Europarecht

Widerrufsrecht, Widerruf, Berufung, Vertragsschluss, Leasingvertrag, Marke, Fahrzeug, Verbraucher, Haftpflichtversicherung, Rechtsanwaltskosten, Vorabentscheidung, Restwert, Unternehmer, Sonderzahlung, Aussetzung des Verfahrens, juristische Person, Absendung des Widerrufs

Aktenzeichen  32 U 557/22

Datum:
21.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 15837
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

22 O 2667/21 — LGMUENCHENI LG München I

Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden nach Artikel 267 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union folgende Fragen zur Auslegung der RL 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der RL 93/13/EWG des Rates und der RL 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der RL 85/577/EWG des Rates und der RL 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates – ABl. L 304 vom 22. November 2011, S. 64-88 – (RL 2011/83/EU) sowie der RL 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der RL 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG – ABl. L 271 vom 9. Oktober 2002, S. 16-24 – (RL 2002/65/EG) vorgelegt:
1. Liegt ein Fernabsatzvertrag im Sinne von Artikel 2 Buchstabe a) der RL 2002/65/EG und Artikel 2 Nummer 7 der RL 2011/83/EU auch dann vor, wenn bei den Vertragsverhandlungen persönlicher Kontakt nur mit einem Kreditvermittler bestand, der für den Unternehmer und in dessen Auftrag Geschäfte mit Verbrauchern anbahnt, aber selbst keine Vertretungsmacht zum Abschluss der betreffenden Verträge hat ?
2. Liegt ein außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossener Vertrag im Sinne von Artikel 2 Nummer 8 und 9 der RL 2011/83/EU vor, wenn die Vertragsverhandlungen in den Geschäftsräumen eines Kreditvermittlers stattfinden, der für den Unternehmer und in dessen Auftrag Geschäfte mit Verbrauchern anbahnt, aber selbst keine Vertretungsmacht zum Abschluss der betreffenden Verträge hat ?
3. Stellen Kraftfahrzeug-Leasingverträge mit einem Verbraucher mit Kilometerabrechnung Verträge über Finanzdienstleistungen im Sinne von Artikel 2 Buchstabe b) der RL 2002/65/EG, die von Artikel 2 Nummer 12 der RL 2011/83/EU übernommen wurde, dar ?

Gründe

I.
Die Parteien streiten nach einem Widerruf der Vertragserklärung durch die Klägerin um die Rückabwicklung eines Leasingvertrags über ein Kraftfahrzeug mit Kilometerabrechnung.
1. Die Klägerin schloss am 08.06.2017 als Verbraucherin mit der Beklagten als Leasinggeberin einen schriftlichen Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung über einen Neuwagen der Marke … Typ … (Anlage K 1). Die Laufzeit betrug 36 Monate; während der vereinbarten Vertragslaufzeit war eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen. Die Klägerin sollte nach dem Vertrag eine anfängliche Sonderzahlung von 5.000,- € und 36 monatliche Leasingraten zu je 389,56 € leisten. Nach den dem Vertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen stehen dem Leasingnehmer gegen den Leasinggeber Ansprüche wegen Sachmängeln des Fahrzeugs nicht zu. An deren Stelle tritt der Leasinggeber sämtliche Ansprüche wegen Sachmängeln gegen den Lieferanten des Leasingfahrzeugs an den Leasingnehmer ab. Weiter ist der Leasingnehmer verpflichtet, eine Haftpflichtversicherung und eine Fahrzeugvollversicherung abzuschließen. Die Beklagte räumte der Klägerin eine Kaufoption zum regulären Vertragsende zu einem kalkulierten Restwert von 24.989,49 € ein. Eine Abnahmeverpflichtung der Klägerin bestand nicht. Der Leasingvertrag enthält eine Regelung über die Laufleistung des Fahrzeugs während der Leasingzeit (15.000 Kilometer im Jahr) und die Abrechnung von eventuellen Mehr- und Minderkilometern, wobei hierfür feste Beträge vereinbart wurden. Bei Vertragsende sollte das Fahrzeug einen dem Alter und der vertragsgemäßen Laufleistung entsprechenden Erhaltungszustand aufweisen; andernfalls sollte der Leasingnehmer die übermäßige Abnutzung ausgleichen. Der Leasingvertrag enthält auf Seite 9 der Vertragsunterlagen eine Widerrufsinformation, mit der über ein verbraucherkreditrechtliches Widerrufsrecht belehrt wird.
2. Die Klägerin stellte ihren Leasingantrag in dem Autohaus … GmbH & Co. KG in K. und unterschrieb ihn auch dort. Das Autohaus übermittelte den schriftlichen Antrag an die Beklagte, die den Antrag prüfte und annahm. Das Autohaus war dabei im Rahmen einer festen Geschäftsverbindung als Kreditvermittler für die Beklagte tätig, hatte aber keine Befugnis zum Vertragsschluss. Eine Mitarbeiterin des Autohauses nahm die Leasingkalkulation vor und besprach diese mit der Klägerin mit Blick auf die Laufzeit, die Leasingsonderzahlung und die Ratenhöhe. Die Mitarbeiterin war befugt und in der Lage, Auskünfte zum Vertrag zu erteilen und Fragen zur Finanzierung des Fahrzeugs zu beantworten.
3. Das Fahrzeug wurde am 24.08.2017 an die Klägerin übergeben. Bis zu der Beendigung des Leasingvertrags und der Rückgabe des Fahrzeugs an die Beklagte im August 2020 hatte die Klägerin an die Beklagte ein Leasingentgelt in Höhe von insgesamt 19.024,16 € bezahlt.
Mit E-Mail-Schreiben vom 05.08.2020 (Anlage K 2) widerrief die Klägerin den Vertrag und forderte die Beklagte zur Rückabwicklung sämtlicher Zahlungen auf.
