Europarecht

Zahlungsansprüche für Flächen, auf denen ein Solarpark errichtet ist und die zugleich als Schafweide genutzt werden

Aktenzeichen  6 BV 19.98

Datum:
1.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16272
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EU) Nr. 1307/2013 Art. 32
DirektZahlDurchfV § 12 Abs. 3 Nr. 6

 

Leitsatz

Die mit Grünpflanzen bewachsenen Flächen einer Freiflächensolaranlage sind beihilfefähig im Sinn der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013, wenn sie als Schafweide benutzt werden und die Schafbeweidung durch die Anlage nicht stark eingeschränkt ist oder werden kann. (Rn. 24 und 25)

Verfahrensgang

RO 5 K 17.1331 2018-11-15 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. November 2018 – RO 5 K 17.1331 – wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet.
Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Recht verpflichtet, dem Kläger Zahlungsansprüche für das Feldstück 180 mit einer (Teil-)Fläche von 3,82 ha und für das Feldstück 181 mit einer (Teil-)Fläche von 11 ha für das Jahr 2015 zuzuweisen und Direktzahlungen für das Jahr 2015 zu gewähren.
1. Grundlage des Zuweisungsanspruchs ist die Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit Vorschriften über Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 637/2008 des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates (ABl. L 347 S. 608). Sie ist Teil der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik 2013/2014 der Europäischen Union, in deren Zuge die bisherige Betriebsprämienregelung fortentwickelt und durch die Basisprämie sowie damit verbundene Zahlungen ersetzt wurde. Nach Art. 24 Abs. 1 Unterabs. 1, Abs. 2 VO (EU) Nr. 1307/2013 können Betriebsinhaber die Basisprämie und mit ihr verbundene Zahlungen nur insoweit in Anspruch nehmen, als ihnen Zahlungsansprüche zugewiesen sind. Ihnen sind neue Zahlungsansprüche in der Zahl zuzuweisen, wie sie der Zahl der beihilfefähigen, im Beihilfeantrag für 2015 angemeldeten und ihnen zur Verfügung stehen Hektarflächen entsprechen.
Der Begriff „beihilfefähige Hektarfläche“ bezeichnet nach Art. 32 Abs. 2 Buchst. a VO (EU) Nr. 1307/2013 jede landwirtschaftliche Fläche des Betriebs, die für eine landwirtschaftliche Tätigkeit genutzt wird oder, wenn die Fläche auch für nichtlandwirtschaftliche Tätigkeiten genutzt wird, hauptsächlich für eine landwirtschaftliche Tätigkeit genutzt wird. Die Regelung der Beihilfefähigkeit gemischt genutzter Flächen beruht auf der gleichlautenden Vorgängerregelung des Art. 34 Abs. 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 73/2009 des Rates vom 19. Januar 2999 (ABl. L 30 S. 16). Sie wird – inhaltsgleich mit dem früheren Art. 9 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1120/2009 – durch Art. 32 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. a VO (EU) Nr. 1307/2013 konkretisiert. Als hauptsächlich für eine landwirtschaftliche Tätigkeit genutzt gilt danach eine Fläche, wenn die landwirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt werden kann, ohne durch die Intensität, Art, Dauer oder den Zeitpunkt der nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeiten stark eingeschränkt zu sein.
2. Die hier in Streit stehenden Flächen sind nach Maßgabe dieser Vorschriften – wie nach alter Rechtslage – beihilfefähige Hektarflächen des vom Kläger geführten landwirtschaftlichen Betriebs. Es handelt sich um („Netto“-)Grünlandflächen von 3,82 ha auf dem Feldstück 180 und von 11 ha auf dem Feldstück 181, die nach Abzug der durch Fundamente für die Solarmodule versiegelten Fläche verbleiben. Diese Flächen, die unzweifelhaft dem klägerischen Betrieb zuzuordnen sind (zum Maßstab etwa BayVGH, B.v. 27.3.2020 – 6 ZB 17.2395 – juris Rn. 15), werden nach den unionsrechtlichen und nationalen Kriterien trotz ihrer gleichzeitigen Nutzung als Solarpark hauptsächlich für eine landwirtschaftliche Tätigkeit genutzt (a). § 12 Abs. 3 Nr. 6 DirektZahlDurchfV schließt die Beihilfefähigkeit nicht aus (b).
a) Die streitigen Flächen werden nach den unionsrechtlichen und nationalen Kriterien hauptsächlich für eine landwirtschaftliche Tätigkeit genutzt.
aa) In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist geklärt, dass die Qualifizierung einer Fläche als „landwirtschaftlich“ und als für eine „landwirtschaftliche Tätigkeit“ genutzt, von der tatsächlichen Nutzung der fraglichen Fläche abhängt (EuGH, U.v. 2.7.2015 – C-422/13 Wree – juris Rn. 36,39 und U.v. 2.7.2015 – C-684/13 Demmer – juris Rd. 56). Mit der Betonung der tatsächlichen Nutzung ist zudem die Aussage verbunden, dass Zwecke, die die landwirtschaftliche Nutzung überlagern, ohne sie tatsächlich zu beeinträchtigen, unerheblich sind (EuGH, U.v. 2.7.2015 – C-422/13 Wree – juris Rn. 36 f.; U.v. 2.7.2015 – C-684/13 Demmer – juris Rd. 57, 65). Diese Rechtsprechung erging zwar zur Auslegung der Vorgängerregelungen in Art. 34 Abs. 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 73/2009 und Art. 9 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1120/2009, gilt aber ebenso für die wortgleichen Vorschriften des Art. 32 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. a VO (EU) Nr. 1307/2013 (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 3 C 11.17 – NVwZ-RR 2020, 107 Rn. 16; BayVGH, B.v. 27.3.2020 – 6 ZB 17.2395 – juris Rn. 13).
Die mit Gras und anderen Grünfutterpflanzen bewachsenen Flächen, die nach Abzug der durch Fundamente für die Solarmodule versiegelten Fläche verbleiben, sind landwirtschaftliche Flächen. Sie werden, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, im Sinn von Art. 4 Abs. 1 Buchst. h VO (EU) Nr. 1307/2013 als Dauergrünland genutzt. Die Beweidung mit Schafen neben und unter den aufgeständerten Solarmodulen stellt die maßgebliche landwirtschaftliche Tätigkeit dar (Art. 4 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i VO Nr. 1307/2013).
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht weiter angenommen, dass die Weideflächen nach den Bestimmungen des maßgeblichen Unionsrechts hauptsächlich für eine landwirtschaftliche Tätigkeit genutzt wurden und damit für die Zuweisung der Zahlungsansprüche als beihilfefähig zu berücksichtigen sind. Die gleichzeitige Nutzung der Flächen zur Gewinnung von Solarenergie mithilfe der aufgeständerten – das Dauergrünland teilweise überdachenden – Solarmodule schränkt die landwirtschaftliche Tätigkeit weder nach Intensität, noch nach Art, Dauer oder den Zeitpunkt spürbar ein, schon gar nicht stark. Die Solarmodule sind so hoch angebracht, dass sie den Bewuchs nicht beeinträchtigen und Schafe ohne Probleme darunter weiden können. Die Beweidung wird seit Jahren durchgeführt, wobei die Flächen von den Schafen sauber abgefressen werden und nur vereinzelt Verbuschungen mit dem Balkenmäher beseitigt werden müssen. Die nur selten vorkommenden Wartungsarbeiten an den Solarmodulen werden durch die Schafe nicht behindert, während umgekehrt die Tiere durch solche Arbeiten wegen der Ausweichmöglichkeiten auf der Fläche nicht gestört werden. Diese tatsächlichen Nutzungsverhältnisse sind bereits im vorangegangen Verfahren für das Jahr 2007 festgestellt und entsprechend gewürdigt worden (BayVGH, U.v. 19.4.2016 – 21 B 15.2391 – BayVBl 2017, 57 Rn. 42 ff.). Sie haben sich für das Jahr 2015 nicht verändert.
Dass der Zweck der Energiegewinnung denjenigen der landwirtschaftlichen Tätigkeit – wohl bei weitem – überlagert, ist in diesem Zusammenhang ebenso unbeachtlich wie der Umstand, dass der Solarpark staatlich gefördert wird.
bb) Die zur Umsetzung der unionsrechtlichen Bestimmungen erlassenen nationalen Vorschriften führen zu keinem anderen Ergebnis
Gemäß Art. 32 Abs. 3 Unterabs. 2 VO (EU) Nr. 1307/2013 legen die Mitgliedstaaten für die Umsetzung der Bestimmungen des Absatzes 3 Kriterien fest. Damit wird im Rahmen der für alle Mitgliedstaaten verbindlichen Vorgaben Raum gegeben für eine weitere Konkretisierung unter Berücksichtigung nationaler Gegebenheiten, Anbauverhältnisse und traditioneller Praktiken. Der nationale Verordnungsgeber hat diesem Regelungsauftrag in § 12 Abs. 2 der Direktzahlungen-Durchführungsverordnung (DirektZahlDurchfV) vom 3. November 2014 (BGBl. I S. 1690) entsprochen und mehrere Tatbestände formuliert, bei deren Vorliegen eine starke Einschränkung der landwirtschaftlichen Tätigkeit in der Regel gegeben ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn eine nichtlandwirtschaftliche Tätigkeit zu einer Zerstörung der Kulturpflanze oder Grasnarbe oder wesentlichen Beeinträchtigung des Bewuchses oder einer wesentlichen Ertragsminderung führt, ferner wenn innerhalb der Vegetationsperiode eine nichtlandwirtschaftliche Tätigkeit, die eine gleichzeitige landwirtschaftliche Tätigkeit in diesem Zeitraum erheblich beeinträchtigt oder ausschließt, länger als 14 aufeinanderfolgende Tage dauert oder insgesamt an mehr als 21 Tagen im Kalenderjahr durchgeführt wird (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 DirektZahlDurchfV). Bezogen auf die streitigen Weideflächen unter den Solarmodulen liegt keiner dieser oder der übrigen Tatbestände des § 12 Abs. 2 DirektZahlDurchfV vor.
2. Die Beihilfefähigkeit wird seit dem Jahr 2015 nicht durch das nationale Verzeichnis der hauptsächlich für eine nichtlandwirtschaftliche Tätigkeit genutzten Flächen ausgeschlossen, auf das sich der Beklagte beruft. Zwar werden gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 6 DirektZahlDurchfV Flächen, auf denen sich Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie befinden, hauptsächlich für eine nichtlandwirtschaftliche Tätigkeit genutzt. Dazu gehören die in Streit stehenden Flächen jedoch bei unionsrechtskonformer Auslegung nicht.
Gemäß Art. 32 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b VO (EU) Nr. 1307/2013 können die Mitgliedstaaten ein Verzeichnis der Flächen erstellen, die hauptsächlich für nichtlandwirtschaftliche Tätigkeiten genutzt werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu in seinem Urteil vom 4. Juli 2019 – 3 C 11.17 – (NVwZ-RR 2020, 107 Rn. 20) ausgeführt:
„Diese Regelung enthielt der Verordnungsvorschlag der Kommission (KOM 625 endgültig) noch nicht und findet auch in den Erwägungsgründen keine Erläuterung. Die Ermächtigung erfasst zwanglos ein Verzeichnis, das alle tatsächlich hauptsächlich nichtlandwirtschaftlich genutzten Flächen erfasst, vergleichbar dem Verzeichnis aller landwirtschaftlich genutzten Flächen, wie es in Dänemark geführt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 2. Juli 2015 – C-684/13 Demmer – Rn. 42). Zulässig sein dürfte allerdings auch ein abstrakt gefasstes Verzeichnis, wie es in § 12 Abs. 3 DirektZahlDurchfV enthalten ist. Mit ihm wollte der Verordnungsgeber typische Flächen erfassen, die hauptsächlich für eine nichtlandwirtschaftliche Tätigkeit genutzt werden (BR-Drs. 406/14 S. 32). Den Sprachfassungen (en: ‚list of areas‘, fr: ‚liste des surfaces‘) lassen sich kaum weiterführende Erkenntnisse zu Grenzen der Ermächtigung entnehmen (vgl. auch Busse, Bericht über die 3. Sitzung des Ausschusses für Agrarförder- und Marktorganisationsrecht am 26. September 2017, AuR 2017 S. 460 ). Die zusätzliche Ermächtigung, Kriterien festzulegen (Art. 32 Abs. 3 Unterabs. 2 VO Nr. 1307/2013), bezieht sich allerdings auf den gesamten Absatz und schließt damit auch das Verzeichnis ein (Art. 32 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b VO Nr. 1307/2013), was für die Befugnis spricht, auch über ein Verzeichnis abstrakte Kriterien festzulegen. Die Ermächtigung entbindet jedoch nicht von den unionsrechtlichen Vorgaben. Soweit der Vertreter des Bundesinteresses ausführt, die Ermächtigung für ein Verzeichnis sei offen formuliert und nenne insbesondere keine Kriterien, die von den Mitgliedstaaten zu beachten seien, geht dies daran vorbei, dass die unionsrechtlichen Bestimmungen und Kriterien einen Rahmen zeichnen, der von allen Mitgliedstaaten zu beachten ist.“
Aus dieser unionsrechtlich beschränkten Ermächtigung folgt, wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen hat, dass § 12 Abs. 3 Nr. 6 DirektZahlDurchfV nur dann Anwendung finden darf, wenn die Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie die landwirtschaftliche Tätigkeit stark einschränkt oder jedenfalls stark einschränken kann. Das ist bei der Art von aufgeständerten Solarmodulen und ihrer Betriebsweise, wie sie auf den in Streit stehenden Flächen angelegt sind, nicht der Fall.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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