Europarecht

Vorlage an EuGH zur Vorabentscheidung, Auslegung des Begriffs

Aktenzeichen  AN 14 K 19.00097

Datum:
22.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2021, 55280
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AEUV Art. 267
Art. 17 Abs. 1-3 VO (EU) Nr. 1169/2011
Art. 17 Abs. 5 i.V.m. Anh. VI Teil A Nr. 4 VO (EU) Nr. 1169/2011

 

Leitsatz

Tenor

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist der Begriff „Produktname“ in Anh. VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 so auszulegen, dass er gleichbedeutend mit der „Bezeichnung des Lebensmittels“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 bis 3 der VO (EU) Nr. 1169/2011 ist?
2. Für den Fall, dass die Frage 1 mit „nein“ beantwortet wird:
Ist „Produktname“ die Bezeichnung, unter der das Lebensmittel im Handel und in der Werbung angeboten wird und unter der es den Verbrauchern allgemein bekannt ist, auch wenn es sich dabei nicht um die Bezeichnung des Lebensmittels, sondern um die geschützte Bezeichnung, Handelsmarke oder Fantasiebezeichnung im Sinne von Art. 17 Abs. 4 VO (EU) Nr. 1169/2011 handelt?
3. Für den Fall, dass die Frage 2 mit „ja“ beantwortet wird:
Kann der „Produktname“ auch aus zwei Bestandteilen bestehen, von denen der eine ein markenrechtlich geschützter, nicht auf das einzelne Lebensmittel bezogener Gattungsname bzw. Oberbegriff ist, der bezüglich der einzelnen Produkte durch einen dieses konkretisierenden Zusatz (als zweiter Teil des Produktnamens) ergänzt wird?
4. Für den Fall, dass die Frage 3 mit „ja“ beantwortet wird:
Auf welchen der beiden Bestandteile des Produktnamens ist für die zusätzliche Angabe nach Anh. VI Teil A Nr. 4 lit. b) VO (EU) Nr. 1169/2011 abzustellen, wenn die beiden Bestandteile des Produktnamens in unterschiedlicher Größe auf der Verpackung abgedruckt sind?
II. Das Klageverfahren wird für die Dauer des Vorabentscheidungsverfahrens ausgesetzt.

Gründe

A) Gegenstand und Sachverhalt des Ausgangsverfahrens
Die Klägerin wendet sich mit der vorliegenden Klage gegen eine Anordnung der für die Lebensmittelüberwachung zuständigen Behörde, mit der ihr untersagt wurde, das streitgegenständliche Lebensmittel ohne bestimmte zusätzliche Angaben in einer bestimmten Größe in den Verkehr zu bringen.
Die Klägerin produziert das unter dem Handelsnamen „BiFi The Original Turkey“ vertriebene Erzeugnis und bringt es als vorverpacktes Lebensmittel über den Einzelhandel in den Verkehr. Bei der Herstellung werden Palmfett und Rapsöl verwendet.
„BiFi The Original“ ist nach deutschem Markenrecht eine Wort-/Bildmarke, nach Unionsrecht eine Bildmarke (Nr. …; Anmeldetag …; Tag der Eintragung im Register …*) im Sinne von Art. 3 Abs. 3 lit. b) VO (EU) Nr. 2018/626. Unter diesem Markennamen bringt die Klägerin neben dem streitgegenständlichen Lebensmittel verschiedene andere Lebensmittel in den Verkehr, die jeweils mit dem Markennamen „BiFi The Original“ und einer das jeweilige Lebensmittel kennzeichnenden Ergänzung benannt sind, wie z.B. „…“ (lt. Bezeichnung des Lebensmittels vor der Zutatenliste Weizengebäck mit 45% …*) oder „…“ (lt. Bezeichnung des Lebensmittels vor der Zutatenliste Weizengebäck mit 19% …, 25% Pizza-Sauce und 10% Zubereitung mit Käse und Pflanzenfett).
Die früher für die Lebensmittelüberwachung zuständige Behörde beanstandete die Etikettierung des Lebensmittels und erließ den streitgegenständlichen Bescheid vom 7. Januar 2019. Darin ordnete sie auf der Grundlage von Art. 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 lit. b) der VO (EG) Nr. 882/2004 unter anderem an:
„Der (Klägerin) wird untersagt, das Erzeugnis mit der Bezeichnung „Geflügel-Minisalami mit pflanzlichem Fett und Öl“ unter dem im Hauptsichtfeld angegebenen Produktnamen „BiFi 100% Turkey“,
– mit der Auslobung „100%“ im Hauptsichtfeld,
– ohne die Angaben der als Einsatz verwendeten Zutaten in unmittelbarer Nähe zum Produktnamen in einer Schriftgröße, deren x-Höhe mindestens 75% des Produktnamens beträgt und die nicht kleiner als die in Art. 13 Abs. 2 LMIV vorgeschriebene Mindestgröße sein darf,
– ohne die Verwendung der speziellen Bezeichnung der verwendeten pflanzlichen Fette (hier: „Palmfett und Rapsöl“) bei der Bezeichnung des Lebensmittels,
in den Verkehr bringen.“
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach erhoben.
Im 2. Quartal des Jahres 2019 änderte die Klägerin die Etikettierung. Die Deklaration im Hauptsichtfeld auf der Vorderseite der Verpackung lautet seitdem „BiFi The Original“ und daneben (1er und 6er Pack) bzw. darunter (5er Pack) „Turkey“. Oberhalb des Wortes „Turkey“ befindet sich eine Abbildung eines Truthahns in schwarz. Auf dem Rückenetikett wird das Lebensmittel jeweils vor der Zutatenliste als „Geflügel-Minisalami mit Palmfett und Rapsöl“ bezeichnet. Die Schriftgrößen von „BiFi“, „The Original“ und „Turkey“ sind unterschiedlich, wobei „BiFi“ am größten und „The Original“ am kleinsten geschrieben ist.
Die Anordnungen im 1. und 3. Spiegelstrich des Bescheides vom 7. Januar 2019 sind aufgrund der Änderung nicht (mehr) streitgegenständlich. Es geht allein um die Anordnung im 2. Spiegelstrich.
Aufgrund einer nach nationalem Recht erfolgten Änderung der Zuständigkeit der Lebensmittelüberwachungsbehörden ist der jetzt Beklagte in den Rechtsstreit eingetreten. Der Bescheid ist nach nationalem Recht weiterhin wirksam.
B) Vorlagefragen und Entscheidungserheblichkeit
I. Unionsrechtlicher Rechtsrahmen
Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011:
Erwägungsgründe: (Auszüge)
(3) Um auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes der Verbraucher ein hohes Niveau zu erreichen und das Recht der Verbraucher auf Information zu gewährleisten, sollte sichergestellt werden, dass die Verbraucher in Bezug auf die Lebensmittel, die sie verzehren, in geeigneter Weise informiert werden. Die Wahl der Verbraucher kann unter anderem durch gesundheitsbezogene, wirtschaftliche, umweltbezogene, soziale und ethische Erwägungen beeinflusst werden.
(18) Damit das Lebensmittelinformationsrecht den sich wandelnden Informationsbedürfnissen der Verbraucher Rechnung tragen kann, sollte bei der Prüfung, ob eine Information über ein Lebensmittel verpflichtend sein muss, auch dem nachweislich großen Interesse der Mehrheit der Verbraucher an der Offenlegung bestimmter Informationen Rechnung getragen werden.
(20) Das Lebensmittelinformationsrecht sollte die Verwendung von Informationen verbieten, die die Verbraucher irreführen würden, insbesondere in Bezug auf die Merkmale des Lebensmittels, seine Wirkungen oder Eigenschaften, oder die den Lebensmitteln medizinische Eigenschaften zuschreiben. Um wirksam zu sein, sollte dieses Verbot auch auf die Lebensmittelwerbung und auf die Aufmachung der Lebensmittel ausgedehnt werden.
