abs. 2 ViehVerkV ist hinsichtlich der tierseuchenrechtlichen Kennzeichnungspflicht für Ziegen und Schafe nicht anwendbar, da die der ViehVerkV vorrangigen Kennzeichnungsvorschriften der VO (EG) Nr. 21/2004 keine Ausnahmemöglichkeiten von den dort geregelten Kennzeichnungskombinationen vorsehen.
2. Allein durch die Aufnahme und Pflege kranker bzw. hilfsbedürftiger Tiere entsteht keine „ähnliche Einrichtung“ i.S.d. § 45 Abs. 2 ViehVerkV. Dies gilt auch dann, wenn die Tiere am Ort der Aufnahme bis zum natürlichen Tod wie ein „Familienmitglied“ umsorgt und als „Kinderersatz“ angesehen werden.

Tenor

1. Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
4. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v. H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.
Das Verfahren war in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen, soweit sich die Klage gegen den Bescheid vom 29.07.2019 gerichtet hat. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 30.11.2020 wurde der Rechtsstreit in der Hauptsache nämlich insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt. Aufgrund der hier vorliegenden Teilerledigung des Rechtsstreites, konnte die Entscheidung über die Verfahrenseinstellung zusammen mit der Sachentscheidung über den nicht erledigten Teil (Verpflichtungsanträge auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung) im Urteil erfolgen (BVerwG, U.v. 2.6.1965 – 5 C 88.63 – juris; BVerwG, B.v. 7.8.1998 – 4 B 75.98 – juris).
II.
Soweit mit Schriftsatz vom 19.10.2020 die ursprüngliche Anfechtungsklage um Verpflichtungsanträge auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 2 ViehVerkV erweitert wurde, handelt es sich um eine zulässige Klageänderung in Form der Klageerweiterung nach § 91 Abs. 1 VwGO, die das Gericht für sachdienlich hält und der zudem der Beklagte nicht widersprochen bzw. auf die sich der Beklagte in der mündlichen Verhandlung eingelassen hat (§ 91 Abs. 2 VwGO).
III.
Nachdem in der mündlichen Verhandlung zudem die ursprüngliche Klage gegen den Bescheid vom 29.07.2019 übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, hat das Gericht ausschließlich über die mit Schriftsatz vom 19.10.2020 gestellten Klageanträge, auf die in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen wurde, streitig zu entscheiden.
1. Der als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage in zulässiger Weise erhobene Hauptantrag, die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin eine Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 2 ViehVerkV dahingehend zu erteilen, dass die vier Schafe und zwei Ziegen der Klägerin (nur) mit einem Mikrochip gekennzeichnet werden dürfen, bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung zur Kennzeichnung ihrer Tiere mit lediglich einem Mikrochip (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
a) Die Kennzeichnungspflichten für Schafe und Ziegen sowie die konkreten Kennzeichnungsmöglichkeiten ergeben sich aus § 34 ViehVerkV i.V.m. Art. 4 Abs. 2 VO (EG) Nr. 21/2004 i.V.m. Anhang Abschnitt A zur VO (EG) Nr. 21/2004 (vgl. hierzu auch VG Neustadt a.d. Weinstraße, B.v. 28.9.2020 – 7 L 708.20.NW – m.w.N.). Zwar enthält die gegenüber der nationalen ViehVerkV vorrangige VO (EG) Nr. 21/2004 (vgl. insoweit auch § 34 Abs. 3 ViehVerkV) die weitergehende Möglichkeit, Ziegen oder Schafen mit einem injizierbaren Transponder zu kennzeichnen. Der europäische Verordnungsgeber eröffnet diese Möglichkeit jedoch nur als zweites Kennzeichen bei Tieren, die nicht in der innergemeinschaftlichen Handel kommen, soweit die Erstkennzeichnung des Tieres mit einer Ohrmarke erfolgt (vgl. Nr. 4b ii i.V.m. Nr. 3b des Anhangs Abschnitt A zur VO (EG) Nr. 21/2004). Dementsprechend sieht weder das nationale Recht (vgl. § 34 Abs. 3 und 3a ViehVerkV), noch das europäische Recht die Kennzeichnung mit lediglich einem Mikrochip als (Regel-) Kennzeichnungsmethode vor.
b) Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 2 ViehVerkV sind im Fall der Klägerin nicht gegeben.
Nach § 45 Abs. 2 ViehVerkV kann die zuständige Behörde für nach dieser Verordnung kennzeichnungspflichtiges Vieh, das in Zoos, Wildparks, Zirkussen oder ähnlichen Einrichtungen gehalten wird, andere Kennzeichnung genehmigen, soweit deren jederzeitige Ablesbarkeit gewährleistet ist. Die nationale Ausnahmevorschrift des § 45 Abs. 2 ViehVerkV ist jedoch im Hinblick auf die Kennzeichnungspflicht von Ziegen und Schafen schon nicht anwendbar bzw. jedenfalls europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass lediglich in dem Umfang Ausnahmen genehmigt werden können, die auch europarechtlich vorgesehen sind (vgl. VG Oldenburg, U.v. 27.9.2016 – 7 A 1649/14 – juris).
aa) Die VO (EG) Nr. 21/2004 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Ziegen und Schafen sieht – beispielsweise im Gegensatz zu bestimmten Ausnahmemöglichkeiten des Art. 4 Abs. 5 der VO (EG) Nr. 1760/2000 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern – keine europarechtlichen Ausnahmemöglichkeiten für die Kennzeichnung von Ziegen und Schafe vor. Die Nichtzulassung von abweichenden Kennzeichnungen bei Schafen und Ziegen über die in der Verordnung normierten Kennzeichnungskombinationen hinaus war dem Verordnungsgeber auch durchaus bewusst, da die hier maßgebliche VO (EG) Nr. 21/2004 erst über drei Jahre nach der VO (EG) Nr. 1760/2000 erlassen wurde. Zudem wird im Erwägungsgrund (3) der VO (EG) Nr. 21/2004 Folgendes ausgeführt:
„Vorschriften für die Kennzeichnung und Registrierung insbesondere von Schafen und Ziegen sind bereits mit der RL 92/102/EWG zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Tieren festgelegt worden. Bei Schafen und Ziegen haben die bisherigen Erfahrungen und vor allem die MKS-Krise gezeigt, dass die praktische Umsetzung der genannten Richtlinie nicht zufriedenstellend ist und verbessert werden muss. Daher sind strengere und spezifischere Vorschriften zu erlassen, wie dies für Rinder mit der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.07.2000 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern geschehen ist.“
Da die VO (EG) Nr. 21/2004 keinerlei Ausnahmemöglichkeiten von den dort ausdrücklich normierten Kennzeichnungskombinationen vorsieht und das Europarecht Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht genießt (vgl. EuGH, U.v. 5.2.1963 – 26/62 – NJW 1963, 974 ff.; EuGH, U.v. 15.7.1964 – 6/64 – juris; EuGH, U.v. 9.3.1978 – C-106/77 – juris; BVerfG, B.v. 6.7.2010 – 2 BvR 2661/06 – juris), kann jedenfalls bei Schafen und Ziegen die insoweit entgegenstehende nationale Regelung des § 45 Abs. 2 ViehVerkV als Rechtsgrundlage für eine Ausnahmegenehmigung nicht herangezogen werden. Soweit die Klägerseite anführt, aufgrund der fehlenden Ausnahmemöglichkeiten bei der Kennzeichnung von Ziegen und Schafen sei der allgemeine Gleichheitssatz bzw. der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der auch im Unionsrecht gelte, verletzt, ist für die Kammer nicht ersichtlich, dass eine rechtliche Gleichbehandlung von Ziegen und Schafe mit Blick auf die mit der Kennzeichnung verfolgten Zwecke mit Rindern oder gar Haustieren zwingend geboten wären (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 21.10.2013 – 11 N 52.12 – juris; VGH Mannheim, U.v. 26.7.2018 – 10 S 2447/17 – juris). Auch aufgrund des Hinweises des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung, wonach eine „Rechtsfortbildung“ notwendig sei, sieht das Gericht daher keine Veranlassung, den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV mit der Streitsache zu befassen.
bb) Selbst, wenn man den europarechtlichen Ausnahmetatbestand des Art. 4 Abs. 5 der VO (EG) Nr. 1760/2000, der nur für die Registrierung von Rindern gilt, für die Kennzeichnung der hier streitgegenständlichen Ziegen und Schafe entsprechend heranziehen könnte und würde, wäre der Klägerin der begehrte Anspruch verwehrt. Art. 4 Abs. 5 der VO (EG) 1760/2000 erlaubt nämlich alternative Kennzeichnungsmittel nur für Tiere, die für andere kulturelle oder sportliche Veranstaltungen als Messen und Ausstellungen bestimmt sind. Diese Voraussetzungen liegen bei der Haltungsform und der Zweckbestimmung des klägerischen Betriebes jedoch ersichtlich nicht vor.
Gleiches gilt für die Ausnahmemöglichkeiten nach der VO (EG) Nr. 644/2005. Mit der VO (EG) Nr. 644/2005 wurde – in Anbetracht des Art. 4 Abs. 5 der VO (EG) 1760/2000 – eine getrennte Verordnung („Durchführungsverordnung“, vgl. BVerwG, B.v. 26.2.2019 – 3 B 46/18 – juris) erlassen, um ein besonderes Kennzeichnungssystem für Rinder festzulegen, die für kulturelle und historische Zwecken in einem von der Behörde zu diesem Zweck anerkannten Betrieb gehalten werden (vgl. Erwägungsgründe 2, 4 und 5 sowie Art. 1 der VO (EG) Nr. 644/2005). Zum einen beschränkt sich deren Anwendungsbereich wiederum ausdrücklich auf Rinder, zum anderen ist auch nicht einmal ansatzweise ersichtlich, dass die Klägerin ihre Ziegen und Schafe aus kulturellen und historischen Zwecken in einem von der Behörde zu diesem Zweck anerkannten Betrieb hält. Daneben ermöglicht die VO (EG) Nr. 644/2005 lediglich das Nichtanbringen bzw. Entfernen von Ohrmarken, aber keine Kennzeichnung mittels Mikrochip (vgl. Art. 2 der VO (EG) Nr. 644/2005).
Lediglich am Rande ist noch darauf hinzuweisen, dass sich nichts anderes aus Art. 1 der VO (EG) Nr. 2680/1999 ergibt, da diese „Durchführungsverordnung“ lediglich für „Kampfstiere“ Ausnahmen von der Ohrmarkenpflicht vorsieht (vgl. auch VGH Mannheim, U.v. 26.7.2018 – 10 S 2447/17 – juris), aber keine Kennzeichnungsmöglichkeit mittels Mikrochip.
cc) Soweit sich die Klägerin in diesem Zusammenhang auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt a. d. Weinstraße vom 28.09.2020 (5 L 708/20.NW) beruft, ist darauf hinzuweisen, dass das dortige Gericht nicht darauf eingeht, dass für die Kennzeichnungspflicht von Ziegen und Schafe gerade keine europarechtliche Ausnahmevorschriften existieren, insbesondere dass die – unter Verweis auf das Urteil des VG Oldenburg vom 27.09.2016 (7 A 1649/14) – aufgezeigte Ausnahmemöglichkeit gemäß Art. 1 VO (EG) 644/2005 nur für zu kulturellen und historischen Zwecken gehaltene Rinder, jedoch eindeutig nicht für Ziegen und Schafe gilt.
dd) Eine Ausnahmemöglichkeit von den zwingend vorgeschriebenen Kennzeichnungsmethoden für Ziegen und Schafe vermag das Gericht – insbesondere im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen zu den detaillierten und differenzierenden Regelungen des Europarechts – auch nicht im Lichte des Art. 13 AEUV bzw. Art. 20a GG herzuleiten.
Nach Art. 13 AEUV tragen die Union und die Mitgliedsstaaten bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Union in den Bereichen Landwirtschaft, Fischerei, Verkehrsbinnenmarkt, Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang Rechnung; sie berücksichtigen hierbei die Rechts- und Verwaltungsvorschriften und die Gepflogenheiten der Mitgliedsstaaten insbesondere in Bezug auf religiöse Riten, kulturelle Traditionen und das regionale Erbe. Aufgrund der systematischen Stellung stellt Art. 13 AEUV eine tierschutzrechtliche Querschnittsklausel im Primärrecht dar, der jedoch keine umfassende Rechtswirkung zukommt. Art. 13 AEUV enthält vielmehr ein Rechtsgebot im Sinne eines verbindlichen Handlungsauftrags an Union und Mitgliedsstaaten. Neben seiner Bedeutung als Rechtsgebot dient Art. 13 AEUV auch als Auslegungshilfe im Zusammenhang mit anderen Normen des Unionsrechts, insbesondere bei der Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe und im Rahmen von Ermessensentscheidungen (vgl. Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 13 AEUV Rn. 1, 7 ff.). Jedenfalls ergeben sich aus dem objektiv-rechtlichen Prinzip des Art. 13 AEUV keine subjektiven Rechte (Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 13 AEUV Rn. 2). Da es vorliegend keinerlei Auslegungsprobleme gibt – vielmehr ist die kodifizierte europarechtliche Lage zur Kennzeichnungspflicht von Ziegen und Schafen eindeutig – und darüber hinaus Art. 13 AEUV der Klägerin keinerlei subjektive Rechte verleiht, scheidet ein Anspruch auf Alternativkennzeichnung mittels Mikrochip auch im Hinblick auf Art. 13 AEUV aus.
Gleiches gilt in Anbetracht der geltend gemachten Normen des Grundgesetzes, insbesondere für die Eigentumsfreiheit, die allgemeine Handlungsfreiheit und die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG. Die hier maßgebliche unionsrechtliche Kennzeichnungsverpflichtung kann die Klägerin in ihren Grundrechten schon deshalb nicht verletzen, weil Unionsrechtsakte wie die VO (EG) Nr. 21/2004 – mit Ausnahme von Ultra-vires-Akten und Verletzungen der Verfassungsidentität – grundsätzlich nicht am Maßstab des Grundgesetzes, sondern allein am Unionsrecht zu messen sind (vgl. VGH Mannheim, U.v. 26.7.2018 – 10 S 2447/17 – juris m.w.N.). Im Übrigen vermag das Gericht die geltend gemachten (Grundrechts-) Verletzungen schon im Ansatz nicht zu erkennen. Art. 20a GG richtet sich als Zielbestimmung nur an den Staat und kann daher schon wesensmäßig keine Drittwirkung gegenüber der Klägerin entfalten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass den Tieren bei der Regelkennzeichnung mit Ohrmarken unvermeidlich nennenswerte Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt würden (so auch VGH Mannheim, U.v. 26.7.2018 – 10 S 2447/17 – juris). Insoweit hat es die Klägerin mit in der Hand, unnötiges Leid der Tiere durch das gelegentlich vorkommende „Ausreißen“ der Ohrmarken zu minimieren, indem eine artgerechte Einzäunung verwendet wird bzw. die Tiere lediglich in den Bereich des klägerischen Anwesens gehalten werden, indem derartige Gefahrenquellen nicht vorherrschen, was in Anbetracht von sechs Tieren und einem 45 ha großen Anwesen möglich sein dürfte. Im Hinblick auf das hohe Schutzgut des Tierseuchenrechts müssen die kurzzeitigen und erträglichen Schmerzen beim Einziehen der Ohrmarken sowie die marginale Eigentumsbeeinträchtigung an den Tieren durch das Anbringen und Tragen gegenüber der gesetzlich vorgesehenen Kennzeichnung zweifelsohne zurückstehen. In diesem Zusammenhang hat das Gericht den Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch entnommen, dass ein nicht unwesentlicher Grund für die Ablehnung der Kennzeichnung mit Ohrmarken in der Optik der Tiere liegt. Die Klägerin erklärte insoweit, sie habe „sehr schöne Tiere“, die nicht mit Ohrmarken versehen werden sollen. Daneben hat sie offensichtlich einen Ziegenbock, der bereits mit einer Ohrmarke gekennzeichnet gewesen ist, die Ohrmarke in rechtswidriger Weise entfernen lassen, obwohl hierzu keine medizinische Indikation bestanden hat.
c) Ein Anspruch auf Ausnahmegenehmigung im Sinne des klägerischen Antrags ergibt sich gegenwärtig auch nicht aus Art. 47 Abs. 1 der delegierten VO (EU) 2019/2035 der Kommission vom 28.06.2019 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2016/429 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich Vorschriften für Betriebe, in denen Landtiere gehalten werden, und für Brütereien sowie zur Rückverfolgbarkeit von bestimmten gehaltenen Landtieren und Brütereien.
Zwar kann die zuständige Behörde gemäß § 47 Abs. 1 der VO (EU) 2019/2035 Unternehmer geschlossener Betriebe und Unternehmer, die Schafe und Ziegen zu kulturellen, Freizeit- oder Wissenschaftszwecken halten, von den Identifizierungsanforderungen nach Art. 45 Abs. 2 der VO (EU) 2019/2035 ausnehmen. Hierfür muss die zuständige Behörde sicherstellen, dass sie entweder einen Bonustransponder oder einen injizierbaren Transponder zur Identifizierung der Ziegen und Schafen genehmigt hat und dass dieses genehmigte Identifizierungsmittel den Anforderungen des Art. 48 Abs. 3 der VO (EU) 2019/2035 erfüllt, d.h. dass unter anderem der Identifizierungscode der Tiere angezeigt wird und das Identifizierungsmittel von der zuständigen Behörde des Mitgliedsstaats genehmigt ist.