4. Die Klägerin fordert von der Beklagten die Zahlung eines Betrages in Höhe von 19.024,16 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Sie ist der Ansicht, dass ihr (auch) ein Widerrufsrecht gemäß § 312g Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zugestanden habe, da hier ein Fernabsatzvertrag und/oder ein Außergeschäftsraumvertrag vorliege. Bei der Mitarbeiterin des Autohauses handele es sich lediglich um eine Botin der Leasinggeberin.
5. Das Landgericht München I hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme die Klage durch Endurteil vom 20.12.2021 abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass der Klägerin weder ein gesetzliches noch ein vertragliches Widerrufsrecht zustehe. Insbesondere liege bei der Anbahnung des Leasinggeschäfts in einem Autohaus kein Fernabsatzvertrag vor, der die ausschließliche Verwendung von Fernkommunikationsmitteln voraussetze. Mit der Mitarbeiterin des Autohauses, welches als Kreditvermittlerin fungiert habe, habe der Klägerin bei Abschluss des Leasingvertrags eine informierte und bevollmächtigte Vertreterin der Beklagten gegenüber gestanden, an die sich die Klägerin umfassend mit Fragen zum Leistungsgegenstand und zu den Vertragsbedingungen habe wenden können.
6. Die Klägerin wendet sich gegen dieses Urteil mit der Berufung, mit der sie ihre Ansprüche in vollem Umfang weiter verfolgt. Sie beantragt in der Berufung die Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die Vorlagebeschlüsse des Landgerichts Ravensburg vom 30.12.2020 und vom 24.08.2021 (Aktenzeichen des Landgerichts Ravensburg: 2 O 238/20; verbundene Rechtssachen C-38/21 und C-47/21 des Gerichtshofs der Europäischen Union).
II.
1. Der Ausgang des Rechtsstreits hängt von der Auslegung des Artikels 2 Buchstabe a) der RL 2002/65/EG und des Artikels 2 Nummer 7 der RL 2011/83/EU, die mit § 312c BGB in das deutsche Recht umgesetzt worden sind, und des Artikels 2 Nummer 8 und 9 der RL 2011/83/EU, die mit § 312b BGB in das deutsche Recht umgesetzt worden sind, sowie des Artikels 2 Buchstabe b) der RL 2002/65/EG und des Artikels 2 Nummer 12 der RL 2011/83/EU, die mit § 312 Absatz 5 BGB in das deutsche Recht umgesetzt worden sind, ab. Vor einer Entscheidung über die Berufung der Klägerin ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Artikel 267 Absatz 1 und Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.
2. Die für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgebenden Bestimmungen lauten:
a) Vorlagefrage 1.:
Artikel 2 der RL 2002/65/EG in der seit 09. Oktober 2002 geltenden Fassung:
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck […]
a) „Fernabsatzvertrag“ jeden zwischen einem Anbieter und einem Verbraucher geschlossenen, Finanzdienstleistungen betreffenden Vertrag, der im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- bzw. Dienstleistungssystems des Anbieters geschlossen wird, wobei dieser für den Vertrag bis zu und einschließlich dessen Abschlusses ausschließlich ein oder mehrere Fernkommunikationsmittel verwendet;
Artikel 2 der RL 2011/83/EU in der in der ab 12. Dezember 2011 bis 06. Januar 2020 geltenden Fassung:
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke […]
7. „Fernabsatzvertrag“ jeden Vertrag, der zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- bzw. Dienstleistungssystems geschlossen wird, wobei bis einschließlich zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ausschließlich ein oder mehrere Fernkommunikationsmittel verwendet wird/werden;
§ 312c BGB in der seit 13. Juni 2014 geltenden Fassung:
(1) Fernabsatzverträge sind Verträge, bei denen der Unternehmer oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt.
(2) Fernkommunikationsmittel im Sinne dieses Gesetzes sind alle Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrags eingesetzt werden können, ohne dass die Vertragsparteien gleichzeitig körperlich anwesend sind, wie Briefe, Kataloge, Telefonanrufe, Telekopien, E-Mails, über den Mobilfunkdienst versendete Nachrichten (SMS) sowie Rundfunk und Telemedien.
§ 312g BGB in der ab 21. März 2016 bis 30. Juni 2018 geltenden Fassung:
(1) Dem Verbraucher steht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 zu.
§ 355 BGB in der seit 13. Juni 2014 geltenden Fassung:
(1) 1Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so sind der Verbraucher und der Unternehmer an ihre auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung fristgerecht widerrufen hat. ²Der Widerruf erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer. ³Aus der Erklärung muss der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgehen. 4Der Widerruf muss keine Begründung enthalten. 5Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.
b) Vorlagefrage 2.:
Artikel 2 der RL 2011/83/EU in der in der ab 12. Dezember 2011 bis 06. Januar 2020 geltenden Fassung:
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke […]
8. „außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossener Vertrag“ jeden Vertrag zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher,
a) der bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers an einem Ort geschlossen wird, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist; […]
9. „Geschäftsräume“
a) unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, […]
§ 312b BGB in der seit 13. Juni 2014 geltenden Fassung:
(1) 1Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge sind Verträge,
1. die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist, […]
²Dem Unternehmer stehen Personen gleich, die in seinem Namen oder Auftrag handeln.
(2) 1Geschäftsräume im Sinne des Absatzes 1 sind unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, und bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt. ²Gewerberäume, in denen die Person, die im Namen oder Auftrag des Unternehmers handelt, ihre Tätigkeit dauerhaft oder für gewöhnlich ausübt, stehen Räumen des Unternehmers gleich.
§ 312g BGB in der ab 21. März 2016 bis 30. Juni 2018 geltenden Fassung:
(1) Dem Verbraucher steht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 zu.
