Europarecht

Zurückweisung eines Verfügungsantrages wegen Nichtigkeit des Verfügungspatentes – Pemetrexed

Aktenzeichen  21 O 1474/19

Datum:
3.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2019, 6166
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 935, § 940
PatG § 4

 

Leitsatz

Zur Zurückweisung eines Verfügungsantrages, wenn der Rechtsbestand des Verfügungspatents aufgrund der (nicht rechtskräftigen) Nichtigerklärung durch das Bundespatentgericht nicht ausreichend gesichert ist.
1 Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Unterlassungsverfügung war zurückzuweisen, da der Rechtsbestand des Verfügungspatents aufgrund der (nicht rechtskräftigen) Nichtigerklärung durch das Bundespatentgericht (BeckRS 2018, 27337) nicht ausreichend gesichert ist; die Nichtigkeitsentscheidung ist auch nicht offensichtlich fehlerhaft, so dass der Bestand des Verfügungspatents nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden konnte.  (Rn. 54 – 56) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es mag bedauerlich sein, dass sich das BPatG in seinem Urteil (BeckRS 2018, 27337) nicht eingehender mit den Ausführungen insbesondere der Einspruchsabteilung des EPA (welches zu einem gegenläufigen Ergebnis kommt) auseinandergesetzt hat; dies führt allerdings nicht zu einer offensichtlichen Unrichtigkeit des Urteils, zumal das BPatG in der Kenntnis der abweichenden Entscheidung des EPA teilweise andere Entgegenhaltungen herangezogen hat, um seine Entscheidung zu begründen. (Rn. 132 – 133) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
II. Die Verfügungsklägerin trägt die Kosten des Rechtstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Unterlassungsverfügung war zurückzuweisen, da der Rechtsbestand des Verfügungspatents aufgrund der bundespatentgerichtlichen Entscheidung vom 17.07.2018 nicht ausreichend gesichert ist. Das Vorliegen eines Verfügungsgrundes ist daher nicht glaubhaft gemacht (vgl. OLG München, Urt. v. 25.10.2018, 6 U 2314/18).
A.
Der Erlass einer auf eine Patentverletzung gestützten einstweiligen Unterlassungsverfügung erfordert die Feststellung des Verletzungsgerichts, dass der Rechtsbestand des Verfügungspatents hinreichend gesichert erscheint. Nur dann kann davon ausgegangen werden, dass die begehrte Verfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den Patentinhaber im Sinne eines Verfügungsgrundes gemäß § 940 ZPO notwendig ist (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2008, 329, 330 -Olanzapin).
Vom Vorliegen eines Verfügungsgrundes kann daher grundsätzlich nicht ausgegangen werden, wenn das Verfügungspatent in erster Instanz für nichtig erklärt wurde.
Etwas anders kann ausnahmsweise dann gelten, wenn die Nichtigkeitsentscheidung offensichtlich fehlerhaft ist (II.), das Verletzungsgericht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Bestand des Verfügungspatents prognostizieren kann (III.) und die gebotene Interessenabwägung für die Verfügungsklägerin ausfällt (IV.) (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 11. Auflage, 2018, Kapitel G, Rn. 69).
All das ist nach der gebotenen eingehenden Prüfung (I.) durch das Verletzungsgericht nicht der Fall (V.).
1. Eine Offensichtlichkeitsprüfung des Urteils der Bestandsgerichtsbarkeit bedeutet nicht, dass sich das Verletzungsgericht grundsätzlich mit einer oberflächlichen Prüfung begnügen darf. Das gilt auch und gerade für die in Bestandsverfahren regelmäßig streitentscheidenden technischen Fragen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit. Denn die Frage der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit ist naturgemäß komplex. Daher wäre eine Offensichtlichkeitsprüfung ohne vertiefte Auseinandersetzung mit der zugrunde liegenden Technik und dem Verweis auf die hierfür zuständige Fachgerichtsbarkeit unzureichend (vgl. Kühnen, a.a.O., Rn. 48).
Das Verletzungsgericht hat mithin die Pflicht, auch nach erstinstanzlichem Abschluss eines Rechtsbestandsverfahrens selbst ernsthaft die Erfolgsaussichten der dagegen gerichteten Angriffe zu prüfen, um sich in eigener Verantwortung ein Bild von der Schutzfähigkeit der Erfindung zu machen (OLG Düsseldorf Urt. v. 19.02.2016 – 2 U 54/15, BeckRS 2016, 6344 Rn. 12). Eine bloß kursorische Prüfung des zugrundliegenden naturwissenschaftlichen Sachverhalts würde dem Anspruch auf rechtliches Gehör der Antragstellerin/Verfügungsklägerin sowie dem Rechtsgewährungsanspruch widersprechen.
Umgekehrt kann es bei der Prüfung nicht darum gehen, die Meinung des Verletzungsgerichts zur Patentfähigkeit an Stelle des Fachgerichts zu setzen. Dies wiederspräche dem Trennungsprinzip. Außerdem muss das Verletzungsgericht anerkennen, dass seine Beurteilungsmöglichkeiten als technisch nicht vorgebildetem Spruchkörper von vornherein limitiert sind. Dies gilt umso mehr, wenn streitgegenständlich ist, welche technische Information einem im Bestandsverfahren gewürdigten Text aus fachmännischer Sicht zu entnehmen und welche Schlussfolgerungen der Durchschnittsfachmann hieraus aufgrund seines allgemeinen Wissens zu ziehen imstande gewesen ist (OLG Düsseldorf, ebd.).
Grund, die Rechtsbestandsentscheidung in Zweifel zu ziehen, besteht daher nur dann, wenn das Verletzungsgericht die Argumentation der Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz für eindeutig unvertretbar hält. Das kann der Fall sein, wenn Passagen einer Entgegenhaltung von der Fachinstanz übersehen und deshalb bei ihrer Entscheidungsfindung überhaupt nicht in Erwägung gezogen wurden (OLG Düsseldorf, ebd.).
Erforderlich ist somit, dass das Verletzungsgericht sich unter Beachtung seiner eigenen technisch beschränkten Erkenntnisfähigkeit eingehend mit den tragenden Entscheidungsgründen der Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz – egal ob technisch oder nicht – auseinandersetzt und diese auf ihre Schlüssigkeit hin prüft. Der Grad der Befassung hängt dabei vom Einzelfall ab. Je mehr die Parteien Gelegenheit zum Vortrag hatten und je mehr behördliche und/oder gerichtliche Entscheidungen zu der zu beurteilenden Thematik dem Verletzungsgericht als Basis für eine Überzeugungsbildung und die Bildung einer eigenen technischen Expertise zur Verfügung stehen, desto genauer muss die Offensichtlichkeitsprüfung ausfallen (vgl. Kühnen, a.a.O, Rn. 74).
3. Im vorliegenden Fall war eine eingehende Befassung mit dem bundespatentgerichtlichen Urteil aufgrund der Verfahrenssituation und der Prozessgeschichte möglich und somit geboten.
Denn das Verfügungspatent war nicht nur Gegenstand der Entscheidung des BPatG. Vielmehr hatten bereits die Einspruchsabteilung des EPA sowie daran anknüpfend die hier erkennende Kammer des LG München I sowie das OLG München in einem Verletzungsstreit Ausführungen zur Patentfähigkeit der streitgegenständlichen Erfindung gemacht. Das Bezirksgericht Den Haag hatte ebenfalls bereits entschieden (Anlage HL16). Weiterhin gibt es mehrere Parallelverfahren vor der hiesigen Kammer, die alle um dieselbe Frage kreisen.
Das erkennende Verletzungsgericht konnte daher zur Beurteilung der Vertretbarkeit der patentgerichtlichen Entscheidung aus einer Vielzahl anderer Entscheidungen zu derselben Thematik schöpfen und somit seine Erkenntnismöglichkeiten und Fachkenntnis zum Streitgegenstand besonders vertiefen.
II.
Eine offensichtliche Unrichtigkeit des bundespatentgerichtlichen Urteils kann die Kammer nicht erkennen (1.). Unabhängig davon vermag das erkennende Gericht nicht zu prognostizieren, dass das vom BPatG gefundene Ergebnis der fehlenden erfinderischen Tätigkeit des Verfügungspatents offensichtlich unrichtig ist (2.). a)
Das BPatG stützt seine Entscheidung des Naheliegens der patentgemäßen Erfindung auf folgende Überlegungen:
Das Streitpatent betreffe die Verwendung des Wirkstoffs Pemetrexeddinatrium in Kombination mit Vitamin B 12 zur Hemmung des Wachstums von Tumoren bei Säugern sowie ein Produkt, welches diese Komponenten enthalte.
Problematisch seien nach den Angaben in der Patentschrift, dass die Verabreichung von Pemetrexed nicht nur das Wachstum der bösartigen Zellen störe, sondern auch das der normalen Körperzellen. Deswegen führe die Behandlung mit Pemetrexed allein oft zu erheblichen Nebenwirkungen bei den Patienten. Deswegen würden nach den Aussagen der Patentschrift weitere Stoffe, wie zum Beispiel Steroide, Folsäure, Retinoidverbindungen wie zum Beispiel Vitamin A zusätzlich verabreicht, um die ungewollten Nebenwirkungen zu verringern. Schließlich hätten sich Effekte von Vitamin B12, Folat und Vitamin B6 Supplementen bei älteren Personen mit normalen Serumvitaminkonzentrationen und Homocysteinspiegel als Vorhersage von cytotoxischen Ereignissen herausgestellt, die mit der Verwendung von bestimmten Antifolaten in Zusammenhang stünden. Dennoch gebe die zytotoxische Aktivität von Antifolaten weiterhin Anlass zu ernsthafter Besorgnis bei der Entwicklung solcher Arzneimittel (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 37).
Als Aufgabe stelle sich das Streitpatent daher, den therapeutischen Einsatz von Pemetrexed(dinatrium) zur Tumorbehandlung unter Verringerung von dessen toxischen Effekten, jedoch unter Beibehaltung seiner therapeutischen Wirkungen zu verbessern. Hierzu bezieht sich das BPatG auf die Aufgabenbestimmung des BGH zum selben Patent (GRUR 2016, 921 Rn. 10 ff. – Pemetrexed).
Die Lösung erfolge durch den Patentanspruch 1 bzw. 12, die folgende Merkmale enthielten:
Patentanspruch 1:
A.
Verwendung von Pemetrexeddinatrium
B.
zur Herstellung eines Arzneimittels zur Verwendung in einer Kombinationstherapie zur Hemmung von Tumorwachstum bei Säugern, worin das Arzneimittel in Kombination mit Vitamin B12 oder einem pharmazeutischen Derivat hiervon verabreicht werden soll,
D.
wobei das pharmazeutische Derivat von Vitamin B12 Hydroxocobalamin, Cyano-10-chlorcobalamin, Aquocobalaminperchlorat, Aquo-10-chlorcobalaminperchlorat, Azidocobalamin, Chlorcobalamin oder Cobalamin ist.
Patentanspruch 12:
A.
Produkt, das Pemetrexeddinatrium, Vitamin B12 oder ein pharmazeutisches Derivat hiervon enthält
B.
wobei das pharmazeutische Derivat von Vitamin B12 Hydroxocobalamin, Cyano-10-chlorcobalamin, Aquocobalaminperchlorat, Aquo-10-chlorcobalaminperchlorat, Azidocobalamin, Chlorcobalamin oder Cobalamin ist
C.
und das optional ein Folsäurebindeproteinbindemittel enthält, das aus der Gruppe ausgewählt ist, die besteht aus Folsäure, (6R)-5-Methyl-5,6,7,8-tetrahydrofolsäure oder (6R)-5-Formyl-5,6,7,8-tetrahydrofolsäure oder einem physiologisch verfügbaren Salz oder Ester hiervon,
D.
als ein Kombinationspräparat zur simultanen, separaten oder sequenziellen Verwendung bei der Hemmung eines Tumorwachstums (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 39).
Zur Beurteilung der Patentfähigkeit stellt das BPatG unter Berufung auf den BGH (GRUR 2016, 921 Rn. 22 – Pemetrexed) auf einen Fachmann ab, der sich aus einem Team aus einem Pharmakologen mit Spezialisierung auf dem Gebiet der Wirkmechanismen von Antifolaten und langjähriger Berufserfahrung in der Erforschung von Antifolaten bei der Behandlung von Krebs sowie einem Mediziner mit Spezialisierung auf dem Gebiet der Onkologie und langjähriger Erfahrung in der chemotherapeutischen Behandlung von Krebspatienten mit Antikrebswirkstoffen wie Antifolaten zusammensetze (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 40).
Erfinderische Tätigkeit sei zu verneinen, wenn die Lösung am Prioritätstag dem Fachmann vom Stand der Technik nahegelegt sei. Dafür sei erforderlich, dass der Fachmann mit seinen durch die Ausbildung und berufliche Erfahrung erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage gewesen sei, die erfindungsgemäße Lösung des technischen Problems aus dem Vorhandenen zu entwickeln. Hinzukommen müsse, dass der Fachmann Grund gehabt habe, den Weg der Erfindung zu beschreiten. Dazu bedürfe es in der Regel über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe. Bei der Prüfung, ob der Stand der Technik ausgehend von einer Entgegenhaltung dem Fachmann die erfinderische Lösung nahelege, sei nicht nur zu berücksichtigen, was sich für den Fachmann unmittelbar und eindeutig aus dieser Entgegenhaltung ergebe, sondern gleichermaßen, was der Fachmann kraft seines Fachwissen aus ihr ableiten könne (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 43 m.w.N.).
Davon ausgehend und unter Zugrundelegung der Entgegenhaltung NIK15 in Verbindung mit NIK8 bzw. NIK16 und dem Stand der Technik gemäß der Entgegenhaltung NIK22 sei das Streitpatent als nicht erfinderisch anzusehen.
Denn der Fachmann werde sich zur Lösung der patentgemäßen Aufgabe und in dem Wissen, dass die Verabreichung von Folsäure zur Verringerung von antifolatbedingten schädlichen Nebenwirkungen sinnvoll sei, mit dem Zusammenhang von Folatverabreichung und Pemetrexedgabe beschäftigen. Hierzu werde er die Entgegenhaltung NIK15 heranziehen, die sich im Kapitel 8 mit den Erkenntnissen im Jahr 1999 aus präklinischen Studien und ersten klinischen Studien zu Pemetrexed auseinandersetze. Der Fachmann entnehme dabei insbesondere den Angaben auf Seite 190/191 den positiven Einfluss einer Folsäuresupplementierung bei einer Antitumorbehandlung mit Pemetrexed (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 45).
Daher werde sich der Fachmann in dem Wissen um den positiven Einfluss von Folat dem Folathaushalt näher zuwenden und hierbei auf die Entgegenhaltung NIK22 stoßen. Bei näherer Betrachtung der Fig.1 in der NIK22 werde er erkennen, dass über das Tetrahydrofolat, das aus Folsäure gebildet werde, sowie dessen Vorstufe 5-Methyltetrahydrofolat der DNS-Zyklus mit dem Methylierungszyklus verbunden sei. Das 5-Methyltetrahydrofolat werde – wie aus NIK22 erkennbar – über das Vitamin B12 abhängige Enzym Methioninsynthase reguliert (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 46).
Aufgrund des Zusammenhangs der beiden Zyklen sei dem Fachmann somit aus dem Folathaushalt bekannt, dass bei einer Pemetrexedgabe durch die Blockierung der drei Schlüsselenzyme Thymidylatsynthase, Dihydrofolatreduktase und Glycinamidribonukleotidformyltransferase im DNS-Zyklus nicht nur dieser Zyklus, sondern auch der Methylierungszyklus blockiert werde. Diesen biochemischen Zusammenhang finde er durch die in NIK8 bzw. NIK16 beschriebene Korrelation zwischen dem Homocysteinspiegel vor Behandlungsbeginn und den beobachteten Toxizitäten bei der Pemetrexedbehandlung bestätigt. Denn Homocystein sei ein Substrat im Methylierungszyklus, der indirekt durch den Angriff des Antifolats auf den DNS-Zyklus ebenfalls beeinflusst werde und damit auch der Homocysteinspiegel (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 47).
Ferner sei dem Fachmann über den Folathaushalt bekannt, dass das Enzym Methioninsynthase und damit auch der Homocysteinspiegel sowohl durch Folsäure als auch durch Vitamin B12 reguliert würden. Die Verabreichung eines oder beider Vitamine führe über die Methioninsynthase zur Senkung des Homocysteinspiegels. In Kenntnis der Ergebnisse der NIK8 bzw. NIK16, nach denen eine starke Korrelation zwischen dem Homocysteinspiegel und den Nebenwirkungen bei der Pemetrexedbehandlung bestehe, und im Bewusstsein der physiologischen Zusammenhänge des Folathaushalts werde der Fachmann motiviert, sich neben der schon positiv getesteten Folsäure auch dem Vitamin B12 als wichtigem Regulator des Folathaushalts zuzuwenden, um den toxischen Nebenwirkungen bei der Pemetrexedbehandlung entgegenwirken zu können. Somit ergebe sich die im Patentanspruch 1 beanspruchte Verwendung mit allen Merkmalen aus der Lehre der NIK15 und der NIK8 bzw. NIK16 in Verbindung mit dem Fachwissen gemäß NIK22 ohne erfinderisches Zutun (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 48).
Die Argumentation der Beklagten, dass durch eine Folsäuregabe nur der DNS-Zyklus ohne Beteiligung der Methioninsynthase aktiviert werde, verwirft das BPatG. Denn durch die Folsäuresupplementierung könne die Tetrahydrofolatproduktion in der Zelle insoweit aktiviert werden, dass sich die Nebenwirkungen durch eine gezielte Förderung der DNS-Biosynthese abmildern ließen. Dabei werde der Zyklus aus Tetrahydrofolat, 5,10-Methylentetrahydrofolat und Dihydrofolat angestoßen, wodurch die für die Nebenwirkungen bei der Pemetrexedbehandlung verantwortliche Blockierung des DNS-Zyklus aufgehoben werde. Durch diese Aktivierung des Nachschubwegs werde aber auch vermehrt 5,10-Methylentetrahydrofolat gebildet. Dieses reagiere im Folathaushalt aber nicht nur zu Dihydrofolat weiter, sondern werde in einem zweiten, alternativen Weg mittels 5,10-Methylentetrahydrofolatreduktase zu 5-Methyltetrahydrofolat umgesetzt, das dann mittels Vitamin B12 regulierter Methioninsynthase zu Tetrahydrofolat umgewandelt werde. Dies sei aus der Fig. 1 der NIK22 ersichtlich. Dieser zweite Reaktionsweg werde durch die Pemetrexedgabe weder gehemmt noch abgeschaltet, da Pemetrexed die beiden regulierenden Enzyme 5,10-Methylentetrahydrofolatreductase und Methioninsynthase nicht inhibiere. Zudem könne 5-Methyltetrahydrofolat aus dem Plasma nachgeliefert werden, was ebenfalls aus der Fig. 1 der NIK22 ersichtlich sei. Für den Fachmann bestehe daher keine Veranlassung, anzunehmen, dass der zweite Reaktionsweg über 5-Methyltetrahydrofolat nach einer Folsäuregabe keine Rolle mehr spiele. Vielmehr werde er diesen Weg sogar bewusst ins Auge fassen, da er von der hemmenden Wirkung des Pemetrexeds auf die Schlüsselenzyme des „DNA-Zyklus“ unabhängig sei (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 50).
Gegen die These, dass der DNS-Zyklus bei einer Folsäuregabe unabhängig vom Methylierungszyklus durchlaufe, spreche auch die Beobachtung, dass die Toxizität bei der Pemetrexedbehandlung mit dem Homocysteinspiegel im Blutserum korreliere, wie die Entgegenhaltungen NIK8, NIK16, HLNK31 jeweils gesamtes Abstract, HLNK2 S. 106 re. Sp. Z. 17 bis 12 von unten, zeigten. Dies erkläre sich damit, dass Homocystein Bestandteil des Methylierungszyklus sei, der wiederum über die Methioninsynthase mit dem DNS-Zyklus verbunden sei. Aufgrund der Korrelation des Homocysteinspiegels mit den schwerwiegenden Nebenwirkungen bei der Pemetrexedbehandlung erkenne der Fachmann, dass der Folathaushalt in seiner Gesamtheit gemäß Fig. 1 der NIK22 bei der Pemetrexedbehandlung beeinflusst werde und er daher die beiden Kreisläufe nicht unabhängig voneinander steuern könne (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 51).
Zudem würde den Fachmann sein Wissen um die sogenannte Methylfalle darin bestärken, den zweiten Reaktionsweg über 5-Methyltetrahydrofolat nicht zu vernachlässigen. Denn zur ihrer Überwindung sei die intramuskuläre Verabreichung Vitamin B12 bekannt, wie die Seite 445 der NIK22 zeige. Zwar bestehe als weiterer Weg aus der Methylfalle auch eine Folsäuresupplementierung. Kämen jedoch für den Fachmann mehrere Alternativen zur Lösung eines Problems in Betracht, könne das Beschreiten unterschiedlicher Wege naheliegend sein (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 52 m.w.N.).
Der Fachmann werde sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch dann mit den biochemischen Wirkmechanismen von Pemetrexed und Folsäure beschäftigen, wenn er die Entgegenhaltung HLNK17, dort S. 8801 re. Sp. Abs. 2, zur Kenntnis nehme, wonach trotz der möglichen Verdeckung eines Vitamin B12 Mangels bei einer Folsäuregabe, die USamerikanische FDA keine Empfehlung einer zusätzlichen Vitamin B12-Supplementierung bei mit Folsäure ergänzten Nahrungsmitteln selbst für Patienten mit perniziöser Anämie gegeben habe (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 53).
