Europarecht

Zum Zusatz “Die Klage muss in deutscher Sprache abgefasst sein.”

Aktenzeichen  13a B 17.31116

Datum:
10.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 517
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 74 Abs. 1
VwGO § 58, § 60

 

Leitsatz

Der Zusatz in der Rechtsbehelfsbelehrung, die Klage müsse „in deutscher Sprache abgefasst“ sein, ist nicht unrichtig. Er erweckt nicht den Eindruck, dass der Betroffene die Klage nur selbst in schriftlicher Form einreichen könne. (Rn. 27)

Verfahrensgang

RN 12 K 17.32331 2017-06-27 GeB VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die Entscheidung konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, weil die Klagefrist versäumt worden war.
Nach § 74 Abs. 1 AsylG muss die Klage innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung erhoben werden, wobei die Frist gemäß § 58 Abs. 1 VwGO nur zu laufen beginnt, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist belehrt worden ist.
Schon nach seiner eigenen Aussage hat der Kläger hier nicht innerhalb dieser Zwei-Wochen-Frist Klage erhoben. Der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung:versehene Bescheid des Bundesamts vom 10. April 2017 wurde ihm ausweislich der Postzustellungsurkunde am 12. April 2017 zugestellt. Damit war die Klagefrist bereits abgelaufen, als er am 4. Mai 2017 beim Verwaltungsgericht Regensburg zur Niederschrift Klage erhoben hat.
Der Kläger kann sich auch nicht auf die Jahresfrist gemäß § 58 Abs. 2 VwGO berufen. Danach ist die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung des Bescheids zulässig, wenn die Belehrung unrichtig erteilt ist. Das ist hier nicht der Fall. Eine Rechtsmittelbelehrungist dann in diesem Sinn fehlerhaft, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend erforderlichen Angaben nicht enthält, diese unrichtig wiedergibt oder wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen. Entscheidend ist, welcher Eindruck bei einem (objektiven) Leser erweckt wird (stRspr., siehe nur BVerwG, B.v. 3.3.2016 – 3 PKH 5.15 – juris mit Verweis auf B.v. 31.8.2015 – 2 B 61.14 – NVwZ 2015, 1699; B.v. 16.11.2012 – 1 WB 3.12 – juris; U.v. 21.3.2002 – 4 C 2.01 – BayVBl 2002, 678). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Die Rechtsmittelbelehrungdes angefochtenen Bescheids genügt den Anforderungen des § 58 Abs. 1 VwGO. Als Rechtsbehelf ist richtig die Klage angegeben, die beim Verwaltungsgericht Regensburg binnen zwei Wochen einzureichen ist.
Allerdings beschränkt sich die Belehrung nicht auf diese gesetzlich notwendigen Vorgaben. Unter anderem ist zusätzlich angeführt, dass die Klage in deutscher Sprache abgefasst sein muss. Es ist zwar als solches nicht schädlich, auf Modalitäten der Rechtsmitteleinlegung hinzuweisen, über die nicht zwingend belehrt werden muss. Solche Hinweise dürfen aber – wie dargelegt – nicht unrichtig oder irreführend, d.h. geeignet sein, bei dem Betroffenen einen Irrtum hervorzurufen.
Einen solchen unrichtigen oder irreführenden Zusatz, der zu einer Unrichtigkeit im Sinn von § 58 Abs. 2 VwGO führen würde, enthält die vorliegende Rechtsbehelfsbelehrung:nicht. Zunächst ist der Hinweis auf das Erfordernis der deutschen Sprache nicht unrichtig, sondern gibt die Rechtslage zutreffend wieder. Nach § 55 VwGO i.V.m. § 184 Satz 1 GVG ist die Gerichtssprache deutsch. Auch die zweite Variante – Irreführung – liegt hier nicht vor. Die Formulierung „in deutscher Sprache abgefasst“ erweckt nicht den Eindruck, dass der Betroffene die Klage zwingend selbst in schriftlicher Form einreichen müsste, obwohl sie nach § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann (wie hier OVG SH, B.v. 16.11.2017 – 1 LA 68/17 – juris, in dem bereits die grundsätzliche Bedeutung der Frage verneint wird; VG Augsburg, U.v. 10.8.2017 – Au 3 K 16.32597 – juris; VG Karlsruhe, GB v. 13.6.2017 – A 5 K 2523/17 – juris; VG Schleswig, GB v. 2.6.2017 – 13 A 142/17 – juris; VG Berlin, U.v. 24.1.2017 – 21 K 346.16 A – juris).