§ 355 BGB in der seit 13. Juni 2014 geltenden Fassung:
(1) 1Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so sind der Verbraucher und der Unternehmer an ihre auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung fristgerecht widerrufen hat. ²Der Widerruf erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer. ³Aus der Erklärung muss der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgehen. 4Der Widerruf muss keine Begründung enthalten. 5Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.
c) Vorlagefrage 3.:
Artikel 6 der RL 2002/65/EG in der seit 9. Oktober 2002 geltenden Fassung:
(1) 1Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass der Verbraucher innerhalb einer Frist von 14 Kalendertagen den Vertrag widerrufen kann, ohne Gründe nennen oder eine Vertragsstrafe zahlen zu müssen. ²Bei Fernabsatzverträgen über Lebensversicherungen, die unter die RL 90/619/EWG fallen, und bei Fernabsatzverträgen über die Altersversorgung von Einzelpersonen wird diese Frist jedoch auf 30 Kalendertage verlängert. ³Die Widerrufsfrist beginnt zu laufen:
– am Tag des Abschlusses des Fernabsatzvertrags […]
– oder an dem Tag, an dem der Verbraucher die Vertragsbedingungen und Informationen gemäß Artikel 5 Absatz 1 oder 2 erhält, wenn dieser Zeitpunkt später als der im ersten Gedankenstrich genannte liegt.
Artikel 10 der RL 2011/83/EU in der ab 12. Dezember 2011 bis 06. Januar 2020 geltenden Fassung:
(1) Hat der Unternehmer den Verbraucher nicht gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe h über sein Widerrufsrecht belehrt, so läuft die Widerrufsfrist 12 Monate nach Ablauf der ursprünglichen Widerrufsfrist gemäß Artikel 9 Absatz 2 ab.
§ 356 BGB in der ab 21. März 2016 bis 27. Mai 2022 geltenden Fassung:
(3) 1Die Widerrufsfrist beginnt nicht, bevor der Unternehmer den Verbraucher entsprechend den Anforderungen des Artikels 246a § 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 oder des Artikels 246b § 2 Absatz 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche unterrichtet hat. ²Das Widerrufsrecht erlischt spätestens zwölf Monate und 14 Tage nach dem in Absatz 2 oder § 355 Absatz 2 Satz 2 genannten Zeitpunkt. ³Satz 2 ist auf Verträge über Finanzdienstleistungen nicht anwendbar.
Artikel 2 der RL 2002/65/EG in der ab 9. Oktober 2002 geltenden Fassung:
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck […]
b) „Finanzdienstleistung“ jede Bankdienstleistung sowie jede Dienstleistung im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung von Einzelpersonen, Geldanlage oder Zahlung;
Artikel 2 der RL 2011/83/EU in der ab 12. Dezember 2011 bis 06. Januar 2020 geltenden Fassung:
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke […]
12. „Finanzdienstleistung“ jede Bankdienstleistung sowie jede Dienstleistung im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung von Einzelpersonen, Geldanlage oder Zahlung;
§ 312 BGB in der ab 13. Juni 2014 bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung:
(5) Bei Vertragsverhältnissen über Bankdienstleistungen sowie Dienstleistungen im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung von Einzelpersonen, Geldanlage oder Zahlung (Finanzdienstleistungen) […]
§ 1 Kreditwesengesetz (KWG) in der ab 31. März 2017 bis 09. Juni 2017 geltenden Fassung:
(1a) 1Finanzdienstleistungsinstitute sind Unternehmen, die Finanzdienstleistungen für andere gewerbsmäßig oder in einem Umfang erbringen, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, und die keine Kreditinstitute sind. ²Finanzdienstleistungen sind […]
10. der Abschluss von Finanzierungsleasingverträgen als Leasinggeber und die Verwaltung von Objektgesellschaften im Sinne des § 2 Absatz 6 Satz 1 Nummer 17 außerhalb der Verwaltung eines Investmentvermögens im Sinne des § 1 Absatz 1 des Kapitalanlagegesetzbuchs (Finanzierungsleasing)
III.
1. Der Ausgang des Rechtsstreits hängt davon ab, ob dem Verbraucher nach Abschluss des Kilometerleasingvertrags ein Widerrufsrecht nach den Grundsätzen des Fernabsatzgeschäfts oder des Außergeschäftsraumvertrags zustand. Dies wäre nicht der Fall, wenn die Geschäftsräume des Autohändlers dem Leasinggeber zuzurechnen sind. Sollte ein Widerrufsrecht nach den genannten Grundsätzen bestehen, hängt die zu treffende Entscheidung weiter davon ab, ob das Widerrufsrecht spätestens 12 Monate nach Ablauf der ursprünglichen Widerrufsfrist von 14 Tagen erloschen ist. Dies wäre dann nicht der Fall, wenn die vom deutschen Gesetzgeber vorgesehene Ausnahme für Finanzdienstleistungen eingreift.
Ein verbraucherkreditrechtliches Widerrufsrecht, auf welches sich die Klägerin in dem vorliegenden Fall auch beruft, kann jedoch nicht bestehen. Denn die Anwendung der RL 2008/48/EG ist schon allein deshalb ausgeschlossen, weil die Verbraucherin keine Pflicht zum Erwerb des Fahrzeugs hat (Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe d) der Richtlinie; vgl. hierzu das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24.02.2021- Aktenzeichen VIII ZR 36/20 und die Stellungnahme der Europäischen Kommission in der Rechtssache C-38/21 vom 01.12.2021, dort Ziffer 24).
2. Zur Vorlagefrage 1.:
Zu klären ist die Frage, ob ein Fernabsatzvertrag vorliegt, wenn ein Verbraucher nach Beratung durch einen Mitarbeiter des Autohauses einen Leasingvertrag über ein Fahrzeug abschließt, das die Leasinggeberin dann von diesem Autohaus erwirbt.
a) Fernabsatzgeschäfte sind dadurch gekennzeichnet, dass Anbieter und Verbraucher sich nicht physisch begegnen und der Verbraucher die vom Unternehmer angebotene Ware oder Dienstleistung in der Regel nicht vor Vertragsschluss in Augenschein nehmen kann. Um der daraus erwachsenden Gefahr von Fehlentscheidungen des Verbrauchers zu begegnen, wird ihm ein Widerrufsrecht eingeräumt (Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. November 2015 – I ZR 168/14 -, juris Randnummer 30). Die Vorschriften über Fernabsatzverträge dienen dem Schutz der Verbraucher vor spezifischen technisch-strukturellen Risiken, die sich durch die besondere Vertriebsform des Fernabsatzes ergeben. Der Verbraucher soll insbesondere vor Informationsasymmetrien geschützt werden (BeckOGK/Busch, 1.6.2021, BGB § 312c Randnummer 2). Der Verbraucher bekommt regelmäßig die Leistung sowie die Person seines Vertragspartners vor Vertragsschluss nicht in natura zu sehen (Wendehorst in Münchner Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, § 312c BGB Randnummer 3). Nach den Erwägungsgründen der Fernabsatzrichtlinie, RL 97/7/EG, besteht für den Verbraucher die Gefahr, dass er die nötigen Informationen über die Ware oder Dienstleistung und die Person seines Vertragspartners infolge verringerter Rückfragemöglichkeiten entweder überhaupt nicht erhält (Erwägungsgrund 11 Fernabsatz-RL) oder sie ihm jedenfalls nur in „flüchtiger“ Form erteilt werden (Erwägungsgrund 13 Fernabsatz-RL). Auch in Erwägungsgrund 37 der Verbraucherrechterichtlinie, RL 2011/83/EU, heißt es: „Da der Verbraucher im Versandhandel die Waren nicht sehen kann, bevor er den Vertrag abschließt, sollte ihm ein Widerrufsrecht zustehen. Aus demselben Grunde sollte dem Verbraucher gestattet werden, die Waren, die er gekauft hat, zu prüfen und zu untersuchen, um die Beschaffenheit, die Eigenschaften und die Funktionsweise der Waren festzustellen.“ Der Verbraucher soll sich vor Abschluss des Vertrages von der Ware einen Eindruck verschaffen können und soll in einem persönlichen Gespräch Fragen zu der Ware stellen können.
An einem Vertragsschluss „unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln“ fehlt es demnach, wenn der Verbraucher während der Vertragsanbahnung persönlichen Kontakt zu einem Mitarbeiter des Unternehmers oder einem vom Unternehmer bevollmächtigten Vertreter hat. Nur in Fällen, in denen der Verbraucher keine Möglichkeit hat, vor Vertragsschluss den Vertragsgegenstand persönlich in Augenschein zu nehmen oder im persönlichen Gespräch mit dem Unternehmer oder einem vom Unternehmer bevollmächtigten Vertreter Fragen zu stellen und Unklarheiten auszuräumen, besteht ein Bedürfnis für ein zweiwöchiges Widerrufsrecht (Bundesgerichtshof, Urteil vom 27. Februar 2018 – XI ZR 160/17, NJW 2018, 1387 Randnummer 20 f.).
b) An diesem Schutzzweck ist zu messen, ob bei der Einschaltung von Dritten von Seiten des Unternehmers bei der Anbahnung oder bei Abschluss des Vertrages die Annahme der Voraussetzungen eines Fernabsatzgeschäftes gerechtfertigt ist.
Dabei ist es anerkannt, dass keine Verwendung von Fernkommunikationsmitteln jedenfalls in der Einschaltung von Stellvertretern beim Vertragsschluss liegt, sofern diese nicht ihrerseits im Verhältnis zum Verbraucher ausschließlich Fernkommunikationsmittel nutzen (Staudinger/Thüsing (2019) § 312c BGB Randnummer 25; Wendehorst in Münchner Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, § 312c BGB Randnummer 13). Handelt es sich bei dem Dritten um eine Person, die aus Sicht des Verbrauchers ermächtigt und in der Lage ist, verbindliche Informationen über Gegenstand und Inhalt des Vertrages zu geben, so fehlt es an der für Fernabsatzverträge typischen Informationsasymmetrie (BeckOGK/Busch, 1.6.2021, BGB § 312c Randnummer 15). Wird hingegen bei Vertragsschluss oder -anbahnung ein Bote beauftragt, der zwar dem Verbraucher in unmittelbarem persönlichen Kontakt gegenübertritt, jedoch über den Vertragsinhalt und insbesondere über die Beschaffenheit der Vertragsleistung des Unternehmers keine näheren Auskünfte geben kann und soll, steht dies der Annahme eines Fernabsatzvertrages nicht entgegen (Bundesgerichtshof, Urteil vom 21. Oktober 2004 – III ZR 380/03 -, NJW 2004, 3699).
Diese Grundsätze gelten auch für Verhandlungsgehilfen und Vermittler. Es handelt sich dabei um Personen, die im Stadium der Vertragsanbahnung für die späteren Vertragsparteien tätig werden, die Vertragsschlusserklärungen jedoch nicht selbst abgeben (vgl. Schubert in Münchener Kommnentar zum BGB, 9. Auflage 2021, § 164 BGB Randnummer 73). Wenn sich die Leistung des Vermittlers auf die Herstellung des Kontakts zu dem Verbraucher beschränkt, besteht kein Anlass, von der Anwendung des Fernabsatzrechts abzusehen. Verhandlungsgehilfen und Vermittler stehen einem Vertreter des Unternehmers jedoch gleich, wenn sie aus der Sicht des Verbrauchers ermächtigt sind, verbindliche Informationen über den Inhalt des angebahnten Vertrags zu geben.
c) Gemessen an diesen Grundsätzen liegt nach Ansicht des Senats kein Fernabsatzvertrag im Sinne von § 312c Absatz 1 BGB vor, wenn ein Verbraucher in einem Autohaus nach Beratung durch einen Mitarbeiter des Autohauses einen Leasingvertrag über ein Fahrzeug abschließt, das die Leasinggeberin dann von diesem Autohaus erwirbt.
Der Mitarbeiter des Autohauses tritt dabei in der Regel als Verhandlungsgehilfe auf. Denn er ist nicht Vertreter der Leasinggeberin und unterzeichnet auch nicht für diese den Leasingvertrag. Er berät aber über das zu leasende Fahrzeug und die Möglichkeiten der Finanzierung. Er versucht den Abschluss des Vertrages zu fördern und stellt den Kontakt zu der Leasinggeberin her.
Der Verbraucher hat bei Anbahnung des Leasingvertrages im Autohaus die Möglichkeit, sich über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Fahrzeuge zu informieren. Er wird auch darüber informiert, ob neben dem Erwerb des Fahrzeugs auch der Abschluss eines Leasingvertrages möglich ist. Anders als ein Bote, der beispielsweise bloß die Identität des Verbrauchers überprüft, kann der Mitarbeiter des Autohauses über den Vertragsinhalt und insbesondere über die Beschaffenheit der Vertragsleistung des Unternehmers nähere Auskünfte geben. Genau darin besteht seine Aufgabe. Bei dem Autohaus handelt es sich nicht um einen reinen Boten oder Übersender der Vertragserklärung. Vielmehr stehen das Autohaus und die Leasinggeberin auf der Grundlage eines Kreditvermittlungsvertrags in dauerhafter Geschäftsbeziehung. Die Mitarbeiterin des Autohauses war befugt und auch in der Lage, Auskünfte zu dem Leasingvertrag zu erteilen, die Detailfragen zu der Finanzierung zu klären, Kalkulationsgrundlagen zu erstellen sowie die Vertragserklärung der Klägerin entgegenzunehmen und weiterzuleiten. Das Autohaus war im Ergebnis in das Vertriebsnetz der Leasinggeberin eingebunden.
Dies wird vorliegend durch die Angaben der in erster Instanz vernommenen Zeugin … bestätigt, die als Mitarbeiterin des Autohauses die Klägerin ausführlich über verschiedene Möglichkeiten der Finanzierung und des Leasings beraten und je nach Fahrzeugkonfiguration diverse Kalkulationsgrundlagen erstellt hat.
d) Die Ansicht wird gestützt durch Erwägungsgrund 19 der RL 2002/65/EG (Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL). Demnach soll die Richtlinie gleichermaßen Anwendung finden, wenn sich eine der Absatzphasen unter Mitwirkung eines Vermittlers vollzieht. Mit Rücksicht auf die Art und den Umfang dieser Mitwirkung sollten die einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinie unabhängig von der Rechtsstellung des Vermittlers auf diesen anwendbar sein. Damit stellt auch der Erwägungsgrund auf die Qualität der Mitwirkung des Vermittlers ab.
e) Das Landgericht Ravensburg hat in seiner Vorlage vom 24.08.2021 (Aktenzeichen des Landgerichts Ravensburg: 2 O 238/20; verbundene Rechtssachen C-38/21 und C-47/21 des Gerichtshofs der Europäischen Union) darauf abgestellt, dass im Fahrzeughandel der häufigste Fall immer noch derjenige sei, dass „Fahrzeuge direkt mittels Abschluss eines Kaufvertrags zum Eigentum erworben werden“, also diese in der Mehrzahl nicht finanziert werden. Ein Verbraucher, der mit dieser Absicht in ein Autohaus gehe, rechne unter Umständen nicht damit, dass ihm im Laufe von Verkaufsgesprächen das Fahrzeug auf Leasingbasis angeboten wird, und sei dann darauf nicht ausreichend vorbereitet (Landgericht Ravensburg, EuGH-Vorlage vom 24. August 2021 – 2 O 238/20 -, juris Randnummer 69). Der klassische Schutzzweck des Fernabsatzrechts sei aufgrund moderner Vertriebstechniken mit situationsgebundenen und personalisierten elektronischen Angeboten durch den weiteren Schutzzweck der Überrumpelungsgefahr zu ergänzen. Denn bei einem klassischen Fernabsatzvertrag gebe der Verbraucher das Angebot in seinen Privaträumen ab. Wenn das Angebot jedoch außerhalb der Privaträume abgegeben werde, könne der Verbraucher auch bei einem Fernabsatzvertrag in eine Situation kommen, in der er einem Überraschungsmoment oder psychischem Druck ausgesetzt ist. Er sei dann ebenso schutzwürdig wie bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag im Sinne von Artikel 2 Nummer 8 der RL 2011/83/EU. Der Kunde eines Autohauses, der mit einem Leasingangebot unter Umständen nicht rechne, erscheine auch unter diesem Aspekt als schutzwürdig. Der Schutz des Verbrauchers vor unüberlegten Geschäftsabschlüssen in einer unvorbereiteten Situation dürfte es gebieten, den Kreis der Personen, die im Namen und Auftrag des Unternehmers handeln, auf zum Vertragsabschluss befugte Personen (Stellvertreter oder mittelbare Vertreter) zu beschränken (Landgericht Ravensburg, EuGH-Vorlage vom 24. August 2021 – 2 O 238/20 -, juris Randnummer 95).
Der Senat teilt diese Auffassung nicht. Diese geht von einer unzutreffenden Prämisse aus. Die vorliegende Kauf- und Beratungssituation findet sich in erster Linie beim Neuwagenkauf wieder. Es entspricht vielmehr der Lebenswirklichkeit, dass Fahrzeugkäufe in Deutschland überwiegend durch Darlehens- oder Leasingverträge finanziert werden. Die Deutsche A. T. GmbH (DAT), ein Unternehmen der Automobilwirtschaft, betreibt Marktforschung im Automobilsektor. Nach repräsentativen Befragungen von Endverbrauchern wurden im Jahr 2019 77% aller privat erworbenen Neuwagen finanziert oder geleast. Im Jahr 2020 betrug der Anteil der Finanzierungen durch Darlehen oder Leasingverträge sogar 84%. Im selben Jahr wurden auch Gebrauchtwagen mit einer Quote von 55% ganz oder zumindest teilweise finanziert (Quellen: Pressemitteilung vom 23.01.2020 zum DAT-Report 2020; Pressemitteilung vom 10.02.2021 zum DAT-Report 2021).
Da eine Finanzierung des Autokaufs die übliche Situation widerspiegelt, besteht bei den Kunden gerade eine Erwartungshaltung, bei dem Erwerb eines Fahrzeugs im Autohaus über Finanzierungsmöglichkeiten beraten zu werden und entsprechende Abschlüsse tätigen zu können. Um dieser Erwartungshaltung gerecht zu werden, bieten herstellernahe Leasinggesellschaften Finanzierungsmöglichkeiten für die Automarken an, über die in den Autohäusern beraten wird und deren Abschluss dort angebahnt wird. Es handelt sich dabei um standardmäßige Darlehens- oder Leasingverträge, die auf bestimmten standardisierten Berechnungsparametern beruhen. Die Beratung erfordert damit auch keine vertieften bankmäßigen Spezialkenntnisse. Ein Überraschungsmoment oder eine Überrumpelung des Verbrauchers ist vor diesem Hintergrund nicht zu befürchten. Er ist in der konkreten Beratungssituation auch keinem psychischen Druck ausgesetzt, da er sich über andere Finanzierungsmöglichkeiten bei markenunabhängigen Anbietern informieren und diese Möglichkeiten jederzeit umsetzen kann. Der Autokauf stellt kein Alltagsgeschäft dar; diesem gehen in der Regel längere Überlegungen über die Finanzierung voraus. Bei der Finanzierung handelt es sich nicht um ein branchenfremdes Geschäft, mit dem der Verbraucher in der konkreten Verhandlungssituation nicht rechnen musste.
f) Im Ergebnis geht der Senat davon aus, dass kein Fernabsatzgeschäft vorliegt, wenn der Verbraucher Gelegenheit hat, sich bei dem Kreditvermittler im Autohaus über den Finanzierungsvertrag zu informieren und der Vermittler vom Leasinggeber im Rahmen einer Geschäftsverbindung mit dieser Tätigkeit beauftragt ist.
3. Zur Vorlagefrage 2.:
Zu klären ist die Frage, ob ein außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossener Vertrag vorliegt, wenn ein Verbraucher in einem Autohaus nach Beratung durch einen Mitarbeiter des Autohauses einen Leasingvertrag über ein Fahrzeug abschließt, das die Leasinggeberin dann von diesem Autohaus erwirbt.
a) Ausweislich Erwägungsgrund 21 der RL 2011/83/EU (Verbraucherrechte-RL) ist der besondere Schutz des Verbrauchers bei Außergeschäftsraumverträgen durch den Befund gerechtfertigt, dass ein Verbraucher außerhalb von Geschäftsräumen möglicherweise psychisch unter Druck steht oder einem Überraschungsmoment ausgesetzt ist: Während ein Verbraucher, der sich freiwillig in Geschäftsräume eines Unternehmers begibt, erstens mental auf eine Verhandlungs- und Vertragsschlusssituation vorbereitet ist und sich zweitens dieser Situation durch Verlassen der Geschäftsräume relativ einfach entziehen kann, trifft dies nicht unbedingt auf einen Verbraucher zu, der etwa in seiner Privatwohnung oder am Arbeitsplatz aufgesucht oder auf der Straße von einem aufdringlichen Händler verfolgt wird (Wendehorst in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, § 312b BGB Randnummer 2).
Nach Erwägungsgrund 22 der Richtlinie sollen die Geschäftsräume einer Person, die im Namen oder für Rechnung des Unternehmers gemäß dieser Richtlinie handelt, als Geschäftsräume im Sinne dieser Richtlinie gelten. Als Unternehmer gilt gemäß Artikel 2 Nummer 2 der RL 2011/83/EU jede natürliche oder juristische Person, unabhängig davon, ob letztere öffentlicher oder privater Natur ist, die bei von dieser Richtlinie erfassten Verträgen selbst oder durch eine andere Person, die in ihrem Namen oder Auftrag handelt, zu Zwecken tätig wird, die ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können.
Nach § 312b Absatz 1 Satz 2 BGB stehen dem Unternehmer Personen gleich, die in seinem Namen oder Auftrag handeln. § 312b Absatz 2 Satz 2 BGB regelt, dass Gewerberäume, in denen die Person, die im Namen oder Auftrag des Unternehmers handelt, ihre Tätigkeit dauerhaft oder für gewöhnlich ausübt, Räumen des Unternehmers gleichstehen.
b) Die RL 2011/83/EU räumt den Verbrauchern für Verträge über Finanzdienstleistungen (vgl. Vorlagefrage 3.) zwar kein Widerrufsrecht ein. Die Richtlinie gilt gemäß Artikel 3 Absatz 3 Buchstabe d) nicht für Verträge über Finanzdienstleistungen. Trotz dieser Bereichsausnahme ergriff der deutsche Gesetzgeber die Gelegenheit, nunmehr Fernabsatzverträge über Finanzdienstleistungen und Außergeschäftsraumverträge über Finanzdienstleistungen zu einer neuen systematischen Einheit zusammenzufassen (Wendehorst in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, § 312 BGB Randnummer 5). Dazu war er nach Erwägungsgrund 13 der Verbraucherrechte-RL befugt. Demnach sollten die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Unionsrecht weiterhin befugt sein, diese Richtlinie auf Bereiche anzuwenden, die nicht in deren Anwendungsbereich fallen. Die Mitgliedstaaten können daher den Bestimmungen oder einigen Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechende nationale Rechtsvorschriften für Verträge, die nicht in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen, beibehalten oder einführen.
Dennoch ist für die Auslegung des § 312b Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 2 BGB maßgebend, wie die Richtlinie unionsrechtlich ausgelegt wird. Richten sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung von Sachverhalten, die nicht in den Geltungsbereich des betreffenden Unionsrechtsakts fallen, nach den in diesem Rechtsakt getroffenen Regelungen, besteht ein klares Interesse der Union daran, dass die aus diesem Unionsrechtsakt übernommenen Bestimmungen einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern (Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 19.10.2017 – C-303/16, BeckRS 2017, 128373 Randnummer 25 f.; Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 26.3.2020 – C-66/19, NJW 2020, 1423 Randnummer 28 f.).
c) Der Kreditvermittler tritt in der vorliegenden Fallkonstellation nicht im Namen des Leasinggebers als Stellvertreter auf. Zu klären ist, ob der Kreditvermittler im Auftrag des Leasinggebers tätig wird und der Geschäftsraum des Autohauses der Beklagten zuzurechnen ist. Dies ist nach Ansicht des Senats der Fall. Weder der Wortlaut der Richtlinie noch dessen Schutzzweck verbietet vorliegend die Einbeziehung der Geschäftsräume des Kreditvermittlers.
Wie bereits ausgeführt handelt es sich bei dem Autohaus nicht um einen reinen Boten oder Übersender der Vertragserklärung. Vielmehr stehen das Autohaus und die Leasinggeberin auf der Grundlage eines Kreditvermittlungsvertrags in dauerhafter Geschäftsbeziehung. Die Mitarbeiterin des Autohauses war befugt und auch in der Lage, Auskünfte zu dem Leasingvertrag zu erteilen, die Detailfragen zu der Finanzierung zu klären, Kalkulationsgrundlagen zu erstellen sowie die Vertragserklärung der Klägerin entgegenzunehmen und weiterzuleiten. Das Autohaus war im Ergebnis in das Vertriebsnetz der Leasinggeberin eingebunden.
Den Ausführungen zu der Vorlagefrage 1 ist weiter zu entnehmen, dass bei der Einschaltung eines Kreditvermittlers kein Überraschungsmoment und kein psychischer Druck für den Verbraucher besteht. Es handelt sich vielmehr um ein gängiges Finanzierungsmodell. Ein normal informierter und verständiger Verbraucher rechnet damit und erwartet sogar, dass bei den Verkaufsgesprächen im Autohaus eine Finanzierung angeboten wird. Die Klägerin suchte die Geschäftsräume des Autohauses gezielt auf. Sie war damit weder einem psychischen Vertragsdruck ausgesetzt noch wurde sie von einem Vertragsangebot der Fahrzeugverkäuferin überrascht.
Es ist auch nicht relevant, dass das Autohaus keine bankaufsichtsrechtliche Erlaubnis nach §§ 1 Absatz 1a Nummer 10, 32 KWG innehat. Das Erfordernis einer derartigen Erlaubnis für die Erbringung von Finanzdienstleistungen schließt die Einschaltung von Kreditvermittlern nicht aus. Die Qualitätskontrolle erfolgt im Rahmen der Prüfung der übersandten Leasingverträge durch die Leasinggeberin.
d) Der Senat ist daher der Ansicht, dass bei der vorliegenden Fallkonstellation kein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag vorliegt. Er weicht damit von der Auffassung des Landgerichts Ravensburg (EuGH-Vorlage vom 24. August 2021 – 2 O 238/20 -, juris Randnummer 56 ff.) und der Europäischen Kommission (Stellungnahme in der Rechtssache C-38/21 vom 01.12.2021, dort Ziffer 40 ff.) ab.
4. Zur Vorlagefrage 3.:
Es ist zuletzt zu klären, ob Kraftfahrzeug-Leasingverträge mit einem Verbraucher mit Kilometerabrechnung eine Finanzdienstleistung darstellen. Sollte ein Widerrufsrecht nach den Grundsätzen des Fernabsatzgeschäfts oder des Außergeschäftsraumvertrags bestehen, hängt die zu treffende Entscheidung weiter davon ab, ob das Widerrufsrecht spätestens 12 Monate nach Ablauf der ursprünglichen Widerrufsfrist von 14 Tagen erloschen ist. Dies wäre dann nicht der Fall, wenn die vom deutschen Gesetzgeber vorgesehene Ausnahme für Finanzdienstleistungen eingreift.
a) Finanzdienstleistung ist nach der wortgleichen Begriffsbestimmung des Artikels 2 Buchstabe b) der RL 2002/65/EG und des Artikels 2 Nummer 12 der RL 2011/83/EU jede Bankdienstleistung sowie jede Dienstleistung im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung von Einzelpersonen, Geldanlage oder Zahlung. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Definition wortgetreu in § 312 Absatz 5 Satz 1 BGB übernommen.
Für die Ausfüllung des Begriffs der Finanzdienstleistung ist ausschließlich auf diese Richtlinien zurückzugreifen, während Definitionen aus anderen nationalen Gesetzen in diesem Kontext keine eigenständige Bedeutung zukommt. Die Entscheidung, ob eine bestimmte Leistung als Finanzdienstleistung zu qualifizieren ist, kann demnach auf Grund einer Gesamtschau des bestehenden sektorspezifischen Unionsrechts beantwortet werden. Dazu gehören auch Entwurfsfassungen der Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL, die noch ausführlichere Begriffsbestimmungen angeboten hatten (Wendehorst in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, § 312 BGB Randnummer 128 f.; Staudinger/Thüsing (2019) BGB § 312 Randnummer 67).
Unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte ist der Begriff grundsätzlich weit auszulegen. In vorherigen Entwurfsfassungen der RL 2002/65/EG waren noch ausführlichere Definitionen vorgesehen. So umfasste Artikel 2 Buchstabe b) des ersten Kommissionsvorschlags vom 19.11.1998 (ABl EG C 385 S. 10) „jede Dienstleistung der Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen und Investmentunternehmen gemäß den RL 89/646/EWG, RL 93/22/EWG, RL 73/239/EWG und RL 79/267/EWG“ und verwies auf eine nicht erschöpfende Liste im Anhang. Diese Liste lautete:

3. Finanzierungsleasing …
5. Leasinggeschäfte …
Nur aufgrund von befürchteten Auslegungsschwierigkeiten und aus legistischen Gründen wurde dieser Anhang gestrichen und eine geänderte Definition gefasst. Eine inhaltliche Änderung im Vergleich zum ersten Kommissionsvorschlag war damit nicht bezweckt. Daher kann auch die in diesem Vorschlag enthaltene Definition zur Auslegung herangezogen werden. Es spricht vieles dafür, dass nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers die im Anhang aufgelisteten Geschäfte auch von der endgültigen Definition erfasst sein sollen (Staudinger/Thüsing (2019) BGB § 312 Randnummer 68; Wendehorst in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, § 312 BGB Randnummer 129; Martens in BeckOK BGB, 61. Edition, Stand: 01.02.2022, § 312 BGB Randnummer 62).
b) Ein Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung ist zum einen durch eine Finanzierungsfunktion und zum anderen durch eine Nutzungsfunktion gekennzeichnet.
Zunächst bietet der Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung für den Verbraucher eine Möglichkeit, die Nutzung eines neuwertigen Fahrzeugs zu finanzieren. Der Leasingnehmer sucht sich regelmäßig das Fahrzeug allein nach seinen Bedürfnissen aus, der Leasinggeber hat keinerlei sachliche Nähe zu dem Leasinggegenstand. Dessen Leistung liegt zunächst in der Vorfinanzierung, indem er das Fahrzeug beim Händler oder Lieferanten käuflich erwirbt und anschließend dem Verbraucher für einen bestimmten Zeitraum zur Nutzung überlässt.
Sodann wird dem Leasingnehmer für die Vertragslaufzeit das Nutzungsrecht an dem Fahrzeug überlassen, der für diesen Zeitraum die Unterhaltungskosten aufbringen muss. Im Vertrag wird die Laufleistung für die Dauer der Überlassung des Fahrzeugs von vornherein festgelegt. Am Vertragsende hat der Leasingnehmer das Fahrzeug im Regelfall an den Leasinggeber zurückzugeben. Auf der Grundlage der vereinbarten Laufleistung wird der Vertrag vom Leasinggeber abgerechnet. Überschreitet oder unterschreitet die während der Vertragszeit zurückgelegte Laufleistung des Fahrzeugs das vereinbarte Kilometerlimit einschließlich der üblichen Freikilometer, sind Mehr- und Minderkilometer auszugleichen. Weiter muss der Leasingnehmer einen Minderwert ausgleichen, wenn sich das Fahrzeug bei Rückgabe nicht in einem dem Alter und der Fahrleistung entsprechenden Erhaltungszustand befindet (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Auflage 2020, Randnummer L16).
c) In der Kommentarliteratur wird überwiegend vertreten, dass es sich bei dem Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung um eine Form des Finanzierungsleasings handelt (Staudinger/Stoffels (2018) Leasing Randnummer 37). Finanzierungsleasingverträge werden trotz ihrer wesensmäßigen Verwandtschaft mit der Miete als Finanzdienstleistungen qualifiziert. Das wird dadurch gerechtfertigt, dass die Leistung des Leasinggebers hier nahezu ausschließlich in der Vorfinanzierung liegt (Wendehorst in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, § 312 BGB Randnummer 134; Staudinger/Thüsing (2019) § 312 BGB Randnummer 71; Staudinger/Stoffels (2018) Leasing Randnummer 10; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Auflage 2022, § 312 BGB Randnummer 26).
In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und Erstgerichte wird die Streitfrage unterschiedlich beurteilt.
Der Abschluss von Finanzierungsleasingverträgen wird nach deutschem Kreditrecht als Finanzdienstleistung erfasst (§ 1 Absatz 1 a Satz 2 Nummer 10 KWG). Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht geht davon aus, dass Kilometerleasingverträge als Finanzierungsleasing einzustufen ist (Quelle: Merkblatt – Hinweise zum Tatbestand des Finanzierungsleasings Stand: Mai2021,https://www.bfin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/mb_090119_tatbestand_finanzierungsleasing.html).
Die Europäische Kommission hat in ihrer Stellungnahme in der Rechtssache C-38/21 vom 01.12.2021 die Auffassung vertreten, dass der Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung vorrangig der Finanzierung eines Fahrzeugs dient (Randnummer 78).
Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Dem Verbraucher wird durch den Leasingvertrag ermöglicht, die Nutzung des von ihm ausgesuchten und konfigurierten Fahrzeug dadurch zu finanzieren, dass er den Kaufpreis nicht oder nicht in vollem Umfang aufbringen muss. Es wird dem Verbraucher die Möglichkeit geboten, die Nutzung des Fahrzeugs in monatlichen Raten über einen längeren Zeitraum zu finanzieren. Wirtschaftlich gewährt der Leasinggeber dem Leasingnehmer einen Kredit in Höhe der Anschaffungskosten des Leasingguts. Die Hauptleistung des Leasinggebers liegt in der Anschaffung des Leasingguts. Auch der Umstand, dass dem Verbraucher eine Bank gegenübersteht, legt nahe, dass der Leasingvertrag aus deren Sicht vorrangig der Finanzierung des Fahrzeugs dient. Im Hinblick auf diese Erwägung kann bereits eine Finanzdienstleistung unter dem Gesichtspunkt der Bankdienstleistung angenommen werden. Relative Bankdienstleistungen, die zwar zum klassischen Leistungsspektrum typischer Bankunternehmen gehören, aber durchaus auch eine Entsprechung außerhalb des Bankensektors finden wie etwa das Finanzierungsleasing, sind nicht schon kraft ihres Gegenstands automatisch als „Bankdienstleistungen“ zu qualifizieren, sondern nur dann, wenn sie durch ein Unternehmen erbracht werden, das im Übrigen schwerpunktmäßig typische Bankdienstleistungen anbietet (Wendehorst in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, § 312 BGB Randnummer 131). Dies ist bei der BMW Bank GmbH der Fall (Quelle: https://www.bmwbank.de/Finanzprodukte).
5. Der Senat nimmt Bezug auf die Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg vom 24.08.2021 (Aktenzeichen 2 O 238/20; verbundene Rechtssachen C-38/21 und C-47/21 des Gerichtshofs der Europäischen Union) und des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 22.09.2021 (Aktenzeichen: 17 U 42/20), die zum Teil identische Vorlagefragen betreffen. Dies hindert eine erneute Vorlage nicht (vergleiche Foerster EuZW 2011, 901; Latzel/Streinz NJOZ 2013, 97). Eine erneute Vorlage ist auch deshalb geboten, weil der Senat von anderen Feststellungen und Entscheidungsgrundlagen ausgeht.


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