Auch den Entgegenhaltungen HLNK3 und HLNK4 entnehme der Fachmann keine Hinweise, die gegen eine gemeinsame Gabe von Folsäure und Pemetrexed bei der Tumorbehandlung sprächen. Vielmehr motiviere ihn das Fazit in beiden Berichten, sich weiter mit der Folsäure zur Verminderung der Nebenwirkungen bei der Pemetrexedbehandlung zu beschäftigen, was die Fachwelt in der Folgezeit auch so gesehen hat (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 54).
Zudem sei davon auszugehen, dass auch hinsichtlich Pemetrexed trotz fehlender veröffentlichter Phase II-Studien eine Folsäuresupplementierung nahegelegt gewesen sei, da dies bereits für andere Antifolate bekannt gewesen sei (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 55 – 58).
Eine tumorfördernde Wirkung von Vitamin B12 könne den Entgegenhaltungen HLNK8, HLNK9 du HLNK33 nicht entnommen werden, da sie nicht spezifisch auf Antifolate gerichtet seien bzw. sich mit der Blockade der DNS-Synthese durch Vitamin B12-Entzug beschäftigten (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 59).
Zwar hätten möglicherweise zahlreiche Wege bestanden, die gestellte Aufgabe des Streitpatents zu lösen. Das bedeute indes nicht, dass der vom Patent beschrittene Weg nicht nahegelegt sei (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 60).
Die Entscheidung der Einspruchsabteilung sowie des LG München und des OLG München stünden der hiesigen Entscheidung nicht entgegen, da sie die erfinderische Tätigkeit nicht ausgehend von den Entgegenhaltungen NIK15 in Verbindung mit NIK8 und NIK16 in Verbindung mit dem Stand der Technik gemäß NIK22 beurteilten (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 61).
b) Eine offensichtliche Unrichtigkeit ist dem aus Sicht der Kammer nicht zu entnehmen.
aa) Die wesentliche Argumentation des BPatG ist aus Sicht des Verletzungsgerichts, dass Patentanspruch 1 durch die Entgegenhaltungen in NIK15 in Verbindung mit NIK8 bzw. NIK16 und dem beispielsweise durch NIK22 repräsentierten Fachwissen nahegelegt ist (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 44).
Dass es sich hierbei um die wesentlichen Erwägungen des BPatG handelt, zeigt sich auch darin, dass das Gericht zur Begründung, warum die Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht entgegenstehe, auf diese Argumentations- bzw. Entgegenhaltungskette verweist (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 61).
bb) Tatsächlich gelangt das BPatG jedoch ausgehend von der NIK15 unmittelbar zur NIK22. Aus der NIK22 – dem Stand der Technik zum Folathaushalt – werden dann im Ergebnis alle Schlüsse gezogen, die nach der Auffassung des BPatG die patentgemäße Erfindung nahegelegt haben. Die wesentlichen, aus der NIK15 in Verbindung mit der NIK22 gewonnenen Erkenntnisse werden nach Ansicht des BPatG lediglich von der NIK8 bzw. der NIK16 „bestätigt“. Diesen Entgegenhaltungen kommt demnach lediglich eine untergeordnete Rolle zu. Das Naheliegen folgt sonach aus der NIK15 in Verbindung mit der NIK22 und wird nur bestärkt durch die NIK8 bzw. NIK16.
cc) Für das Verletzungsgericht erscheint gleichwohl die Begründung des BPatG, der Fachmann werde ausgehend von den vorgenannten Entgegenhaltungen und den dort festgestellten Korrelationen einen Zusammenhang zwischen Methylierungszyklus und DNS-Zyklus sehen, nicht unvertretbar.
Dennoch ist der Verfügungsklägerin zuzugeben, dass auch die Ansicht vertretbar ist, die Entgegenhaltungen NIK8 bzw. NIK16 bestärkten den Zusammenhang des DNS-Zyklus und des Methylierungszyklus gerade nicht.
Man könnte argumentieren, wenn die Annahme des BPatG zuträfe, dass durch die Hemmung der für den DNS-Zyklus relevanten Enzyme durch Pemetrexed auch eine Blockierung des Methylierungszyklus eintritt, müsste sich dadurch eine Erhöhung des Homocysteinspiegels während der Pemetrexedzuführung einstellen. Denn das BPatG führt aus „Homocystein ist ein Substrat im Methylierungszyklus, der indirekt durch den Angriff des Antifolats auf den „DNS-Zyklus“ ebenfalls beeinflusst wird und damit auch der Homocysteinspiegel“ (BPatG, BeckRS 2018, 27337, Rn. 47).
Indes berichten weder die NIK8 noch die NIK16 von einer Erhöhung des Homocysteinspiegels während der Verabreichung von Pemetrexed.
Die Entgegenhaltung NIK8 führt aus:
„Heys and albumin levels did not appear to change from baseline during treatment with MTA. (…)
Elevated baseline homocysteine levels (…) highly correlate with severe hematologic and nonhematologie toxicities following treatment with MTA.“
Die Entgegenhaltung NIK16 berichtet im letzten Satz:
„Maximum homocysteine levels did not appear to change from baseline during treatment with MTA.“
Das Urteil des BPatG verhält sich hierzu nicht. Dass das bundespatentgerichtliche Urteil deswegen offensichtlich fehlerhaft wäre, vermag die erkennende Kammer indes nicht zu konstatieren.
dd) Zwar ist auch nicht ersichtlich, warum das BPatG beiden Entgegenhaltungen trotz ihres – auch für das Verletzungsgericht erkennbaren – unterschiedlichen Offenbarungsgehalts dennoch denselben Inhalt beimisst.
Die NIK16 führt in Bezug auf den im vorliegenden Zusammenhang wesentlichen Vitamin B12-Mangel-Marker, nämlich die Methylmalonsäure aus:
„No correlation between toxicity (CTC Grades as defined above) and the remaining prespecified predictors was seen.“
Dem könnte man – wie das EPA sowie das LG München I in der Entscheidung 21 O 22243/15, dort Seite 20 ff., sowie das OLG München in der Entscheidung 6 O 3039/16, dort Seite 55 ff. – die Aussage entnehmen, zwischen einer Toxizität und einem Mangel an Vitamin B12 bestehe kein Zusammenhang.
Die Entgegenhaltung NIK8 enthält sich demgegenüber jeglicher Aussage zu einer bestehenden oder nicht bestehenden Korrelation zwischen Methylmalonsäure und Toxizität von Pemetrexed (MTA). Insofern enthalten die Dokumente NIK8 und NIK16 wohl offensichtlich nicht gleichlautende Aussagen. Das Urteil des BPatG verhält sich auch hierzu nicht. Allerdings vermag auch dieser Umstand eine offensichtliche Unrichtigkeit nicht zu begründen.
ee) Gleichfalls ist im Hinblick auf die Entgegenhaltung NIK16 fraglich, ob der Fachmann, wenn er – wie das Bundespatentgericht annimmt – ausgehend von NIK15 und NIK22 zu der NIK16 gelangt, diese als Bestärkung der aus der NIK22 gewonnenen Annahmen ansähe. Denn während die NIK22 auch nach der Auffassung des BPatG allgemeines Fachwissen zum Folathaushalt darstellt, handelt es sich bei der NIK16 um spezifische Informationen zur Korrelation von durch Pemetrexed induzierter Toxizität und erhöhtem Homocysteinspiegel. Die aus der NIK22 möglicherweise gewonnene Annahme eines Zusammenhangs zwischen DNS-Zyklus und Methylierungszyklus könnte er durch die Entgegenhaltung NIK16 nicht bestärkt finden. Indes reicht auch das nicht für die Feststellung einer offensichtlichen Unrichtigkeit.
ff) Der vom BPatG als wesentliches Argument für das Naheliegen postulierte Zusammenhang zwischen DNS-Zyklus und Methylierungszyklus anhand der Fig. 1 in der Anlage NIK22 verleitet die Kammer nicht dazu, von einer offensichtlichen Unrichtigkeit des Urteils auszugehen.
(1.) Der Methylierungszyklus ist notwendig zur Synthese von S-Adenosyl-Methionin (SAM), welches der Haupt-Methylgeber im menschlichen Körper ist. Die Transmethylierung, also die Weitergabe von Methylgruppen ( -CH3) von einem Molekül auf ein anderes, ist notwendig für eine Reihe lebenswichtiger Stoffwechselprozesse im Körper. Dazu gehören beispielsweise die Neubildung von DNA und RNA, die Immunfunktion oder die Synthese und Steuerung von Neurotransmittern und Hormonen. Der Methylierungszyklus besteht aus vier Substanzen, nämlich Methionin, S-Adenosyl-Methionin, S-Adenosyl-Homocystein (SAH) und Homocystein. Neben der Synthese von SAM kommt dem Methylierungszyklus die Aufgabe zu, das zytotoxische Homocystein abzubauen. Das geschieht dergestalt, dass Homocystein über das Enzym Methioninsynthase in Methionin umgewandelt wird und dieses wiederum mit Hilfe des universellen Energiegebers ATP zu S-Adenosyl-Methionin. Das Enzym Methioninsynthase bedarf hierzu des 5-Methyltetrahydrofolats einerseits und andererseits des Vitamin B12 als Co-Faktoren. Es finden somit zwei Reaktionen statt: (1.) das 5-Methyltetrahydrofolat gibt seine Methylgruppe an Vitamin B12 ab und wird dadurch wieder zu Tetrahydrofolat. (2.) das Vitamin B12 gibt die vom 5-Methyltetrahydrofolat übernommene Methylgruppe an das Homocystein ab, welches dadurch zu Methionin umgewandelt wird. Das Vitamin B12 ist dann wieder frei für die Aufnahme einer neuen CH3-Gruppe.
Über den Co-Faktor der für den Methylierungszyklus notwendigen Methioninsynthase, das 5-Methyltetrahydrofolat, sind der Methylierungszyklus und Folat-Zyklus miteinander verbunden.
Der Folatzyklus wiederum ist in zwei Zyklen unterteilt: Der eine wandelt das von Vitamin B12 von der Methylgruppe befreite Tetrahydrofolat zunächst mit Hilfe von Vitamin B6 und Serin in 5,10-Methylentetrahydrafolat und schließlich durch das Enzym 5,10-Methylentetrahydrafolat-Reduktase in 5-Methyltetrahydrofolat um, das sodann die Methylgruppe wieder an Vitamin B12 im Rahmen der Reaktion der Methioninsynthase abgibt. Dieser Weg wird vom BPatG als „zweiter Reaktionsweg“ bezeichnet (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 50). Der andere Zyklus, in der Fig. 1 der NIK22 als „DNA-CYCLE“ bezeichnet, geht von 5,10-Methylentetrahydrofolat über Dihydrofolat zu Tetrahydrofolat. Dieser Kreislauf wird durch Andocken von Pemetrexed an die drei für den Kreislauf notwendigen Schlüsselenzyme Thymidylatsynthase, Dihydrofolatreduktase und Glycinamidribonukleotidformyltransferase gehemmt. Wird Pemetrexed verabreicht, kann Tetrahydrofolat über diesen Kreislauf nicht mehr zur Verfügung gestellt werden.
(2.) Wie jedoch ebenfalls aus der Fig. 1 der NIK22 ersichtlich ist, wird das für den hier als erstes beschriebenen Folatzyklus notwendige 5-Methyltetrahydrofolat nicht nur über Tetrahydrofolat und 5,10-Methylentetrahydrofolat gebildet, sondern gelangt unmittelbar aus dem Plasma als Monoglutamat in den Folatzyklus (so auch das BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 50). Da diejenigen Enzyme, die Tetrahydrofolat in 5,10-Methylentetrahydrofolat und letzteres in 5-Methyltetrahydrofolat umwandeln durch Pemetrexed nicht inhibiert werden, bleibt der Methylierungszyklus trotz Pemetrexedgabe jedenfalls dann intakt, wenn nicht eines der beiden Vitamine (B12 oder Folat) fehlt und der Methylierungszyklus dadurch gestört ist.
Dies steht in Einklang mit den Beobachtungen in der NIK8 und NIK16, wonach der Homocysteinspiegel trotz Antifolats unverändert geblieben ist (vgl. oben cc).
Eine automatische „Blockierung“ des Methylierungszyklus durch eine Hemmung des „DNS-Zyklus“ (so BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 47) erscheint somit fraglich, ohne jedoch eine offensichtliche Fehlerhaftigkeit zu begründen.
Entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten in ihrem Schriftsatz vom 08.03.2019 (Seite 8 ff. / Bl. 61 ff. d.A., letzter Absatz) behauptet das BPatG jedoch nicht, dass es sich bei dem zweiten Reaktionsweg um einen solchen des DNS-Zyklus handelt. Es geht davon aus, dass es sich um einen zweiten Reaktionsweg zur Bildung von Tetrahydrofolat handelt, der gerade unabhängig von DNS-Zyklus ist.
gg) Ob daneben die Annahme des BPatG evident unrichtig ist, der Fachmann werde sich ausgehend von der NIK15 dem Folathaushalt im Allgemeinen zuwenden und sodann auf die NIK22 stoßen, vermag das Verletzungsgericht nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu beurteilen. Die Behauptung der Verfügungsklägerin, das BPatG kombiniere unzulässigerweise die Information aus Kapitel 12 der Entgegenhaltung NIK15 mit der NIK22 ist jedoch nicht zutreffend, da das BPatG im relevanten Abschnitt (Rn. 45) explizit auf das Kapitel 8 der NIK15 verweist und das Kapitel 12 überhaupt nicht erwähnt.
2. Selbst wenn man der Argumentation des BPatG nicht folgte und sie sogar für offensichtlich falsch hielte, würde das der Verfügungsklägerin nicht zum Erfolg verhelfen. Denn das erkennende Gericht gelangt nicht zu der Überzeugung, die Entscheidung des BPatG sei im Ergebnis offensichtlich unbegründet.
a) Die Beantwortung der Frage, ob erfinderische Tätigkeit zu bejahen ist, bedarf einer wertenden Entscheidung (BGH GRUR 1995, 330 – Elektrische Steckverbindung) unter Berücksichtigung des Standes der Technik sowie des Fachwissens des Durchschnittsfachmanns. Die Beurteilung stützt sich auf tatsächliche Umstände, nämlich die Feststellung der Erfindung, des Standes der Technik sowie des dem maßgeblichen Fachmann eigenen Wissens und Könnens. Eine erfinderische Tätigkeit liegt erst in derjenigen Leistung, die sich über die Norm dessen erhebt, was ein Fachmann mit durchschnittlicher Ausbildung, Kenntnissen und Fähigkeiten bei herkömmlicher Arbeitsweise erreichen kann (OLG Düsseldorf Urt. v. 19.2.2016 – 2 U 54/15, BeckRS 2016, 6344 Rn. 57).
b) Ob das streitgegenständliche Patent diesen Anforderungen genügt, vermag die Kammer nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzuzustellen.
aa) Denn es ist ebenso zu konstatieren, dass die Ansicht des BPatG, die erfindungsgemäße Verwendung von Pemetrexeddinatrium mit Vitamin B12 zur Bekämpfung bestimmter Krebsformen unter Reduzierung der unerwünschten Nebenwirkungen und Beibehaltung der therapeutischen Wirkung sei nahegelegt, aus der laienhaften Sicht des Verletzungsgerichts nicht unvertretbar ist.
So streiten insbesondere folgende Aussagen in der NIK8 für ein Naheliegen:
Historical data on other antifolates have suggested that a patient’s nutritional status may play a role in the likelihood of experiencing severe toxicity (…).
Methods: Homocysteine (Hcys), cystathionine and methylmalonic acid were measured in 189 phase II patients (…)
Toxicities resulting from treatment with MTA appear to be predictable from pretreatment homocysteine levels.“
Demnach könnte sich der Fachmann veranlasst gesehen haben, unter Berücksichtigung des allgemeinen Wissens um den Methylkreislauf zur Senkung des als schädlich anerkannten Homocysteins, Vitamin B12 vor der Anwendung von Pemetrexed zu verabreichen. Denn sowohl aus der allgemeinen Entgegenhaltung in NIK22, bei der es sich zugegebenermaßen um eine Veröffentlichung der Ernährungswissenschaft und nicht der Onkologie handelt (dort insbesondere Fig. 1), aber auch aus der NIK2 (dort S. 8 f.), die eine Veröffentlichung aus der Onkologie darstellt, war ersichtlich, dass Vitamin B12 eine entscheidende, wenn auch nicht alleinige Rolle bei der Senkung des Homocysteins spielt. Hierauf stellt auch das BPatG als weitere Begründung für seine Rechtsauffassung ab (BPatG, BeckRs 2018, 27337, Rn. 58, allerdings bezogen auf S. 270 der NIK15).
bb) Die Auffassung der Einspruchsabteilung und ihr folgend der hiesigen Kammer in der Sache 21 O 22243/15 und des OLG München in der Sache 6 U 3039/16, wonach die NIK16 (=D9) von dem Bestreben, Vitamin B12 zu verabreichen, weggeführt hätte, da keine Korrelation zwischen dem Vitamin B12-Defizit-Marker Methylmalonsäure und einem erhöhten Homocysteinspiegel festgestellt worden sei, beruht auch auf der Einschätzung des Offenbarungsgehalts der dortigen Entgegenhaltung D29. Diese besagt, dass ein Mangel an Vitamin B12 nicht nur zu einen erhöhten Homocystein-Spiegel führt, da es – wie oben beschrieben -die Methylgruppe des 5-Methltetrahydrofolats aufnimmt und sodann an das Homocystein abgibt, welches dadurch zu Methionin methyliert wird, sondern auch zu einem erhöhten Methylmalonsäure-Spiegel. Ob diese Einschätzung zutreffend ist und daher die Schlussfolgerung des EPA rechtfertigt, die NIK16 habe – da keine Korrelation von Nebenwirkungen und einem Methylmalonsäure-Spiegel berichtend – von Vitamin B12 weggeführt, vermag die Kammer mit der erforderlichen Sicherheit nicht zu beurteilen.
Dagegen könnte sprechen, dass die im Vergleich zur NIK16 jüngere und damit aktuellere Entgegenhaltung NIK8 (=D27) – trotz der angeblich von Vitamin B12 wegführenden Studien in NIK16 – neben Homocystein und Cystathionin dennoch erneut MMA untersucht. Die NIK8 könnte daher geeignet sein, den – nach der Auffassung des EPA – von der Verabreichung von Vitamin B12 wegführenden Weg in der NIK16 wieder rückgängig zu machen und den Fachmann zu veranlassen, den Lösungsweg über Vitamin B12 zu suchen. Die Einspruchsabteilung des EPA verhält sich hierzu nicht. Sie führt nur aus, D27 (=NIK8) schildere ebenso die Korrelation zwischen Homocysteinspiegel und Nebenwirkungen des Pemetrexeds.
cc) Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Erfindung der Verfügungsklägerin auf einer Kombination vorbekannter Stoffe und deren vorbekannter therapeutischer Wirkung beruht. Der Stoff Pemetrexed sowie dessen pharmazeutische Wirkungen waren vorbekannt. Ebenso war Vitamin B12 und dessen positive Wirkung zur Senkung des als allgemein schädlich anerkannten Homocysteinspiegels vorbekannt:
„Thus, any functional deficiency either in B12 or folate will result in reduction in the flux through methionine synthase and a consequent increase in the plasma level of homocysteine.“
(Anlage NIK2, Seite 8 rechte Spalte).
Der Gegenstand des Patents beruht mithin auf einer Kombination bekannter Stoffe zum Erreichen eines therapeutischen Effekts, nämlich die therapeutische Wirksamkeit von Pemetrexeddinatrium als Antifolat zu erhalten unter gleichzeitiger Reduzierung seiner nachteiligen (toxischen) Nebenwirkungen (vgl. Patentschrift [0005]; BGH, GRUR 2016, 921 Rn. 17 – Pemetrexed). Vor dem Hintergrund der geschilderten Bekanntheit der Wirkungen der Einzelbestandteile könnte fraglich sein, worin der überraschende therapeutische Effekt liegt, wenn man – entgegen der Verfügungsklägerin – nicht davon ausgeht, die Anlage NIK16 führe von der Verwendung von Vitamin B 12 weg.
Dagegen könnte zwar die Nebenwirkungsangabe der HLNK8 sprechen, wonach bei Verabreichung von Vitamin B12 damit gerechnet werden muss, dass aufgrund der das Zellwachstum fördernden Wirkung von Vitamin B12 mit einer Zunahme des Wachstums von malignen Krebszellen zu rechnen ist. Da der Fachmann aber um die hemmende Wirkung des Pemetrexeds wusste, hätte er sich davon möglicherweise nicht abhalten lassen. Ebenso wäre die Entgegenhaltung in HLNK9 sowie der HLNK33 möglicherweise nicht geeignet gewesen, ein Vorurteil gegen die Verabreichung von Vitamin B12 im Zusammenspiel mit der Verabreichung von Pemetrexed zu begründen. Denn durch die von Pemetrexed verursachte Inhibierung aller drei Schlüsselenzyme der DNS-Synthese, die von den Entgegenhaltungen HLNK9 und HLNK33 nicht beschrieben ist, besteht kein Anlass, zusätzlich Vitamin B12 zu blockieren. Im Gegenteil, im Wissen um die positiven Wirkungen der Verabreichung von Folsäure bei der Behandlung mit Pemetrexed sowie in Kenntnis der Verknüpfung von Methylierungszyklus und Folatkreislauf (Fig. 1 NIK22) und der Korrelation von erhöhtem Homocysteinspiegel vor Pemetrexedverabreichung und dessen Nebenwirkungen, könnte eine Motivation zur Verabreichung von Vitamin B12 bestanden haben.
dd) Dass der Fachmann in Kenntnis des Standes der Technik, wie durch NIK15 (Kapitel 8), NIK2 (Seite 8 f.) oder NIK22 (Fig. 1) sowie von NIK16 und der im Vergleich dazu jüngeren Veröffentlichung NIK8, dazu angehalten wurde, Vitamin B12 zur Reduzierung des Homocysteinspiegels und damit zur Reduzierung der Nebenwirkungen der Behandlung von Pemetrexed zu verabreichen ohne dessen Wirksamkeit negativ zu beeinflussen, ist daher eine nicht abwegige, vertretbare Rechtsauffassung, die das Verletzungsgericht eingedenk seiner beschränkten fachlichen Kompetenz nicht abschließend beurteilen kann und deren endgültige Beantwortung somit dem Rechtsmittelgericht in der Nichtigkeitsinstanz vorbehalten bleiben muss.
Selbst wenn die vom BPatG hierfür herangezogene Argumentation als nicht überzeugend und offensichtlich fehlerhaft anzusehen wäre, ist das gefundene Ergebnis jedenfalls nicht unvertretbar.
ee) Die von der Verfügungsklägerin vorgebrachte Entscheidung des Bezirksgerichts Den Haag vom 16.01.2019 (Anlage HL16) vermag daran nichts zu ändern (vgl. hierzu Kühnen, a.a.O., Kapitel G, Rn. 67).
Da es – wie oben bereits ausgeführt – bei der vorliegenden Prüfung nicht darum geht, die eigene Ansicht an die Stelle des BPatG zu setzen, ist die nicht offensichtlich unvertretbare Entscheidung vom Verletzungsgericht zu akzeptieren.
c) Sofern die Verfügungsklägerin darauf verweist, das bundespatentgerichtliche Urteil sei fehlerhaft, weil es die anderslautenden Entscheidungen der Einspruchsabteilung des EPA sowie des LG München I und des OLG München nicht ausreichend berücksichtigt habe, ist dies unbehelflich.
Der Verfügungsklägerin ist zuzugeben, dass das bundespatentgerichtliche Urteil nicht explizit darlegt, warum der Fachmann ausgehend von NIK15 und NIK22 insbesondere die NIK16 offensichtlich anders auslegt, als das EPA. Denn nach der Auffassung des BPatG liegt die Bedeutung der NIK16 – zusammen mit der NIK8 – darin, den aus der NIK22 entnommenen biochemischen Zusammenhang zwischen Blockierung des DNS-Zyklus und Methylierungszyklus „zu bestärken“. Demgegenüber hatten das EPA und ihm folgend das LG München I und das OLG München angenommen, die NIK16 führe den Fachmann gerade von der Verabreichung von Vitamin B12 weg (vgl. NIK18, Seite 14 ff.). Zwar mag der Fachmann ausgehend von NIK15 und NIK22 zu der Erkenntnis gelangt sein, dass Vitamin B12 für die Nebenwirkungen vom Pemetrexed eine Rolle spielen könnte. Durch die Kenntnisnahme der Informationen in der NIK16 könnte er davon aber dennoch wieder abgebracht worden sein. Hierzu verhält sich die Entscheidung des BPatG nicht (vgl. bereits oben 1. b).
Daraus resultiert indes auch nach der Rechtsprechung des BGH keine (offensichtliche) Fehlerhaftigkeit der Nichtigkeitsentscheidung. Zwar hat der BGH in der Entscheidung „Walzenformgebungsmaschine“ ausgeführt, „es erscheine unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit als auch im Interesse einer Harmonisierung der Rechtsprechung im Geltungsbereich des EPÜ erforderlich, Entscheidungen, die durch die Instanzen des EPA oder andere nationale Gerichte ergangen sind, zu beachten und sich gegebenenfalls mit den Gründen auseinanderzusetzen, die bei der vorangegangenen Entscheidung zu einem Ergebnis geführt haben, das von dem später zur Entscheidung berufenen Gericht nicht oder nicht ohne Weiteres geteilt wird“ (BGH, GRUR 2010, 950, Rn. 14). Zugleich hat der BGH betont, nicht jede Verletzung der Verpflichtung zur (gedanklichen) Auseinandersetzung mit vorausgegangenen abweichenden Entscheidungen verletze notwendigerweise den Anspruch der betroffenen Partei auf rechtliches Gehör. Es komme insoweit auf die Tatsachen und rechtlichen Gesichtspunkte an, die von der Partei geltend gemacht worden sind. Eine Gehörsverletzung sei eher fernliegend, wenn das Bundespatentgericht einen Begründungsweg gewählt habe, der von der Parallel-Instanz nicht gewählt worden sei (BGH, a.a.O., Rn. 15). In seinem Beschluss vom 02.12.2014, Az. X ZB 1/13 (BPatG), hat der BGH diese Leitlinien dahingehend konkretisiert, dass eine Befassung mit einer abweichenden Entscheidung des EPA auch dadurch erfolgen kann, dass derselbe Gesichtspunkt in Kenntnis der abweichenden Entscheidung rechtlich anders gewürdigt wird (BGH, GRUR 2015, 199 Rn. 15).
Vorliegend hat das BPatG in der Kenntnis der abweichenden Entscheidung des EPA teilweise andere Entgegenhaltungen herangezogen, um zu seiner Entscheidung zu gelangen. Deren Offenbarungsgehalt ist entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin nicht identisch, da insbesondere die Anlage NIK2 von ihrem Offenbarungsgehalt offensichtlich nicht identisch mit demjenigen der NIK22 ist. So findet sich in der gesamten NIK2 nicht die Fig. 1 der NIK22. Die in der NIK2 enthaltenen Abbildungen zeigen die vom BPatG angenommene Verbindung von Methylierungszyklus und DNS-Zyklus nicht wie die Fig. 1 aus NIK22. Die Abbildung in Fig. 8 der NIK2 zeigt zwar einen Folatzyklus, nicht jedoch den zweiten, den DNS-Zyklus.
Es kann daher als bedauerlich angesehen werden, dass das BPatG sich nicht eingehender mit den Ausführungen insbesondere der Einspruchsabteilung des EPA in seinem Urteil auseinandergesetzt hat. Zu einer offensichtlichen Unrichtigkeit dessen führt dies gleichwohl nicht.
III.
Aufgrund der vorstehend unter II. dargestellten Überlegungen kann eine Prognose zugunsten des Bestands des Verfügungspatents nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit abgegeben werden.
Die eigentlich vorrangige Frage der Neuheit konnte unbeantwortet gelassen werden, da für die erforderliche Prognose nicht zu überwindende Zweifel hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit bestehen.
Schließlich spricht auch die stets gebotene Interessenabwägung gegen einen Erlass der einstweiligen Verfügung.
1. Insbesondere in einstweiligen Verfügungsverfahren zwischen forschenden Arzneimittelherstellern (sog. Originatoren) und den Herstellern von Nachahmermedikamenten (sog. Generika-Hersteller) kommt einer Interessenabwägung der sich aus dem Erlass oder Nichterlass einer einstweiligen Verfügung ergebenden Folgen eine besondere Bedeutung zu. Der – sich nachträglich als unberechtigt herausstellende – Markteintritt der Nachahmermedikamente hat dabei eine große Relevanz. Die forschenden Arzneimittelhersteller wenden in aller Regel hohe Millionenbeträge auf, um einen Wirkstoffkandidaten zum zugelassenen Arzneimittel mit Patentschutz zu entwickeln. Viele Ansätze erweisen sich im Verlaufe der durchzuführenden Studien als ungeeignet mit der Folge hoher frustrierter Aufwendungen. Da die Anmeldung zum Patent weit vor der Zulassung zum Arzneimittel erfolgt, ist im Zeitpunkt der Patenterteilung bereits ein nicht unerheblicher Zeitraum der Patentlaufzeit verstrichen. Den Patentinhabern ist es daher ein notwendigerweise besonderes Anliegen, in dem relativ kurzen zur Verfügung stehenden Zeitraum ihr Patent ungestört vom Preiswettbewerb mit Drittanbietern zu verwerten. Die mit der Verwertung generierten Einnahmen sollen auch dazu verwendet werden, neue Forschungen mit dem Ziel neuer Medikamente anzustrengen.