Eine Ausnahmegenehmigung gemäß Art. 47 der VO (EU) 2019/2035 kann seitens des Beklagten jedoch gegenwärtig schon deswegen nicht erteilt werden, da der Ausnahmetatbestand noch nicht in Kraft getreten ist. Ausweislich des Erwägungsgrundes (24) der VO (EU) 2019/2035 gilt für die Kennzeichnung von Ziegen und Schafen gegenwärtig noch die VO (EG) Nr. 21/2004, welche erst mit Wirkung vom 21.04.2021 aufgehoben und ersetzt wird. Erst ab diesen Zeitpunkt richtet sich die Kennzeichnungspflicht für Ziegen und Schafen nach der VO (EU) 2016/429 in Verbindung mit der VO (EU) 2019/2035.
Die künftige Rechtslage entfaltet auch keine Vorwirkung dahingehend, dass der Beklagte schon heute im Lichte der künftigen Regelungen eine entsprechende Ausnahmegenehmigung erteilen müsste. Stichtagsregelungen in der „Gesetzgebung“ sind üblich und dienen der Rechtsklarheit. Insbesondere sieht die VO (EU) 2019/2035 auch keine Übergangsregelung vor. Obwohl die VO (EU) 2019/2035 bereits am 05.12.2019 im Amtsblatt der Europäischen Union bekanntgemacht wurde, sieht diese ausdrücklich vor, dass die „neuen“ Regelungen über die Kennzeichnung von Ziegen und Schafen erst ab April 2021 gültig sind und bis dahin die gegenwärtige Rechtslage aus der VO (EG) Nr. 21/2004 fortgilt. Mit diesem zeitlichen Vorlauf will der Verordnungsgeber offensichtlich sicherstellen, dass die notwendigen Vorkehrungen im Hinblick auf die Identifizierungsmittel und die Kennzeichenmethoden sowohl in technischer als auch in tatsächlicher Hinsicht getroffen werden können, sodass zum maßgeblichen Zeitpunkt eine europaweite effektive Anwendbarkeit der zukünftigen Regelungen ermöglicht wird.
d) Im Übrigen – und ohne, dass es noch entscheidungserheblich darauf ankommt – stünde der Klägerin selbst unter Ausblendung der europarechtlichen Problematik kein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 2 ViehVerkV zu, da die diesbezüglichen Tatbestandsvoraussetzungen nach Auffassung der Kammer nicht vorliegen.
Die Tierhaltung der Klägerin stellt insbesondere keine „ähnliche Einrichtung“ wie die in § 45 Abs. 2 ViehVerkV genannten Zoos, Wildparks und Zirkusse dar. Der Haltungsform der Klägerin fehlt es insoweit schon am vergleichbaren Öffentlichkeitsbezug. Daran ändert auch der Vortrag im Klageverfahren nichts, dass jeder gerne vorbeikommen könne, um die Tiere anzusehen. Ferner mag das Gericht in § 45 Abs. 2 ViehVerkV keine Art. 3 Abs. 1 GG widersprechende Bevorzugung gewerblicher Tierhaltungen zu erkennen. Zwar liegt es auf der Hand, dass die dort genannten Haltungsformen regelmäßig gewerblicher Natur sind. Dies ändert jedoch nichts daran, dass auch nichtgewerbliche Einrichtungen im Sinne der Vorschrift vom Anwendungsbereich umfasst sind, soweit kein Anwendungsvorrang des Europarechts besteht.
Letztlich verweist die Kammer im Zusammenhang mit den Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 45 Abs. 2 ViehVerkV auf die tierseuchenrechtliche Rechtsprechung, wonach Einrichtungen, wie die von der Klägerin betriebene Tierhaltung, vergleichbar mit den Zielen eines „Tierschutzhofes“, als reine Hobbytierhaltung nicht in den Geltungsbereich der Ausnahmeregelung nach § 45 Abs. 2 ViehVerkV fallen (vgl. hierzu VG Neustadt a.d. Weinstraße, B.v. 28.9.2020 – 5 L 708/20.NW – m. w. N.; VG Oldenburg, U.v. 27.9.2016 – 7 A 1649/14 – juris; OVG Lüneburg, B.v. 19.6.2013 – 10 LA 28/13 – juris). Soweit die Klägerseite auf die Ausführungen im vorstehenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße Bezug nimmt, wo nach Stimmen in der Kommentarliteratur als ähnliche Einrichtungen im Sinne des § 45 Abs. 2 ViehVerkV auch solche Haltungsformen gelten können, in denen die Kennzeichnung mittels Ohrmarken wegen der Haltungsform Schwierigkeiten bereite oder undurchführbar sei bzw. die Demonstration eines art- und umweltgerechten Umgangs mit Tieren durchaus als „Kultur“ anzusehen sei, ist darauf hinzuweisen, dass die vom dortigen Gericht zitierte (vereinzelte) Kommentarstelle (Hirth/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Auflage 2016, § 5 Rn. 14) nicht einmal annähernd problematisiert, dass sich die Kennzeichnungspflicht für Ziegen und Schafe aus der VO (EG) Nr. 21/2004 ergibt und daher der Hinweis auf die systematische und teleologische Auslegung des Art. 4 VO (EG) Nr. 1716/2000 allenfalls dazu führen kann, dass besondere Formen der Rinderhaltung als ähnliche Einrichtung im Sinne des § 45 Abs. 2 ViehVerkV angesehen werden können, jedoch nicht die hier streitgegenständliche Haltung von Ziegen und Schafen. Im Übrigen ist für das Gericht auch nicht ersichtlich, dass aufgrund der klägerischen Haltungsform der Ziegen und Schafe unüberwindbare Schwierigkeiten bestünden, diese mittels Ohrmarken zu kennzeichnen oder dass die Kennzeichnung mittels Ohrmarken sogar gänzlich undurchführbar wäre. Wie bereits ausgeführt, lässt sich nämlich die Gefahr des Ausreißens – auch und gerade aufgrund der weiträumigen Haltungsmöglichkeiten der Klägerin – weitestgehend minimieren.
e) Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass der Klägerin gegenwärtig unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung dahingehend zusteht, ihre Tiere lediglich mit einem Mikrochip zu kennzeichnen.
2. Die hilfsweise erhobene Klage, den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin zu gestatten, die Tiere mittels eines Mikrochips und einer Fußfessel zu kennzeichnen, bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Für die begehrte Kennzeichenkombination besteht aufgrund der unter 1. dargestellten Ausführungen ebenfalls kein Anspruch (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), da diese Kennzeichenkombination weder europarechtlich noch national vorgesehen ist. Im Hinblick auf eine etwaige Ausnahmegenehmigung wird vollumfänglich auf die vorstehenden Ausführungen zur alleinigen Kennzeichnung der Tiere mittels Mikrochip verwiesen.
3. Über den weiteren „Hilfsantrag“ (hilfsweise über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 45 Abs. 2 ViehVerkV unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden), bedarf es keiner gesonderten Entscheidung, da der Bescheidungsantrag als Minus bereits in den gestellten Vornahmeanträgen enthalten ist (vgl. Schübel-Pfister in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 113 Rn. 51) und es sich dementsprechend um keinen Hilfsantrag im Rechtssinne handelt.
Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass vorliegend relevante Ermessensfehler schon deswegen nicht in Betracht kommen (können), da nach der gegenwärtig maßgeblichen Rechtslage überhaupt keine mit Ermessen ausgestattete Rechtsgrundlage für das klägerische Begehren besteht bzw. selbst bei unterstellter Anwendbarkeit des § 45 Abs. 2 ViehVerkV jedenfalls die Tatbestandsvoraussetzungen für die Ausnahmegenehmigung nicht erfüllt sind, sodass es insoweit auf die Frage einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung durch den Beklagten nicht mehr ankommt.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO unter Beachtung der § 161 Abs. 2 und § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO im Hinblick auf den für übereinstimmend erledigt erklärten Teil der Klage. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
V.
Berufungszulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, da der Anwendungsvorrang des Europarechts geklärt ist, die Rechtsfragen ohne weiteres aus dem Gesetz zu lösen sind und die Auslegung des Begriffs „ähnliche Einrichtung“ in § 45 Abs. 2 ViehVerkV in der vorliegenden Streitsache nicht entscheidungserheblich ist (vgl. auch Happ in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 124 Rn. 34 ff.).


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