Das ergibt sich zunächst schon aus der Bedeutung des Verbs „abfassen“ in der deutschen Sprache, die nicht allein auf eine schriftliche Form abzielt. Nach Duden (https://www.duden.de/rechtschreibung/abfassen, abgerufen am 5.1.2018) wird unter „abfassen“ verstanden, dass einem vorgegebenen, nicht allzu umfangreichen Stoff die entsprechende sprachliche Form gegeben wird. Als Synonyme werden dort genannt anfertigen, aufschreiben, aufsetzen, ausarbeiten, formulieren, niederschreiben, schreiben, verfassen, zu Papier bringen und (gehoben) niederlegen. Anders ausgedrückt bedeutet „abfassen“ somit, dass ein bestimmter Tatsachenstoff vom bloßen Gedanken in eine sprachliche Formulierung transportiert wird und so nach außen dringen kann. Über eine bestimmte Form ist damit noch nichts ausgesagt. Auch wenn die im Duden angeführten Synonyme in der Mehrzahl auf eine Verschriftlichung hindeuten, werden darüber hinaus andere Möglichkeiten genannt, wie etwa „formulieren“. Hinzu kommt, dass ein mit der deutschen Sprache, geschweige denn mit Fragen der semantischen Bedeutung und Auslegung einzelner Begriffe nicht vertrauter Ausländer sein Augenmerk zwangsläufig zuerst nicht auf die Form, sondern auf die Klageerhebung in deutscher Sprache richten wird. Sein originäres Problem wird die Frage sein, wie er dieses Erfordernis bewerkstelligen kann. In ähnlicher Weise argumentiert auch das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein (B.v. 16.11.2017 – 1 LA 68/17 – juris), wenn es feststellt, dass eventuelle Unklarheiten nicht durch die Formulierung der Rechtsbehelfsbelehrung:, sondern durch das mangelnde Sprachverständnis verursacht wären.
Zum gleichen Ergebnis führt eine Auslegung in Orientierung an der Verwendung und Bedeutung des Begriffs „abfassen“ durch den Gesetzgeber. Wie bei der juristischen Auslegung, etwa der Frage, was unter „schriftlich“ zu verstehen ist, allgemein üblich, muss auch hier an der Gesetzesformulierung („abfassen“) angesetzt werden. Diesen Begriff verwendet die Verwaltungsgerichtsordnung an mehreren Stellen, etwa in den §§ 117 ff. VwGO. Die gesetzlichen Formulierungen machen deutlich, dass der Gesetzgeber selbst unter „abfassen“ nicht nur die Schriftform im Sinn von § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vom Kläger eigenhändig unterschriebenes Schriftstück, siehe Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 81 Rn. 3) versteht, sondern auch die elektronische Form oder die Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§ 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO). So wird zum Beispiel in § 118 und § 119 Abs. 2 VwGO davon gesprochen, dass ein Urteil „elektronisch abgefasst“ ist. In § 117 Abs. 1 VwGO wird bestimmt, dass das Urteil „schriftlich abzufassen“ ist. Die Anfügung des Adverbs „schriftlich“ würde sich hier erübrigen, wenn sich das Schriftformerfordernis schon allein aus dem Wort „abfassen“ ergäbe. Diese Gesetzesformulierungen finden sich ähnlich lautend auch in weiteren Verfahrensordnungen.
Ein weiterer Grund dafür, dass hier keine Irreführung vorliegt, ist in der passivischen Formulierung „abgefasst“ zu sehen. Aus der Verwendung des Passivs wird deutlich, dass die Regelung nicht auf den Betroffenen zugeschnitten ist, der hier zwingend selbst tätig werden müsste. Er kann vielmehr auch andere Personen für sich tätig werden lassen, sei es einen Bevollmächtigten, sei es den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, bei dem er zur Niederschrift Klage erhebt.