Die von den Originatoren getragenen Forschungs- und Entwicklungskosten fallen bei den Generika-Herstellern nicht an. Denn die wesentlichen Kosten sind eben die Forschungs- und Entwicklungskosten. Die Herstellungskosten sind demgegenüber marginal. Da die Nachahmer aufgrund der offen gelegten Patentschrift die Zusammensetzung des patentierten Arzneimittels kennen, ist es für sie ohne großen Kostenaufwand möglich, gleichwertige Medikamente herzustellen und zuzulassen, da sie auch insoweit auf die Unterlagen des Originals zurückgreifen können. Sie sind daher in der Lage, die von den Originatoren aufgerufenen Preise für ihre Medikamente deutlich zu unterbieten. Da die Wirksamkeit der Medikamente in der Regel gleich ist, können die Patentinhaber auch nicht – wie bei anderen Produkten etwa in der (Unterhaltungs-)Elektronik – auf die besondere Qualität oder Verlässlichkeit ihrer Produkte im Gegensatz zu denen der Nachahmer verweisen. Eine Preisdurchsetzung aufgrund des Rufs der Marke oder des besonderen Designs des Produkts ist in der Pharmabranche ebenfalls unüblich.
Wird demnach den Nachahmerunternehmen der Marktzutritt für ein patentgeschütztes Medikament erlaubt, kann dies einen unwiederbringlichen finanziellen Schaden für den Patentinhaber bedeuten (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2008, 328, 331 f. – Olanzapin; GRUR-RR 2013, 236, 239 f. – Flurpitin-Maleat). Dies muss jede gerichtliche Interessenabwägung stets im Auge haben.
Der geschilderten besonderen Situation der forschenden Arzneimittelhersteller verschließt sich auch die hiesige Kammer nicht. Gleichwohl führt die Interessenabwägung vorliegend nicht dazu, die einstweilige Verfügung zu erlassen.
2. a) Wie bereits unter Ziffer II. gezeigt, konnte sich das Verletzungsgericht trotz eingehender Beschäftigung nicht von der offenkundigen Fehlerhaftigkeit des Ergebnisses der patentgerichtlichen Entscheidung überzeugen.
b) Die Verfügungsbeklagten sind zudem unbestritten bereits auf dem Markt vertreten (vgl. Antragsschrift vom 01.02.2019, Seite / Bl. 11, Rn. 24). Der Kammer ist zudem aus dem ebenfalls am 13.03.2019 verhandelten Parallelverfahren 21 O 22243/15 bekannt geworden, dass unstreitig weitere Generikahersteller (unbestrittener Vortrag im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 18.02.2019, Seite 13, Bl. 286 d.A. im dortigen Verfahren) mit ihren Produkten auf dem Markt vertreten sind. Der Preisverfall infolge der Konkurrenz durch Generikahersteller dürfte mithin bereits eingetreten sein. Gegenteiliges hat die Verfügungsklägerin nicht vorgetragen.
c) Die Verfügungsklägerin hatte infolge der bereits erlassenen einstweiligen Verfügung gegen Dritte auch bereits die Möglichkeit, ihre Investitionen ungestört vom Wettbewerb mit den Generikaanbietern über einen Zeitraum von mehreren Jahren zu amortisieren.
d) Ferner ist zu berücksichtigen, dass gegen das Nichtigkeitsurteil umgehend Berufung im Jahr 2018 eingelegt wurde und das Verfügungspatent am 15.06.2021 ausläuft (vgl. Anlage HL2). Es kann daher davon ausgegangen werden, dass eine Entscheidung des BGH über den Rechtbestand des Verfügungspatents zeitlich deutlich vor dem Ablauf des Verfügungspatents, nämlich in der ersten Jahreshälfte 2020 ergehen wird. Daher kann unterstellt werden, dass im Falle eines die Nichtigkeitsentscheidung abändernden Urteils für die Verfügungsklägerin noch Gelegenheit bestehen wird, gegen die auf dem Markt befindlichen Generikahersteller erneut durch einstweilige Verfügung vorzugehen. Die in der Sache „Olanzapin“ geschilderte Situation, dass Nachahmer motiviert sein könnten, auf den Markt zu kommen, weil sie damit rechnen könnten, dass das Verfügungspatent vor einer abändernden Entscheidung bereits abgelaufen ist (OLG Düsseldorf, a.a.O., 331, 332), ist hier nicht gegeben.
e) Die Verfügungsklägerin kann daher die berechtigte Hoffnung hegen, nach einem den Bestand des Verfügungspatents wiederherstellenden Urteils erneut von ihrem Monopol auf den Wirkstoff Pemetrexed unter Zugabe von Vitamin B12 Gebrauch machen zu können. Dass die Preise zu diesem Zeitpunkt unter demjenigen Niveau sein werden, das vor dem Markteintritt der Generikaunternehmen bestand, ist offenkundig. Allerdings führt das allein nicht zu einem überwiegenden Interesse der Verfügungsklägerin.
Das gilt auch wenn man berücksichtigt, dass – jedenfalls nach einem Beschluss des OLG Düsseldorf (GRUR 2018, 855 – Rasierklingeneinheiten) und entgegen der befestigten Rechtsprechung des I. Zivilsenats des BGH (vgl. GRUR 2018, 292 – Produkte zur Wundversorgung; GRUR 2017, 823 – Luftentfeuchter; GRUR 2017, 208 – Rückruf von RESCUE-Produkten; GRUR 2016, 720 – Hot Sox) – die Generikahersteller im Falle einer erneuten Unterlassungsverfügung nicht verpflichtet wären, ihre bereits bei den Apotheken befindlichen Nachahmerprodukte von diesen zurückzurufen. Denn gleichwohl wären deren Vorräte beschränkt und ihre Versorgung mit den Nachahmerprodukten somit zeitlich sehr befristet.
Aufgrund der Vertretbarkeit der patentgerichtlichen Entscheidung und der damit zusammenhängenden fehlenden Prognosesicherheit hinsichtlich ihrer Aufhebung sowie der dargestellten Interessenlage war auch der Weg über einen Erlass der einstweiligen Verfügung unter gleichzeitiger Festlegung einer sehr hohen Sicherheitsleistung für die Vollziehung nicht gangbar.
V.
Im Ergebnis führt dies dazu, dass sich das Verletzungsgericht nach eingehender Prüfung insbesondere der Frage der erfinderischen Tätigkeit außerstande sieht, die Prognose zu stellen, dass die bundespatentgerichtliche Entscheidung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Bestand vor dem BGH haben wird. Ferner spricht auch die durchgeführte Interessenabwägung nicht für einen Erlass der einstweiligen Verfügung.
B.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 6 ZPO.
Verkündet am 03.04.2019


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