Art. 7 Lauterkeit der Informationspraxis
(1) Informationen über Lebensmittel dürfen nicht irreführend sein, insbesondere
a) in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, insbesondere in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprungsland oder Herkunftsort und Methode der Herstellung oder Erzeugung;
(…)
d) indem durch das Aussehen, die Bezeichnung oder bildliche Darstellungen das Vorhandensein eines bestimmten Lebensmittels oder einer Zutat suggeriert wird, obwohl tatsächlich in dem Lebensmittel ein von Natur aus vorhandener Bestandteil oder eine normalerweise in diesem Lebensmittel verwendete Zutat durch einen anderen Bestandteil oder eine andere Zutat ersetzt wurde;
(2) Informationen über Lebensmittel müssen zutreffend, klar und für die Verbraucher leicht verständlich sein.
(…)
(4) Die Absätze 1, 2 und 3 gelten auch für
a) die Werbung;
b) die Aufmachung von Lebensmitteln, insbesondere für ihre Form, ihr Aussehen oder ihre Verpackung, die verwendeten Verpackungsmaterialien, die Art ihrer Anordnung und den Rahmen ihrer Darbietung.
Art. 17 Bezeichnung des Lebensmittels
(1) Ein Lebensmittel wird mit seiner rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnung bezeichnet. Fehlt eine solche, so wird das Lebensmittel mit seiner verkehrsüblichen Bezeichnung oder, falls es keine verkehrsübliche Bezeichnung gibt oder diese nicht verwendet wird, mit einer beschreibenden Bezeichnung bezeichnet.
(…)
(4) Die Bezeichnung des Lebensmittels darf durch keine als geistiges Eigentum geschützte Bezeichnung, Handelsmarke oder Fantasiebezeichnung ersetzt werden.
(5) Anhang VI enthält spezielle Vorschriften für die Bezeichnung eines Lebensmittels und die Angaben, die dazu zu machen sind.
Anhang VI Bezeichnung des Lebensmittels und spezielle zusätzliche Angaben Teil A – Verpflichtende Angaben zur Ergänzung der Bezeichnung des Lebensmittels
4. Im Falle von Lebensmitteln, bei denen ein Bestandteil oder eine Zutat, von dem/der Verbraucher erwarten, dass er/sie normalerweise verwendet wird oder von Natur aus vorhanden ist, durch einen anderen Bestandteil oder eine andere Zutat ersetzt wurde, muss die Kennzeichnung – zusätzlich zum Zutatenverzeichnis – mit einer deutlichen Angabe des Bestandteils oder der Zutat versehen sein, der/die für die teilweise oder vollständige Ersetzung verwendet wurde, und zwar
a) in unmittelbarer Nähe zum Produktnamen und
b) in einer Schriftgröße, deren …-Höhe mindestens 75% der …-Höhe des Produktnamens beträgt und die nicht kleiner als die in Artikel 13 Absatz 2 dieser Verordnung vorgeschriebene Mindestschriftgröße sein darf.
II. Auslegungsbedürftigkeit des Unionsrechts
1. Zu Frage 1 und Frage 2:
Das in dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Verbot stützt sich auf Art. 54 Abs. 1, 2 lit. b) der VO (EG) Nr. 882/2004 bzw. seit dem 14. Dezember 2019 (vgl. Art. 167 Abs. 1 UA 2 VO (EU) Nr. 625/2017) auf Art. 138 Abs. 1 lit. b) der VO (EU) Nr. 625/2017. Voraussetzung für die Anordnung eines Verbots, ein Lebensmittel in den Verkehr zu bringen, ist jeweils ein „Verstoß“ im Sinne von Art. 2 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 882/2004. Danach ist ein Verstoß die Nichteinhaltung des Futtermittel- oder Lebensmittelrechts und der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz. Die VO (EU) Nr. 1169/2011 gehört zum Lebensmittelrecht im Sinne von Art. 3 Nr. 1 der VO (EG) Nr. 178/2002, sodass ein Verstoß gegen sie eindeutig ein Verstoß im Sinne von Art. 2 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 882/2004 ist.
Ein Verstoß gegen Art. 7 der VO (EU) Nr. 1169/2011 liegt im streitgegenständlichen Fall nicht vor. Grundsätzlich ist nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs davon auszugehen, dass Verbraucher, die sich in ihrer Kaufentscheidung nach der Zusammensetzung der Erzeugnisse richten, zunächst das Zutatenverzeichnis lesen (EuGH, U.v. 4.4.2000 – C-465/98 – Darbo, ECLI:ECLI:EU:C:2000:184, Rn. 22; U.v. 26.10.1995 – C-51/94 – ECLI:ECLI:EU:C:1995:352, Rn. 34). Dieses ist im vorliegenden Fall zutreffend. Durch die Verpackung des Lebensmittels wird auch nicht im Sinne von Art. 7 Abs. 1 lit. d) VO (EU) Nr. 1169/2011 suggeriert, dass in dem Lebensmittel Putenfett oder nur anderes tierisches Fett enthalten ist, obwohl dieses durch Palmfett und Rapsöl ersetzt wurde. Denn der Verwendung des Begriffs „Turkey“ und dem aufgedruckten Bild eines Truthahns kann allein entnommen werden, dass das Lebensmittel Bestandteile von Pute enthält.
Allerdings könnte ein Verstoß gegen Art. 17 Abs. 5 in Verbindung mit Anhang VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 vorliegen. Im Falle des streitgegenständlichen Lebensmittels liegen dessen Tatbestandsvoraussetzungen vor: Bei der „Geflügel-Minisalami mit Palmfett und Rapsöl“ handelt es sich um ein Lebensmittel, bei dem ein Bestandteil, von dem die Verbraucher erwarten, dass er normalerweise verwendet wird oder von Natur aus vorhanden ist, durch einen anderen Bestandteil oder eine andere Zutat ersetzt wurde. Im konkreten Fall erwartet der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher (vgl. EuGH, U.v. 16.7.1998 – C-210/96 – ECLI:ECLI:EU:C:1998:369, Rn. 31), dass eine … mit tierischem Fett hergestellt wurde. Dieses tierische Fett wurde im vorliegenden Fall durch Pflanzenfett (konkret Palmfett und Rapsöl) ersetzt.
Folglich muss nach Art. 17 Abs. 5 in Verbindung mit Anhang VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 die Kennzeichnung zusätzlich zum Zutatenverzeichnis mit einer deutlichen Angabe des Bestandteils oder der Zutat versehen sein, die für die Ersetzung verwendet wurde, und zwar in der dort genannten Art und Weise.
Für die konkrete Ausgestaltung der Kennzeichnung kommt es darauf an, wie der Begriff „Produktname“ im Anhang VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 auszulegen ist. Dieser Begriff wird weder in der genannten Verordnung definiert noch findet sich eine Definition in einer anderen Bestimmung des europäischen Lebensmittelrechts. Die Beteiligten des Rechtsstreits vertreten hierzu unterschiedliche Auffassungen.
Nach Auffassung der Klägerin ist „Produktname“ gleichbedeutend mit der Bezeichnung des Lebensmittels im Sinne von Art. 17 Abs. 1 der VO (EU) Nr. 1169/2011, wie in der Vorlagefrage 1 formuliert.
Dagegen vertritt der Beklagte die Auffassung, dass es sich bei dem „Produktnamen“ und der Bezeichnung des Lebensmittels im Sinne von Art. 17 Abs. 1 um grundsätzlich voneinander zu unterscheidende Rechtsbegriffe handelt. Der „Produktname“ könne die Bezeichnung des Lebensmittels sein, aber auch eine Phantasiebezeichnung oder ein Markenname gemäß Art. 17 Abs. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011. Grundsätzlich sei „Produktname“ die Angabe, mit der ein Lebensmittel blickfangmäßig bezeichnet werde und die dem Verbraucher, ggf. auch unter Berücksichtigung der sonstigen Aufmachung, einen bestimmten Bestandteil oder eine bestimmte Zutat erwarten lässt. Im konkreten Fall ist der Beklagte der Auffassung, dass der Produktname des streitgegenständlichen Produkts „BiFi Turkey“ ist.
Welche dieser Auslegungen zutreffend ist bzw. wie der Begriff auszulegen ist, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Die Erwägungsgründe der VO (EU) Nr. 1169/2011 äußern sich zu Anhang VI Teil A Nr. 4 nicht. Geht man vom Wortsinn des Begriffs „Produktname“ aus, dann ist festzuhalten, dass der Begriff nach dem natürlichen Sprachverständnis auf die Bezeichnung hindeutet, mit der das Produkt gemeinhin benannt wird, um es von anderen Produkten abzugrenzen. Dies kann aber sowohl die Bezeichnung des Lebensmittels im Sinne von Art. 17 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1169/2011 als auch eine andere Bezeichnung sein, unter der das Lebensmittel gegenüber den Verbrauchern im Handel und in der Werbung angeboten wird und unter der es den Verbrauchern allgemein bekannt ist, auch eine Handelsmarke oder Fantasiebezeichnung im Sinne von Art. 17 Abs. 4 VO (EU) Nr. 1169/2011. Der Wortlaut ist daher für beide Auslegungen offen.
Auch wenn man die Systematik der VO (EU) Nr. 1169/2011 einbezieht und daher das Umfeld der hier einschlägigen Bestimmungen betrachtet, ergibt sich kein eindeutiges Bild. So könnte einerseits Art. 17 Abs. 5 der VO (EU) Nr. 1169/2011 dafür sprechen, unter Produktname die Bezeichnung des Lebensmittels im Sinne von Art. 17 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1169/2011 zu verstehen, da er davon spricht, dass Anhang VI spezielle Vorschriften für die Bezeichnung des Lebensmittels enthält. Andererseits steht dort aber auch, dass er Angaben enthält, die „dazu“, also zusätzlich zur Bezeichnung des Lebensmittels zu machen sind. Dagegen spricht die Überschrift des Teils A des Anhangs VI wiederum eher dafür, dass Produktname und Bezeichnung des Lebensmittels das gleiche bedeuten, da dort als Inhalt von Teil A Angaben zur Ergänzung der Bezeichnung des Lebensmittels genannt sind: Angeknüpft wird damit offenbar an die Bezeichnung im Sinne von Art. 17 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1169/2011.
Mangels konkreter Aussagen in den Erwägungsgründen zu Anhang VI Teil A Nr. 4 ist es schwer, eine Aussage über den Sinn und Zweck der Bestimmung zu treffen. Zweifellos dient die Bestimmung wie die ganze VO (EU) Nr. 1169/2011 der Information der Verbraucher über Lebensmittel (vgl. den Erwägungsgrund (3)). Weder dem Art. 17 Abs. 5 noch dem Anhang VI der VO (EU) Nr. 1169/2011 kann aber entnommen werden, dass die Norm dem Schutz der Verbraucher vor Irreführung dient, wie dies Art. 7 der VO (EU) Nr. 1169/2011 zweifellos tut. Bei dem Schutz vor Irreführung handelt es sich, wie der Erwägungsgrund 20 der Verordnung zeigt, nur um einen von mehreren Zwecken, die mit der Verordnung verfolgt werden. Nachdem auf den Anhang IV nicht in Art. 7, sondern allein in Art. 17 Abs. 5 der VO (EU) Nr. 1169/2011 verwiesen wird, sind die Schutzgüter wohl nicht identisch. Es spricht daher vieles dafür, dass Art. 17 Abs. 5 i.V.m. Anhang VI Teil A Nr. 4 VO (EU) Nr. 1169/2011 nicht dem Schutz vor Irreführung, sondern der allgemeinen Verbraucherinformation dient.
Durch die Verwendung einer geschützten Bezeichnung, Handelsmarke oder Fantasiebezeichnung im Sinne von Art. 17 Abs. 4 VO (EU) Nr. 1169/2011 lenkt der Lebensmittelunternehmer i.S.v. Art. 1 Abs. 3 der VO (EU) Nr. 1169/2011 aber in gewisser Weise von der Bezeichnung des Lebensmittels nach Art. 17 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1169/2011 ab, da er mit der Bezeichnung nach Art. 17 Abs. 5 VO (EU) Nr. 1169/2011 gewöhnlich Werbung treibt und in der Wahrnehmung der Verbraucher diese gegenüber der Bezeichnung des Lebensmittels im Sinne von Art. 17 Abs. 1-3 VO (EU) Nr. 1169/2011 in den Vordergrund tritt. Zur Größe, in der die Bezeichnung des Lebensmittels auf der Verpackung eines vorverpackten Lebensmittels abgedruckt sein muss, enthält die VO (EU) Nr. 1169/2011 nur Mindestangaben: Art. 9 Abs. 1 lit. a der VO (EU) Nr. 1169/2011 nennt die Bezeichnung des Lebensmittels als eine der verpflichtenden Angaben. Art. 13 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1169/2011 verlangt, dass die verpflichtenden Angaben an einer gut sichtbaren Stelle deutlich, gut lesbar und gegebenenfalls dauerhaft anzubringen sind. Art. 13 Abs. 2 VO (EU) Nr. 1169/2011 konkretisiert dies hinsichtlich der Schriftgröße.
Zur Art und Weise, wie eine geschützte Bezeichnung, Handelsmarke oder Fantasiebezeichnung im Sinne von Art. 17 Abs. 4 VO (EU) Nr. 1169/2011 auf dem Lebensmittel erscheinen kann oder darf enthält die VO (EU) Nr. 1169/2011 (natürlich) keine Vorgaben. Die Bezeichnung des Lebensmittels ist aber jedenfalls in sehr vielen Fällen (wie auch dem vorliegenden) weitaus kleiner und weniger auffällig auf der Verpackung eines vorverpackten Lebensmittels zu sehen, als eine Handelsmarke oder Fantasiebezeichnung im Sinne von Art. 17 Abs. 4 VO (EU) Nr. 1169/2011 aufgedruckt ist. Die Bezeichnung des Lebensmittels ist damit auch weit weniger auffällig.
Daher könnte Anhang VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 der Herstellung von Transparenz und der Information des Verbrauchers dienen, indem jedenfalls in den Fällen der Nr. 4 sichergestellt wird, dass eine Information über ausgetauschte Bestandteile oder Zutaten sich in ähnlicher Größe wie die Bezeichnung nach Art. 17 Abs. 4 VO (EU) Nr. 1169/2011 auf der Verpackung findet und damit eine ausreichende Information der Verbraucher gewährleistet ist. Bei der Frage, ob ein Bestandteil oder eine Zutat durch einen anderen Bestandteil oder eine andere Zutat ersetzt wurde, handelt es sich wohl auch um eine Information, an der die Mehrheit der Verbraucher ein großes Interesse haben im Sinne des Erwägungsgrundes (18). Damit wäre der Produktname jedenfalls nicht gleichbedeutend mit der Bezeichnung des Lebensmittels nach Art 17 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1169/2011.
2. Zu Frage 3:
Die Vorlagefrage 3 stellt sich nur dann, wenn die Frage 1 mit „nein“ und die Frage 2 mit „ja“ beantwortet wird.
Dann stellt sich nämlich im Ausgangsverfahren die Frage, was im konkreten Fall der „Produktname“ ist, da unter der Marke „BiFi“ verschiedenste Produkte von der Klägerin in den Verkehr gebracht werden, und zwar jeweils mit einem ergänzenden, das jeweilige Lebensmittel bezeichnenden Zusatz.
Da Anhang VI Teil A Nr. 4 ebenso wie die restliche VO (EU) Nr. 1169/2011 keine Aussage über die Bedeutung von „Produktname“ trifft, enthält er auch keine Aussage dazu, ob ein aus einem Oberbegriff und einer auf das konkrete Produkt zugeschnittenen Spezifizierung zusammengesetzter Produktname möglich ist.
Da Anh. VI Teil A Nr. 4 der VO (EU) Nr. 1169/2011 voraussetzt, dass bei dem konkreten Lebensmittel ein Bestandteil oder eine Zutat ausgetauscht wurde, um die dort geregelte Kennzeichnungspflicht auszulösen, ist für die Bestimmung des Produktnamens auch allein auf dieses konkrete Lebensmittel abzustellen und danach zu fragen, unter welcher Bezeichnung es im Handel und in der Werbung angeboten wird und den Verbrauchern allgemein bekannt ist. Wenn diese Bezeichnung aus mehreren Bestandteilen besteht, dann ist dies eben der Produktname im konkreten Fall. Dementsprechend spricht viel dafür, dass der Produktname aus zwei oder mehreren Bestandteilen zusammengesetzt sein kann.
3. Zu Frage 4:
Für den Fall, dass dies der Fall ist, schließt sich die als Vorlagefrage 4 formulierte Folgefrage an, auf welchen Teil des Produktnamens für die in Anhang VI Teil A Nr. 4 lit. b) vorgeschriebene Größe der ergänzenden Angaben abgestellt werden muss.
Hier sind verschiedene Auslegungen denkbar. Einerseits könnte der Bestandteil des Produktnamens mit der größten Schriftgröße herangezogen werden. Diese Auslegung wäre am besten geeignet, das Ziel der Information des Verbrauchers zu erreichen.
Andererseits könnte auf die Schriftgröße des Bestandteils, der am kleinsten auf der Verpackung des Lebensmittels aufgedruckt ist, abgestellt werden. Dafür spräche, dass der Eingriff in die unternehmerische Freiheit des Lebensmittelunternehmers (Art. 16 GrCH) durch eine derartige Etikettierungspflicht damit möglichst klein gehalten würde.
Schließlich könnte auch auf die Schriftgröße des Bestandteils des Produktnamens, der das Lebensmittel genauer beschreibt und keine Gattungsbezeichnung oder Marke darstellt, abgestellt werden.
III. Entscheidungserheblichkeit der Auslegungsfragen für das Ausgangsverfahren
Sämtliche Fragen zur Auslegung der VO (EU) Nr. 1169/2011 sind für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich.
Wird die Vorlagefrage 1 mit „ja“ beantwortet, dann ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig und die Klage begründet, da eine ergänzende Etikettierung wie im Bescheid angeordnet dann nicht rechtmäßigerweise verlangt werden kann.
Wird die Vorlagefrage 1 mit „nein“ beantwortet kommt es für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits darauf an, wie der Begriff „Produktname“ vom Gerichtshof ausgelegt wird.
Falls der Gerichtshof entscheidet, dass unter „Produktname“ eine Bezeichnung wie in der Vorlagefrage 2 formuliert zu verstehen ist, kommt es auf die Vorlagefrage 3 an. Denn dann muss das vorlegende Gericht klären, welcher der verschiedenen Begriffe, unter denen das streitgegenständliche Lebensmittel im Handel und in der Werbung angeboten wird („BiFi“, „BiFi The Original“, „BiFi Turkey“ oder „BiFi The Original Turkey“), der Produktname ist.
Falls der Gerichtshof auf die Vorlagefrage 3 entscheidet, dass ein aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzter Produktname möglich ist, stellt sich die Vorlagefrage 4. Anderenfalls wird sich die Kammer mit der Frage zu befassen haben, welcher der im Ausgangsfall in Frage kommenden Begriffe („BiFi“, „The Original“ oder „Turkey“) der „Produktname“ ist.
Nach § 94 VwGO wird das Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorlagefragen ausgesetzt.


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