Gerade im Fall des Klägers wird deutlich, dass der Zusatz keine Irreführung hervorgerufen hat. Er hat die Klage eben nicht schriftlich, sondern gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben. Auch die verspätete Klageerhebung begründete er damit, dass er wegen einer Erkrankung nicht (zu Gericht) habe kommen können. Das zeigt zweifelsfrei, dass der Kläger die Rechtsbehelfsbelehrung:nicht in dem Sinn (miss-)verstanden hat, er müsse selbst schriftlich Klage erheben.
Letztendlich geht wohl auch das Bundesverwaltungsgericht (B.v. 5.2.1990 – 9 B 506.89 – NJW 1990, 3103) nicht davon aus, dass der Zusatz missverständlich wäre. Im Zusammenhang mit einem Wiedereinsetzungsantrag führt es nämlich aus, wer bewusst entgegen der ausdrücklichen Angabe in der Rechtsmittelbelehrung, dass eine einzulegende Klage in deutscher Sprache abgefasst sein müsse, eine Klageschrift in einer fremden Sprache einreiche, handle nicht „ohne Verschulden“. Auch wenn dort der Schwerpunkt darauf lag, ob eine Klageerhebung in einer anderen als der deutschen Sprache zu einem Verschulden im Sinn von § 60 VwGO führt, lässt sich dieser Entscheidung dennoch entnehmen, dass das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls die Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung:gemäß § 58 Abs. 2 VwGO nicht in Frage gestellt hat.
Der gegenteiligen Meinung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (U.v. 18.4.2017 – A 9 S 333/17 – NVwZ 2017, 1477) wird aus den genannten Gründen nicht gefolgt. Insbesondere ergibt sich weder aus dem Duden für das Verb „abfassen“ das zwingende Erfordernis einer schriftlichen Form, noch ist ersichtlich, weshalb sich der Formulierung bei einer Betrachtung aus der Sicht des Adressaten entnehmen lassen sollte, dass er selbst für die Schriftform zu sorgen hätte. Wenn sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zudem darauf stützt, der Rechtsbehelfsbelehrung:ließen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Betroffene nach der Verwaltungsgerichtsordnung auch die Unterstützung einer staatlichen Stelle in Anspruch nehmen könne, ist dem entgegenzuhalten, dass dies auch bei einer vollständig „richtigen“ Rechtsbehelfsbelehrung:(ohne den streitgegenständlichen Zusatz) nicht der Fall ist. Darüber hinaus kann sich der Betroffene auch nicht generell darauf verlassen, dass in der Rechtsmittelbelehrungsämtliche Modalitäten für die Einlegung des Rechtsmittels genannt werden (BVerwG, B.v. 31.8.2015 – 2 B 61.14 – NVwZ 2015, 1699).
Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO liegen nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Auffassung vertreten, der Kläger habe innerhalb der Frist des § 60 Abs. 2 VwGO hierfür keine Gründe glaubhaft gemacht. Zwar hat er sich darauf berufen, erkrankt gewesen zu sein und deshalb nicht zu Gericht habe kommen zu können. Allerdings führt eine Erkrankung nicht zwangsläufig zu einem Entschuldigungsgrund. Dies könnte nur der Fall sein, wenn sie so schwer war, dass der von ihr betroffene Verfahrensbeteiligte nicht bloß unfähig war, selbst zu handeln, sondern auch außerstande war, einen Bevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen und im gebotenen Umfange zu informieren (BVerwG, B.v. 27.9.1993 – 4 NB 35.93 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 185). Vorliegend hat der Kläger aber weder gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO glaubhaft gemacht, dass ihm – wie schon vom Verwaltungsgericht dargelegt – eine schriftliche Klageerhebung nicht möglich gewesen wäre, noch dass er außerstande gewesen sein sollte, einen Bevollmächtigten zu beauftragen.
Die Berufung war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zuzulassen, ob der Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung:, dass eine Klage in deutscher Sprache abgefasst sein muss, geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben