Familienrecht

10 UF 976/21

Aktenzeichen  10 UF 976/21

Datum:
15.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
FamRZ – 2022, 1019
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

201 F 1980/19 2021-09-28 Bes AGREGENSBURG AG Regensburg

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 28.09.2021, Az. 201 F 1980/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.021,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Beschwerde vom 30.09.2021 gegen einen Beschluss des Amtsgerichts Regensburg, soweit durch ihn die Scheidung von seiner Ehefrau unter Anwendung deutschen Rechts ausgesprochen wurde.
Die beteiligten Eheleute haben am 20.12.2009 vor einem Scharia-Gericht in Syrien die Ehe geschlossen. Die Ehefrau hält sich seit Oktober 2018 mit den drei gemeinsamen Kindern gegen den Willen ihres Ehemannes in Deutschland auf und beantragte am 02.10.2019 die Scheidung, der der Antragsgegner widersprochen hat.
Die Antragstellerin hat die syrische und die ägyptische Staatsangehörigkeit. Der Antragsgegner hat die ägyptische Staatsangehörigkeit. Beide Eheleute haben muslimischen Glauben.
Das Familiengericht hat ein Gutachten zur Frage in Auftrag gegeben, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen eine Ehe nach ägyptischen Recht zu scheiden ist. Das Gutachten wurde am 28.04.2021 von Professor Dr… vom Institut für Internationales Recht der Universität München erstattet.
Aufgrund der Ausführungen im Sachverständigengutachten kam das Gericht zu der Auffassung, dass nach Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 (im folgenden Rom-III-Verordnung) auf die Scheidung im vorliegenden Fall deutsches Recht anzuwenden und der Scheidungsantrag der Antragstellerin auch begründet ist. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 28.09.2021 verwiesen.
Mit seiner Beschwerde vom 30.09.2021 macht der Antragsgegner geltend, dass auf die Scheidung der Beteiligten ägyptisches Recht anzuwenden sei und dessen Voraussetzungen nicht vorlägen. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts könne nicht von einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung der Frau im ägyptischen Scheidungsrecht ausgegangen werden. Das Gutachten, dem sich das Amtsgericht anschließe, bezeichne das Scheidungsrecht des Mannes begrifflich unzutreffend als Verstoßung und übersehe, dass die Frau vertragliche Möglichkeiten habe, selbst Scheidung einzureichen bzw. auch das Recht habe, sich von einem Gericht scheiden zu lassen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung vom 09.11.2021 verwiesen.
Die Antragstellerin beantragte Beschwerdeabweisung. Die Einwendungen des Antragsgegners gegen das Sachverständigengutachten seien unsubstantiiert. Dies betreffe sowohl die Frage der inhaltlichen Ausgestaltung der Rechte von Ehefrauen im ägyptischen Recht als auch zeitliche Aspekte. Art. 10 Fall 2 der Rom-III-Verordnung beinhalte eine abstrakte Normenkontrolle. Der Maßstab für die Beurteilung des gleichberechtigten Zugangs zur Ehescheidung sei streng anzusetzen.
II.
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde gemäß § 58 ff. FamFG ist in der Sache nicht begründet.
Zur Vermeidung von Wiederholungen macht sich der Senat auf Grund eigener Prüfung die Ausführungen des Amtsgerichts – Familiengericht – Regensburg im Beschluss vom 28.09.2021 im Kern zu eigen und verweist zur Begründung der Zurückweisung der Beschwerde auf die dort erfolgte umfassende und überzeugende Abwägung und Argumentation.
Art. 10 Fall 2 der Rom-III-Verordnung gibt vor, dass das Recht des Staates des angerufenen Gerichts, hier also deutsches Scheidungsrecht, anzuwenden ist, wenn das nach Art. 8 der Verordnung anzuwendende Recht, hier das ägyptische Scheidungsrecht, einem der Ehegatten aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit keinen gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung oder Trennung ohne Auflösung des Ehebandes gibt. Bei Eingreifen der Vorschrift kommt es nicht mehr darauf an, ob das ägyptische Scheidungsrecht mit der deutschen öffentlichen Ordnung vereinbar ist. Vielmehr verdrängt Art. 10 Fall 2 der Rom-III-Verordnung den allgemeinen odrepublic-Vorbehalt in Art. 12 der Verordnung. Die Frage, ob das ausländische Scheidungsrecht im Einzelfall zu keinen gleichheitswidrigen Folgen führt und damit kein Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung vorliegt, bleibt bei seinem Eingreifen mithin ohne Belang (vergleiche hierzu BGH, FamRZ 2004,1952). Es findet eine abstrakte Prüfung der Norm statt.
