Europarecht

Zum Umfang der Nacherfüllungspflicht beim Neuwagenkauf

Aktenzeichen  1 U 106/17

Datum:
7.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 154149
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 522 Abs. 2
BGB § 275 Abs. 1, § 433 Abs. 1, § 439 Abs. 1

 

Leitsatz

Im Fall des Kaufs eines Neuwagens ist zwar eine absolute Identität im Hinblick auf alle Ausstattungsvarianten nicht erforderlich, eine Nacherfüllung in Form einer Ersatzlieferung ist aber dann unmöglich, wenn der entsprechende Fahrzeugtyp nicht mehr hergestellt wird, sondern durch ein neues Modell mit einer anderen Motorisierung ersetzt worden ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

21 O 170/17 2017-07-18 Endurteil LGBAYREUTH LG Bayreuth

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Bayreuth vom 18.07.2017, Az. 21 O 170/17, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.
2. Es ist beabsichtigt, den Wert des Berufungsverfahrens auf 37.537,96 € festzusetzen.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 04.12.2017.

Gründe

Die Parteien streiten um Gewährleistungsansprüche nach einem Autokauf.
Der Kläger bestellte mit Kaufvertrag vom 06.03.2015 bei der Beklagten einen PKW X. zum Preis von 37.815,99 €. Dieser wurde im Jahr 2015 an den Kläger ausgeliefert. Im PKW ist eine Software verbaut, die den Stickstoffausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem Ausstoß im normalen Fahrbetrieb optimiert.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Ersatzlieferung eines mangelfreien typengleichen Fahrzeugs mit identischer technischer Ausstattung Zug um Zug gegen Rückübereignung des ursprünglichen Fahrzeugs sowie den Ersatz vorgerichtlich entstandener Anwaltskosten.
Das Landgericht Bayreuth hat mit Endurteil vom 18.07.2017 die Klage abgewiesen.
Zur Begründung führt das Erstgericht aus, die Klage sei unbegründet, da die geltend gemachte Nachlieferung eines Ersatzfahrzeugs objektiv unmöglich sei, nachdem der gekaufte PKW nicht mehr hergestellt werde. In Fällen des hier gegebenen Gattungskaufs könne eine Nacherfüllung nicht durch Nachlieferung einer technisch veränderten späteren Modellreihe des Fahrzeugs erfolgen.
Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Klageziele weiter. Er ist der Ansicht, eine Nachlieferung sei nicht wegen objektiver Unmöglichkeit ausgeschlossen. Die insoweit beweisbelastete Beklagte habe bereits nicht substantiiert dargelegt und unter Beweis gestellt, dass das an den Kläger ausgelieferte Modell ohne die Manipulationssoftware nicht geliefert werden könne. Auch sei dem Hersteller die Produktion dieses Modells weiterhin möglich. Ferner habe die aktuell produzierte Modellreihe lediglich ein sogenanntes Facelift mit nur sehr geringfügigen Änderungen erhalten, welches einer Nachlieferung nicht entgegen stehe.
Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren:
Das Endurteil des Landgerichts Bayreuth vom 18.07.2017, 21 O 170/17, wird aufgehoben und wie folgt abgeändert:
(1) Die Beklagtenpartei wird verurteilt, der Klägerpartei ein mangelfreies fabrikneues typengleiches Ersatzfahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers mit identischer technischer Ausstattung wie das Fahrzeug X. Zug um Zug gegen Rückübereignung des mangelbehafteten Fahrzeugs X. nachzuliefern.
(2) Es wird festgestellt, dass sich die Beklagtenpartei mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1 genannten Fahrzeugs in Verzug befindet.
(3) Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.434,74 € freizustellen.
II.
Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Endurteil weder auf einer Rechtsverletzung beruht, noch die zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 513 Abs. 1, §§ 529, 546 ZPO).
Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht an die Tatsachenfeststellungen des erstinstanzlichen Gerichts gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb erneute Feststellungen durch das Berufungsgericht gebieten. Zweifel im Sinne dieser Vorschrift liegen nur dann vor, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte aus der Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Falle erneuter Tatsachenfeststellungen die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (vgl. BGHZ 158, 269 ff. = NJW 2004, 1876 ff.; BGHZ 162, 313 ff. = NJW 2005, 1583 ff.; BGH NJW 2003, 3480 ff.).
Die Voraussetzungen für den Wegfall der Bindung an die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen liegen hier nicht vor. Das Urteil des Landgerichts ist auch rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat schließt sich dem angefochtenen Urteil an und nimmt auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe Bezug.
Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
1. Soweit der Kläger auf den Seiten 10-19 der Berufungsbegründung umfangreiche Ausführungen zur Frage des Sachmangels macht, gehen diese Ausführungen ins Leere, nachdem das Erstgericht das Vorliegen eines Mangels aufgrund der eingebauten Software ausdrücklich bejaht hat. Ob dies zutrifft, kann an dieser Stelle dahinstehen. Gleiches gilt für den umfangreichen Vortrag zur Nachbesserung nach § 439 Abs. 1, 1. Alt. BGB.
2. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte zu der beantragten Ersatzlieferung nicht verpflichtet ist.
a) Soweit der Kläger seinen Vortrag, eine objektive Unmöglichkeit der Nacherfüllung liege nicht vor, unter Sachverständigenbeweis stellt, beruft er sich auf ein untaugliches Beweismittel. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der an den Kläger gelieferte PKW X. nicht mehr hergestellt wird. Die mittlerweile hergestellte 2. Generation des X. weist eine geänderte Motorisierung auf. Welche Konsequenzen sich aus diesem unstreitigen Sachverhalt ergeben und ob ein Fall objektiver Unmöglichkeit vorliegt, ist eine rechtliche Frage, die dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist.
b) Die mit der Berufung geführten Angriffe in Bezug auf fehlende Feststellungen zur Möglichkeit der Nachlieferung eines Ersatzfahrzeuges mit einem Motor der Baureihe E1. dringen nicht durch. Sie stehen bereits in keinem sachlichen Zusammenhang mit dem Klagebegehren, welches auf Nachlieferung eines Fahrzeugs der aktuellen Serienproduktion gerichtet ist. Diese umfasst Motoren der Baureihe E2. (Quelle: https://de.wikipedia….). Wenn die Berufung moniert, dass das Landgericht nur auf die Nachlieferung des neuen Modells abgestellt habe (Seite 18 der Berufungsbegründung), verkennt sie, dass der Gegenstand der Nachbesserung durch den Klageantrag vorgegeben ist.
Der Senat erachtet ferner auch die sachlichen Angriffe gegen die Unmöglichkeit der Nacherfüllung in Bezug auf die Serienversion des ursprünglichen Kaufgegenstandes nicht als durchgreifend. Der Kläger hat bereits in der Klageschrift dargestellt, dass durch die X. AG die Motoren der Baureihe E1. mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung versehen wurden. Ferner wurde vorgetragen, dass bei einer Nachbesserung, etwa durch ein Softwareupdate, nicht unerhebliche Nachteile für den wirtschaftlichen Betrieb den Pkw entstünden. Daher ergibt sich bereits aus dem Vortrag des Klägers, dass unter dessen Zugrundelegung kein zur Nacherfüllung geeignetes Fahrzeug mit dem Motor der Baureihe E1. existiert. Soweit der Kläger auf die Möglichkeit hinweist, dass ein entsprechendes Fahrzeug durch die X. AG auch nach dem Serienwechsel produziert werden könne, stünde einem Nachlieferungsanspruch des Klägers zur Überzeugung des Senats bereits die Unverhältnismäßigkeit gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1 BGB entgegen.
c) Die Beklagte ist gemäß § 275 Abs. 1 BGB nicht zu der vom Kläger beantragten Nachlieferung eines Fahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion verpflichtet.
(1) Nach herrschender Meinung, der sich der Senat anschließt, wird auch bei einem Stückkauf die Möglichkeit einer Ersatzlieferung bejaht, wenn eine gleichartige und gleichwertige Sache beschafft werden kann (BGH, Urteil vom 07.06.2006, VIII ZR 209/15, Tz. 18, zitiert nach juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 04.02.2003, 8 W 83/02, Tz. 13; Palandt-Weidenkaff, BGB, 76. Aufl., § 439, Rn. 15; MüKo-Westermann, BGB, 7. Aufl., § 439, Rn. 12; Staudinger/ Matusche-Beckmann, BGB (2014), § 439, Rn. 64; a.A. BeckOK-BGB/Faust, § 439, Rn. 34).
(2) Das Erstgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Anspruch auf Lieferung eines Fahrzeugs der zweiten Generation, das eine geänderte Motorisierung aufweist, nicht besteht.
Der BGH hat in seinem Urteil vom 17.10.2012, Az. VIII ZR 226/11, zur Nacherfüllungspflicht des Verkäufers Folgendes ausgeführt:
„Bei dem Nacherfüllungsanspruch aus § 439 Abs. 1 BGB handelt es sich nach der gesetzgeberischen Konzeption der Schuldrechtsreform um eine Modifikation des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs aus § 433 Abs. 1 BGB (BT-Drucks. 14/6040, S. 221). Bei der in § 439 Abs. 1 BGB als eine der beiden Alternativen der Nacherfüllung vorgesehenen Lieferung einer mangelfreien Sache decken sich nach der Vorstellung des Gesetzgebers, wie schon aus der gesetzlichen Formulierung hervorgeht, der Nacherfüllungsanspruch und der ursprüngliche Erfüllungsanspruch hinsichtlich der vom Verkäufer geschuldeten Leistungen; es ist lediglich anstelle der ursprünglich gelieferten mangelhaften Kaufsache nunmehr eine mangelfreie – im Übrigen aber gleichartige und gleichwertige – Sache zu liefern. Die Ersatzlieferung erfordert daher eine vollständige Wiederholung der Leistungen, zu denen der Verkäufer nach § 433 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB verpflichtet ist; der Verkäufer schuldet nochmals die Übergabe des Besitzes und die Verschaffung des Eigentums einer mangelfreien Sache – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Denn mit der Nacherfüllung soll nach der gesetzgeberischen Konzeption der Schuldrechtsreform lediglich eine nachträgliche Erfüllung der Verkäuferpflichten aus § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB durchgesetzt werden; der Käufer soll mit der Nacherfüllung das erhalten, was er vertraglich zu beanspruchen hat (BT-Drucks. aaO; Senatsurteile vom 15. Juli 2008 – VIII ZR 211/07, aaO Rn. 18 mwN; vom 13. April 2011 – VIII ZR 220/10, aaO Rn. 49).” (BGH a.a.O., Tz. 24).
Unter Heranziehung dieser Grundsätze geht der Senat für den Fall des Kaufs eines Neuwagens davon aus, dass zwar eine absolute Identität im Hinblick auf alle Ausstattungsvarianten nicht erforderlich, eine Nacherfüllung in Form einer Ersatzlieferung aber dann unmöglich ist, wenn der entsprechende Fahrzeugtyp nicht mehr hergestellt wird, sondern durch ein neues Modell mit einer anderen Motorisierung ersetzt worden ist (ebenso OLG Nürnberg, Urteil vom 15.12.2011, 13 U 1161/11, Tz. 51-55; LG Heidelberg, Urteil vom 30.06.2017, 3 O 6/17, Tz. 30-33 zum X. und m.w.N. zur erstinstanzlichen Rechtsprechung; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 13. Aufl., 2017, Rn. 727).
Die seit 2016 produzierten Fahrzeuge weisen mit 6 – Gang – Getriebe eine Motorisierung von 110 kW (150 PS) statt 103 kW (140 PS) auf. Die vom Hersteller, der Beklagten zu 2), angegebene Höchstgeschwindigkeit beträgt 202 – 204 km/h statt 182 – 193 km/h. Das Fahrzeug ist zudem um sechs Zentimeter länger und der Radstand ist acht Zentimeter breiter als dies beim Vorgänger der Fall war (www.wikipedia….). Es handelt sich somit nicht mehr um bloße marginale Änderungen, sondern um eine komplett andere Motorisierung (so auch OLG Bamberg, Beschluss v. 20.09.2017, Az. 6 U 5/17).
d) Entgegen der Annahme der Berufung bedurfte es auch keiner näheren Befassung mit den Anspruchsvoraussetzungen nach §§ 311, 241 Abs. 2 BGB oder drittschützenden europarechtlichen Vorschriften. Zutreffend hat das Erstgericht darauf abgestellt, dass der geltend gemachte Nachlieferungsanspruch gemäß obigen Gründen wegen objektiver Unmöglichkeit gem. § 275 Abs. 1 BGB nicht besteht.
3. Demzufolge besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie auf Freistellung von vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten. Konkrete Einwendungen hiergegen, welche über die vorstehend behandelte Frage des Nacherfüllungsanspruchs hinausgehen, wurden nicht erhoben.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO) liegen nicht vor. Insbesondere ist keine Grundsatzbedeutung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO gegeben. Diese setzt das Vorliegen einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage voraus. Eine Rechtsfrage ist klärungsbedürftig, wenn zu ihr unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und noch keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt (BVerfG, Beschluss vom 08.12.2010, 1 BvR 381/10, Tz. 12 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.
Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO). Anhaltspunkte dafür, dass in einer solchen neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden könnten, die zu einer anderen Beurteilung führten, bestehen nicht.
Der Senat regt deshalb die Rücknahme des eingelegten Rechtsmittels an.
Auf die bei einer Berufungsrücknahme in Betracht kommende Ermäßigung der Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 (vgl. KV Nr. 1220, 1222) wird vorsorglich hingewiesen.


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