In der Literatur wird wegen dieses weit über den üblichen odrepublic-Vorbehalt hinausgehenden Ausschlusses einer Anwendung ausländischen Rechts zwar diskutiert, Art. 10 Fall 2 der Rom-III-Verordnung teleologisch zu reduzieren und nur dann eingreifen zu lassen, wenn die Anwendung des ausländischen Rechts im konkreten Einzelfall zu einem Gleichheitsverstoß führt. Dies ist aber mit dem EuGH (Schlussanträgen des Generalsanwalts Henrik Saugmandsgaard Oe vom 14.09.2017 in der Rs. C- 372/16 (Sahyouni), ECLI: ECLI:EU:C: 2017: 686) und der neueren Literatur (Beckonline. Kommentar/Gössel, Art. 10 Rom-III-Verordnung Rn. 23; juris PK-BGB/Ludwig, Art. 10 Rom-III-VO Rn. 9 (Stand 01.03.2020); Münchner Kommentar, BGB/Winkler von Mohrenfels, 8. Aufl. 2020, Art. 10 Rom-III-VO Rn. 9f., Rn. 14 f., Weller/Hauber/Schulz/IPRax 2016, 123 ff. m. w. N.) aufgrund des klaren Wortlauts der Vorschrift sowie, wie bereits seitens des Amtsgerichts umfassend und zutreffend ausgeführt, in Abgrenzung zu Art. 12 der Rom-III-Verordnung abzulehnen.
Vor diesem Hintergrund ist daher zu prüfen, inwieweit das ägyptische Recht der Ehefrau und dem Ehemann abstrakt einen gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung eröffnet.
Dies ist, wiederum unter Verweis auf die zutreffenden Erwägungen des Amtsgerichts – Familiengericht – Regensburg im Beschluss vom 28.09.2021, zu verneinen. Soweit seitens des Amtsgerichts ausgeführt wird, dass im Gutachten des Sachverständigen nicht explizit angesprochen worden sei, dass die Ehefrau die Möglichkeit besitze, sich über vertragliche Vereinbarungen bestimmte Rechte für eine einseitige Scheidung vorzubehalten, ist zu sehen, dass der Sachverständige die Möglichkeit einer Vereinbarung eines „Selbstloskaufes“ durch die Ehefrau („khul“) in seinem Gutachten durchaus behandelt hat (Gutachten S. 18).
Anknüpfungspunkt einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung bei der Scheidung ist der aufgrund Geschlechtszugehörigkeit unterschiedlich geregelte Zugang zur Scheidung und damit die Prüfung, ob sich Mann und Frau nach den gleichen oder gleichwertigen Voraussetzungen scheiden lassen können.
Ein Ehemann kann sich nach ägyptischem Scheidungsrecht ohne weitere inhaltliche Voraussetzung von seiner Ehefrau außergerichtlich durch einseitige Erklärung gegenüber einem Imam von seiner Ehefrau scheiden lassen („talaq“). Scheidungsgründe muss er nicht nennen. Dahinstehen kann, ob diese Form der Scheidung als Verstoßung zu bezeichnen ist oder nicht.
Eine Ehefrau hat dem gegenüber kein äquivalentes einseitiges Scheidungsrecht. Ihre Handlungsmöglichkeiten sind vielmehr begrenzt. Außergerichtlich besitzt sie nur die Möglichkeit eine Vereinbarung mit dem Ehemann herbeizuführen („Selbstverstoßung“ bzw. „Selbstloskauf“). Diese rechtsgeschäftlichen Scheidungsvarianten kann sie aber nicht autonom betreiben. Sie ist vielmehr von der Mitwirkung des Ehemannes abhängig. Darüber hinaus steht es ihr offen, ein gerichtliches Verfahren durchzuführen. Dies ist nach dem Gesetz grundsätzlich zwingend mit einem Verzicht auf Rechte wie elterliche Sorge, Unterhalt und Vermögen verbunden, es sei denn sie kann einen der eng gefassten Scheidungsgründe für sich geltend machen. Alle diese Scheidungsvarianten sind mithin an inhaltliche Vorgaben geknüpft und bedürfen der Mitwirkung des Ehemanns oder eines Gerichts.
Dies trifft auch auf das vom Beschwerdeführer in der Beschwerde angesprochene Recht der Frau zu, sich einseitig und gegen den Willen des Mannes ohne Angabe von Gründen durch ein Gericht scheiden zu lassen („al koleh“), da auch die Ausübung dieses Rechts nach dem ägyptischen Scheidungsrecht zwingend mit der Aufgabe der einer Ehefrau zustehenden nachehelichen Rechte oder deren vertraglicher Abbedingung unter Mitwirkung des Ehemannes verknüpft ist.
Diese an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfenden Unterschiede werden auch nicht dadurch ausgeglichen, dass der Ehefrau vor der Heirat die Möglichkeit eröffnet ist, sich vertraglich das Recht zur einseitigen Scheidung vorzubehalten bzw. bestimmte im Scheidungsrecht vorgesehene Scheidungsfolgen oder formelle Voraussetzungen für die Scheidung abzubedingen. Vielmehr stellt bereits die Notwendigkeit einer vertraglichen Abänderung der gesetzlichen Scheidungsvoraussetzungen für die Ehefrau eine geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung dar. Deren Gelingen hängt wiederum vom Verhandlungsgeschick und Verhandlungsmöglichkeiten der Frau vor der Heirat oder bei Auftreten von Trennungsabsichten ab.
Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, welches gerichtliche Scheidungsverfahren der Antragstellerin für die im Jahr 2009 geschlossene Ehe nach dem ägyptischen Scheidungsrecht zur Verfügung gestanden hätte. Daher war auch kein weiteres Sachverständigengutachten zu erholen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 113 Abs. 1 FamFG, § 97 ZPO.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 43 Abs. 2 FamGKG.


Ähnliche Artikel

Die Scheidung einer Ehe

War es bis vor etlichen Jahren noch undenkbar, eine Ehe scheiden zu lassen, so ist eine Scheidung heute gesellschaftlich akzeptiert. Die Zahlen der letzten Jahre zeigen einen deutlichen Trend: Beinahe jede zweite Ehe wird im Laufe der Zeit geschieden. Was es zu beachten gilt, erfahren Sie hier.
Mehr lesen


Nach oben